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Kategorie: Belletristik

Julia R. Kelly: Das Geschenk des Meeres

Julia R. Kelly: Das Geschenk des Meeres

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Als Joseph das Kind, das er am Strand gefunden hat, in das schottische Fischerdorf Skerry trägt, trauen die Bewohner ihren Augen nicht. Besonders für Dorothy ist dieser Augenblick unwirklich, hat sie doch vor vielen Jahren ihr Kind an das Meer verloren. Und nun, im Winter 1900, wird dieser kleine Junge nach einem Sturm angeschwemmt, der ihrem Sohn so ähnlich sieht. Es ist, als würde sie ihn zurückbekommen.

Dorothy lebt allein in ihrem Haus am Meer, ist Lehrerin. Es mag passend erscheinen, dass sie vom Pfarrer gebeten wird, sich um das Kind zu kümmern, bis man herausgefunden hat, wohin es gehört. Natürlich erklärt sie sich bereit, obwohl sie eine Ahnung davon hat, was es in ihr auslösen wird. Was ist in der Nacht geschehen, in der Moses verschwand?

Auch Joseph wird schmerzlich wieder bewusst, dass die Gegenwart mit der Vergangenheit zu tun hat, und mit dem, was noch kommt. Dorothy und Joseph sind füreinander bestimmt, damals wie heute, das spürt man sofort. Doch das Leben geht hier eigene Wege, und so wird, was als Liebesgeschichte beginnen will, eine ganz andere. Dorothy ist geprägt von einer lieblosen Erziehung und den moralischen Vorstellungen ihrer Mutter. Es gelingt ihr nicht, sich als erwachsene Frau dem zu entziehen.

Aus der Stadt zu kommen und in einem Dorf einen Neuanfang zu wagen als alleinstehende Frau, ist nicht einfach. Die Blicke folgen ihr, der Tratsch, der Aberglaube. Längst interessiert sich eine andere für Joseph, doch er hat nur Augen für Dorothy. Man kann sich denken, dass das nicht gut gehen kann.

Die Autorin hat eine berührende Geschichte geschrieben. Ich möchte aber auch den wunderbaren Schreibstil herausstreichen. Denn ich glaube, dass diese emotionale Tiefe, die sie auszeichnet, nur in Zusammenhang mit dieser einfühlsamen Art zu schreiben möglich ist. Es entsteht eine ganz besondere Atmosphäre, die Emotionen nachfühlbar macht. Dorothy und Joseph: Die Geschichte lebt insbesondere von den inneren Monologen und Gedanken der beiden, von Missverständnissen und einer Sehnsucht, die schmerzhaft ist und nicht vergeht. Und sie hat zudem etwas Geheimnisvolles, nicht Greifbares, dass erst nach und nach im Laufe der Geschichte offenbart wird.

Rezension von Heike Rau

Julia R. Kelly
Das Geschenk des Meeres
Aus dem Englischen von Claudia Feldmann
352 Seiten, gebunden
Mareverlag, Juni 2025
ISBN-10: 3866487487
ISBN-13: 978-3866487482
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Kristine Bilkau: Halbinsel

Kristine Bilkau: Halbinsel

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Eine Frau und ihre Tochter Linn leben auf einer Halbinsel am Wattenmeer. Schon viele Jahre wohnen sie hier. Annett, Ende 40, war nach dem unerwarteten Tod ihres Mannes aus Kiel in dieses kleine Haus in die Nähe von Husum gezogen. Damals war die Tochter Linn erst fünf Jahre alt. Annett musste sehr plötzlich ihr Leben mit dem kleinen Mädchen alleine in die Hand nehmen.

Jetzt ist die Tochter Mitte 20. Sie hat studiert, in Berlin gelebt und ist Umweltaktivistin. Sie beteiligt sich an der Aufforstung von Wäldern. Nach einem Vortrag ist sie zusammengebrochen und wohnt schon seit einigen Wochen, aus denen Monate werden, wieder bei der Mutter. Was hat Linn aus der Bahn geworfen? Ihre Mutter fühlt sich sehr hilflos.

Das Leben in einer kleinen Gemeinschaft, zu der eine WG im Nachbarhaus gehört, ist gesellig und freundlich. Man grillt zusammen, hilft sich bei Gelegenheit aus und unternimmt kleine Ausflüge zusammen. Annett ist sehr liebevoll zu ihrer Tochter.
Sie hatte einst eine einfühlsame Nachbarin, mit der sie über alles sprechen konnte. Die gibt es nicht mehr. Im Zusammenhang mit der Anwesenheit der Tochter ergeben sich Fragen, die sie ratlos machen. Allmählich schält sich heraus, dass sie mit ihrer Tochter nicht immer offen gesprochen hat. Sie wollte alles besser machen als ihre Mutter und hat die kleine Linn vor allem geschützt, was sie belasten könnte.

K. Bilkau kann ihre Geschichte anregend darlegen. Man spürt die Unsicherheit der Mutter und das trotzige Verharren der Tochter. Es läuft auf eine allmählich sich steigernde Auseinandersetzung zwischen Mutter und Tochter hinaus. Warum wurde nie über den Vater gesprochen? Linn findet Sachen von ihm und möchte wissen, wie und wer er war.

Auch kann die Mutter ihre Tochter nicht aus ihren sorgenvollen Gedanken entlassen. Belastet sie diese dadurch unverhältnismäßig?
Bilkau kann sich in ihrer Geschichte auch der Mutter zuwenden, deren innere Einsamkeit unübersehbar ist. Sie hat wenig an sich selber gedacht und ihren Mann über all` die Jahre schmerzlich vermisst!

Die Erzählung ist kurzweilig, anheimelnd und von sprachlicher Schönheit. Das Zwischenmenschliche spielt eine tragende Rolle und wird hervorragend abgehandelt.

Dem Leser wird allmählich klar, dass, egal wie man seine Kinder erzieht, immer Defizite bleiben, die es aufzuarbeiten gilt. Alle Eltern bleiben in irgendeiner Weise unzulänglich in ihrem Handeln und Denken: ganz einfach, weil wir Menschen sind, von unseren Prägungen bestimmt werden und nachfolgende Generationen sich stets verändern.

Das ist das Fazit dieser sehr lebendigen, herzlichen und aufschlussreichen Erzählung für alle, die ähnlich sensible Vorgänge bei sich wahrnehmen! Ein wirklich eindrucksvolles Bild unserer Gesellschaft, wie sie heute ist!

Kristine Bilkau
Halbinsel
Luchterhand Literaturverlag, März 2025
224 Seiten, gebunden
ISBN-10:‎ 3630877303
ISBN-13: 978-3630877303
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Annika Büsing: Wir kommen zurecht

Annika Büsing: Wir kommen zurecht

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Wie in den beiden Vorgängerromanen beschäftigt sich Annika Büsing in ihrem neuen Roman mit der Entwicklung junger Menschen, deren Sorgen, Freuden, Gedanken und Befinden.

Phillip ist die Hauptfigur. Er ist ein stiller, ruhiger Junge von 18 Jahren, der gerade aufs Abitur zusteuert. Sein Vater ist anerkannter Chirurg, die Mutter psychisch krank.

Der Vater hat eine neue Freundin. Philipps Mutter kommt nur schemenhaft vor. Aber sie stört häufig das ruhige häusliche Leben, wenn sie wieder einmal aufkreuzt und alles durcheinander bringt.

Lorenz ist Philipps bester Freund. Sie gehen durch Dick und Dünn, halten zusammen und kennen einander gut!
Philipp ist sensibel und feinfühlig. Er nimmt viel Rücksicht auf den Vater Lothar, der mit Stella einen Neuanfang sucht.
Zuweilen treibt es den nachdenklichen Philipp in die Natur. Das ist aber nur die eine Seite. Natürlich kifft er, trinkt und hat seine kleinen Liebesgeschichten. Wenn er Lorenz nicht hätte, wäre er wohl ein sehr einsamer Junge.

Philipp muss damit fertig werden, dass die Mutter eines Tages wieder einzieht, Stella verschwindet und er zu seiner Großmutter ausweicht. Ist sie wirklich der richtige Platz für ihn? Er sieht ihren Verfall und froh stimmt ihn das nicht.

Die Autorin wechselt abrupt Ort und Zeit in ihrer Erzählung. Die Sprache ist nüchtern und diskret, die Sätze kurz.
In Form von kleinen Episoden erfährt man Einzelheiten aus dem Leben der Figuren.
Durch ihre Erzählweise wird man mitten hinein gezogen in das Geschehen aus täglichen Routineabläufen und kleineren Höhepunkten im Leben der Protagonisten. Lebendig und nahbar wird das Schulleben geschildert.

Die Schüler erscheinen wie häufig im Alter von 18 Jahren: sie öden sich ein wenig, haben keine wirklichen Zukunftspläne, feiern und lernen fürs Abitur. In Gedanken (gelegentlich auch praktisch) beschäftigen sie sich mit Sex. Die Jugendsprache ist ganz im Heute verankert.

Wieder ist Annika Büsing ein kleines Meisterwerk gelungen. Zart und einfühlsam sind ihre Betrachtungen, voller Empathie für das Leben Heranwachsender. Eine leise Melancholie durchzieht das Werk. Erwachsenwerden in unsicheren Zeiten mit familiären Brüchen ist niemals leicht. Ohne gefestigte Zukunftsvision endet der Roman auf skurrile Weise.

Die Autorin ist Lehrerin an einem Gymnasium, wurde schon mit einigen Preisen bedacht und lebt mit ihrer Familie in Bochum.

Annika Büsing
Wir kommen zurecht
228 Seiten, gebunden
Steidl Verlag, März 2025
ISBN-10: 3969994543
ISBN-13: 978-3969994542
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Alex Schulman: Vergiss mich

Alex Schulman: Vergiss mich

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„Vergiss mich“ ist ein autobiografischer Roman, der zu Herzen geht. Alex Schulman geht noch einmal zurück in die Vergangenheit. Er hofft, dass sich seine Mutter in eine Entzugsklinik einweisen lässt, dass alles besser wird, denn er möchte ihr noch einmal nah sein. So wie früher. Doch wann war das eigentlich? Und wann hat sie aufgehört, eine liebevolle Mutter zu sein?

Und so sinnt der Autor nach, versucht sich an seine früheste Kindheit zu erinnern. Schöne Erinnerungen werden lebendig, was außergewöhnlich ist für so ein kleines Kind. Doch dann, als die Mutter anfängt zu trinken, wird alles anders. Er und seine zwei Brüder wachsen auf mit einer alkoholkranken Mutter und passen sich so gut es geht an, um nicht darunter zu leiden, um nicht ihre unkontrollierbare Wut auf sich zu ziehen. Auch der Vater kann seine Frau nicht vom Trinken abhalten. Er spricht nicht einmal darüber. Dabei ist so offensichtlich, dass etwas nicht stimmt. Lisette Schulman kann ihre Krankheit nach außen hin lange verstecken, aber nicht zu Hause.

Aus ihrer Liebe zu den Kindern wird Verachtung und der Vater kann die fehlende Liebe nicht ausgleichen. Der Autor, er beschreibt im Buch seine Sichtweise und Gedanken sehr emotional, leidet unter ihrer Ignoranz spürbar, nicht selten ist er für seine Mutter einfach unsichtbar. Die Vergangenheit beeinflusst die Gegenwart. Vielleicht wird ja alles anderes, wenn sie einen Entzug gemacht hat. Vielleicht ist dann wieder eine normale Beziehung möglich und sein innerer Konflikt löst sich auf. Er hat so viele Fragen und glaubt, wenn er Antworten hat, die Vergangenheit aufarbeiten und verstehen zu können, auch sich selbst besser verstehen zu können und seine Emotionen.

Dass Axel Schulmann die Vergangenheit selbstkritisch in autobiografischer Form aufarbeitet, statt einen Roman mit fiktiven Personen daraus zu machen, verleiht dem Buch eine ungeheure Tiefe und ist sehr berührend. Das muss man ertragen können. Aber so ist das Leben, es schreibt nicht nur schöne Geschichten.

Rezension von Heike Rau

Alex Schulman
Vergiss mich
Aus dem Schwedischen von Hanna Granz
256 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, 15. Mai 2025
ISBN-10: 3423284803
ISBN-13: 978-3423284806
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Johann Scheerer: Play

Johann Scheerer: Play

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Johann Scheerer beschreibt in seinem neuen Roman das Leben eines Musikproduzenten zwischen Arbeit, Kunst und Kindern.

Der Icherzähler beginnt schmissig mit einer Fahrt auf dem Fahrrad, Gespräch mit einem Kunden und Lena, seiner Frau, mit der er sich um die Termine bei der Kinderbetreuung streitet. Er ist redegewandt, geduldig, lakonisch und sehr gefordert.

Lange Passagen mit Verhandlungen zwischen seinen Musikerkunden und ihm zeigen einen fantasievollen Unternehmer, der seine exzentrischen und teilweise sehr narzisstischen Kunden zu nehmen weiß. Es geht um Fachgespräche, wie man etwas aufnimmt, wie man es „promotet“, wie man Musiker zusammenführt usw. Zahlreiche Fachausdrücke aus der Musikerszene sind nicht immer für den Laien verständlich.

Es gibt dazwischen tiefe Einblicke in das Familienleben. Früh schon hat der Titelheld drei Kinder. Die Geburt des ersten Sohnes zeugt von rührendem Mitgefühl für seine gebärende Frau. Von Beginn an nimmt er seine Rolle als Vater ernst. Er teilt sich mit seiner Frau die Erziehungs- und Betreuungsarbeit. Den Kindern ist er ein aufmerksamer Vater und spricht mit ihnen auf Augenhöhe. Einerseits werden sie in ihren Bedürfnissen respektiert, andererseits leitet doch er sie durchs Leben. Er ist warmherzig und sehr liebevoll.

Die Ehe geht schief und nach wenigen Jahren gesellt sich Sara zu der kleinen Familie. Aus der Erzählung geht hervor, dass sie eine starke Persönlichkeit ist. Mit ihr bekommt der Held die Tochter Pia. Also gilt es Schule, Kita und Beruf unter einen Hut zu bekommen.

Schließlich muss er einen besonders eigenwilligen, drogensüchtigen Künstler auf einer 8 wöchigen Tournee durch die USA begleiten.
Scheerer versteht es großartig, die Happenings, denen sein Held hier begegnet, zu beschreiben. Die älteren Kinder nimmt er mit auf die Reise, da er anders keine Betreuung für sie findet. Sie schlafen in den Studios, und, ob Tag oder Nacht, zwischen den Rufen „Papa, wo bist du?“ und der Arbeit mit der Musik hetzt David, so heißt der Protagonist, hin und her. Er
behält trotz all‘ des Trubels die Nerven und bleibt sogar immer freundlich und von unendlicher Geduld.

Dieses Buch unterhält auf anspruchsvolle Weise, da es u.a. zwischen dem Wert künstlerischer Arbeit und den anerkannt als „Arbeit“ deklarierten Berufen einen langen Disput zischen David und einem anderen Kitavater gibt.

Wirklich: Scheerer ist gescheit, witzig, klug und humorvoll. Unschwer erkennt man in der Hauptfigur autobiographische Züge von Johann
Scheerer wieder.

Er ist der Sohn von Jan Philipp Reemtsma und hat bereits zwei Romane über häusliche Ereignisse und seine Pubertät geschrieben. Alle seine Bücher sind sehr lesenswert!

Johann Scheerer
Play
Piper, April 2025
320 Seiten, gebunden
IBN-10: 3492073409
ISBN-13: 978-3492073400
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Petra Pellini: Der Bademeister ohne Himmel

Petra Pellini: Der Bademeister ohne Himmel

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Dies ist die hinreißende Beziehungsgeschichte zwischen einer 15 jährigen
und einem 86 jährigen, die beide in ihrem Leben so recht nicht wissen, was
anzufangen!

Linda kümmert sich um Hubert, den pensionierten Bademeister, der langsam in Demenz versinkt. Sie ist feinfühlig, einfallsreich und hat eine sensible
Beobachtungsgabe.
Auch hat sie Kreativität und Humor und weiß mit immer neuen Einfällen Hubert aus seiner Lethargie herauszuholen. Tief sitzt sein Kummer auch nach sieben Jahren noch, da er seine geliebte Rosalie verloren hat. Linda ist willkommen, weil sie ihn erheitert.

Der Lebensgefährte ihrer Mutter ist Bestatter. Die ironischen Blicke und Kommentare von Linda zu diesem Thema zeugen von aufgewecktem Witz.
Es gibt weitere Mitspieler. Ewa ist die liebevolle polnische Hilfskraft, auch sie ein originelles Wesen, die sich um das leibliche aber auch seelische Wohl ihres Pfleglings bemüht.
Kevin, Lindas Schulfreund und Kumpel, ist ebenso wichtig wie „Schmetterling“, die Tochter von Hubert.

Die Erzählung ist zart, zuweilen ausgestattet mit Komik, immer aber auch ein wenig melancholisch. Jeder hat seine kleinen Träume, Beziehungswünsche und Versagungen. Und jedem widmet die Autorin ihr ganzes Herz! Wenn die Geschichte auch gelegentlich nüchtern daherkommt, so merkt man die ganze Zeit, wie viel Gemüt in jeder Person steckt, und wie man sich gegenseitig, sehr verhalten nur, mit Zuhören und kleinen Wohltaten helfen kann.

Petra Pellini ist eine hervorragende Menschenkennerin, die in ihrem Roman zeigt, wie schwierig menschliche Lebenswege sein können. Sie lässt schweigen, wo das angebracht ist, und fasst bei passender Gelegenheit Gefühle unaufdringlich in Worte. Die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Linda und Hubert ist anrührend.

Ich bin entzückt, nach langer Zeit einmal wieder ein wirklich tiefschürfendes Werk kennenzulernen, das nüchtern, klar und mitfühlend über das Leben zu schreiben weiß.
Petra Pellini hat in der Altenpflege gearbeitet und weiß, wovon sie schreibt!

Petra Pellini
Der Bademeister ohne Himmel
Kindler Verlag, 7. Auflage, Juli 2024
320 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3463000687
ISBN-13: 978-3463000688
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Martina Behm: Hier draußen

Martina Behm: Hier draußen

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Lara und Ingo haben sich einen Traum erfüllt, haben die Großstadt verlassen und sind mit den Kindern aufs Land gezogen. In Fehrdorf ist das Leben noch ruhig und beschaulich. Für Ingo bedeutet es aber auch, dass er pendeln muss. Und im Berufsverkehr braucht er für die Strecke doch länger als gedacht. Lara, die im Homeoffice arbeitet, ist mit den Kindern oft allein. Und mit den anderen Dorfbewohnern in Kontakt zu kommen, ist gar nicht so einfach.

Das Haus bietet viel Platz, so wie gewünscht, aber es hat Mängel, die dann doch mit der Zeit immer mehr ins Gewicht fallen. Es ist schlecht zu heizen. Dann passiert Ingo auch noch ein Unfall mit einer weißen Hirschkuh. Das gab es schon mal, ist lange her. Aber der Aberglaube, dass so etwas Unglück bringt und vielleicht sogar den Tod innerhalb eines Jahres, hält sich hartnäckig. Immerhin ist der Dorfjäger mit im Boot.

Im Buch geht es aber nicht nur um Lara, Ingo und ihre Kinder. Der Blick fällt auch auf andere Bewohner des Dorfes. Was bringt die Einheimischen dazu, zu bleiben? Und was hat die Zugezogenen dazu bewegt, aufs Land zu ziehen? Haben sie sich integrieren können? Wie auch immer, die Sache mit der weißen Hirschkuh bringt die Landidylle aus dem Gleichgewicht. Wer weiß schon, in welche Weise sich die Prophezeiung erfüllen wird.

Ich fühlte mich mittendrin beim Lesen. Die Autorin hat viel hineingepackt, beschreibt das Landleben vielschichtig durch den Wechsel der Perspektiven. Dabei schlägt sie einen eher gleichmütigen Ton an, setzt dabei aber auch ironische, traurige oder hoffnungsvolle Akzente. So vielfältig wie das Leben eben ist. Hier fließt so viel an Gedanken, Stimmungen, Empfindungen und Ansichten der Dorfbewohner ein. Einerseits ist da die Liebe zur Heimat zu spüren, andererseits zeigt sich, dass das Landleben alles andere als einfach ist. Lebensträume erfüllen sich selten und mancher Lebensentwurf wirkt festgefahren.

Es mag der Tod der Hirschkuh sein, der einen Wandel bewirkt. Der Aberglaube ist tief verwurzelt und kann Unheil für das Dorf bedeuten. Das schärft die Sinne und die Aufmerksamkeit. Vorkommnisse werden anders bewertet. Und einige fragen sich, wie es wäre, aus dem Trott auszubrechen oder mit Familientraditionen zu brechen, schließlich ist das Leben endlich. Und so bekommt die Handlung eine ganz eigene Dynamik.

Rezension von Heike Rau

Martina Behm
Hier draußen
469 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, März 2025
ISBN-10: 3423284781
ISBN-13:‎ 978-3423284783
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Husch Josten: Die Gleichzeitigkeit der Dinge

Husch Josten: Die Gleichzeitigkeit der Dinge

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Lebensgeschichten aus dem Diesseits

Dieser Roman übt eine seltsame Faszination auf den Leser aus.
Ein Deutsch-Franzose mit Namen Sourie verkehrt im Gasthaus eines verkappten Schriftstellers. Er heißt Jean Tobelmann und wohnt in Köln, wo er in dritter Generation ein Restaurant führt.
Sourie ist ein eigenartiger Typ: mit Leidenschaft beschäftigt er sich mit dem Tod. Auf einem Friedhof hat er die 27 Jahre ältere Tessa kennen und lieben gelernt. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne, was sie aber nicht daran hindert, mit Hingabe den jungen Sourie zu lieben.

Die genannten Personen treffen sich immer wieder bei Tobelmann, der sich Souries Freund nennt. Sourie ist studierter Philosoph, arbeitet aber als Pförtner in einem Altenheim.

In langen Gesprächen, auch fast Vorträgen gleich, erklärt Sourie, wie man sich in der Philosophie und Geschichte dem Phänomen des Todes genähert hat. Wie man weiß, ist der Tod das einzige Geschehen im menschliche
Leben, das nicht erforscht ist und nicht zu erforschen sein wird. Niemand kam zurück und könnte berichten.
Das scheint zwar das Hauptthema der Geschichte zu sein, in Wirklichkeit aber geht es um Sourie, um Freundschaft, Liebe, und Tod.

Als Sourie eines Tages unerwartet stirbt, will Johann Tobelmann seine Geschichte aufschreiben. Dabei erfährt er erstaunliche Dinge.

Die Erzählung ist von einem sublimen Humor, wirkt ein wenig skurril und trägt doch Züge des wirklichen Lebens. Man gewinnt den Hauptakteur Sourie lieb, ist neugierig, wie er zu seinem sonderbaren Lebensalltag als Pförtner in einem Altenheim gefunden hat, und wie es zu der Liebe zwischen ihm und Tessa kam. Nicht das Alter oder der Körper bilden die Säulen dieser Liebe, sondern das gegenseitige Interesse für alternde Menschen und deren Hinscheiden. So gehen sie regelmäßig zu Besuch zu alten Menschen, um sie von ihrer Einsamkeit zu befreien und deren Lebensschicksale zu ergründen.

Das Thema Tod und die Unwägbarkeit von Zeit und Stunde, wie und wann der Tod zu einem kommt: das alles ist des Nachdenkens wert. Der Protagonist Sourie zeigt uns, wie das geht. Die Erzählung ist nicht düster, tragisch oder deprimierend. Liebe, Freundschaft und Verstrickungen im Leben können spannend und erheiternd sein. Der Tod aber ist der Begleiter, dem niemand entkommen kann.

Die geschilderte Atmosphäre in Tobelmanns Gaststätte, Erlebnisse auf Friedhöfen in Paris oder die aus der Hand lesende Frau Friedemann: man begegnet interessanten Charakteren, die alleine die Lektüre zu einem Erlebnis machen.

Die Erkenntnis, worauf Souries Todesgedanken beruhen, bringt ein tragisches Ereignis zutage. Der Angriff auf das „Bataclan“ in Paris spielt dabei eine entscheidende Rolle. Einfließende philosophische Betrachtungen geben dem Buch den anspruchsvollen Stil, den es verdient.

Für den interessierten und anspruchsvollen Leser ist die Geschichte ein Muss!

Die Autorin ist vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in Köln.

Husch Josten
Die Gleichzeitigkeit der Dinge
Berlin Verlag, 3. Auflage, August 2024
224 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3827015138
ISBN-13: 978-3827015136
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Daniela Krien: Mein drittes Leben

Daniela Krien: Mein drittes Leben

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Das Cover des neuen Romans von Daniela Krien verspricht Leichtigkeit. Aber dem ist nicht so! Traurig ist die Geschichte, und mit Trauer und Verzweiflung macht uns Krien zum Teilnehmer einer schweren Lebenskrise.

Linda heißt die Protagonistin, die durch den Unfalltod ihrer 17 jährigen Tochter jäh aus allen Bezügen gerissen scheint. Sie ist Kuratorin schöner Künste, und ihr Mann Richard ist Maler und Bildhauer.

Linda hat sich nach dem Tod der geliebten Tochter in ein hässliches, stilles Dorf zurückgezogen. Dort lebt sie mit einem Hund und vielen Hühnern. Es ist ein karges, stilles Leben, an dem sie niemanden teilnehmen lässt. Ihren Mann hat sie in der Stadtwohnung in Leipzig zurückgelassen, wo er alleine mit seinem Kummer bleibt.

Daniela Krien kann tief in die Seelen ihrer Figuren hineinschlüpfen. Fein sind die Fäden, mit denen sie uns in ihre Geschichte hineinzieht.

Lindas Familienverhältnisse offenbaren sich uns. Es gab zwei Kinder ihres Mannes aus einer früheren Ehe. Sie verliert sich aber ganz in der Liebe zu ihrer Tochter Sonja, als dieses lang ersehnte Kind in ihr gemeinsames Leben trat.

Nach dem Todesschock ist nichts mehr wie vorher. Sie vegetiert mehr als dass sie lebt. Und Richard, ihr Mann, bemüht sich immer wieder, sie aus ihrem trostlosen Alltag herauszureißen.

Mit wachem Blick und tiefem Nachempfinden versteht es die Autorin, uns an diesen verlorenen Lebensschicksalen teilhaben zu lassen. Sie kann psychologisch nachvollziehbar die Verzweiflung und fast Erstarrung von Linda thematisieren. Da ist keine Bindung an das Leben mehr sichtbar. Ein paar Nachbarn in dem Dorf und eine Freundin mit behindertem Kind sind die einzigen menschlichen Begegnungen, von denen man hört.

Richard sieht sich mit seinem Kummer allein. Dass er schließlich Hilfe bei einer anderen Frau sucht, ist ebenso gut vorstellbar, wie die Verwirrung, in die er und auch Linda hineingezogen werden. Jeder versucht mit seinem Leid auf die eigene Weise fertig zu werden. Man kann einmal mehr sehen, wie verschieden Menschen sind, und wie unterschiedlich sie nach Lösungen suchen. Dass die Hilfe beieinander möglicherweise leichter wäre, wird erst gegen Ende des Romans deutlich.

Die ganze Geschichte ist so gestaltet, dass man mit jeder der Figuren mitfühlen kann. Das ist die hohe Kunst von Schriftstellern, die, wenn auch fiktiv, ihren Protagonisten Leben einhauchen, um auf diese Weise ihre Leser mitzunehmen.

Es ist ein weises und kluges Buch, das uns D. Krien hier präsentiert. Die Trauer ist zwar sehr beherrschend, zeigt aber nur, dass kein Leben ohne Hürden und tiefe Krisen verläuft. Nur die Bewältigungsstrategien unterscheiden sich voneinander

Daniela Krien
Mein drittes Leben
Diogenes, August 2024
304 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3257073054
ISBN-13: 978-3257073058
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Alexia Casale: Ein Mann zum Vergraben

Alexia Casale: Ein Mann zum Vergraben

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Mit der gusseisernen Pfanne hat sie ihn erschlagen. Es war nicht geplant, aber Sally hat sich gewehrt, aus Angst, dass er ihr erneut wehtut. Und nun ist ihr Ehemann tot. Sie weiß, dass sie die Polizei rufen müsste. Doch ihr geht so viel durch den Kopf. Sie will nicht ins Gefängnis. Also isst sie erst einmal ein Stück Kuchen. Die ganze Tragweite ihrer Handlung wird ihr erst später bewusst, da hat sie schon zwei Tage verschwendet. Wie soll sie Jim nur loswerden? Und eine glaubhafte Erklärung für das Verschwinden ihres Ehemannes muss sie auch finden.

Doch geht es auch anderen Frauen wie ihr. Mehr durch Zufall lernt Sally, Ruth und Samira kennen und auch ihre Freundin Janey meldet sich wieder. Keine hat in mörderischer Absicht gehandelt und doch sind nun vier Männer tot. Die Frauen wollen sich zusammen tun, sich um die Entsorgung kümmern und so schmieden einen Plan.

Häusliche Gewalt ist ein schwieriges Thema, mit dem sich kaum einer auseinandersetzen mag. In eine skurrile Geschichte verpackt, scheint es zugänglicher zu sein. So hat es die Autorin gemacht. Dennoch wird ihre Botschaft deutlich.

Das Buch arbeitet das Thema also auf eine humorvolle Weise auf, was eigentlich ein Widerspruch ist. Es wird dennoch aufgezeigt, welche Auswirkungen häusliche Gewalt auf die Lebensbereiche von Frauen haben kann und wie Ängste den Alltag bestimmen. Warum sie dennoch schweigen und ihre Männer nicht verlassen, kann verschiedenste Gründe haben. Das wird ebenfalls aufgegriffen. Sally, Ruth, Samira und Janey haben ihre eigenen Geschichten, die sie, nachdem sie Vertrauen aufgebaut haben, miteinander teilen.

Der Handlungsort ist eine Kleinstadt während des Corona Lockdowns. Das macht es den Frauen nicht gerade leichter, regelmäßig in Kontakt zu kommen. Andererseits müssen sie nicht mit Besuchern rechnen, stattdessen aber mit den neugierigen Blicken einer Nachbarin, die die Einhaltung der Corona-Regeln mit übergroßer Sorgfalt überwacht.

Auch wenn das Buch eine Komödie ist und die Handlung ausgesprochen skurril, wird es doch sehr emotional. Die Ernsthaftigkeit des Themas wird mit Humor überspielt, sodass sich das Buch leicht liest. Ein guter Spannungsbogen macht das Dranbleiben einfach. Zum Ende hin wird es sehr aufregend.

Sally ist die Hauptperson und ihr kommt man besonders nahe. Sie macht sich über so vieles Gedanken und versucht die Geschehnisse aufzuarbeiten, sodass man sich in sie gut hineindenken kann. Im Nachwort zeigt Alexia Casale noch einmal auf, was ihr wichtig ist, und warum sie die Geschichte auf diese Weise geschrieben hat.

Alexia Casale
Ein Mann zum Vergraben
Aus dem Englischen von Christine Blum
432 Seiten, broschiert
dtv Verlagsgesellschaft, Juli 2024
ISBN-10: 3423220805
ISBN-13: 978-3423220804
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