Henning Sussebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt
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Henning Sussebach widmet sich in seinem vorliegenden Buch dem Gedanken, was eigentlich von uns Menschen nach dem Tod bleibt.
Vorrausschickend beschreibt er, wie es herkömmlich ist: zuerst trauern nahestehende Menschen, vielleicht erstreckt ich das Interesse noch auf die nächste Generation; doch bald ist es vorbei. Dann mögen sich nur noch Menschen mit historischen oder besonderen familiären Interessen der Verstorbenen erinnern.
Am Beispiel seiner Urgroßmutter Anna zeigt er auf, wie deren Leben im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts ausgesehen habe könnte. In eine arme kinderreiche Familie hineingeboren wird sie 1878 auf dem Weg nach Cobberode gesichtet. Sie war nach dem frühen Tod des Vaters mit vielen anderen Katholiken in die Niederlande geschickt worden, wo sie ihre Jugendjahre in einem Kloster verbrachte. Ihr Schicksal führt sie später in das Dorf
Cobbenrode in Westfalen. Dort wird sie als Lehrerin arbeiten.
Punktuell erzählt der Autor, wie man als Frau überhaupt zu der Zeit mit einem Beruf leben konnte. Erziehungsmethoden werden ebenso gestreift wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft.
Anhand jeweiliger Jahreszahlen erzählt Sussebach, was wann wo geschah: Kriege, Gesetze, Entwicklung von Telefon und Autoindustrie, der Beginn der Frauenbewegung, Wahlrecht, gesellschaftlicher Wandel und die Vergabe eines Nobelpreises an Berta von Suttner 1905 spielen dabei eine Rolle. Über das Schicksal der Urgroßmutter entwickelt sich eine Sozialstudie über eine Zeit, in der bekanntermaßen Frauen wenig Rechte hatten und nur untergeordnet leben konnten.
Diese Urgroßmutter hatte allerdings ein besonderes Leben, das keinesfalls den damaligen Normen entsprach. Erst mit 37 Jahren heiratete sie 1903 ihren vier Jahre jüngeren Mann Clemens. 15 Jahre hatten sie heimlich aufeinander gewartet. Clemens‘ Vater wollte die unvermögende Frau nicht akzeptieren. Nach seinem Tod wurde die Heirat möglich.
Clemens starb bei einem Unglück nur 90 Tage nach der Hochzeit. Sechs Monate später bekam Anna einen Sohn, den sie Clemens nannte.
Als Alleinerbin wird sie Großunternehmerin. Sie schmeißt den Gasthof mit Bauernwirtschaft und zahlreichen Angestellten und Arbeitern. Zugleich leitet sie die Postagentur.
Sussebach sucht sich aus Zeitzeugnissen ein Bild zu machen, wie das praktische Leben der Urgroßmutter ausgesehen haben könnte. Er findet schriftliche Spuren in Form von Poesiealben, seltenen Kartengrüßen, Kirchenbucheintragungen etc. Wenige Fotos geben Aufschluss, dass Anna eine selbstbewusste Frau geworden sein muss.
So selbstbewusst, dass sie sechs Jahre nach der ersten Eheschließung noch einmal vor den Traualtar schreitet: niemand anderes als der neue Junglehrer, 19 Jahre jünger als sie, wird ihr zweiter Ehemann. Unerwartet wird sie mit 45 Jahren noch einmal Mutter. Eine Tochter Maria erblickt das Licht der Welt. Der Erste Weltkrieg beginnt, und weiter geht das Leben in den gewohnten Bahnen.
Annas Krankheit und Tod im Jahr 1932 wird ebenfalls genau recherchiert. Der medizinische Standard lag weit unter dem heutigen, so dass Anna sehr leiden musste.
Die Mischung aus sachlicher Information und dazu gedachten Beschreibungen des realen Lebens, geben diesem Buch einen besonderen Status: Zeitgeschichte ist hier vereint mit authentischer Biographie.
Ein sehr zu empfehlender ernsthafter Versuch, Vergangenheit zum Leben zu erwecken.
Henning Sussebach
Anna oder: was von einem Leben bleibt
C.H.Beck, 10. Juli 2025
205 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3406836267
ISBN-13: 978-3406836268
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