Hundeleben

Hundeleben

Dieses Buch ist eines der unbequemsten und gleichzeitig diskussionswürdigsten, das ich jemals gelesen habe.

Nun einmal zum Schlagwort „unbequem“:

1. Behandelt das 142 Seiten starke Buch das Thema „sexuelle Gewalt“. Ein Thema, von dem man höchstens theoretische Ausführungen erträgt: so und so viel Prozent von Gewalt gegen Frauen werden von Männern ausgeübt, so und so viele Kinder werden sexuell missbraucht. Was das aber genau bedeutet, das mag man sich schon gar nicht mehr vorstellen. Stofftier „Putzi“ schaut aber nicht weg, sondern hin. Und daraus entstehen stellenweise sehr drastische Szenen. Unbequem ist das auch deshalb, weil der einfach lesbare Stil des Buches eine Art Sog entwickelt, dass man immer weiter und weiter lesen möchte. Und doch nicht möchte.

2. Wer hat nicht selbst genug Probleme und will sich daher mit unangenehmem Lesestoff gar nicht erst befassen? Es ist aber das Wesen eines Tabus, dass die Auseinandersetzung damit zunächst einmal unbequem ist.

3. Unbequem ist auch die Tatsache, dass das betroffene Mädchen, das später zur jungen Frau wird, nur eine sehr vage Stimme hat. Die Hauptperson/Das Opfer wird eigentlich nicht gehört bzw. äußert sich auch nicht. Doch wieviele Frauen schweigen jahrelang über erlittene (sexuelle) Gewalt?

Nun ein paar Gedanken zum Schwerpunkt „diskussionswürdig“:

1. Die Geschichte ist ziemlich schwarz-weiß „gestrickt“: erst folgt der Missbrauch durch den Vater, dann vergeht sich ein Lehrer an dem (verliebten) Mädchen, später verlangt der Lebensgefährte unbedingten Gehorsam in jeder Hinsicht. Dadurch entsteht der Eindruck, dass es um nicht um ein individuelles Schicksal geht, sondern um das Beispiel eines von Gewalt geprägten Lebenslaufes. Das kann man gut finden oder auch nicht. Literatur kann auch durch Verfremdung etwas bewirken, andererseits berührt sie uns vielleicht eher durch Schilderung eines „Schicksales“. Also bleibt man in diesem Buch irgendwie außen vor, berührt werden kann man nur durch die Tatsache, dass es solche Abhängigkeiten/Gewalterlebnisse tatsächlich gibt.

2. Die Geschichte bietet kein Happy End, nicht einmal einen kleinen Lösungsansatz. (Es sei denn, wenn man das psychologische Nachwort als Hinweis auf eine mögliche Lösung interpretiert). Das läßt den Leser/die Leserin ziemlich hoffnungslos, sprachlos und erschlagen zurück. Andererseits ist das genau das, was Opfer von Gewalt nur allzuoft erleben. So werden die LeserInnen selbst zum Opfer, erkennen aber auch genau dadurch, dass das Problem „sexuelle Gewalt“ stärker wahrgenommen und artikuliert werden muss.

3. Diskussionswürdig ist für mich auch die Frage, ob man sich dieses Themas sinnvollerweise auf literarische Art überhaupt nähern kann. Es ist immer eine Gratwanderung zwischen Voyeurismus, Anklage und Empörung. Die „Auslagerung“ des „Ich“ in ein Stofftier ist einerseits ein ziemlich origineller Schachzug und thematisiert auch Fragen von „Abspaltung“. Andererseits ermöglicht die einfache Sprache auch nur einfache (relativ brutale und unreflektierte)Beobachtungen.

Fazit: Jedenfalls habe ich schon lange kein Buch mehr gelesen, das mich zu so intensiven Betrachtungen eines gräßlichen Themas verleitet hat. Und darum gebe ich dem Buch trotz seines einfachen, zugespitzten Plots fünf Punkte.

Gabriela Stockmann
Hundeleben
Wie lange kann ein Mensch blind sein und wie gut kann ein Stofftier sehen? Stoffhund „Putzi“ erzählt die Geschichte eines sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und seiner Folgen für das weitere Leben der betroffenen Frau.
ISBN:3902589019
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