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Kategorie: Belletristik

Jessica Keener: Schwimmen in der Nacht

Jessica Keener: Schwimmen in der Nacht

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Scheinbar heile Welt…
…doch leider ist das eine Täuschung!

In einer Vorstadt von Boston ist Sarah Kunitz in einer vornehmen jüdischen Familie aufgewachsen. Ihr Vater war Literaturprofessor, die Mutter den schönen Künsten zugeneigt. Sarah lebt heute mit ihrem Mann und Kindern in Boston, als sie eines Nachts durch die Mail eines ehemaligen Nachbarkindes in ihren Erinnerungen zu ihrem Leben in den siebziger Jahren von damals findet.

Das vergangene Familienleben mit Eltern und Brüdern kehrt noch einmal zu ihr zurück.

In den siebziger Jahren war sie 15 Jahre alt. Der Vater hatte unbeherrschte Wutanfälle, und die Mutter, eine ätherische etwas weltferne Schönheit, widmete sich gerne dem Sommer, den Rosen und ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen, um ihrer Depressionen Herr zu werden. Man beschäftigte Dienstpersonal und gab Gesellschaften. Es wurde viel getrunken. Alles schien so sonnig und schön. Doch im Elternhaus herrschte ein unterschwellig angespanntes Klima zwischen den Zornausbrüche des Vaters und den ständigen Streitereien der Eltern untereinander. Unter diesen Bedingungen verlief auch die Erziehung der Kinder nicht reibungslos. Die Eltern schienen allen nicht so richtig gewachsen.

Als die Mutter bei einem Autounfall ums Leben kommt, müssen die vier heranwachsenden Kinder ihr Leben selber in die Hand nehmen.

Eine Familiengeschichte von seltener Empfindsamkeit und destruktiven Handlungen entfaltet sich, in der jedes Kind einen eigenen Weg nimmt. Peter flieht schon bald aus dem nach dem Tod der Mutter verwaisten Elternhaus. Zurück bleiben Sarah und die beiden jüngeren Brüder. Sie alle haben eigenwillige und ausgeprägte Charaktere, die in ihrer Verlorenheit anrührend sind. Sarah erlebt die erste große Liebe und wird Sängerin.

In diesem Roman bestimmen Kummer und Leid, Einsamkeit und Verlassenheit das Familienklima. Doch bietet der Alltag mit Freunden auch berührende Momente.

Mit zartem Gespür für Stimmungen und Situationsaktualitäten vermittelt Jessica Keener in ihrer poetischen Sprache ein Bild zwischen Aufruhr, Verzweiflung und Zukunftsvisionen. Der entwicklungsbedingte Aufruhr findet keinen klärenden Widerspruch.

Stimmungsschwankungen sind den Jahreszeiten angepasst. Jessica Keener mit ihrer feinen und differenzierten Sprachkraft vermittelt den Glanz und Niedergang einer Mittelstandsfamilie. Sie bietet Einblicke in das typisch amerikanische Gesellschaftsleben mit allen Einschränkungen und Defiziten, die das Leben der Menschen hier wie dort ausmacht.

Die Autorin hat 18 Jahre an dem Roman gearbeitet. Er ist ihr wohl gelungen.

Jessica Keener
Schwimmen in der Nacht
335 Seiten, gebunden
C.H.Beck, Januar 2014
ISBN-10: 340665939X
ISBN-13: 978-3406659393
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A. M. Homes: Auf dass uns vergeben werde

A. M. Homes: Auf dass uns vergeben werde

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Auf dass uns vergeben werde… Nun ja: was? Das ist hier die Frage!

Beginnt man den Text des vorliegenden Romans zu lesen, ist man schon mitten drin in einer sehr skurrilen Familiengeschichte.

George und Harry sind zwei ungleiche Brüder: der eine ist erfolgreicher TV Produzent, der andere Historiker. Harry schreibt schon lange an einem Buch über Nixon, das aber nie fertig zu werden scheint. George lebt mit Frau und zwei Kindern in einem Haus nahe New York. Nachdem George einen unverschuldeten Unfall gebaut hat, bei dem die Eltern eines Jungen ums Leben gekommen sind, gerät er in einen psychischen Ausnahmezustand. Als dessen Folge erschlägt er seine Frau Jane, die ihn mit Harry betrogen hat. George landet in der Psychiatrie. Nat und Ashley, die Kinder von George und Jane, müssen ab sofort von ihrem Onkel Harry als deren Vormund versorgt werden. Harrys Frau Claire, eine erfolgreiche amerikanisch- chinesische Geschäftsfrau, lässt sich von ihm scheiden.

Harry kümmert sich nach den Anfangsturbulenzen um die Kinder und die Haustiere seines Bruders. Er bleibt der Hauptakteur in einer Geschichte, die von immer neuen überraschenden Ereignissen überlagert wird. Nachdem er seinen Job als Lehrer an der Uni verloren hat, scheint er ein unruhig Wandernder zu sein, der in seiner Unrast mit anderen Frauen anbändelt und in höchst peinliche Situationen mit diesen gerät.

So weit zum Tenor der Geschichte: Mord, Totschlag, Scheidung, Tod und jede Menge schräger Sexgeschichten.

Der Roman zeichnet einen Alltag auf, der sehr ungewöhnlich ist. Die Dialoge sind lakonisch, frech, kurz und passend. Es wird wie überall in amerikanischen Romanen der Gegenwart viel getrunken. Zwischen den Brüdern gab es eine Rivalität, die den einen zum Sieger und den anderen zum Verlierer bestimmte.

So zügig und vielversprechend die Geschichte beginnt, so sehr braucht man einen langen Atem, um bei der Stange zu bleiben. Sind doch die uferlosen Begegnungen zwischen den handelnden Personen äußerst breit angelegt und nicht unbedingt Spannung fördernd.

Skurril und aberwitzig werden die Zwischenfälle beschrieben, die dem Roman Würze geben sollen. Harrys Schlaganfall gehört ebenso dazu, wie Besuche im Internat bei Nat oder in der Psychiatrie bei George. Immer neue Ereignisse weisen zwar einen gemeinsamen Tenor auf, doch ausufernde Dialoge und die von ständig neuen Ideen aufgeblähte Geschichte bietet am Ende zu viel des Guten.

Man bleibt nach der Lektüre etwas ratlos zurück und fragt sich, warum dieser in Ansätzen so gut konzipierte Roman sich so verflüchtigen konnte.

A.M. Homes
Auf dass uns vergeben werde
672 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, März 2014
ISBN-10: 3462046101
ISBN-13: 978-3462046106
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Anna Katharina Fröhlich: Der schöne Gast

Anna Katharina Fröhlich: Der schöne Gast

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Bilder zwischen Vergangenheit und Zukunft…

Die junge Icherzählerin in diesem Roman bewegt sich gerne in schönen Gärten und bewundert die unendliche Vielfalt der Natur.

Mit überschwänglichen Worten erzählt sie von ihrem Leben, das sie zurück in den Garten ihres Vaters führte.

Unsere Heldin ergeht sich beobachtend in einer Welt aus Vergangenheit, Träumerei und Müßiggang. In ihrem Castello, in dem sie an einem See in Italien mit einem alten indischen Diener lebt, igelt sie sich ein.

Wir befinden uns in der Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, doch fast weist die Erzählweise Züge des 19. Jahrhunderts auf.

Die alten Steinfiguren im Garten einer Ausstellung in einer benachbarten Villa, die Wasserspiele und im Kontrast dazu das Ambiente mit skurrilen Figuren aus heruntergekommenem Adel und sonstigen Müßiggängern mutet dekadent an. Tagsüber arbeitet die Protagonistin im Garten, und am Abend liest sie wie ihr Vater in seiner ausgedehnten Bibliothek mit den bekannten Werken der Weltliteratur und weiß auch bei passende Gelegenheit in schönster Weise daraus zu zitieren.

Doch dann ändert sich ihr Leben!

Ein kroatischer Dichter meldet sich telefonisch zu einem Besuch bei ihr an. Diesem Dichter verfällt sie in unerklärlicher Weise ganz und gar.

Er ist ein Blender und Gernegroß, der ihr zunächst den Hof macht, um sie dann zu erniedrigen und zu demütigen. Einzig seine Schönheit zieht sie derartig in seinen Bann, dass sie nicht von ihm lassen kann.

Immer wieder ergeht sich die Erzählerin mit wahren Wortkaskaden in Bildern, die aus ferner Vergangenheit zu stammen scheinen, um in der Gegenwart zu enden. Proust wird erwähnt, und in der Tat widmet die Autorin Anna Fröhlich der Gemüts- und Gefühlslage der jungen Dame viel Aufmerksamkeit.

Der ruhige Erzählstrom, der Kontrast zwischen gestern und heute mit der plüschig zufriedenen Innenarchitektur einerseits und dem Internet andererseits bildet einen reizvollen Widerspruch zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Das fast masochistische Bedürfnis, dem schönen Gast zu gefallen, ist hingegen ein schwer zu begreifender Bruch im Leben der soliden und gediegenen jungen Frau.

Die poetische Sprache mit der unglaublichen Intensität an Wortvielfalt ist mitreißend aber zuweilen beinahe etwas unerträglich. Anna Fröhlich bleibt die ganze Zeit bei ihrem ästhetisierenden Erzählstil. Dass ihr das pure Fabulieren und Ausmalen aller Details in Kleidung, Lebensstil und Interieur liegt, lässt sich unschwer ausmachen. Doch auch die Gefühlswallungen aller beteiligten Personen nehmen breiten Raum ein.

Der Inhalt ist kurz gefasst. Es geht um Schein und Sein, um Lüge, Trug, Leidenschaft und Liebe. Man lese und staune, wie sich hier die Erzählkunst vergangener Jahrhunderte mit dem Heute mischt.

Man kann den Roman gerne empfehlen.

Anna Katharina Fröhlich
Der schöne Gast
240 Seiten, gebunden
Hanser Berlin, Februar 2014
ISBN-10: 3446245227
ISBN-13: 978-3446245228
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Chimanda Ngozi Adichie: Americanah

Chimanda Ngozi Adichie: Americanah

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Leben und Wachsen in unterschiedlichen Zivilisationen…

Mit dem Roman „Americanah“ von Ch. Adichie findet erneut nach Taiye Selasi und Ayana Mathis eine farbige Schriftstellerin den Weg in die Öffentlichkeit. Er wird Furore machen!

Ch. Adichie stammt aus Nigeria und hier beginnt auch ihre Erzählung von Ifemelu und Obinze, einem Paar zu Beginn ihres Studiums in Nsukka und Ibadan. Die Ereignisse beginnen um das Jahr 1990.

Adichie beschreibt das Leben einer gebildeten Schicht in Lagos/Nigeria. Fröhlich und heiter geht es da zu. Doch die Dozenten an den Universitäten streiken, denn die Arbeitsbedingungen und das Geld sind ständiger Anlass für Konflikte. Der Trend der besser gestellten Familien geht dahin, ihre Kinder in Amerika studieren zu lassen. Das aber kostet Geld!

Ifemelu schafft den Sprung nach Amerika. Dort muss sie sich als Kindermädchen, Kellnerin oder mit anderweitigen Dienstleistungen durchbringen, denn ihr Stipendium würde für das tägliche Leben nicht ausreichen.

Für die Liebenden schien die Zukunft gesichert, wenn sie erst ihr Studium beendet hätten. Doch es kommt alles anders!

Die Liebe zwischen Ifemelu und Obinze bildet den Tenor in einem Werk, das allumfassend Rassenproblematik, Leben in Nigeria, Amerika und England umfasst. Die Liebe zwischen den beiden ist tief und sieht sich zahlreichen Anfechtungen ausgesetzt. Um sie gestaltet sich ein Gesellschaftsbild, das aufschlussreiche Einblicke in die Fragen von Bildung, Aufstieg und Leben im Westen wie in der dritten Welt bietet.

Menschen schwarzer Hautfarbe sind in Afrika Gleiche unter Gleichen in Amerika hingegen mehrheitlich Nachfahren von Sklaven. Das alleine schon erzeugt eine je eigene Identitätsbildung.

Ifemelu verliert durch eigene Schuld den Kontakt zu Obinze, der seinen Weg über England zurück nach Lagos in Nigeria nimmt und nach Jahren als erfolgreicher Geschäftsmann dort arbeitet. Auch Infemelu kehrt aus Amerika zurück in die Heimat, wo man diese Rückkehrer „Americanah“ nennt!

Atemlos liest man sich durch die Seiten dieses opulenten Werks, das immer neue Einblicke in die Lebensstrategien einzelner Protagonisten gestattet.

Die Autorin ist eine blendende Erzählerin. Ihre Dialoge sind eindringlich und facettenreich. Es entsteht ein emphatisches Bild verschiedener in Afrika oder Amerika lebender Menschen schwarzer oder auch weißer Hautfarbe. Die Kinder aus den gebildeten Schichten farbiger Herkunft müssen sich in Amerika der Hautfarbe wegen einem schwierigen Verfahren von Anpassung, Unterwerfung und eigenem Durchsetzungsvermögen stellen. Yale, Princeton und Harvard als Eliteuniversitäten sind die Stationen, in denen sich Afrikaner und Afroamerikaner mit besonderer Begabung ihrem Studium widmen. Der Abschluss an diesen Universitäten bietet zwar ungeahnten Möglichkeiten des Aufstiegs; doch in der Realität sieht das Leben der Studenten zuweilen sehr dramatisch aus. In ihren Studentenjobs sehen sie sich als Toilettenputzer oder müssen als Escortmädchen arbeiten, was häufig mit unerträglichen Avancen der Auftragsgeber verbunden ist. Dass dabei die Würde Schaden nehmen kann, ist eine der Ursachen, die zu Identitätskrisen und Enttäuschungen mit lang anhaltenden Folgen kommen mag.

Voller Enthusiasmus starten Adichies Romanfiguren ins Leben, bis sie zuletzt mit den Einschränkungen nicht erfüllbarer Liebeserlebnisse oder Lebenspläne zurecht kommen müssen

Ein vielfarbiges Gesellschaftspanorama und nachdenkenswerte Eindrücke beleben eine Geschichte, die gesellschaftspolitische Aspekte mit dem ganz alltäglichen Leben verbindet. Nebenbei ist der Roman ein hinreißender Liebesroman: “Er nahm auf dem Tisch ihre Hand in seine, und zwischen ihnen wuchs eine Stille, eine uralte Stille, die sie beide kannten. Sie war in dieser Stille, und sie war in Sicherheit.“

Chimanda Ngozi Adichie
Americanah
608 Seiten, gebunden
S. FISCHER, April 2014
ISBN-10: 3100006267
ISBN-13: 978-3100006264
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Ayana Mathis: Zwölf Leben

Ayana Mathis: Zwölf Leben

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Vom vergeblichem Aufwärtsstreben und Niedergang…

Mit dem hier vorliegenden Roman gilt es, eine begabte amerikanische Erzählerin zu entdecken!

Die Geschichte handelt von einer farbigen Familie, die sich aus bitterer Armut aus den Südstaaten der USA in der Hoffnung auf ein besseres Leben in den Norden begibt.

Aus Georgia zieht es Hattie mit Mutter und zwei Schwestern nach Philadelphia. Hattie ist erst 15 Jahre alt, und die Jahreszahl 1925 steht über dem ersten Kapitel. Die Zeit des großen Aufbruchs farbiger Afroamerikaner aus dem Süden der USA in die Nordstaaten von Amerika war in vollem Gange. Dort im Norden hoffte man auf bessere Lebensbedingungen. Die Bürgerrechtsbewegung mit dem Ziel der Gleichstellung von Farbigen zog sich von 1910 bis 1970 hin und ist bis heute im Land der großen Freiheit nicht überall gelungen.

In Philadelphia beginnt Hattie ihr Leben als Familienmutter mit zahlreichen Kindern.

Doch das Glück ist ihr nicht hold. Ihre ersten beiden Kinder, ein Zwillingspärchen mit den hoffnungsvollen Namen Philadelphia und Jubilee, sterben an einer Lungenentzündung. Ihre weiteren Kinder gehen nach Jahren der Armut in die Welt, um ihr Glück zu versuchen. Hattie bleibt als immer währender Hort der Stärke für alle zurück. Liebe und Zärtlichkeit waren nicht ihre besten Seiten. Dazu musste sie sich zu sehr plagen, um alle zu kleiden und zu ernähren.

Die Geschichten ihrer Kinder sind voller Widersprüche. Ihre Lebenskreise ziehen sich durch das ganze 20. Jahrhundert und bieten ein Stück amerikanischer Zeitgeschichte, die aufschlussreich ist.

Wenn auch das Unglück überwiegt, so ist die Darstellung von Ayana Mathis’ atmosphärischen Geschichten so geartet, dass man sich mit den Menschen verbunden fühlt und an ihren Schicksalen Anteil nimmt. In weitem Bogen umspannt die Autorin von den frühen bis zu den späten Lebensjahren das Ergehen von Hattie mit ihren Sorgen und gelegentlichem Versagen, von ihrem Mann, ihren Kindern und ihrem einzigen Liebhaber.

Farbig und belebend sind die Schilderungen der Milieus, in denen die Kinder ihr Leben gestalten. Man spürt die Kälte im Winter und die Hitze im Sommer. Und man erfährt einiges über die Lage der Schwarzen, die noch lange nicht rosig aussieht. Arbeitslosigkeit, Trunksucht und die Spielleidenschaft der Männer lassen in zahlreichen Familien ihre Mitglieder auf der Strecke. Die Liebe zwischen Hattie und ihrem Mann August verliert sich in Küchendunst, im Hunger und in der Not der Kinder. Hattie sieht die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage, und alle Ausweichmanöver misslingen. Sie bleibt stolz und unbeugsam in den wenigen glücklichen Augenblicken und im Unglück. Doch sie kann auch böse, bitter und zornig sein.

Ayana Mathis zeigt herausragendes Erzähltalent bei den Schilderungen dieses großen Familienromans.

Ihre Figuren sind aus Fleisch und Blut. Man kann sie spüren mit allen ihren Emotionen und auf ihren verwinkelten Lebenswegen.

Ayana Mathis wird in der Nachfolge von Toni Morrison gehandelt, die 1993 als einzige Amerikanerin in langen Jahren den Literaturnobelpreis erhalten hat. Ayana Mathis neuer Roman ist ein absolutes Muss für die Freunde gehobener Literaturgattungen.

Ayana Mathis
Zwölf Leben
368 Seiten, gebunden
Deutscher Taschenbuch Verlag, Mai 2014
ISBN-10: 342328028X
ISBN-13: 978-3423280280
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Der Körper meines Lebens

Der Körper meines Lebens

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Des Lebens Fülle!

In einer seltenen Erzählform berichtet Daniel Pennac vom Leben seines Helden, der seine körperlichen Entwicklungen zum Leitmotiv aller seiner Erinnerungen macht. Seine Eintragungen beginnen kurz vor dem Zweiten Weltkrieg im Alter von 12 Jahren und enden mit seinem 87. Lebensjahr.

Wie muss man sich das vorstellen?

Jahr und Tag und Alter bilden die jeweilige Überschrift zu den Aufzeichnungen.

Erstaunlich genug gibt es zahlreiche körperliche Erfahrungen, die dem Erzähler erwähnenswert erscheinen. Angefangen von den Gerüchen, den Ausscheidungen, den immer wieder assoziierten Erinnerungen an die erste Kinderfrau bis hin zu den körperlichen Ertüchtigungen im Jungenalter lassen sich viele Geschichten erzählen. Natürlich gehören erste Sexgelüste und die ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht zu den erinnerungsträchtigsten Geschichten.

Hormone steuern unser Verhalten und tragen zu unserer Charakterentwicklung bei. Erst mit diesem Roman wird einem so recht bewusst, welche Bedeutung dem Körper und der körperlichen Entwicklung beim Verfassen von Lebenserinnerungen zukommen kann. Poetisch, sensibel und feinfühlig, zuweilen allerdings auch drastisch bis deftig erleben wir einen Mann, der sich seiner Ängste nicht schämt und der ein feines Gespür für die Wechselwirkung zwischen den Funktionen von Körper und Geist hat. Erste Lieben, schließlich die Frau fürs Leben und die Geburten seiner Kinder und Kindeskinder bieten einen ebenso intimen Blick in die Seele unseres Helden wie körperliche Leiden, die ihn plagen. Er scheut nicht die Fäkaliensprache und die narzisstischen Genüsse, die auch von diesen Ausscheidungen ausgehen können. Als schönstes Beispiel dafür gilt die Geschichte von den Blähungen, die einem beim Verdrängen in den Himmel katapultieren könnten und beim Entweichung zur Bruchlandung führen würden.

„Ich sagte ihnen, zurückgehaltene Winde könnten der Gesundheit schaden. Warum? Weil, wenn wir unseren Körper sich mit Gas füllen lassen, Kinder, also dann steigen wir hoch in die Luft, wie ein Ballon. Darum!“ S. 427

Das Lebensbild ist komplett und eindringlich in seiner Ausdruckskraft. Tiefschürfend und einfühlsam, liebevoll, zärtlich und hintergründig erzählt uns Pennac von den Wechselfällen des Lebens und seinen Folgen; vom Aufwachsen, Älterwerden und dem Tod, von der Liebe, der Hoffnung und der Vergänglichkeit: alles zusammen macht unseren Lebenszyklus aus.

Überraschend für den Leser bleibt bei allen deftigen Beschreibungen der Eindruck einer gewissen Vornehmheit im Denken. Zuweilen meint man: muss das alles so ausgesprochen werden? Und dann merkt man: ja, das muss so ausgesprochen werden. Denn hier geht es um Körper und Geist, und das Eine ist ohne das Andere nicht denkbar. Vom Beginn bis zum Ende unseres Lebens sind wir mit unserer Körperlichkeit befasst. Sie kann uns höchstes Glück, Freude, Schmerz und Leiden bescheren.

Zuletzt bekommt man der Eindruck, dass der Autor Gefühle und Wahrnehmungen in unnachahmlicher Weise thematisiert hat. In der Tat ist da eine Spur zu Proust zu ahnen.

Daniel Pennac lebt in Paris, wo er sich der Schriftstellerei widmet und schöngeistigen Beschäftigungen nachgeht.

Daniel Pennac
Der Körper meines Lebens
448 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, April 2014
ISBN-10: 3462046195
ISBN-13: 978-3462046199
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Thommie Bayer: Die kurzen und die langen Jahre

Thommie Bayer: Die kurzen und die langen Jahre

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Simon und Sylvie lernten sich im Jahr 1974 über zwei Todesfälle kennen: Simons Vater wurde eines Tages ermordet und zu gleicher Zeit auch Sylvies Mann Konrad. Wie konnte es dazu kommen?

Simon lebt in Konstanz und Sylvie in Lindau am Bodensee. Simon ist gerade 22 Jahre alt, Sylvie ist acht Jahre älter. Er verliebt sich sehr in diese ältere Gefährtin, die ihm eine echte Gefährtin nicht sein will!

Die beiden bleiben die ganze Zeit im Mittelpunkt der Geschichte. Sie fühlen sich auf subtile Weise von einander angezogen.

Der Bogen der Geschichte aber ist weit gespannt von 1964 bis zum Jahr 2014. Er bietet zahlreiche unerwartete Überraschungen.

Als Klavierstimmer schlägt sich Simon durchs Leben und hilft zwischendrin in einer Musikalienhandlung aus. Dort trifft er seinen guten Freund Manni, der eine Band hat. Auch Knut gehört zu der Clique und Anke und ihre Schwester. Man lebt und feiert zusammen und freut sich der gegenseitigen Zuneigung. Freundschaften entstehen, und Liebesbeziehungen bringen Freude oder auch Trauer.

Insgesamt ist es eine freudvolle Jugend mit allen Spielarten, die das Alter so mit sich bringt.

Simon wartet und sehnt sich nach Sylvie, und sie bleibt ihm eng verbunden; doch wirklich nahe kommen sie sich vor allem in ihren Briefen. Hier öffnet Sylvie ihr Herz, und Simon wartet sehnsüchtig auf diese Briefe.

Mit feiner Ironie und in sanften Farben malt Thommie Bayer das Leben in den Siebzigern in Deutschland. Die Jahre brachten politischen Aufruhr und die RAF, die mit ihrer Killermentalität die Republik erschütterte. Das sind die äußeren Umstände, in denen die Handlung angesiedelt ist. Im Inneren geht es um das alte Lied von Liebe, Treue, Abschied und Schmerz.

Spannend, einfühlsam und gelegentlich melancholisch berichtet Thommie Bayer von der Beziehung der beiden Hauptprotagonisten. Sie umkreisen sich und verlieren sich, nähern sich erneut und bleiben doch in einer sicheren Distanz zu einander. Dass sich hinter allem Geschehen noch ein Kriminalfall verbirgt, dass Kindergeburten und unerwartete Todesfälle eine geheime Dramatik entfalten, gibt der ganzen Geschichte einen besonderen Anstrich.

Thommie Bayer schreibt einen sanften Stil, hinter dem man diese Dramatik zunächst nicht vermutet. Es ist eine gelungene Geschichte: abenteuerlich, anspruchsvoll und faszinierend. Man sollte sich diesen Autor merken!

Thommie Bayer
Die kurzen und die langen Jahre
208 Seiten, gebunden
Piper, März 2014
ISBN-10: 3492054811
ISBN-13: 978-3492054812
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Peter May: Beim Leben meines Bruders

Peter May: Beim Leben meines Bruders

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Dass der Leichenfund im Torfmoor von Lewis nichts für die Archäologen ist, findet Professor Colin Mulgrew schnell heraus, trägt dieser doch ein Elvis-Tatoo. Auch wie der junge Mann gestorben ist, hat der Pathologe bald rekonstruiert. Es war Mord. Detective Sergeant George Gunn ist vom Ergebnis der DNA-Analyse überrascht. Es beweist, dass ein Ortsansässiger verwandt ist mit dem Toten.

Fin Macleod ist nach seiner Scheidung zurückgekehrt auf die Insel. Aus dem Polizeidienst ist er ausgeschieden. Es kommt zu einem Wiedersehen mit Marsaili, seiner Jugendliebe, die statt ihn damals einen anderen geheiratet hat. Ihr Sohn Fionnlagh, der wie sich herausgestellt hat, auch sein Sohn ist, ist gerade Papa geworden. Viel zu jung und ohne abgeschlossene Schulausbildung ist er dem Vater Donnas allerdings ein Dorn im Auge. In diesen Konflikt mischt sich Fin ein.

Tormod Macdonalds Verwandschaftsverhältnis zu dem Toten aus dem Moor wird sich nur schwer aufklären lassen. Marsailis Vater leidet an Demenz. Doch weil er als Mordverdächtiger gilt, wollen George Gunn und Fin Macleod versuchen herauszufinden, was Ende der 50er Jahre geschah. Der alte Mann kann sich an lange zurückliegende Ereignisse noch gut erinnern. Doch was er ab und an sagt, was ihm in den Sinn kommt, klingt diffus. Denn niemand weiß, dass er einen Bruder hatte, mit dem er nach dem Tod der Mutter in ein Waisenhaus kam.

Es ist eine überaus tragische Geschichte, die hier erzählt wird. Der alte Mann, der für Aufklärung sorgen könnte, kann es nicht mehr, auch wenn er aufgrund seiner Demenz in der Vergangenheit lebt. Niemand ahnt, dass seine Identität gestohlen ist, weil es sein musste, weil es keinen anderen Ausweg gab.

Dennoch wird nach und nach der alte Mordfall aufgerollt. Das ist insbesondere Fin Macleod, der die Krankheit kennt und es versteht, besser hinzuhören als andere. So kommt er der Wahrheit immer näher. Einer gefährlichen Wahrheit, das ahnt er bald. Und auch für den Leser wird diese unterschwellige Gefahr spürbar gemacht. Fin Macleod ist ein sensibler Ermittler, er vorverurteilt nicht und das beeindruckt sehr. Der Fall um Familienbande, um Rache und wieder Rache scheint kein Ende nehmen zu wollen. Die Spannung steigt ins Unermessliche und wird von Emotionen und Schicksalhaftem getragen in eine ungewisse Zukunft.

Rezension von Heike Rau

Peter May
Beim Leben meines Bruders
Aus dem Englischen von Silvia Morawetz
336 Seiten, gebunden
Paul Zsolnay Verlag
ISBN-10: 3552056718
ISBN-13: 978-3552056718
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Sarah Butler: Alice, wie Daniel sie sah

Sarah Butler: Alice, wie Daniel sie sah

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!Daniel ist ein Landstreicher. Immer ist er auf der Suche nach Dingen, die andere weggeschmissen haben. Wichtig sind die Farben, denn die haben eine Bedeutung für ihn. Lässt sich doch damit der Name seiner Tochter bilden. Einer Tochter, die er nicht kennt und die längst erwachsen ist. Alice. Sie ist genauso ruhelos wie ihr Vater, von dem sie nichts weiß. Sie unternimmt lange Reisen und hält sich nie lange an einem Ort auf. Sie kehrt zurück, als ihr Vater stirbt. Also der Mann, den sie für ihren Vater hält.

Daniel sieht die Beerdigung als Gelegenheit, seiner Tochter zu begegnen. So geht er hin. Doch wie soll er Alice gegenüber treten? Wie soll er sich verhalten? Was könnte er sagen? Er sieht ungepflegt aus mit den abgetragenen und schmutzigen Klamotten, mit den Bartstoppel und dem fettigen Haar.

Er bastelt für Alice aus den Dingen, die er findet und die in den Farben ihren Namen widerspiegeln kleine Kunstwerke und positioniert sie am Elternhaus, so dass Alice sie finden muss. Alice ahnt, dass der Mann etwas zu tun haben muss mit ihrer Mutter und dass er ihr etwas sagen will. Doch Daniel will seine Tochter nicht verunsichern. Beide finden schließlich einen Weg sich zu verständigen, wo Worte zu viel Schaden anrichten könnten.

Die Geschichte um Alice und ihren liebevollen Vater ist sehr emotional geschrieben. Es geht um Gefühle, Lebenswege, Fehlentscheidungen, Hoffnungen und das Leben im Allgemeinen. Der Tragik der schwierigen Familienkonstellation wird viel Platz eingeräumt.

Es ist schwierig, sich auf diese Buch einzulassen. Es hat eine ungeahnte Schwere. Und die Geschichte ist auch nicht leicht nachzuvollziehen. Es ergeben sich viele Fragen, die aber letztendlich offen bleiben. Die Hauptpersonen, Alice und Daniel, sind vom Charakter äußerst schwierig. Es ist kaum möglich, sich in die beiden hineinzuversetzen, sosehr man es auch versucht. Und doch wird man von der Geschichte gefangengenommen.

Rezension von Heike Rau

Sarah Butler
Alice, wie Daniel sie sah
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
320 Seiten, Klappenbroschur
Droemer Verlag
ISBN-10: 3426514095
ISBN-13: 978-3426514092
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René Laporte: Hotel Solitude

René Laporte: Hotel Solitude

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Leben zwischen Traum und harter Wirklichkeit.

1942 begegnen sich in einem abgelegenen Hotel auf einer Anhöhe hoch über dem Glanz der mondänen Stadt Monte Carlo ein Monsieur Jérome Bourdaine und ein jüngeres Ehepaar. Die wunderschöne Frau des etwas geckenhaften Ehemanns hat es Jérome angetan. Der Ehemann erscheint des Abends spät und geht schon früh am Tag seinen Geschäften nach.

In Europa haben wir Krieg, und fernab des Kriegsgetümmels hält hier ein altes Ehepaar das Hotel Solitude in Betrieb. Die Gäste bleiben in Folge des Krieges schon lange aus. Der Glanz vergangener Zeiten liegt auf den Möbeln und dem Anwesen mit seinen herrlichen Ausblicken auf die umgebende Natur.

René Laporte, 1905 -1954, gestaltet seine Geschichte als eine, die zwischen Traum und Wirklichkeit schwankt. Nebulöse Gestalten aus den Zeiten der belle Époque bevölkern in Jéromes Fantasie eines Abends den Speisesaal, und er wirbt unerschrocken und zielstrebig um die schöne Frau.

Glück und Unglück, Heimatlosigkeit und Geborgenheit spielen in die Erzählung hinein und zeigen die Zeitgenossen im Jahr 1942 auf der Flucht und auf der Suche zugleich. Wie immer geht es auch um die ganz große Liebe. Zoya, wie die schöne Frau heißt, hat schon viel erlebt und weiß um die Tücken der Liebe. Jérome hingegen will erobern um jeden Preis und um der Illusion willen, dass doch alles gut werden möge.

Das Buch gilt als Wiederentdeckung eines literarischen Juwels, und das ist dieser kleine dichte und poetische Roman auch wirklich. Nostalgisch, vergänglich und mit dem Hauch einer versunkenen Welt versehen wird man in der Geschichte noch einmal zurück in das Jahr 1942 geführt, als die Welt im Krieg unterzugehen drohte und es nur wenige gab, die sich dem allgemeinen Untergang entziehen konnten.

René Laporte engagierte sich während des Zweiten Weltkriegs im französischen Widerstadt.

Der Roman des früh verstorbenen Autors erscheint hier zum ersten Mal auf Deutsch.

René Laporte
Hotel Solitude
120 Seiten, gebunden
Deutscher Taschenbuch Verlag, März 2014
ISBN-10: 3423260033
ISBN-13: 978-3423260039
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