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Kategorie: Belletristik

J.M.G. Le Clézio: Lied vom Hunger

J.M.G. Le Clézio: Lied vom Hunger

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Kriegsschicksale in Frankreich: eine Familienstudie.

Vor dem zweiten Weltkrieg versammelten sich in Paris zahlreiche russische Adeligen, die nach der Revolution von 1917 ihre russische Heimat verlassen mussten. Mitte der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts wohnt auch Ethel mit ihren Eltern, die aus Mauritius stammen, in der Stadt.

Ethel freundet sich mit Xenia an, einer russischen Fürstentochter, die schon etwas älter, leicht raffiniert und ein wenig berechnend ist. Doch Ethel bewundert sie, weil sie zu Hause unter den Spannungen zwischen ihrem leichfertigen Vater und der streitenden Mutter leidet. Sie hätte so gerne ein Geschwisterkind und sucht in Xenia einen Ersatz dafür.

Ein in jungen Jahren von einem Onkel ererbtes  größeres Vermögen bringt Ethels Vater Alexandre als Vormund an sich. Er bringt alles Geld dann auch ganz schnell durch, so dass die Familie sehr bald dank der unseriösen Geschäftspraktiken des Vaters mittellos dasteht.

Früh schon taucht Laurent Feld im Kreise geselliger Abende bei Ethels Eltern auf. Ethel mag ihn, vertraut ihm und wünschte sich aufs sehnlichste einen Bruder wie ihn! Wie sich das Schicksal der beiden erfüllen wird, das erfahren wir später!

Durchsichtig und leicht spinnt Clézio seine Geschichte aus, in der es um Flüchtlinge in Paris, um Reichtum, Armut, um Rivalität, große Geselligkeiten und amouröse Abenteuer geht.

Die Atmosphäre der Vorkriegs – und Kriegszeit bestimmt die Gefühlslage in den Familien. Dass Alexandre ein schwadronierender Angeber ist, der seine Frau betrügt und die Familie in den Ruin führt, zeigt die eine Seite des damaligen Lebens. Die andere zeigt eine entschlossene junge Frau, die das Schicksal der Familie in die Hand nimmt und den traurigen Niedergang zu Ende führen muss. Die Familie hungert im Süden Frankreichs dem Kriegsende entgegen.

Ethel ist die Heldin dieses Stücks Zeitgeschichte, in der durch den Krieg und familiäre Umstände ihr Glück und ihre Zukunft nur noch durch eigene Kraft zu bewältigen sein wird. Ethel beeindruckt durch ihre sensible und scharfe Beobachtungsgabe, mit der sie ihr persönliches Unglück realisiert. Fein gezeichnet erlebt man eine dekadente Gesellschaft, die in den letzten Zügen liegt. Dass Esther ihr Leben und das ihrer Familie zu meistern versteht, bildet den Plot der Geschichte. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes ihre „eigene Schmiedin des Glücks!“

Die Naziherrschaft und die Judenverfolgung in Frankreich sind Themen, denen sich Clézio schon in anderen Werken( Fliehender Stern) angenommen hat.

Nachvollziehbar, lebhaft und glaubwürdig zeigt Clézio  als Meister der Poesie erneut, dass er den Nobelpreis 2008 verdient hat!

J.M.G. Le Clézio
Das Lied vom Hunger
Gebundene Ausgabe: 217 Seiten
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 3462041363
ISBN-13: 978-3462041361

Erich Kästner: Als ich ein kleiner Junge war

Erich Kästner: Als ich ein kleiner Junge war

Erinnerungen und Bilder aus einer anderen Zeit……

Erich Kästner hat in diesem Büchlein in einer liebevollen Aufzeichnung die Schilderung seiner frühen Kindheit und Jugend  festgehalten. Er ist 1899 geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf.

Der Vater konnte als Sattlermeister nur mühsam alleine das Auskommen für die Familie sichern. Seine Mutter trug mit harter Arbeit zum Lebensunterhalt bei: zuerst als Putzmacherin und später als Friseurin. Als einziges und sehr geliebtes Kind fühlte sich Erich geborgen und behütet im Kreise einer großen und weitläufigen Familie mit vielen Onkeln und Tanten, in der es schon einmal krachte. Man blieb sich aber über alle Zeiten hinweg gewogen nach dem Motto „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“

Damals gab es keineswegs soziale Hilfen wie heute, die einen gewissen Lebensstandard garantierten, sondern jeder sah zu, wie er auf eigene Faust den Lebensunterhalt sichern konnte.
Alleine das Vorbild seiner fleißigen Eltern, die man nach damaligen Maßstäben wohl als „rechtschaffen“ bezeichnen würde, gab dem Jungen Halt, Sicherheit und das Gefühl der Geborgenheit. In liebevollen Worten, anerkennend, schlicht und selbstverständlich entsteht das Bild einer geordneten Welt, in der feste Bindungen zur Sicherheit des Lebens beitrugen. Die äußeren Umstände wie Krieg und Not brachten zwar Schmerzen und Entsagungen, doch konnten sie der innerlich übersichtlichen Welt nichts anhaben.

Kästner spricht den Leser in seiner Erzählung unmittelbar an, so als sei er sich dessen Einverständnisses sicher. Das mag den Eindruck erwecken, als spräche er zu Kindern. Diese aber würden sicher mit dem Text wenig anfangen können; ist er doch ein wenig naiv und nostalgisch. Unsere technisch orientierten und befähigten Kinder, deren Welt rasant und schnell verläuft, und die einem Harry Potter mit seinen Mysterienabenteuern hinterherlaufen, könnten wohl kaum nachvollziehen, um wie viel langsamer, gemächlicher und entbehrungsreicher die Welt vor hundert Jahren aussah. Auch die Dankbarkeit für Kleinigkeiten und die Aufopferung der Mutter würde wohl heute kaum gewürdigt. Wird doch gegenwärtig alles für selbstverständlich genommen, und die Vielfalt der Angebote unserer lieben Kleinen könnte sich mit den einfachen Zinnsoldaten eines Erich Kästners wohl kaum begnügen.

Wir leben in einer anderen Zeit, und so werden vor allem die Älteren unter den Lesern ein Stück Vergangenheit wieder finden, sei es aus eigenem Erleben, Erzählungen oder Aufzeichnungen der Ahnen.

Erich Kästner
Als ich ein kleiner Junge war
Taschenbuch: 208 Seite
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423130865
ISBN-13: 978-3423130868
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Jeremy Page: Tagebuch eines ungelebten Lebens

Jeremy Page: Tagebuch eines ungelebten Lebens

Für Guy hat das Leben keinen Sinn mehr. Sein kleine Tochter lebt nicht mehr. Daraufhin haben seine Frau und er sich getrennt. Guy hat sich zurückgezogen auf sein Boot, ein altes holländisches Frachtschiff. In dieser Einsamkeit setzt er das Familienleben in einem Tagebuch fort. Jeden Tag schreibt er, als wäre seine Tochter noch am Leben und seine Frau bei ihm. Doch nicht nur er sucht auf dem Wasser Ruhe, Geborgenheit und Schutz. So lernt er Marta und ihre erwachsene Tochter kennen. Ihre Probleme beginnt er, an sich heran zu lassen. Er muss dafür ein Stück weit seine Traumwelt verlassen und in die Realität finden.
Das hat Folgen. Die Tagebuchwelt verändert sich, beginnt ein Eigenleben. Der Ton ändert sich. Die kleine Familie bekommt Probleme. Guy fühlt sich bald weder in seinen Gedanken, noch in der Realität wohl. Der Druck wird so groß, dass er bald keinen Ausweg mehr weiß.

Es ist beängstigend zu sehen, wie Guy in einer Trauerphase versinkt, die nicht enden will. Traum und Wirklichkeit vermischen sich. Nur so ist das Leben überhaupt noch auszuhalten. Oder auch nicht. Man macht sich Sorgen um Guy, der immer wieder mit lebensgefährlichen Aktionen den Tod herausfordert.
Die Atmosphäre im Buch, von Trauer und Trostlosigkeit getragen, dürfte so manchen Leser überfordern.
Der Autor findet Worte für ein Schicksal, das beeindruckt und zu Herzen geht. Gefühle werden nachvollziehbar deutlich. Gefühle, die man eigentlich niemals spüren will.
So gut das Buch auch geschrieben ist, es macht unendlich traurig. Am Ende möchte man einen Stift zur Hand nehmen und fortsetzten, was offen endet. Man möchte dem Ganzen irgendetwas Positives geben. Aber irgendwie ist alle Hoffnung dahin.

Rezension von Heike Rau

Jeremy Page
Tagebuch eines ungelebten Lebens
Übersetzt von Andreas Gressmann
416 Seiten, gebunden
Mare Verlag
ISBN-10: 3866481136
ISBN-13: 978-3866481138
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Gerard Donovan: Winter in Maine

Gerard Donovan: Winter in Maine

Zuweilen sind es erste Sätze, die einen Leser in Bann schlagen und sofort Neugierde wecken, weiter zu lesen.
Diese Erfahrung verbindet sich für mich mit dem „ Winter in Maine.“

Ruhe, Geruch nach Wald und Holz, Stille und das Knacken der Äste, dazu das prasselnde Feuer im Ofen: hier fühlt man sich wohl, hier möchte man sein! In der Hütte an den Wänden stehen  Bücherregale mit zahlreichen Büchern, erste und seltene Ausgaben sind darunter.

Julius Winsome, ein Mann von 51 Jahren, sitzt in seiner Hütte  hoch oben im Wald nahe der kanadischen Grenze am Feuer und liest. Dann peitscht ein Schuss nicht weit entfernt. Wer könnte da geschossen haben?
Nach kurzer Zeit vermisst der Mann seinen Hund  Hobbes. Es dauert nicht so lange, da findet er ihn angeschossen nicht weit von der Hütte entfernt. Der Tod des Hundes verändert sein Leben und trifft ihn tief.

Er ist ein einsamer Mann, der in Verehrung für und mit seinem Vater lange Jahre zusammen hier in der einsamen Hütte im Wald  gelebt hat. Mit Sätzen wie diesen: „ er war ein freundlicher Mensch, „ und „ solche Menschen gibt es nicht oft “ bis zu dieser besonders charakteristischen Bemerkung „von ihm lernte ich auch, wie man still ist,“ kann man sich ein Bild von Vater und Sohn machen.

Was so still und freundlich beginnt, wandelt sich allmählich in eine zuerst beschauliche und zuletzt gefährliche Lebensgeschichte. Der große Shakespeare begleitet mit seinen Worten und Werken das Leben von Julius Winsome, den nach dem Verlust seines Hundes eine stete Unruhe treibt, der Boshaftigkeit des Menschen auf die Spur zu kommen.

Philosophisch und weise sucht er nach der Fährte des Hundemörders. Er begegnet seiner erneut seiner einzigen Gefährtin, die ihn vorübergehend vor einigen Jahren aus seiner Einsamkeit beglückend erlöst hatte. Schon bald aber kam sie nicht mehr und überließ ihn wieder seinem Leben in der Abgeschiedenheit.

Löst die Ruhe und Stille und der verschneite Wald eher poetische und besinnliche Gedanken aus, so treibt eine unausgesprochene Spannung den Leser in Gedanken zu dem trauernden Mann, der auf Rache am Tod seines Hundes sinnt.
Das Böse und das Gute stehen sich gegenüber. Die anhängliche, arglose Kreatur und der nachdenklich- mitleidige Held bilden eine Einheit, die in Spannung zur Gnadenlosigkeit und Unmenschlichkeit in Gestalt eines plumpen und bedenkenlosen Polizisten steht.
Man ist berührt und steht dem Widerspruch zwischen sensibler Beobachtung und grausamer Handlung ratlos gegenüber.

Das Ende der Geschichte entspricht der Intention des Romans, in dem es um Einsamkeit, Sehnsucht nach Gemeinschaft und Liebe, Verlust, Güte, Verzeihen und die dem Menschen innewohnende Aggression geht. Eine ungewöhnliche  und widersprüchliche Geschichte bringt den Leser ganz nahe an die existenziellen Gefühle des Menschen und stimmt nachdenklich, anregend, traurig und wütend.

Gerard Donovan ist ein Meister der überzeugenden Erzählkunst, der sich in die Herzen der Leser hineinschreibt, weil man sich seiner menschlichen Wärme und Anteilnahme nicht entziehen kann.

Gerard Donovan
Winter in Maine
Gebunden 208 S.
Luchterhand
ISBN-10: 3630872727
ISBN-13: 978-3630872728
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Manil Suri: Shiva

Manil Suri: Shiva

Indien, das Land der Geheimnisse, der politischen Unruhen und der auseinander driftenden Interessengruppen bietet den Plot zu vorliegenden Roman von Manil Suri.
Tief in die Sitten und Gebräuche indischen Lebens führt uns der Autor hinter die Kulissen eines Landes, das auch heute noch für uns fremdartig und von ungeheuren sozialen Unterschieden gezeichnet ist.
In den einfachen Hütten und Häusern der Armen gibt es kaum Strom oder fließendes Wasser, während die besser gestellten Bürger mit Klimaanlagen und westlichem Komfort leben können.
Als Meera sich in den Liebhaber ihrer Schwester Roopa verliebt, die längst eine bessere Partie für sich im Auge hat, weiß sie nicht, auf was für ein Leben sie sich einlassen wird.
Der Vater der beiden Mädchen, ein gebildeter Verleger, wurde schon als Kind mit einem Mädchen verheiratet, das weder lesen noch schreiben kann. Er ist ein guter Vater, der nur das Beste für seine Kinder will. Mit Entsetzen nimmt er zur Kenntnis, dass sich Meera mit dem kommenden Schlagersänger Dev eingelassen hat. Ausgestattet mit einer für die armselige Schwiegerfamilie hervorragenden Aussteuer, kann diese sich nur freuen über das neue Familienmitglied. Erst nach der Hochzeit mit dem hübschen und verwöhnten Söhnchen aus armem Hause ahnt Meera, welche Entbehrungen sie in der neuen Familie auf sich nehmen muss.

Mit Dev durchlebt sie schwere Zeiten, denn er ist unzufrieden in einem unter geordneten Beruf und träumt von seiner Sängerkarriere. Meeras Vater schmiedet den Plan, seine Tochter studieren zu lassen. Trickreich und unter schweren Opfern für seine Tochter kommt er seinem Ziel langsam näher.

Meera geht mit Dev nach Bombay, wo der Vater Studium und Wohnung bezahlt und dem Schwiegersohn bei der Verwirklichung seiner Sängerkarriere behilflich ist.
Meera schlägt sich schlecht und recht durch. Sie versucht Dev eine gute Frau zu sein, ist ihm willfährig, doch es zeigt sich, dass er von schwachem und labilem Charakter ist.

Einblicke in die beiden unterschiedlichen Familien zeigen das soziale und das Bildungsgefälle in dem übervölkerten Staat.

In seinem groß angelegten Indienroman lernt man die Zeiten nach der Unabhängigkeitserklärung von 1955 kennen. Unruhen zwischen Moslems und Hindus teilen in Geiste und Mentalität die Familien. Meeras gebildeter Vater ist liberal und offen, Devs Familie, die einen Bahnwärter zum Familienoberhaupt hat, ist eng im Denken und hängt der Organisation der Hindus an, die den Moslems feindlich gesinnt sind.
Die Auswirkungen der Schichtunterschiede sind beträchtlich. Sowohl die Lebensform, die Denkweise als auch das Miteinander der Familienmitglieder ist durch auffallende Unterschiede gekennzeichnet. Meera geht einen mühsamen Weg zwischen Tradition und Moderne.
Der Autor bietet Einblicke in das Innere des Landes und seiner Bevölkerung und in Konflikte, die sich aus Bildungsunterschieden, Armut, Hoffnungslosigkeit, Lethargie und dem Lebensstandard einzelner Bevorzugter ergeben. Meera ist die zentrale Figur, auf die sich die Potenziale aller Möglichkeiten konszentrieren. In ihrer Figur sieht man sich mit den Widersprüchen konfrontiert, die sowohl die politische, traditionelle und mit den Gegenwartslösungen befasste Realität für jeden Beteiligten bedeutet.

Ein unfassendes Bild indischer Wirklichkeit ist entstanden, das verwirrend, glaubwürdig und folgerichtig in der Darstellung und spannend zu lesen ist.

Manil Suri
Shiva
Gebundene Ausgabe: 496 Seiten
Verlag: Luchterhand Literaturverlag (24. August 2009)
ISBN-10: 3630872891
ISBN-13: 978-3630872896
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Elisabeth von Arnim: Verzauberter April

Elisabeth von Arnim: Verzauberter April

Vier Damen unterschiedlicher Herkunft aus England machen sich Mitte der zwanziger Jahre auf, um einen ungestörten Urlaub in der Toskana zu verbringen. Ihrer Ehen überdrüssig, voller Sehnsucht, den Alltagstrott einmal hinter sich zu lassen, gestatten sich zwei von ihnen, verwegen auf eigene Faust sich diesen Urlaub zu gönnen.
Zuerst sind es nur zwei, die sich verabreden, ein Castello unweit von Genua mit Blick auf das Meer zu mieten. Als die Miete ihnen zu hoch erscheint, gewinnen sie noch zwei weitere Damen zu ihrem Plan dazu.

Abenteuerlich und wirklich zuweilen etwas irritiert über den eigenen Mut, gehen sie die Reise an. Das adlige Fräulein Caroline und die alte Frau Fisher sind die neu hinzu gewonnenen Partnerinnen dieser ungewöhnlichen Reise.
Was es an Zauber zu bewundern gibt,–sie geben sich gerne und aufgeschlossen dem Anreiz der malerischen und bunten Landschaft mit den fremden Blumen und Früchtedüften hin.

Allerdings zeigt sich alsbald, dass sich Hierarchien wie überall entwickeln, und dass ohne Aufsicht des Personals der tägliche Arbeitsablauf nicht gelingen will. Jede denkt, die andere soll es richten, und so entsteht ein gruppendynamischer Prozess, der es in sich hat.

Fein und detailliert beobachtet die Autorin die Eigenarten der einen wie der anderen. Sie weiß genau zu berichten, was in den Köpfen der einzelnen vor sich geht. Wie da gerangelt und innerlich gestritten wird, und wie eine jede versucht, die andere zu übertrumpfen oder zu unterjochen….
Jede hat ihr Schicksal, sei es mit einem ungeliebten Mann, sei es ohne einen Gemahl, oder bei der hübschesten, jüngsten und adeligen unter den vieren in Erwartung einer Zukunft mit Familie!
Man erlebt einen wirklich zauberhaften April in Italien mit dem blauen Meer, einem herrlichen Ambiente, liebevollem Dienstpersonal und einer schrulligen Mrs. Fisher, die sich zur Obergouvernante über alle anderen erhebt.
Es ist ein Lust, das kleine Büchlein zu lesen, das in das England der zwanziger Jahre entführt, bürgerliche Konventionen berührt und vier ganz verschieden geartete Charaktere in Gestalt der vier Damen lebendig werden lässt.

Elisabeth von Arnim Verzauberter April
Broschiert 273 S.
Insel Verlag
ISBN-10: 345834957X
ISBN-13: 978-3458349570

Liliane Lerch: Datura

Liliane Lerch: Datura

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Liebe unter der Bedrohung von schwerer Krankheit und Tod.

Liliane Lerch berichtet in ihrem Erstlingsroman von einer ungewöhnliche Liebesgeschichte, die in Kalifornien um 2001 spielt. In der Mojave- Wüste nicht weit von Los Angeles entfernt führt das Schicksal die beiden Hauptprotagonisten zusammen, die Journalistin Emma De Antoni und den Innenarchitekten Jackson Carver. Beide beherrschen das Geschehen im Roman, in dem es um die ganz große Liebe geht.

Jackson betreibt mit seinem Freund Frank einen Antiquitätenladen, der mit dem Namen einer Wüstenpflanze betitelt ist: Datura. Hier findet Emma die schönsten Möbel für ihr kleines Haus, das sie kürzlich erworben hat. Geheimnisvoll und interessant wirkt der schweigsame Jackson auf sie, und sie kann sich seiner Anziehung kaum entziehen. Sie weiß nicht, dass Jackson schwer krank ist. Bei den zunächst noch seltenen Begegnungen zeigt sich Jackson eher zurückhaltend und scheu. Doch je häufiger sie zusammen kommen, desto beeindruckender wirkt seine schlanke und müde Erscheinung.
Jackson verliert sich in Liebe zu Emma, und sie erwidert seine Liebe uneingeschränkt.
Jackson entstammt einer weitläufigen Familiensippe. Seine Krankheit wird sehr bald zum großen Thema des Romans, denn sie ist die Folge eines kurzen ausschweifenden Lebens in seiner Jugend. Die Liebe von Emma und Jackson wird durch sie schwersten Prüfungen unterzogen. Welchen Anfechtungen sich Emma ausgesetzt sieht, das versteht die Autorin mit psychischen und medizinischen Details auszuschmücken. Freundschaften zerbrechen, und Freundschaften wachsen mit den Anforderungen von Jackson Krankheit. Seine Familie zeigt sich trotz der Zugehörigkeit zu der Sekte der Mormonen liebevoll und hilfsbereit.

Atmosphärisch gelungen erscheinen die malerischen Ausflüge in die Wüste. Die Besuche in New Mexico und in Santa Fe liefern Beispiele dafür, wie es sich in den amerikanische Südstaaten mit der Natur, dem Klima und den volksnahen Lebensformen der Indios lebt. Essen und Trinken, das ausgedehnte Familien -und Freundesleben werden durch die Schilderungen von Liliane Lerch höchst lebendig. Bleibend ist der Eindruck einer langen, quälenden Krankheit, die Emma und ihre Zuverlässigkeit auf eine anhaltende und lange Probe stellt. Liliane Lerch hat eine spannende Geschichte ersonnen, die voller Herz und Schmerz steckt. Das ist ein Schmöker, der sicher viele Leser erfreuen wird!

Liliane Lerch stammt selber aus der Schweiz wie ihre Protagonistin und lebt heute ebenso wie diese in der Mojave –
Wüste und in Los Angeles.

Liliane Lerch
Datura
336 Seiten, gebunden
Atrium Verlag
ISBN-10: 3855354308
ISBN-13: 978-3855354306

Alan Bennett: Die Lady im Lieferwagen

Alan Bennett: Die Lady im Lieferwagen

Würde und koketter Anstand des Alters.

Alan Bennett ist ein Komiker, der sein Talent in vielen witzigen und äußerst fantasievollen Texten bewiesen hat.
In dieser Erzählung geht es um eine schrullige Alte, Miss Shepherd, die sich mit ihrem Lieferwagen in einer guten Wohngegend Londons eingenistet hat.
Dort lebt der gehobene Mittelstand, dessen Wohnkomfort im Kontrast zur politisch fortschrittlichen und aufgeklärten Haltung seiner Bewohner steht.
Miss Shepherd kann nichts aus der Ruhe bringen. Sie nimmt ihren Aufenthalt für selbstverständlich und die Hilfen der Anwohner ebenfalls. Ihr gelb verfärbter und verbeulter Lieferwagen ist Wohnort, Schlafstatt und Vehikel in einem und parkt auf Dauer am Straßenrand der Wohnsiedlung. Das Fahrzeug springt nicht immer an, so dass helfende Hände es anschieben müssen. Vorbeifahrende Flegel pöbeln Miss Shpherd an, und als Alan das nicht mehr aushält, bietet er ihr zunächst Unterschlupf in einem Schuppen auf seinem Grundstück an. Nicht genug damit ist eines Tages der ganze Lieferwagen breit auf seiner Hauseinfahrt platziert. Nachdem aus dieser vorübergehend gedachten Lösung ganze zwanzig (!) Jahre werden, kann man sich vorstellen, wie es am Ende im und um den Wagen herum aussieht!
Bennett führt ein Tagebuch über die Alte, das durch die Jahre von 1969 -1989 führt.

Dank seines Humors und seiner Erfindungsgabe mangelt es Bennett nicht an witzigen und skurrilen Einfällen, mit denen ihn Miss Shepherd auf Trapp hält. Das Verkommen von Frau und Fahrzeug ist mit der Dauer des Aufenthalts vorprogrammiert. Da geht es um Hygiene und Abfälle, um Reinlichkeit, Wünsche und Vorschläge der Alten und um die Würde, die Miss Shepherd zur Schau stellt.
Er gibt in seiner Geschichte über die Lady im Lieferwagen eine seiner typischen Menschenbeobachtungen wieder, die, wenn auch übertrieben, so doch zur Unterhaltung auf höchstem Niveau anregt. Die Grenze zwischen Unglaubwürdigkeit und Realitätsnähe ist fließend, so dass menschliche Schwächen und Verrücktheiten immer nahe am menschlichen Sein entlang gleiten.
Bennett ist der begabte Dramatiker und Autor, der eine verrückte Lebensgeschichte herbei zaubert, die ihresgleichen sucht. Mit seinem trockenen Humor, mit dem er auch noch in den absurdesten Situationen die komischen Seiten aufzeigt, bringt er uns wie immer zum Schmunzeln und Kichern.
Hervorragend wie in seinen anerkannten Vorgängerwerken, man denke nur an „ Die souveräne Leserin,“ ergötzlich und spaßig eignet sich das Büchlein zum selber Lesen und Verschenken gleichermaßen!

Alan Bennett
Die Lady im Lieferwagen
Wagenbach Verlag 
ISBN-10: 3803126215
ISBN-13: 978-3803126214

James Agee: Ein Todesfall in der Familie

James Agee: Ein Todesfall in der Familie

Familienfrieden, Glück und Zweifel; eine Geschichte von Glaubensfragen und unvorhersehbaren Schicksalsschlägen.

Knoxville in Texas, weit im Süden der USA gelegen, ist der Ort einer Handlung, die von der ersten Zeile an mit dramatischem Sog in ein schicksalhaftes Geschehen führt.
Atmosphärisch dicht und von tief innerlichen Gefühlen geprägt lenkt der Roman des bereits 1955 verstorbenen Autor James Agee die Aufmerksamkeit auf das Geschick einer jungen Familie, das fast in einer Art Kammerspiel dargeboten wird.
Umhüllt von heimeliger Dunkelheit und dem Sternenglanz kommen ein Vater und sein kleiner Sohn von einem Kinobesuch nach Hause. Das Leben zeigt sich friedlich, geborgen und trostreich. Die liebevollen Familienbande sind intakt und versprechen harmonische Idylle.
Catherine und Rufus, die beiden Kinder, gehen zu Bett.

Szenenwechsel: mitten in der Nacht schrillt das Telefon. Unruhig geht Jay, der junge Familienvater, ans Telefon. Jeder Ton und jeder Schritt wird verzeichnet, so dass eine untergründige Spannung entsteht.
In einem stockenden Telefonat berichtet der Bruder von Jay, dass der Vater erkrankt sei, wie schwer, ist kaum auszumachen. Zögerlich, zuletzt aber doch überzeugt, dass er besser gleich aufbricht, bereitet sich Jay auf die Nachtfahrt zu seinen Eltern vor. Liebevoll bereitet ihm Mary noch ein Frühstück und liebevoll ist der Abschied, fast, als wäre es für immer. Er denkt an die Kinder und versichert mehrfach, dass er schon morgen zurück sein werde.

Mary findet kaum Ruhe nach seiner Abfahrt. Sie hält Zwiesprache mit Gott, und aufmerksam hört man von einem Familienkonflikt, der das Glück überschattet: Mary ist fromm katholisch, Jay aber teilt ihren Glauben nicht. Sie fürchtet, dass die von ihr und ihrem Glauben geforderte katholische Erziehung der Kinder den Familienfrieden und den Zusammenhalt der Familie gefährden könnte.
Diese Szene ist grandios in ihrer dichterischen Aufbereitung.

In der Folge steigert James Agee noch die Spannung, denn
erst spät am nächsten Vormittag kommt ein Anruf, in dem von einem Unfall die Rede ist, vom dem Jay betroffen sei.
Das Protokoll einer Todesnachricht wird zu einem minutiösen Bericht des Unfallhergangs.

Wie die Verwandten sich um Mary scharen, was gesprochen, vermutet und befürchtet wird, das schwankt zwischen Hoffnung, ahnungsvollen Untergangsängsten, Glauben und Verzweiflung. Stimmungen und Gefühle, jeder Gang und jede Gebärde oder Verrichtung im Haushalt werden registriert. So entsteht ein genaues Abbild der Vorgänge, und man gelangt zu tiefen Einblicken in die Seelenzustände und Handlungen der Protagonisten. Fast fühlt man sich an Musil erinnert, dessen Gefühlswahrnehmungen ähnlich dauerhaft und präzise in seinem „ Mann ohne Eigenschaften“ abgehandelt werden. Der Zustand zwischen Realität und seelischer Befindlichkeit rührt an die Schmerzgrenze.
Die eingeschobenen Reflexionen einzelner bieten den eigenartigen und faszinierenden Eindruck von lyrisch vorgetragenen Gedanken, die fast Gebeten gleichen.
Der vom Vater an die Tochter gerichtete Satz: „Du musst immer daran denken, dass kein Mensch auf dieser Welt ein Vorrecht genießt. Jeden Augenblick kann die Axt auf den Nacken jedes Menschen niedersausen, ohne vorherige Warnung und ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit “ hinterlässt Schauer der Erschütterung mit seiner fast biblischen Weissagung.

Hinreißend ist die Beobachtung, wie ein Schmetterling aus dem versinkenden Sarg in den Himmel steigt. Symbolträchtiger geht es nicht, und symbolhaft beleuchtet er einen Religionskonflikt, der die Familiengeschichte unterschwellig durchzieht.

Nur drei Tage umfasst der Bericht, mit dem fast im Zeitlupentempo eine Aussage gelingt über das, was in den Empfindungen und Köpfen der einzelnen Familienmitglieder vor sich geht.

Wiewohl der Roman zur modernen amerikanischen Klassik gezählt wird, würde ich ihn aus der Menge der Neuerscheinungen als einen der besten dieses Frühjahrs herausheben.
James Agee wirkte in den vierziger Jahren als einflussreicher Drehbuchautor, Filmkritiker und Journalist in den USA. Sein unvollendet gebliebener Roman wurde in Deutschland 1962 zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht. Nach seinem Tod wurde der Autor posthum mit dem Pulitzerpreis geehrt.

James Agee
Ein Todesfall in der Familie
C.H.Beck
368 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3406583889

Thomas Clavinic: Das Leben der Wünsche

Thomas Clavinic: Das Leben der Wünsche

Drei Wünsche will der Fremde erfüllen. Und weil der seltsame Mann so viel über Jonas weiß, ist er geneigt, im ein kleine wenig zu glauben. Jonas hat viele Wünsche. Sie auf drei zu reduzieren, ist ein Unding. Da er nicht auf den Kopf gefallen ist, wünscht er sich mehr Wünsche.

Nach diesem seltsamen Erlebnis holt ihn der Alltag wieder ein. Ein Alltag mit seiner Frau und den zwei Kindern, einem ungeliebten Job und seiner Geliebten Marie. Im Hinterkopf hat Jonas die Sache mit den Wünschen. Er kauft sich ein Los, gewinnt aber nicht. Im Büro stellt er dann fest, dass seine Aktien um fast 15 Prozent gestiegen sind. Das macht den entgangene Losgewinn wett.

Ein glücklicher Mann ist Jonas nicht. Er will seine Frau Helen nicht verlieren, aber auch mit Marie zusammensein. Von dem, was er sich wirklich wünscht, erfüllt sich aber nichts. Durch Ausprobieren ist er zu diesem Schluss gekommen. Der Alltag ist das übliche Chaos. Dann, wie aus dem Nicht und direkt vor seinen Augen, geschieht dieser Unfall. Ein LKW erwischt einen Mann, der Jonas wegen dessen Langsamkeit genervt hat. Einem Wunder gleich kommt, dass sein Sohn Chris, dessen Wachstum Grund zur Sorge gegeben hat, plötzlich ein paar Zentimeter in die Höhe schießt.
Dann geschieht etwas Unfassbares. Jonas findet seine Frau in der Badewanne besinnungslos vor. Seine Wiederbelebungsversuche zeigen keine Wirkung. Der herbeigerufene Notarzt kann nichts mehr tun. Helen erlag einem Herzversagen.
Später sitzt Jonas wieder auf der Bank. Da, wo er den seltsamen Mann traf, der ihm drei Wünsche erfüllen wollte. Es ist unfassbar für Jonas, was bisher geschah.

Im Grunde spielt sich hier eine ganz normale Geschichte ab, so wie das Leben sie tausendfach schreibt, wäre da nicht die Sache mit den Wünschen. Jonas scheint nicht viel drauf zu geben. Er probiert einiges aus. Manches läuft wunschgemäß, anderes nicht. Bald spielt es für ihn keine Rolle mehr. Für den Leser schon. Man verfolgt sehr gespannt den Lauf der Geschichte und beobachtet Jonas genau. Man kommt nicht umhin, sich zu fragen, inwieweit er sein Schicksal und das anderer durch seine Gedanken steuert. Der ein oder andere geheime Wunsch ist darunter. Der Verdacht liegt also nahe, dass Jonas das Geschehen wenn auch nicht immer bewusst, so doch durch sein Unterbewusstsein steuert.
Nach und nach entsteht eine sehr drückende Atmosphäre. Spätestens als Jonas’ Frau Helen unter mysteriösen Umständen stirbt, ist der Spaß vorbei.
Jonas befindet sich ab da in einem Zustand der Schwerelosigkeit. Die Trauer überfällt ihn ungebremst. Er läuft nur noch auf Autopilot.
Der Leser ahnt, das Jonas auf eine Katastrophe zusteuert. Unbehagen findet sich ein. Es ist ein Spiel mit den Erwartungen des Lesers. Wirklich sehr gelungen! Man liest nicht einfach so, man wird beschäftigt. Der Anfang der Geschichte kommt einem Märchen gleich, später wird daraus der blanke Horror.
Dabei erzählt der Autor im Grunde seine Geschichte sehr sachlich. Es ist die eigene Fantasie, die beim Lesen nicht im Zaum zu halten ist. Das ist eine sehr interessante Erfahrung!

Rezension von Heike Rau

Thomas Clavinic
Das Leben der Wünsche
320 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN: 978-3446233904