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Kategorie: Belletristik

Dorothy Baker: Zwei Schwestern

Dorothy Baker: Zwei Schwestern

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Blick in die Abgründe der menschlichen Seele…

Der wörtlich übersetzte englische Titel „ Cassandra auf der Hochzeit“ wäre wohl der bessere Titel gewesen, denn es geht hier um Zwillinge, von denen der eine sich zur Heirat entschlossen hat, der andere aber in symbiotischer Beziehung zum Gegenüber hängen geblieben ist.

Von Beginn an geht es um diese geplante Hochzeit, von der die Schwester Cassandra einfach nichts wissen will. Sie ist Dozentin in Berkley und macht sich unwillig auf die Reise zu ihrer elterlichen Ranch, wo die Hochzeit ihrer Schwester Judith mit einem jungen Arzt stattfinden soll. Gleich zu Beginn spürt man Cassandras Sarkasmus und ihre Ungläubigkeit, dass ihre Schwester Judith sie verlassen wird. Judith ist gelassen und ruhig. Sie hat ihr Leben selber in die Hand genommen, weil sie ein eigenständiges Leben liebt. Cassandra ist innerlich wütend und hektisch. Die Erzählung ist so gehalten, dass man deutlich spürt, wie sie rebelliert und gegen den Vorsatz der Schwester anzugehen versucht. Die Schwestern waren sich so innig verbunden, dass sie sogar die gleichen Kleider zur Hochzeit unabhängig voneinander ausgesucht haben! Judith wird Zeugin eines Dramas, in dem sie die Hauptrolle als ungetreue Schwester spielt. Schaut Cassandra in den Spiegel, sieht sie zugleich mit dem eigenen Spiegelbild das Gesicht der Schwester. Ohne es zu bemerken, hat sich Judith von Cassandra entfernt. Diese ist darüber zutiefst schockiert und aufgebracht.

Der Kampf zweier äußerlich gleicher aber charakterlich und mental ungleicher Schwestern bestimmt das gesamte Geschehen in dem Roman. Die Begegnungen finden auf der elterlichen Ranch statt. Dort lebt neben dem Vater, einem pensionierten Philosophen, nur noch die etwas exzentrische Großmutter.

Die Autorin spielt auf der Klaviatur der Gefühle, in der sich die vier Menschen verhakt haben. Die Zwillingsschwestern erzählen abwechselnd in der Ichform, so dass man meint, es habe sich alles genauso zugetragen.

Mit feinem Gespür für die Seele des Menschen analysiert Dorothy Baker eine Beziehung, die durch Geburt als Zwillinge in einer ausweglosen Symbiose zu ersticken droht. Bei der äußerlichen und durch die Heirat von Judith auch innerlichen Trennung geht Cassandra existenziell fast zugrunde.

Die Geschichte wird packend erzählt und schlägt den Leser durch feine Nuancierungen in der Wahrnehmung der Gefühle Cassandras in Bann. Man kann sich gut in ihr inneres Erleben einfühlen. Dorothy Baker ist eine ausgezeichnete Beobachterin und Erzählerin. Ihr Roman fesselt u.a. durch die Tragik im Erleben ihrer Hauptfigur.

Gelegentliche Längen tun der Lektüre keinen Abbruch.

Dorothy Baker (1907 -1968) ist ähnlich wie John Williams mit seinem Roman „Stoner“ eine Wiederentdeckung aus dem letzten Jahrhundert. 1965 erschien ihr Roman in der Übersetzung von Günther Huster zum ersten Mal auf Deutsch. Jetzt ist er in der guten Übersetzung von Kathrin Razum bei dtv neu aufgelegt worden.

Man kann ihn sehr empfehlen!

Dorothy Baker
Zwei Schwestern
280 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, September 2015
ISBN-10: 342328059X
ISBN-13: 978-3423280594
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Der Himmel über München (Buchvorstellung)

Der Himmel über München (Buchvorstellung)

Im Rahmen des FeuerWerke Verlags erscheinen ausgewählte Romane aus Leselupe-Kreisen als Taschenbuch und eBook. Den sechsten Roman möchten wir Ihnen hier vorstellen:

Ein himmlischer Liebesroman mit einem herrlichen Mix aus Romantik, Humor und Philosophie.

Als sich der 22-jährige Simon und die 18-jährige Theresa kennen lernen, ahnen sie nicht, dass diese Begegnung von ihren persönlichen Schutzengeln Xerxes und Spekulatius eingefädelt wurde. Diese beiden sind nämlich der Meinung, dass Simon und Theresa ein wunderbares Paar abgeben würden, und verfolgen gespannt, wie sich eine zarte Liebe zwischen ihnen entwickelt. Dabei sorgen die Engel immer wieder dafür, dass nicht alles zu glatt läuft. Schließlich haben sie ja alle Zeit der Welt und es macht ihnen Spaß, ein bisschen Spannung in die Angelegenheit zu bringen.
Doch gerade als sich abzuzeichnen beginnt, dass die Bemühungen der Schutzengel Früchte tragen könnten, wird der himmlische Chef hellhörig und erinnert Xerxes und Spekulatius daran, dass im „Großen Plan“ etwas ganz anderes steht: Simon und Theresa sind nach diesem keinesfalls füreinander bestimmt, und die Engel kriegen gewaltig eins auf den Deckel für ihr eigenmächtiges Handeln.
Kleinlaut haben sie nun dafür zu sorgen, dass das Liebesleben der Erdenkinder wieder in die planmäßigen Bahnen gelenkt wird – gar nicht so einfach, denn die Eingriffsmöglichkeiten sind begrenzt und Simon und Theresa haben Feuer füreinander gefangen. Während im Himmel heiß diskutiert wird, werden auch die Menschenkinder hin und her gebeutelt zwischen Nähe und Abstand und wissen manchmal selbst nicht, wie ihnen geschieht. Schaffen die beiden Schutzengel am Ende doch noch, ihr Traumpaar zusammen zu führen?

Titel: “Der Himmel über München”
Autor: Katharina Lankers
Genre: Liebesroman
Verlag: FeuerWerke Verlag
Jahr: 2015
ISBN eBook: 978-3-945362-14-3
ISBN Taschenbuch: 978-3-945362-15-0
Leseprobe: PDF
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Margarita Kinstner: Die Schmetterlingsfängerin

Margarita Kinstner: Die Schmetterlingsfängerin

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Katja ist schwanger. Ausgerechnet jetzt, wo sie ihrem Freund Danijel nach Sarajevo folgen will. Ihre Entscheidung ändern, will sie deswegen nicht. Aber nachdenklich wird sie. Ihr Urgroßvater war einst von Bosnien nach Österreich ausgewandert. Katja nimmt sich also Zeit zurückzublicken und die Familiengeschichte zu ergründen. Ihre Kindheit hat Katja zum Teil bei ihrer Großmutter verbracht. Was sieht man, wenn mal als Erwachsene zurückkehrt an diesen Ort? Ist es tatsächlich das, was man Heimat nennt?

Mit viel Gefühl wird die Geschichte erzählt, sodass man nachempfinden kann, wie es Katja geht, die frei sein will in ihrer Entscheidung die Zukunft betreffend. Die sich nicht von anderen beeinflussen will, die ihr abraten.
Katja genießt die Zeit im Lusniztal, dem Ort ihrer Kindheit, den es so, wie er damals war, natürlich nicht mehr gibt. Die Bodenhaftung verliert Katja deswegen nicht. Ihre Freundin kommt sie besuchen und auch Danijel begleitet seine Katja ein paar Tage. Das Zusammensein und die Gespräche helfen. Während anfangs noch Unklarheit herrscht, alles durcheinander geht und die Gedanken Purzelbäume schlagen, sortiert Katja sich immer mehr, bis sie weiß, was sie selbst wirklich will. Dazu gehört, Einflüsse von außen abzuschirmen. Ein Neuanfang bedeutet schließlich, die Vergangenheit hinter sich lassen zu können. Nur trägt diese Vergangenheit noch ein Geheimnis in sich, das es zu verarbeiten gilt.

Die Autorin schreibt auf eine sehr ruhige Art und Weise und vor allem ohne Wertung. Als Leser folgt man Katja mit Interesse und Wohlwollen in die Vergangenheit. Das Abschied nehmen ist von einer Sehnsucht geprägt und doch auch voller Hoffnung in die die Zukunft und das Leben als kleine Familie, wo immer das auch sein wird. Man hört zu wie eine Freundin und wartet ab. Selten hat ein Buch diese Wirkung.

Rezension von Heike Rau

Margarita Kinstner
Die Schmetterlingsfängerin
288 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag
ISBN-10: 3552062947
ISBN-13: 978-3552062948
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Anne Enright: Rosaleens Fest

Anne Enright: Rosaleens Fest

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Psychodrama um Familie, Liebe und Abschied.

Eigentlich handelt es sich in dieser Geschichte nicht um Rosaleens Fest. Eher ist das die Geschichte einer Mutterschaft mit unguten Bindungen an ihre vier Kinder.

Diese Mutter ist eine empfindsame, leicht hysterische Seele, die ständige Aufmerksamkeit und Fürsorge fordert.

Jedes Kapitel erzählt die Geschichte eines ihrer vier Kinder aus deren Sichtweise. Die jüngste, Hanna, macht den Anfang im Jahr 1980. Sie sorgt für die Mutter, kocht ihr Tee bei Bedarf und besorgt geheimnisvolle Medikamente bei ihrem Onkel Bart, der eine Apotheke besitzt.

Kapitel für Kapitel stellt uns Anne Enright die Kinder der Familie Madigan vor: außer Hanna sind das noch Dan und Emmet und Constanze mit ihrer Familie.

Dan ist auf einem ganz eigenen Weg zwischen Priesterschaft und Homosexualität. Emmet versucht sich als Entwicklungshelfer, Constanze kämpft zwischen Kindern, Küche und Krebserkrankung um einen eigenen Weg, und Hanna bleibt in ihrem Traum von einer Schauspielerinnenkarriere hängen.

Mit fortschreitenden Jahreszahlen werden die Kinder älter und Rosaleen tritt in den Hintergrund. Jetzt aber will sie es noch einmal wissen: sie lädt die Kinder zu einem letzten Weihnachtsfest ein, denn dann will sie ihr Haus in Ardeveen/Irland verkaufen.

Jede Geschichte erscheint wie ein eigener kleiner Roman, denn die Kinder sind sehr verschieden. Rosaleen zeigt lediglich im Hintergrund ihr Gesicht und ihr Missfallen an den Kindern. Vor dem Abschied von dem Haus sollen nach ihrem Willen alle noch einmal zusammenkommen. Hier also begegnen sich die Geschwister, nachdem sie Jahre ihrer eigenen Wege gegangen sind.

Keiner hat ein zufriedenes Leben gefunden. In verworrener Weise blieben sie an der eigensüchtigen Mutter hängen.

Anne Enright ist eine erfolgreiche Erzählerin, deren Themen aber für immer die Familienbande sind, – im guten wie im schlechten Sinn. Hier ist es ihr m.E. nicht so gut gelungen, die krankhaften Verbandelungen einer Familie zu entwirren.

Zu vereinzelt werden die Geschwisterschicksale aufgeschlüsselt. Der Zusammenhalt der Familie scheint nie gegeben gewesen zu sein.

Dennoch liest man das Buch gerne, weil Anne Enright eine kluge Familienbeobachterin ist, die psychologisches Feingefühl besitzt.

Anne Enright

Rosaleens Fest
384 Seiten, gebunden
Deutsche Verlags-Anstalt, November 2015
ISBN-10: 3421047006
ISBN-13: 978-3421047007
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Kate Atkinson: Glorreiche Zeiten

Kate Atkinson: Glorreiche Zeiten

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Familiensaga mit charaktervollen Einzelschicksalen

Versehen mit wechselnden Jahreszahlen wird in diesem neuen Roman von Kate Atkinson über das 20. Jahrhundert hinweg von einer besonderen Familiensaga berichtet.

Angefangen mit Hugh und Silvie 1927 über ihren Sohn Teddy mit seiner Frau Nancy 1939-47 bis zu deren Tochter Viola und ihren Kindern in den sechziger Jahren erleben wir verschiedene Episoden, die als markante Eckpunkte in der Familiengeschichte angesehen werden können.

Wir befinden uns in England, wo die Familien ihrem Tageslauf nachgehen.

Die zwanziger Jahre bieten das Bild in Politik und Gesellschaft zu ihrer Zeit, die Kriegsjahre 1939 -1945 die andere Seite der Geschichte.

Die sechziger Jahre schließlich mit der unsteten Viola, Teddys und Nancys Tochter, zeigen die Auflösung alter Familienstrukturen mit ihren fest gefügten Normen und Regeln.

Im Zentrum der Geschichte steht Teddy, an dessen Lebenslauf in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich die Erzählung orientiert.

Er hat seine Sandkastenliebe Nancy geheiratet, die mit Geschick ihrer beider Leben durch die Stürme des Lebens leitet. Am Lebensstil ihrer sehr verspätet geborenen Tochter wird man in die Umbruchjahre der 68 ziger Generation erinnert.

Liebe, Vergehen, Elternschaft, Geburt und Tod sind die Eckpfeiler des Lebens. Hier werden sie dokumentarisch am Beispiel einer Familie festgemacht.

Teddy ist ein Träumer und Fantast, der die Langeweile des Lebens schon lange satt hat. Doch wie ein Leben aufgeben, das Sicherheit, Stabilität und Geborgenheit bietet?

Der opulente Familienroman bietet zur Unterhaltung alles, was das Herz begehrt. Es gibt die gut geratenen und die weniger gut geratenen Kinder, die, die geliebt wurden und die, die es weniger gut hatten in ihrer Kindheit. Der jeweiligen Zeit gemäß sind die Verhaltenweisen und Umgangsformen untereinander. Der zweite Weltkrieg bietet einen Umbruch, der zur Prüfung für die damals Jungen wurde. Dieser Teil der Geschichte nimmt breiten Raum ein.

Doch auch Geschwisterliebe, Neid oder Eifersucht bleiben in der Erzählung nicht ausgespart. Man taucht ein in die Welt der Familien und hört erst auf zu lesen, wenn mit dem Tod Teds alle Zusammengehörigkeit ein Ende gefunden hat. Jeder ist seinen eigenen Weg mehr oder weniger erfolgreich gegangen. Die Schicksale und Charaktere sind vielfältig. Das Jahrhundert bekommt am Beispiel dieser einen Familie Konturen, die den Leser noch einmal tief in die Vergangenheit eintauchen lassen.

Was am Ende bleibt: eine gute Unterhaltung!

Kate Atkinson
Glorreiche Zeiten
512 Seiten, gebunden
Droemer HC, November 2015
ISBN-10: 3426281295
ISBN-13: 978-3426281291
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Jonathan Franzen: Unschuld

Jonathan Franzen: Unschuld

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Purity, genannt Pip, hadert mit sich und der Welt. Sie ist ohne Vater aufgewachsen. Ihre Mutter weigert sich, ihrer Tochter auch nur den kleinsten Hinweis zu geben. Das führte seit Pips Kindheit zu einem Kleinkrieg mit der Mutter, der sich in einem ständigen Hin und Her zwischen Hass und Liebe zeigt.

Pip arbeitet im Direktmarketing bei einer Firma, die „Lösungen“ anbietet. Schwerpunkte sind Klimawandel, Energieressourcen und andere ökologische Themen. Doch schon bald merkt sie, dass sie mit ihrer telefonischen Akquise die Menschen in Verträge drückt. Das entspricht so gar nicht ihrer eigenen Lebensauffassung. Da lernt sie die Deutsche, Annagret, kennen. Die vermittelt Pip einen Job bei dem als Hacker und Whistleblower bekannten Andreas Wolf. Bevor Pip nach Bolivien, dem geheimen Unterschlupf von Wolfs Unternehmen, reist, startet sie einen letzten Versuch bei ihrer Mutter, etwas über ihren Vater zu erfahren und droht ihr, zu Andreas Wolf zu gehen, der ihr bei der Suche nach dem Vater helfen wird.

So weit der erste Teil des Romans „Unschuld“ vom sehr gut deutsch sprechenden Jonathan Franzen. Der zweite Teil liest sich wie ein eigenständiger Roman. Der Leser lernt Andreas Wolf kennen, der in der DDR aufgewachsen ist. Sein Nachname lässt erkennen, dass er zum großen Familienclan der „Wolfs“ gehört. Friedrich Wolf war ein überaus bekannter Schriftsteller, Konrad Wolf ein sehr guter Filmregisseur und dessen Bruder Markus Wolf war Chef der Auslandsspionage bei der Staatssicherheit der DDR. Vor diesem Hinterghrund erhielt die Figur des Whistleblowers und Dissidenten einen Vater, der Mitglied des Zentralkomitees der SED war. In diesem Teil erfährt der Leser auch von der Liebesbeziehung zwischen Annagret und Andreas Wolf, ohne jedoch allzusehr in das Romantische zu verfallen.

Im dritten Teil wird von Leila berichtet, die investigativ recherchiert und Pip bei sich aufgenommen hat. Pip arbeitet inzwischen bei der Organisation Andreas Wolfs, spielt in diesem Teil eine eher untergordnete Rolle. Viel spannender sind Leilas Recherchen und die Machenschaften der kriminellen und/ oder politischen Elemente.
Obwohl Franzen auch diesen Roman wieder wortgewaltig und unterhaltsam (subtile Ironie lässt er selten vermissen) schreibt, übertrifft er in meinen Augen nicht seinen Roman „Die Korrekturen“. Auch, wenn es erneut um eine Familiensaga geht. Immer wieder stößt man auf langwierige Passagen, die der Lust am Lesen entgegenstehen. Hätte ich nicht schon andere Romane des Schriftstellers und diesen Klappentext, der mir bereits verrät, wohin die Geschichte gehen soll, gelesen, hätte ich wahrscheinlich nach spätestens fünfzig Seiten abgbrochen und mir das darauffolgende Lesevergnügen versagt. Indem ich das nicht tat, wurde ich belohnt mit eines faszinierenden Lebensgeschichte verschiedener Figuren. Denn hier gibt es nicht nur einen Protagonisten, jede der Figuren ist facettenreich und höchst interessant.

Erstaunlich fand ich den Abschnitt um Andreas Wolf in der Zeit von den 1960er Jahren bis zur Wendezeit 1989/1990. Sehr gut recherchiert kommt Franzen dem tatsächlichen Geschehen verdammt nahe, was nicht zuletzt an der Unterstützung von Thomas Brussig gelegen haben mag, der ja bekanntlich sehr erfolgreiche „DDR-Romane“ schreibt.
Trotz zwischenzeitlicher Überlängen hat mich dieser Roman gefesselt. Wie auch bei seinen anderen Romanen werden die Protagonisten in separaten Teilen vorgestellt. In komplexen Situationen gibt er den Figuren Raum, um sich den Lesern zu präsentieren. Nur selten erfolgen unmittelbare Rückgriffe auf die anderen Teile, was alleine schon wegen der nicht chronologisch verlaufenden Teile schwierig sein dürfte. Erst im Großen und Ganzen werden die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Figuren aufgelöst und sichtbar. Mit jeder Seite, die man liest, fügt sich ein Rädchen ins andere, und man kommt in den Rhythmus der Gesamthandlung. Diese außergewöhnliche Komposition der einzelnen Teile, die jeder in einer anderen Zeit zu spielen scheinen, hat mich stark beeindruckt.

Weiterhin beeindruckt hat mich die Genauigkeit, mit der Franzen die Stimmung und Verhältnisse in der DDR wiedergibt. Von der oberflächlichen Arbeitsweise der Amerikaner keine Spur. Außerdem hat mir die leise Ironie gefallen, mit der der Autor beispielsweise die Naivität der Jugend in ihrem Drang nach „etwas bewegen wollen“, oder auch den Aufstieg eines DDR-Bürgers zum Whistleblower, oder das schwierige Verhältnis zweier sich Liebender, beschreibt. Schließlich setzte ich mich am Ende des Romans in meinem Sessel zurück, atmete durch und dachte: Was für eine Geschichte.

Franzen, Jonathan
Unschuld
Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell und Eike Schönfeld
Rowohlt Verlag
ISBN 9783498021375

© Detlef Knut, Düsseldorf 2015
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Dieter Wellershoff: Im Dickicht des Lebens

Dieter Wellershoff: Im Dickicht des Lebens

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Ein- und Ausblicke in Lebensabrisse.

Dieter Wellershoff ist ein ausgewiesen einfühlsamer und empfindsamer Erzähler. Er kennt die Menschen und das, was sie bedrückt, beglückt oder auch traumatisiert und unglücklich macht.

Wie schon in seinen Romanen bieten seine Erzählungen eine Verdichtung aus tiefen Einblicken in einzelne Lebensschicksale.

Es geht immer wieder um die Liebe, um das Verstehen, um Bindungen und Trennungen, berufliche Erfolge oder Niederlagen. Mit Tiefenschärfe und psychologischem Blick entblößt er die nach außen gezeigten Fassaden seiner Protagonisten.

In seinen Erzählungen werden verschiedene Formen des menschlichen Miteinanders abgehandelt.

Ob da ein Mann in einem Restaurant ein Paar beobachtet und sich aus Gesten, Bewegungen und gesprochenem Wort ein Bild über dieses Paar macht; oder ob da ein Liebespaar auf Zeit in die Zukunft denkt und am Ende der Erfüllung gemeinsamer Träume entsagt.

In allem spürt man den Menschenfreund- und Kenner Dieter Wellershoff. Bemerkenswert spontan ist man von den Erzählungen angezogen und fühlt sich unmittelbar an dem gerade vorgeführte Leben beteiligt. Die Lebensnähe und sprudelnde Lebendigkeit des Erzähltons übt einen seltenen Sog aus.

Wellershoff kann sich durchaus mit bekannten amerikanischen oder kanadischen Erzählern wie Raymond Carver oder gar Alice Munro, die als Meister ihres Faches angesehen werden können, messen. Er bietet Einblicke in kurze Augenblicke eines oder zweier Leben, die einen mitreißen und ansprechen bis man sie wieder ihrem eigenen Leben überlässt. Wie kurze Filmaufnahmen oder auch Schnappschüsse einer Kamera vermögen einen die Geschichten zu bannen.

Ich bin kein großer Freund von Erzählungen. Diese aber haben auch mich gefesselt und angezogen, und ich habe sie mit nicht nachlassender Neugierde, Spannung und einem Gefühl von Glückseligkeit gelesen.

Der Autor wird im November 90 Jahre alt. Seine Lebendigkeit und Ausdruckskraft zeugen von uneingeschränkter Kraft und Freude am Schreiben.

Dieter Wellershoff
Im Dickicht des Lebens
432 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Oktober 2015
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3462049143
ISBN-13: 978-3462049145
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Ayelet Waldmann: Die späte Reue des Jack Wiseman

Ayelet Waldmann: Die späte Reue des Jack Wiseman

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1945 stiehlt der der GI Jack Wisemann ein Amulett aus dem legendären „Goldzug“. Es soll ein Andenken an Ilona sein, die ihn verlassen hat. Dabei hat er das Eigentum der ungarischen Juden, soweit es ging, in Salzburg bewacht und zusammengehalten, in der Hoffnung, dass es irgendwann zurückgegeben werden kann.

Jahrzehnte später ist Jack Wiseman ein alter Mann. Er gibt seiner Enkelin Natalie das Amulett. Sie soll herausfinden, wem es gehört hat und es den Erben zurückgeben. Natalie, frisch getrennt von ihrem Ehemann, hat ihre Arbeit als Anwältin aufgegeben, um ein neues Leben anzufangen. Voller Ehrgeiz stürzt sie sich nach dem Tod ihres Großvaters in das Abenteuer, auch um ihre Trauer zu bewältigen. Sie lernt einen Kunsthändler, der auf im Holocaust verlorene Kunst spezialisiert ist, kennen und gemeinsam nehmen sie die Spur auf.

Es entwickelt sich eine ungewöhnliche Geschichte rund um das Amulett. Einmal geht es um Jack Wisemans Vergangenheit in Salzburg 1945/46. Ein weiterer Teil hat seinen Ursprung 2013 in Budapest. Hier verfolgen Natalie Stein und Amitai Shasho die Spur des verschollenen Gemäldes „Bildnis der Frau E“, die hier, ein Foto zeigt es, das Medaillon trägt. Im dritten Teil geht es in das Jahr 1913 in Budapest. Sämtliche Geheimnisse, die von Natalie Stein und Amitai Shasho nicht gelöst werden konnten, werden hier offenbart. Es geht also um die rechtmäßige Besitzerin des Schmuckstücks.

Die Geschichte ist sehr vielschichtig. Alle drei Teile sind, das ist der Zeit geschuldet, in unterschiedlichem Stil verfasst und doch fest miteinander verwoben. Es ergibt sich ein erstaunliches Gesamtbild, das mich als Leser überrascht hat. Es ist eine berührende, aber auch sehr spannende, in weitem Bogen gespannte Geschichte. Und das für den Leser jedes Geheimnis durch den Blick in die Vergangenheit aufgelöst wird, ist sehr faszinierend.

Rezension von Heike Rau

Ayelet Waldmann
Die späte Reue des Jack Wiseman
Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer
480 Seiten, gebunden
Paul Zsolnay Verlag
ISBN-10: 3552057404
ISBN-13: 978-3552057401
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Richard Ford: Frank

Richard Ford: Frank

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Frank Bascombe ist alt geworden! Dieser Held der amerikanischen Mittelschicht, der uns aus einer Reihe von Romanen Richard Fords bekannt wurde, ist 68 Jahre alt, war Makler und ist inzwischen Rentner. Mit dem Alter änderte sich sein Weltbild. Gleich geblieben aber sind seine Betrachtungen zur Umwelt, mit denen er seine Mitbürger, ehemaligen Freunde und Kollegen und das politische Geschehen um sich herum beobachtet. Franks Einlassungen zur Zeitgeschichte haben nichts von ihrem Sarkasmus und ihrer Selbstironie verloren. In vier Episoden werden seine neuesten Eindrücke über sein Leben und das der anderen wieder gegeben.

Wir befinden uns im Jahr 2012,in dem der Hurrikan Sandy die Ostküste der USA verwüstete. Häuser, die Bascombe einst verkauft hat, liegen zerstört am Boden. Er selbst hatte sich von der Küste New Jerseys schon vor längerer Zeit zurückgezogen.

In lockerem Jargon, der nicht immer ganz nachvollziehbar ist, ergeht sich Frank in seinen Erinnerungen. Seine Reden und sein Denken sind durchdrungen vom gesellschaftlichem Wandel und seinen Folgen. Das Datum 9/11 mit dem anwachsenden Terror, der die politische Geschichte Amerikas eingreifend veränderte, und Obamas Visionen sind einer ungewissen Gegenwart gewichen.

Richard Ford wählt über weite Strecken das Stilmittel des Selbstgesprächs, mit dem er seinen Erzähler über den Sinn und Unsinn des Lebens nachgrübeln lässt.

Sein Held Frank Bascombe erfasst die Lage des Landes wie in seinem gleichnamigen Roman davor immer noch realistisch und treffsicher. Er ist ein Durchschnittsmann mit klaren Einsichten. Gezeichnet wird er als Mann, der zu den Menschen und Dingen, auch zu den eigenen Kindern, einen gewissen Abstand hält. Seine dritte Frau Sally bleibt im Hintergrund und widmet sich den zahlreichen Hurrikanopfern. Freunde oder Weggefährten, die er zufällig oder verabredet trifft, kommen nicht immer gut weg in seinen differenzierten Beobachtungen.

Er bleibt über die ganze Geschichte hinweg ein spöttischer und leicht resignierter Mann. So betrachtet er sein eigenes und das Leben seiner Mitmenschen aus einer melancholischen und abwartenden Haltung.

Die Kontakte zu seiner  Ex-Frau und gelegentliche zu seinen Kindern lassen ahnen, dass er ein zurückgezogener und letztlich einsamer Mann ist.

Im letzten Kapitel wird vermehrt über den Tod reflektiert. Man spürt seine Neugierde aber auch die Furcht in seinen Überlegungen.

Ein nachdenklich stimmendes und die Endlichkeit einbeziehendes Werk hat uns Richard Ford in der Übersetzung von Frank Heibert vorgelegt. Er gilt zu recht als einer der erfolgreichsten Schriftsteller Amerikas.

Richard Ford

Frank
224 Seiten, gebunden
Hanser Berlin, September 2015
ISBN-10: 3446249230
ISBN-13: 978-3446249233
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Rowan Coleman: Zwanzig Zeilen Liebe

Rowan Coleman: Zwanzig Zeilen Liebe

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Stella ist Krankenschwester in einem Hospiz, in dem Schwerkranke die letzten Wochen, Tage oder Monate verbringen.

Diese Arbeit fordert den ganzen Menschen, und in Nachtschwester Stella ist dieser Mensch gefunden.

Sie schreibt Nacht für Nacht Geschichten oder letzte Briefe für Angehörige von den Schwerstranken. Die Bekenntnisse, Lebensbeichten, Trauerreden oder sonst wie Versäumnisse erläuternden Schreiben bieten Einblicke in diverse Lebensschicksale. Sie sollen den Sterbenden das Ende erleichtern, in dem sie Klärungen und Rechtfertigungen ermöglichen. Es sind letzte Nachrichten aus dem irdischen Jetzt an die ehemals Geliebten, Schwestern, Brüdern, Freunde und Eltern oder Kinder. Entstanden sind so Episoden und Einblicke in die Lebenswege von zahlreichen Kranken und auch in die von Stella, Hope und Hugh, die mittelbar von lebensbedrohlichen Schicksalen berichten.

Die Todesnähe macht, dass die Briefe und Erzählungen von einer besonderen Tiefe getragen sind. Letzte Worte und Mitteilungen sind eine schwere Last. Sie müssen unter Umständen die Tragweite eines ganzen Lebens wettmachen. Stella selbst ist belastet durch eine dramatische Kriegsverletzung ihres Mannes, die er in Afghanistan erlitten hat. Während ihres schweren Dienstes am Nächsten kämpft sie selber einen tragischen Kampf um die Rettung ihrer Ehe.

Episode reiht sich an Episode. Die Schicksale rühren ans Herz, wenn einem auch die unausweichliche Nähe des Todes und die vielen Lebensschicksale gelegentlich zu viel werden.

Rowan Coleman neigt zu schmerzlichen Geschichten, in denen es um Krankheit und Tod geht, wie sie es in ihrem Roman „Einfach unvergesslich“ schon bewiesen hat. Sie hat einen ausgesuchten Sprachschatz und ist bemüht, neben der Trauer auch der Freude und den kurzen Augenblicken des Glücks Ausdruck zu geben.

Auf eine leicht makabere Weise ist der Roman unterhaltsam. Glück und Liebe, Schmerz und Kummer, Abschied und Frieden machen den Tenor der Erzählung aus.

Man sollte kein großes literarisches Werk von Rowan Coleman erwarten. Für eine kurze Ablenkung eignet sich der Roman durchaus. Doch eine gewisse Kürzung hätte dem Roman nicht geschadet.

Rowan Coleman
Zwanzig Zeilen Liebe
416 Seiten, broschiert
Piper Paperback, August 2015
ISBN-10: 349206017X
ISBN-13: 978-3492060172
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