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Kategorie: Belletristik

Edward Lewis Wallant: Mr Moonbloom

Edward Lewis Wallant: Mr Moonbloom

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Mikrokosmos einer engen Gemeinschaft

In gemächlichem Ton und mit prägnanten Eindrücken wartet der vorliegende nachgelassene Roman von Edward Lewis Wallant auf.

Norman Moonbloom ist der Mieteintreiber für seinen wohlhabenden Bruder Irwin. Jede Wohnung, in die er hineinschaut, bietet unterschiedliche Lebensläufe, Gewohnheiten und Lebensstandards.

In den recht verkommenen Wohnblocks in Manhattan lauert so manch‘ bedauernswerte Kreatur auf den Mieteintreiber, dem sie mit ihren Lebensgeschichten Mitleid abzuluchsen versuchen. Da wird getrunken und gelitten; Erinnerungen aus dem KZ treiben den einen um, während die anderen sich mühselig durchs Leben schlagen. „Karloffs Dauerwut schien ein wenig zerfasert;“ und „Mit seiner mächtigen gebeugten Gestalt hatten seine ( Kratz‘) Bewegungen die furchteinflößende Erhabenheit eines verletzten Elefanten“. In dieser Weise und so fort beschreibt Norman seine Eindrücke der zahlreichen verkrachten Existenzen, die Irwins Mietshäuser bevölkern. Er nimmt einen jeden ernst und versucht dennoch, seine Arbeit zu vollbringen. Dass einem bei so viel Armut und Einsamkeit nicht gerade froh zumute ist, beweist Norman mit einer müde resignierten Lebenshaltung. Doch auch er ist ein Einsamer, dem man etwas mehr Lebensmut und Zuversicht wünschen würde. Er aber bleibt der ärmliche Versager und ein vom Glück Benachteiligter. Sein Bruder ist der „Macher“, der den kleinen Bruder mit Verachtung und Schikane behandelt. Der ganze Roman endet mit einer fast surrealen Szene, die dem makabren Ganzen die Krone aufsetzt. Hier haben wir es wirklich mit einem bedauernswerten Individuum zu tun, dessen Leben sich in den Niederungen menschlichen Seins verirrt zu haben scheint.

E.L.Wallant zeigt in seinem vorliegenden Roman, wie in jeder Wohnung und in jedem Leben eine ganze eigene Welt an Empfindungen aus Kreuz und Leid zu finden ist. Norman hat ein Ohr für jeden. Doch ist die Last des Lebens schon für ihn selber schwer. Um wie viel schwerer wiegt die zusätzliche Last so vieler anderer Schicksale, denen er die Miete für die ärmlichen Wohnungen abverlangen muss. Minutiös wird aus jedem Leben ein Roman, wenn man denn die Geduld und Sensibilität aufbringt, sich für das Schicksal jedes einzelnen zu interessieren!

Der Autor ist ein früh Vollendeter. Schon mit 36 Jahren verstarb der 1926 geborene Schriftsteller an einem Hirnschlag und hinterließ nur wenige Romane. Er wird in einem Atem genannt mit Saul Bellow, Philip Roth und Norman Mailer. Der vorliegende Roman wurde erst nach seinem Tod 1963 erstmals veröffentlicht. Dem Berlin Verlag gebührt das Verdienst, den Roman in der Übersetzung von Barbara Schaden vorzustellen.

Noch eine Anmerkung sei hier gestattet: es gibt Bücher, die als eBook gut zu lesen sind. Es gibt aber Bücher, die unbedingt als gebundene Ausgabe gelesen werden müssten. Dieses Buch gehört dazu, weil nur diese Form der altmodischen und detaillierten Erzählweise und dem literarischen Wert des gelungenen Werks gerecht wird.

Edward Lewis Wallant
Mr Moonbloom
288 Seiten, gebunden
Berlin Verlag, Oktober 2012
ISBN-10: 382700974X
ISBN-13: 978-3827009746
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Tom Gamble: Tal der Hoffnung – Eine Marokko-Saga

Tom Gamble: Tal der Hoffnung – Eine Marokko-Saga

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Es ist ein interessanter Auftrag. Vor allem erlaubt er Harry Summerfield finanzielle abgesichert zu sein und somit in Marrakesch bleiben zu können. Für den Kaufmann Abrach solle er Liebesbriefe verfassen, die an eine fremde junge Frau gerichtet sind, deren Vater der Verwaltungsleiter ist und der damit über politische Macht in der Kolonie verfügt.

Als Summerfield ein erstes Antwortschreiben von Jeanne Lefévre in Händen hält, ist er betroffen. Viel zu viel Herzblut hat er in die Angelegenheit gesteckt und Jeanne tatsächlich mit seinen Briefen bezaubert. Zwar hat er nur im Auftrag Abrachs gehandelt, dennoch ist nun auch die Sehnsucht in ihm geweckt.

Summerfield lernt Jeanne auf einem Empfang kennen, zu dem sein Freund Jim Wilding ihn als Gast mitnimmt. Er offenbart sich ihr und erzählt ihr von dem Auftraggeber. Auch sie hat sich längst in den Briefeschreiber und damit in Summerfield verliebt. Später stellt sich heraus, dass Abrach ohnehin ganz andere Absichten hat. Er will an ihren Vater herankommen und ihn für ein früher verübtes Verbrechen zur Verantwortung ziehen.

Für die beiden jungen Menschen scheint die Zukunft dennoch verbaut. Jeannes Eltern würden einer Verbindung nie zustimmen. Als Sommerfield entführt wird,
schwindet jede Hoffnung auf ein Wiedersehen. So verliebt sich Jeanne in Jim Wilding, den besten Freund Sommerfields.

Das Buch beginnt sehr spannend. Der mysteriöse Kaufmann Abrach scheint die Fäden in der Hand zu halten. Seine Beweggründe, sich in Jeanne verliebt zu haben, will man ihm von Anfang an nicht abnehmen. Tatsächlich nimmt das Unheil seinen Lauf, als Summerfield selbst sich in Jeanne verliebt. Die beiden jungen Menschen sind zutiefst romantisch veranlagt. Aber zu retten ist die Liebe nicht, auch weil Summerfield viel zu leichtgläubig ist.

Es ist interessant zu sehen, wie die Geschichte weiter verläuft. Der Autor erzählt in einer einfachen Sprache, aber auf eine unterhaltsame Art und Weise. Dennoch sind einige Längen, die das Buch hat, nicht zu übersehen. Auch wirken Jeanne Lefévre und Harry Summerfield zu naiv und oberflächlich.

Beeindruckend ist die Kulisse, vor der die Geschichte spielt. Der Autor verliert sich gern in Details und schafft damit einzigartige Szenen vor den Augen des Lesers, die sehr lebendig erscheinen.

Rezension von Heike Rau

Tom Gamble
Tal der Hoffnung – Eine Marokko-Saga
Aus dem Englischen von Yasemin Dincer
Aufbau Taschenbuch
ISBN-10: 3746628652
ISBN-13: 978-3746628653
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Emily Perkins: Die Forrests – Roman einer Familie

Emily Perkins: Die Forrests – Roman einer Familie

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Insgesamt haben die Forrests vier Kinder. Dorothy, Evelyn, Michael und Ruth. Daniel kam in schwierigen Zeiten in die Familie, als Freund Michaels. Die Kinder wachsen ohne Erziehung auf. Sie werden von alleine groß, fühlen sich frei in ihrer Wahlheimat Neuseeland, bis Geldsorgen alles kaputt machen. Als die Eltern Frank und Lee zurück nach Amerika gehen, nehmen sie nur die Jüngste mit.
Dorothy, Evelyn und Michael und natürlich auch Daniel bleiben und beginnen ihr eigenes Leben und überlassen alles dem Selbstlauf. Dorothy und Evelyn sind einander verbunden, aber erst als Evelyn nach einem Unfall und daran anschließender Krankheit verstirbt, beginnt Dorothy, die mittlerweile verheiratet ist und vier Kinder hat, ihr Tun zu hinterfragen.

Das Buch wird von einer traurigen Stimmung getragen. Inhaltlich ist es undurchdringlich und schwer zu erfassen. Die Vergangenheit drückt auf die Gegenwart, die auch nicht besser ist. Unschöne Erinnerungen sind stets präsent, schöne werden davon plattgewalzt. Man begegnet einem Durcheinander von Menschen, vor allem unglücklichen, die alle irgendwie zusammengehören und aus dem Dorothy erst zum Ende des Buches hin als roter Faden hervorgeht. Sie ist die einzige Person, der man ein wenig näher kommt, leider ohne sie zu verstehen.

Das Buch ist zutiefst deprimierend. Die Autorin unterstreicht diese hoffnungslos wirkende Stimmung mit ihrem Schreibstil. Dennoch bleibt es in den Gedanken hängen, setzt sich dort regelrecht fest. Es hat etwas Intensives, etwas Erschütterndes, das man nicht so schnell vergessen kann, auch wenn das eher unangenehm ist. Es ist die tiefe Traurigkeit, die sich einfach nicht abschütteln lässt. Das Buch ist nicht spannend, es gibt keinen Spannungsbogen oder ähnliches, nicht ergreifend und hat trotzdem etwas Fesselndes. Es ist verstörend, dass die Autorin mit ihrem Buch solche zwiespältigen Gefühle hervorrufen kann.

Rezension von Heike Rau

Emily Perkins
Die Forrests – Roman einer Familie
Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
400 Seiten, gebunden
Berlin Verlag
ISBN-10: 3827010764
ISBN-13: 978-3827010766
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Julie Otsuka: Wovon wir träumten

Julie Otsuka: Wovon wir träumten

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Enttäuschung und Frust gekleidet in feinste Poesie.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts emigrierten Japaner mit der Hoffnung auf eine angenehme Existenz nach Amerika. Ihnen folgten Frauen, die man aus der Ferne mit ihnen verheiratet hatte. Sie stammten aus ärmlichen Verhältnissen und in ihren Träumen nahmen sie ein Leben vorweg, das so nie Wirklichkeit werden konnte. Voller Hoffnungen und Erwartungen gingen sie auf die große Reise und träumten von dem großen Glück. Wie groß ist die Enttäuschung, als sie erkennen müssen, wie entbehrungsreich und armselig ihre Existenz dort sein würde!

Ein schreckliches Kapitel befasst sich mit den ersten sexuellen Erfahrungen, die schockierend und erniedrigend die Frauen zu Lustobjekten ihrer Männer machen. Am Tag wartet harte Arbeit und endlose Eintönigkeit auf die so hoffnungsfroh angereisten Frauen. Vorbei ist die liebevolle Zuwendung der Familie zu Hause, und vorbei sind alle Träume, mit denen die teils sehr jungen Frauen und Mädchen in dem fremden Land angekommen sind.

Der Überfall der Japanischen Armee auf Pearl Harbor während des Zweiten Weltkriegs tut ein Übriges, um Japaner und Japanerinnen für lange Zeit aus der Gesellschaft auszuschließen.

Julie Otsuka hat eine ganz eigene Sprache, mit der sie sich dem Leben dieser Frauen nähert. Sie spricht in der Wirform und zeigt in ihren kurzen Sätzen, wie unterschiedlich doch die Erfahrungen der Einzelnen waren. Die einen sind fröhlich, den anderen ist bange zumute. Trübsal und Verzweiflung sind vorherrschende Elemente in ihrem Gefühlsstau und Enttäuschung hält sich die Waage mit fatalistischem Gehorsam.

Man nimmt die Sprache betroffen wahr, denn sie ist wie eine vorausschauende Vision, in der sie alle gefangen sein werden. Nicht nur die Erwartung auf ein gutes Auskommen wird enttäuscht, auch die Hoffnung auf liebende Männer geht unter, als sie sich mit den Begierden und Rücksichtslosigkeiten ihrer unbekannten Ehemänner konfrontiert sehen. Arbeiten bis zum Umfallen bleibt danach die Devise.

Die feine Sprache und die Diktion des Ausdrucks sind differenziert und einfühlsam in der Widergabe dessen, was den so bereitwillig in die Fremde gereisten Frauen nun geschieht. Es ist ein aufrüttelndes und anspruchsvolles kleines Werk, mit dem sich der Fokus auf die unerwarteten Erlebnisse von jenen Japanern und Japanerinnen richtet, die einstmals mit großen Erwartungen in das ihnen so fremde Land emigriert sind.

Julie Otsuka hat ebenfalls japanische Wurzeln. Sie lebt in New York und gewann 2012 für diesen Roman den PEN/ Faulkner Award.

Julie Otsuka
Wovon wir träumten
160 Seiten, gebunden
Mareverlag, 4. Auflage, Juli 2012
ISBN-10: 3866481799
ISBN-13: 978-3866481794
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Richard Ford: Kanada

Richard Ford: Kanada

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Als Bev Parsons die Air Force verlässt, ist nicht mehr genug Geld für den Lebensunterhalt der Familie da, die in Great Falls/Montana lebt. Merken sollen das weder seine Frau, noch die Zwillinge Berner und Dell.
Doch Dell ist mit seinen fünfzehn Jahren ein guter Beobachter. Er merkt, dass etwas geschieht, dass die Stimmung sich wandelt und sein Vater sich verändert.
Dass der Vater einen Banküberfall plant und die Mutter da mit hineinzieht, ahnt er nicht. Selbst als es dann geschehen ist, ist die Sache immer noch unglaublich und nicht nachvollziehbar.

Dell Parsons nähert sich im Rückblick den Geschehnissen an. Fünfzig Jahre sind vergangen und die Erinnerung ist immer noch wach. Einen anderen Blickwinkel bietet die Chronik seiner Mutter, die diese kurz vor ihrem Selbstmord im Gefängnis verfasst und die ihm seine Schwester Berner erst sehr spät ausgehändigt hat.

Mit fünfzehn stehen die beiden Jugendlichen völlig allein da. Berner reißt aus, um dem Zugriff des Jugendamtes zu entgehen, während Dell von einer Freundin der Mutter nach Kanada gebracht wird. Der Bruder dieser Freundin, Arthur Remlinger, betreibt ein einsam gelegenes Hotel in Fort Royal/Saskatchewan. Und hier gerät Dell in das nächste Verbrechen. Diesmal ist es Mord.

Dell ist als Figur unglaublich gut herausgearbeitet. Der Autor lässt ihn aus der Ich-Perspektive die Geschichte erzählen. Die gute Beobachtungsgabe, über die Dell verfügt, verleiht dem Roman eine ungeheure Tiefe. Die Geschehnisse werden von ihm schonungslos und ehrlich wirkend rekonstruiert und analysiert. Das ist sehr beeindruckend.

Das ausgesprochen gut geschriebene Buch endet in der Gegenwart. Der Leser erfährt also zum Schluss, wie sich Dells weiterer Lebensweg gestaltet hat. Dennoch, es liegt Wehmut über der Geschichte. Sich zu erinnern, ist ein Prozess, der auch alte Wunden wieder aufreißen lässt.

Rezension von Heike Rau

Richard Ford
Kanada
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
464 Seiten, gebunden
Hanser Berlin
ISBN-10: 3446240268
ISBN-13: 978-3446240261
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Suzanne Joinson: Kashgar oder Mit dem Fahrrad durch die Wüste

Suzanne Joinson: Kashgar oder Mit dem Fahrrad durch die Wüste

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Der Name sagt Frieda Blakeman nichts. Sie hat keine Ahnung wer Irene Guy ist. Aber offenbar ist Frieda deren nächste Angehörige, der nun nach dem Tod der alten Frau die Aufgabe zukommt, die Wohnung aufzulösen. Da Frieda nicht in London sondern auf Reisen war, konnte sie nicht einmal an der Beerdigung teilnehmen.

Die Wohnung von Irene Guy ist vollgestellt, aber doch auch gemütlich. Frieda sucht nach einem Hinweis, der ihr verrät, wer Irene war. Sie findet jedoch keine Antwort, aber eine Eule, die sie mit nach Hause nimmt. Leider entwischt das Tier bei erster Gelegenheit aus seinem Käfig und fliegt hinaus in den Treppenflur.

Der Araber Tayeb, der letzte Nacht wie ein Obdachloser im Hausflur übernachtet hat, ist wieder da, weil er etwas verloren hat. Er hilft ihr, die Eule wieder einzufangen. Nach dem beide sich ein wenig kennengelernt haben, bietet Frieda ihm an, erst mal in der Wohnung Irenes unterzukommen und dafür bei der Räumung zu helfen. Fünf Tage hat sie dafür noch Zeit.
Die beiden finden eine Kamera aus den 20er Jahren und eine kleine tragbare Druckerpresse. Irene Guy muss eine Forschungsreisende gewesen sein.
Als ein Foto von Friedas Mutter gefunden wird, wird klar, dass doch ein familiärer Zusammenhang bestehen muss. Und tatsächlich findet sich auch noch ein Tagebuch. Evangeline English berichtet hier von einer Reise nach Kashgar. Zurück kam sie nach England mit einem Baby, der kleinen Irene.

Vergangenheit und Gegenwart werden in diesem Buch miteinander verknüpft. Denn parallel zur Geschichte Frieda Blakemans kann man das Tagebuch von Evangeline English lesen, das einmal ein Reiseführer werden sollte. Während Evangeline nur vorgibt, eine Missionarin zu sein, um London entfliehen zu können, folgen ihre Schwester Elisabeth und deren Freundin Millicent dieser Berufung mit Nachdruck. Als sie einem jungen Mädchen bei der Geburt ihres Babys helfen, bringt dass die Frauen in ungeahnte Schwierigkeiten.

Das Buch ist ausgesprochen spannend zu lesen. Die Autorin erweist sich als gute Erzählerin, dies es versteht, den Leser in den Bann ihrer Geschichte zu ziehen. Zunächst steht man vor einem Rätsel. Was haben Frieda und Irene miteinander zu tun? Doch nach und nach wird zwischen der Vergangenheit in Kashgar und der Gegenwart in London ein Bogen gespannt. Das führt Frieda bis zu ihren Wurzeln zurück und lässt sie ein Stück weit erkennen, wer sie ist.

Es ist ein schönes Buch, das sich leicht liest. Obwohl die Autorin sehr wortreich, ausdrucksstark, bildreich und manchmal sogar sehr ausschweifend, was hier gut passt, erzählt, hat man den Eindruck, nicht genug zu bekommen von dieser Lektüre. Es ist interessant zu lesen, welchen weitreichenden Einfluss Begegnungen und Entscheidungen auf die Zukunft haben.

Rezension von Heike Rau

Suzanne Joinson
Kashgar oder Mit dem Fahrrad durch die Wüste
Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer
272 Seiten, gebunden
Bloomsbury Verlag, Berlin
ISBN-10: 3827010888
ISBN-13: 978-3827010889
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Mariam Kühsel-Hussaini: Attentat auf Adam

Mariam Kühsel-Hussaini: Attentat auf Adam

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Religion und Glaube, zweierlei Maß

Auf einer Krankenstation in Jerusalem findet sich der ehemalige katholische Priester Adam Tressdorf benommen wieder. Sein alter Lehrer aus Regensburg, unschwer als Joseph Kardinal Ratzinger zu erkennen, beugt sich über ihn, und sie haben eine kurze Diskussion über den Glauben, dem beide anhängen. Adam allerdings war in eigener Mission hier in Jerusalem und ist bei einem Attentat verletzt worden.

In einer mystifizierenden Sprache meint man zu spüren, wie fragil Fragen des Glaubens zuweilen die Menschen bewegen.

Gespannt folgt man den Einlassungen der einzelnen Kapitel, die mit Sätzen aus den Rollen des Qumran überschrieben sind und sich an Kompositionen von Mozart anlehnen. Auf ein Fragment der Qumranrollen hatte es Adam bei seinem Besuch in Jerusalem abgesehen. Ein Zwischenhändler sollte es ihm übergeben. Bei diesem, dem Juden Daniel Seeliger, findet er Aufnahme und Gastfreundschaft. Im Gespräch zwischen den beiden Männern geht es u.a. um den Islam und das Christentum und den jüdischen Glauben. Es geht um ihre Verschiedenartigkeit und ihre Gemeinsamkeiten.

Die Tochter Seeligers, Nurit, wird zu einer beseligenden Liebeserfahrung für Adam, der früher Mitarbeiter beim Radio Vatikan war. In ihr findet er die Frau seines Herzens.

Die poetische Sprache der Autorin ist noch in Erinnerung durch ihren Roman „Gott im Reiskorn.“ Hier wiederholt sich ihre zarte Ausdruckweise in der Darlegung der tiefen Innerlichkeit der Gefühle zweier Männer, die sich als ehrenwerte Gegenüber erleben.

Wie die Autorin im Vorwort schreibt, ist dieses Buch „nicht für Menschen geeignet, die sich vor Schönheit und Seele, vor Wortrausch und Sprachfülle schützen wollen.“ In der Tat sind die Gefühlsausbrüche und tränenreichen Seelenergüsse nicht jedermanns Sache. Sätze wie “.. diese gegenseitige Hilfe, das packte nach Adams Herzen, schleuderte es in seinem Brustkorb umher…“ S.148 oder“..ihre Küsse verwandelten sich in den Gesang Papagenas…“ S. 150. Auch dieser Satz “neben ihm schlummerte Nurit, die Schwanenschultern leicht hebend und senkend. Der Atem eines Vögelchens kam aus ihrer Brust.“ Das ist alles ein wenig viel und nahe am Kitsch.

Mariam Kühsel-Hussaini ist Nachfahrin einer hoch angesehenen afghanischen Familie. Sie bedient sich einer blumigen und poetischen Sprache, in der sie die Tradition ihrer Vorfahren hoch hält. Mit ihrem neuen Roman beschreibt sie eine Liebesgeschichte, die eingebettet ist in Glaubensfragen und in die von Anschlägen gekennzeichnete Stadt Jerusalem. Sie verbindet Aktualität mit der seelenvollen Liebesgeschichte und tief innerlich erlebten Glaubensfragen.

Mariam Kühsel-Hussaini lebt heute in Berlin.

Mariam Kühsel-Hussaini
Attentat auf Adam
189 Seiten, gebunden
Berlin University Press, August 2012
ISBN-10: 3862800407
ISBN-13: 978-3862800407
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Lionel Shriver: Dieses Leben, das wir haben

Lionel Shriver: Dieses Leben, das wir haben

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Am Scheideweg zum Tod.

Shepherd und Glynis sind ein Paar in der Mitte des Lebens. Er will sich nach dem Verkauf seiner Firma, der einen großen Ertrag brachte, ein gutes Leben machen. Ob seine Frau Glynis, die Kunstschmiedin, das mitmachen will, steht dahin. Denn ehe man an die Veränderungen eines neuen und anderen Lebens denken kann, entdeckt man bei Glynis Krebs, und sie wird schwer krank. All’ das schöne Geld zerrinnt unter den hohen Ausgaben für das amerikanische Gesundheitssystem, und zerrinnen werden auch alle Hoffnungen und Beziehungen, in denen sich das Paar bisher geborgen fühlte.

Neben den eigentlichen Hauptakteuren bilden die Verwandten und Freunde das Umfeld, in dem sich das gesellschaftliche und “normale“ Leben abspielt.

Begleitet von den Kümmernissen und verletzten Lebenshaltungen der Lebenden, stößt Glynis zu der wahren Erkenntnis vor, die ihr niemand mit noch so verlogenen Zurufen nehmen kann: im Angesicht des Todes werden alle irdischen Vorkommnisse in Politik und Gesellschaft nachrangig. Ihre gesunde Reaktion auf die ganz gewöhnlichen Banalitäten des Alltags ist Wut; Wut auch auf ihren Mann, der ihr in seiner aufopferungswilligen Fürsorge fast suspekt erscheint. Sie, die vom Tod gezeichnet ist, erträgt zuweilen seine entsagungsvolle Zuwendung kaum mehr.

Der Durchbruch zur Realität des bevorstehenden Abschieds und seiner Folgen für alle ist die einzige Wahrheit, die in diesem Roman zählt. Sie wird mit harter Konsequenz unsentimental bis zum Ende durchgespielt.

Eine der stärksten Szenen in dem Buch ist der Ausbruch von Glynis, in dem sie die Lügen und den Eigennutz, die Verlogenheit der Tröstungen und die nachlassende Bereitschaft ihrer Freunde und Verwandten, sich ihrer überhaupt noch anzunehmen, herausschreit. Wie aber kann man es denn überhaupt noch jemandem Recht machen, der mit seinem körperlichen und seelischen Zerfallsprozess für die gesamte Umwelt die Grenzen des Erträglichen berührt?

Lionel Shriver hat in ihrem Buch über „Dieses Leben, das wir haben“, kenntnisreich und wissend berichtet. Selten hat man so realistisch, glasklar und hart gelesen, wie es sich anfühlt, zu sterben, wenn um einen herum das Leben weiter geht.

Alle die Eitelkeiten, Sehnsüchte und Pläne, ja selbst das Scheitern anderer Existenzen, sind nur die Begleitmusik zu einem Scheitern ganz anderer Art: nämlich den Tod als unbesiegbar zu erleben.

Lionel Shriver entwirft das Bild einer zerfallenden familiären und freundschaftlichen Gemeinschaft mit allen begleitenden Kalamitäten.

Es ist ein starkes und beeindruckendes Buch, mit dem die Autorin über ein allseits fälliges aber häufig tabuisiertes Thema berichtet.

Sehr empfehlenswert!

Lionel Shriver
Dieses Leben, das wir haben
544 Seiten, broschiert
Piper Taschenbuch, Juni 2012
ISBN-10: 3492274579
ISBN-13: 978-3492274579
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Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche

Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche

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Die Geschichte dieses ruhigen, besinnlichen Romans ist schnell erzählt. Jo hat einen kleinen Kurzwarenladen. Hin und wieder verirren sich Kunden dorthin. Sie hat also viel Zeit. Deshalb beginnt sie im Internet-Zeitalter einen kleinen Blog und gibt dort Tipps zu Nadel, Faden und Stoffe. Sie erzählt aus ihrem Leben, von ihren Kindern, von ihrem Mann, den sie trotz aller männlichen Eigenheiten sehr liebt. Sie weiß zwar nicht warum, aber sie liebt ihn. Auch ein Flirt schafft es nicht, sie von ihrem Mann wegzuziehen. Sie träumt davon, ihrem Mann vielleicht einmal alle seine Wünsche erfüllen zu können: einen Porsche, eine teure Armbanduhr, eine Kreuzfahrt. Alles solche Sachen, von denen Männer träumen, wenn sie als kleiner Arbeiter oder Angestellter in einem großen Konzern arbeiten, bei dem sie nie das Geld zur Verwirklichung ihre Träumen verdienen werden. Da passiert etwas Unvorhergesehenes: Jo gewinnt in der Lotterie 18 Millionen Euro. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf.

Der 1960 geborene Delacourt hat einen besinnlichen Roman geschrieben. Als Mann hat er die Geschichte aus der Sicht der Protagonistin erzählt und daher eine nüchterne, beinahe naive Sprache gefunden. Viele Sätze klingen wie belanglos dahin geredet, lassen aber um so mehr Tiefe zu. Sicherlich trägt auch die Übersetzerin Claudia Steinitz einen Anteil daran, wenn die schlichten Worte so wirkungsvoll klingen, wie beispielsweise in dem Abschnitt, in welcher Jo von ihrem Ehemann Jo erzählt: „Wir machten lange Spaziergänge auf der Steilküste und hielten uns bei den Händen; manchmal, wenn keine Spaziergänger da waren, drückte er mich an den Felsen und küsste mich auf den Mund, seine freche Hand verirrte sich in meine Unterhose. Er hatte schlichte Worte, um sein Verlangen zu beschreiben. Schinken ohne Schwarte. Ich kriege einen Ständer. Du machst mich geil. Und an einem Abend …“ Übrigens erfährt der Leser natürlich im Roman, warum der Ehemann von Jo ebenfalls Jo heißt.

Doch auch ein zweites Zitat soll Auskunft darüber geben, wie schön so manche Tatsache beschrieben werden kann. Als die Protagonistin von dem Freund ihrer Tochter erzählt und eigentlich nur aussagt, dass sie eine Nebenrolle in einem Film spielen durfte: „Einmal war er mit uns in Bristol und zeigte mir das Ardman Studio, wo er arbeitet; er gab der Blumenverkäuferin, an der Gromit im Film vorbeirennt, mein Gesicht. Ein Tag so schön wie die Kindheit.“

Der Schriftsteller zeigt mit viel Feingefühl, dass Besinnlichkeit nicht bedeutet, humorlos zu sein. Denn immer wieder platzen der Hauptfigur Worte heraus, die dem Leser ein Lächeln auf das Gesicht zaubern.

Ein kurzer (127 Seiten), beinahe zu kurzer Roman, der den Leser an viele Alltäglichkeiten erinnert und ihn in eine kleine Welt zieht. Ein Genuss für jede Jahreszeit.

Delacourt, Grégoire
Alle meine Wünsche
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
126 Seiten, gebunden
Hoffmann und Campe, Hamburg
ISBN-10: 3455403840
ISBN-13: 978-3455403848

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012

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Ellen Sussmann: An einem Tag in Paris

Ellen Sussmann: An einem Tag in Paris

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Der Titel des Buches in seiner deutschen Fassung bringt es auf den Punkt. Es geschieht alles an ein und demselben Tag in Paris, allerdings aus der Sicht verschiedener Protagonisten. Wenn man sie überhaupt Protagonisten nennen kann, so handelt es sich um Amerikaner Josie, Riley und Jeremy, die von ihren Privatlehrern Nico, Philippe und Chantal einen ganzen Tag lang durch Paris geführt werden und am Nachmittag den Dreharbeiten eines Kinofilms beiwohnen. Sie sind nach Frankreich übergesiedelt oder haben längere Zeit dort zu tun. Die französische Sprache entgleitet noch nicht so flüssig ihren Lippen oder, wie im Falle Jeremys, der Ehemann des in dem Kinofilm mitspielenden Hollywood-Stars, bekamen die Französischlehrerin zum Zeitvertreib an die Seite gestellt.

Auf diese Weise wird ein Tag im Leben des jeweiligen Pärchens geschildert. Dabei geht es meist sehr viel um – um was soll es in Paris schon gehen? – Liebe. Und um Sex. Es geht um das Leben und die Beziehungen zu den Ehepartnern und Lebensgefährten, zu den Eltern, zu den Kindern. Die Protagonisten stellen sich die Frage nach dem Sinn des Lebens, nach dem Hiersein, nach der Vollkommenheit ihrer selbst. Besonders schön gelungen ist der Autorin die Kulisse von Paris. Der Charme dieser großen, kleinen Stadt mit dem Duft seiner Straßenzüge, dem Duft seiner Bistros und Cafés, den Gärten, den Museen, mit allem, was Paris ausmacht. Parisliebhaber, und ich zähle mich dazu, werden dieses Buch mögen. Sie nehmen sich beim Lesen eine Auszeit und machen einen Ausflug in die europäische Metropole an der Seine.

Trotzdem gibt es einen schalen Beigeschmack für die Geschichtenliebhaber unter den Lesern. Es handelt sich um einen Episodenroman. Die Geschichten sind untereinander nicht miteinander verbunden, bis auf die Privatlehrer und den Filmdreh. Es sind also drei verschiedene Geschichten, drei Geschichten von sechs Menschen, die durch die Welt taumeln und nicht wissen, wo ihr Ziel liegt. Es sind unterhaltsame und lesbare Zustandsbeschreibungen, denen aber der Makel der fehlenden Spannung anhaftet. Auch die grammatikalischen Zeiten stimmen nicht immer. Wenn beispielsweise in einer Rückblende über die Zukunft (die noch vor der Handlung in der Gegenwart liegt) spekuliert wird, dann ist mir das nicht klar. Denn der Erzähler weiß zu diesem Zeitpunkt, wie die Vergangenheit ausgesehen hat und muss darüber keine Spekulationen anstellen. In diesem Falle liegt die Zukunft bereits in der Vergangenheit und ein Konjunktiv verbietet sich. Doch da es sich um eine Übersetzung handelt, ist die Ursache der grammatikalischen Ungereimtheiten nicht sofort feststellbar. Ein Konjunktiv in der Vergangenheit liest sich halt ungewohnt.

Dennoch: Wer gerade keine Zeit hat, um sich ein paar schöne Tage in Paris zu machen, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen. Leichte, charmante Lektüre von einem ebensolch charmanten Paris. Pariser Leben als Gefühl auf dem heimischen Sofa.

Sussmann, Ellen
An einem Tag in Paris
Aus dem Amerikanischen von Veronika Dünninger
288 Seiten, gebunden
Limes Verlag, München
ISBN-10:3809026034
ISBN-13: 978-3809026037

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012

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