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Kategorie: Biografie

Julian Barnes: Der Lärm der Zeit

Julian Barnes: Der Lärm der Zeit

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Julian Barnes ist in seinem neuen Roman den Spuren des Komponisten Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906 -1975) nachgegangen. Er war ein anerkannter russischer Komponist des 20. Jahrhunderts. Seine Kompositionen umfassten ein reiches Repertoire an sinfonischer, instrumentaler und Filmmusik, bevor er sich an die Komposition von Opern wagte.

Unter der Diktatur Stalins hatte der Musiker schwer zu leiden.  Wer denkt heute noch an die Tyrannei dieses Despoten, der seine Freunde und Feinde erzittern ließ ob seiner Grausamkeit und paranoiden „Säuberungen“, mit denen er Mitte der dreißiger Jahre sein Unwesen trieb?

Julian Barnes erzählt, wie Schostakowitsch auf die Gunst und Gnade Stalins angewiesen war. Dieser liebte Musik und eben auch Schostakowitsch. Doch als Stalin die Oper „Macbeth von Mzensk“ zwei Jahre nach der Erstaufführung, die 1934 für Furore gesorgt hatte und hoch umjubelt worden war, hörte, brach sein Zorn über den begnadeten Komponisten herein. Stalin mochte die Musik nicht. Nachdem letzterer seine Loge voller Zorn verlassen hat, so berichtet Barnes, wurde aus dem Komponisten ein von Angst überwältigtes Männlein. Er steht jede Nacht mit einem gepackten Köfferchen auf dem Flur vor seiner Wohnung und erwartet die Schergen des Diktators. Seine junge Frau und die gemeinsame Tochter sollen nicht in den Strudel Ereignisse hineingezogen werden. Zu dieser Zeit ist er dreißig Jahre alt.

Am Beispiel des berühmten Komponisten und seines künstlerischen Wohl und Gedeihens erfahren wir vom Autor etwas über die Dimensionen von Diktaturen damals und heute.

Lebendig und hautnah kann man erleben, wie die Angst um alle Ecken schaut, und die Unterdrückung zu Depression und Lähmung führen kann.

Schostakowitsch wird im Roman (wie wohl auch in der Realität) zu Verhören abgeholt, soll Kollegen beschuldigen, wird wieder nach Hause geschickt, mit Drohungen, die Wahrheit zu sagen, neu einbestellt, bis schließlich sogar der Verhörer verschwunden ist. Man ahnt, dass auch ihn die Rache des Diktators zu Fall gebracht haben könnte.

In diesem Stil und Umfang, präzise und dicht in Wort und Beschreibung geht es weiter. Julian Barnes zeigt uns die „Macht“ und ihre dräuende, einschüchternde Gewalt, die auch stärkere Naturen zum Stürzen bringt. Hier wird Schostakowitsch als sensibler und einfühlender Charakter geschildert, der dieser Macht nicht Herr wird. Er wird hin und her gerissen zwischen Folgsamkeit und Selbstverdammung, stiller Resignation und Niedergeschlagenheit.

Zitat aus der Besprechung des Romans in der Zeitschrift die „Zeit“ über die Komponisten unter Stalin: «Die einen waren am Leben und hatten Angst, die anderen waren tot.»

Die Macht des Stärkeren lässt den Schwächeren vergehen. Auf einer Reise nach Amerika wird Schostakowitsch zum Spielball öffentlicher Belobigung, propagandistischen Fehlberichten und seiner heimatlichen Angstzustände. Lug und Trug, Fremd- Selbstbezichtigung und Abwarten kennzeichnen das Leben des Künstlers, der dem Wechselbad von Lob und Tadel ausgeliefert ist. Immer auch wieder gibt es Hinweise auf sein Privatleben, das jedoch ganz unter der Last der alltäglichen äußeren Bedrohung und Not steht.

Barnes schreibt in seinem gewohnt eindringlichen, poetischen Stil mit psychologisch tiefenscharfen Blick. Es ist nur ein schmales Buch von 240 Seiten. Doch der Inhalt wiegt schwer und konfrontiert den Leser mit Erfahrungen, die kaum zu ertragen sind. Erschütternd sind immer wieder die Verzweiflung und der Strudel der Verleugnungen, in die die Opfer der seelischen und häufig auch physischen Zerstörungen hineingeraten.

Die Lektüre erfordert Aufmerksamkeit und Konzentration, um der Vielfalt der angeführten Ereignisse und Zustände zu folgen.

Ein ernstes und nachdenklich stimmendes Buch!

Julian Barnes
Der Lärm der Zeit
256 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Februar 2017
ISBN-10: 3462048880
ISBN-13: 978-3462048889
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Daniel Schreiber: Zuhause

Daniel Schreiber: Zuhause

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Wie und wo finden wir den Ort der Heimat?

Daniel Schreiber beginnt seine Reflexionen über „Zuhause“ mit einem Gang durch das frühlingshafte London. Er beschreibt in poetischen und anrührenden Worten die vielfarbige Blumenpracht und das frische Grün des Frühlings. Bei seinen Überlegungen, was für ihn „Zuhause“ bedeutet, kommt er zu einer tiefsinnigen Betrachtung dessen, was dem Menschen Zuhause sein kann. Ist es ein Ort der Bestimmung? Führt Heimat und Zuhause zur Identitäts- und Sinnfindung? Bedeutet es den Ort, der Geborgenheit und Sicherheit verheißt?

In seinem Essay über seine Kinder- Jugend- und späteren Jahre gibt er seinen eigenen Weg preis, mit dem er sich lange Jahre auseinandergesetzt hat. Er wuchs auf der brandenburgischen Seenplatte auf, kann dem aber als Heimat später nichts mehr abgewinnen. Zu bitter waren die ersten Schulerfahrungen mit einer sadistischen und linientreuen Stasi- Lehrerin, die ihn quälte.

Aus dem zuerst so poetischen Beginn entwickelt sich zunehmend ein theoretisches und philosophisches Gedankenspiel mit ganz handfesten Berichten über eine Jugend, die mit dem Makel der Homosexualität behaftet war.

In der DDR war es verpönt, zu dieser Spezies Menschen zu gehören, wie ja überhaupt das Tabu der Homosexualität erst in den frühen siebziger Jahren auch im so genannten Westen Deutschlands eine Änderung erfuhr. Im Wechsel mit Erinnerungen an New York, London und weiten Reisen, eigenen Lebenserfahrungen und geheimen Ängsten weiht uns Schreiber in die Tiefen psychologischer Einsichten über das Wachsen und Werden seines Lebens ein.

In einem Exkurs beschreibt er die Wanderjahre seiner Vorfahren durch Flucht und kriegsbedingte Vertreibung.

Aussagen von Philosophen, Soziologen und Psychoanalytikern bereichern die praktischen Einsichten, zu denen er in seinen Reflexionen kommt.

Es ist ein angenehm offenes aber keinesfalls indiskretes Bekenntnis, mit dem Daniel Schreiber über seine dunklen Stunden und die Suche nach dem wahren Zuhause aufwartet.

Die poetischen Passagen sind besonders reizvoll, weil sie unmittelbar eine zu Ort oder Stadt passende Stimmung wiedergeben.

Jeder mag ähnliche Erfahrungen und Entwicklungen erlebt haben, die in einer sich ändernden Welt mit großer Mobilität zu Entfremdungen und Neuorientierungen führen mag.

Daniel Schreiber
Zuhause
144 Seiten, gebunden
Hanser Berlin, Februar 2017
ISBN-10: 3446254749
ISBN-13: 978-3446254749
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Nicolaia Rips: Alles außer gewöhnlich

Nicolaia Rips: Alles außer gewöhnlich

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Eine Kindheit in ungebundener Freiheit und Sorglosigkeit

Wenn es etwas gibt, das umwerfend komisch und apart zu lesen ist, dann dieses Buch mit den Erinnerungen an ihre Kindheit von Nicolaia Rips. Sie wuchs in dem legendären Hotel Chelsea in New York City auf. Ihre Eltern lebten in diesem Hotel. Sie waren Lebenskünstler: der Vater ein vermögender Lebemann, die Mutter Malerin und Weltenbummlerin. Als die Mutter nach acht Jahren Ehe schwanger wurde, konnte sich der Vater damit nicht abfinden. Die Mutter begab sich daraufhin zunächst auf eine Weltreise, um nach der Geburt der Tochter mit Mann in Italien einzukehren.

Nach einigen Zwischenstationen trafen die Eltern mit ihrer Tochter erneut im Hotel Chelsea ein. Das Mädchen wuchs zwischen all’ dem wandernden Volk in der Lobby des Hotels auf. Eine gewöhnliche Kindheit war das nicht! Sie spielte mit den Erwachsenen, bekam hie’ und da Geschichten vom Vater vorgelesen, blieb aber im Allgemeinen sich selbst überlassen. Von skurrilen Gestalten umgeben, Fixern, Musikern und Dichtern, Tänzern, Schwulen und Theaterleuten, genoss sie ein von Konventionen unbeschwertes Dasein. Als sie zur Schule kam, fand sie ihre erste Freundin. Diese war die längste Zeit ihre Freundin gewesen, als Nicolaia bei einem Geburtstagsfest für ihren Vater einen Poolunfall mit zunächst ernsten Folgen verursachte.

Nicolaia Rips hat als Ergebnis ihres skurrilen Werdegangs eine umwerfend komische Diktion, mit der sie über ihre Erinnerungen schreibt. Sie wirkt unberührt und eher amüsiert über die einzelnen Stationen ihrer Kindheit und Jugend. Nichts vermag sie zu erschüttern, ja fast lakonisch berichtet sie auch über die Dinge, die anderen vielleicht Kummer bereiten würden wie z.B. die Aufkündigung der Freundschaft durch ihre erste Freundin Greta. Eine gewisse Naivität in der Wahrnehmung ihrer Umwelt gibt der Erzählung den Glanz des Außergewöhnlichen.

Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit teilt sich dem Leser mit, und man amüsiert sich unweigerlich. Gleichen doch die Erlebnisse teilweise so genannten Slapsticks mit darüber hinaus ausufernden fantastischen Kostümfesten. Eine Kindheit mit derartigen Freiheiten und Erfahrungen vermag fast den Neid jener zu erregen, die sich herkömmlichen Forderungen nach Leistung, ordentlichem Benehmen und Strebsamkeit gegenübersehen.

Man folgt den Lebenserinnerungen bis zum Ende der Schulzeit, denn auch über ihre Mitschüler vermag die Autorin die drolligsten Geschichten zum Besten zu geben.

Der Rahmen dieses ungewöhnlichen Daseins wird lebhaft vermittelt und man wünschte sich, einmal selber den Fuß in das legendäre Hotel Chelsea gesetzt zu haben. Hier verkehrten die bekannten Größen aus dem Pop und Kulturbetrieb des vergangenen Jahrhunderts wie Bob Dylan, Arthur Miller, Andy Warhol und so viele andere mehr!

Die Atmosphäre an dem Kultort ist unmittelbar nachzuempfinden: Räumlichkeiten mit überbordendem Interieur, Bilder, Fotos, alte Holzböden und verrauchte Tapeten geben dem Ganzen einen Hauch von Dekadenz und voluminösen Lebensrausch. Herrlich und erheiternd ist dieser nette Roman mit den wahren Erinnerungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu lesen!

Nicolaia Rips
Alles außer gewöhnlich
224 Seiten, gebunden
Nagel & Kimche, Februar 2017
ISBN-10: 3312010187
ISBN-13: 978-3312010189
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Ingeborg Gleichauf: Das Leben der Gudrun Enslin

Ingeborg Gleichauf: Das Leben der Gudrun Enslin

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Noch immer, auch nachdem so viele Jahre seit der RAF Zeit (Rote Armee Fraktion) vergangen sind, steht man dem Phänomen der Verwandlung von Gudrun Ensslin in eine militante Radikale ratlos gegenüber.

Es ist das Verdienst von Ingeborg Gleichauf, der Biographie von Gudrun Ensslin nochmals in allen Einzelheiten nachzugehen.

Bekanntermaßen stammte Gudrun Ensslin aus einem kinderreichen Pastorenhaushalt. Sie wuchs behütet und wohl versorgt an verschiedenen Wohnorten im Schwäbischen heran. Begabt und aufgeweckt konnte sie nach dem Abitur ein Studium in Tübingen beginnen. Fest verwurzelt in der Literatur war sie eifrig und intensiv bestrebt, ein Stipendium als Studienstiftlerin des Deutschen Volkes zu bekommen. Es dauert einige Zeit, bis die Gutachter sich zu einer Zustimmung durchringen konnten. Dabei fiel sie als fröhliche, kluge, analytisch denkende und fleißige Studentin auf. Nicht nur die Literatur auch die Philosophie haben es ihr angetan.

Aus der Bahn geworfen wurde sie eines Tages durch den Kontakt zu Berliner Studentenkreisen, die sich avantgardistische Gedanken über den Staat und seinen Zustand machten.

Sie lernte Bernward Vesper kennen, mit dem sie eine erste Liebe verband.

Vesper war eine in sich zerrissene Persönlichkeit, die mit der Nazivergangenheit des Vaters nicht zurechtkam. Gudrun hatte mit ihm bald einen Sohn. Als dann Andreas Baader ins Spiel kam, begab sich Gudrun ganz unter dessen Einfluss. Es wird berichtet, dass Baader eine faszinierende Persönlichkeit war, der Menschen in seinen Bann ziehen konnte. Er studierte nicht, machte sich aber schon früh in subversiver Manier zum Sprecher einer außerparlamentarischen Opposition. Nach dem unglücklichen und unschuldig zu Tode gekommenen Tod von Benno Ohnesorg im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen den Shah von Persien 1967 begann eine Zeit steter Unruhe und revolutionärer Gedanken unter den Studenten, zu deren Sprechern Rudi Dutschke gehörte. Damals war die Opposition noch nicht gewalttätig sondern stark intellektuell gesteuert.

Andreas Baader verführte Gudrun und zwei andere zum Kaufhausbrand in Frankfurt, weil die Revolution von unten die einzige Waffe gegen den nach seiner Meinung verrotteten Staat sei.

Damit endete Gudrun Ensslins Leben als bürgerliche Zeitgenossin.

Es ist müßig, hier nochmals alle Taten der bekannten Outlaws aufzuführen. Jeder weiß, wohin diese Zeit in den siebziger Jahren mit hinterhältigen Morden, Erpressungen und Zersetzungsversuchen gegenüber dem ungeliebten Staat führte.

Wichtig alleine scheint mir, wie Ingeborg Gleichauf sowohl die politische Entwicklung jener Jahre als auch die Besonderheit der Begegnungen aufführt, die fast schicksalhaft Menschen zusammenführte, deren Lebenswege dann in den Untergang mündeten.

Gudrun Ensslin, eine hoch begabte, intelligente, hübsche, empfindsame und nachdenkliche junge Frau aus gutem Elternhaus gerät wie durch einen Zufall in eine Falle des Abseits, in der sie jeden Halt und jede Vernunft ausschaltet. Ein Zurück gibt es nicht mehr, denn sie ist dem Gedankengut der Zersetzung und dem vermeintlich besseren Weg für ein demokratisches Deutschland verfallen. Handeln statt Denken wird zu ihrer Devise.

Am Beispiel der Figur von Gudrun Ensslin kann man erfahren, wie unwahrscheinlich und wechselvoll Lebensschicksale verlaufen können. Die Entwicklung zu einer revolutionären Rebellin ist nur im Zusammenhang zu verstehen, den die Radikalisierung gewisser Studentenkreise mit sich brachte und der Begegnung mit dem anarchisch gesteuerten Andreas Baader. Ingeborg Gleichauf hat sich intensiv in das Leben von Gudrun Ensslin eingefühlt, Zeugnisse gesichtet und Zeugenaussagen herangezogen. Letztlich bleibt es rätselhaft, wie weit sich ein Mensch von seinen Wurzeln entfernen kann und alle guten Gaben in den Dienst einer Sache stellts, die über alle Beteiligten nur Unglück bringen konnte.

Insgesamt ist das Buch eine lesenswerte Studie, die den Versuch macht, Motive und Handeln der betroffenen Personen verstehbar zu machen.

Ingeborg Gleichauf
Das Leben der Gudrun Ensslin
350 Seiten, gebunden
Klett-Cotta, Januar 2017
ISBN-10: 3608949186
ISBN-13: 978-3608949186
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Cristina De Stefano: Oriana Falacci, ein Frauenleben

Cristina De Stefano: Oriana Falacci, ein Frauenleben

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Die 2006 verstorbene Oriana Falacci war eine berühmte Reporterin italienischer Zeitungen und Feuilletons des vergangenen Jahrhunderts und Autorin zahlreicher Bücher.

Sie war eine streitbare Frau. Ihrer Herkunft nach war sie nicht prädestiniert dafür, eine große Karriere zu machen. Die Mutter, eine einfache Frau, tat alles für ihre sehr intelligente Tochter Oriana, um ihr eine akademische Laufbahn zu ermöglichen. Geboren 1929 schloss sich Oriana wie ihr Vater und ein bewunderter Onkel schon als ganz junges Mädchen dem Widerstand gegen das faschistische Regime des mit Hitler verbündeten Mussolinis an. Früh schon war sie aufmüpfig und kritisch und gelangte über Volontariate als Reporterin zu einschlägigem Zeitungen, für die sie jahrelange als Auslands-und Kriegskorrespondentin arbeitete.

Sie führte ein abenteuerliches Leben.

Längere Zeit wohnte sie in Los Angeles, um sich Schauspielern und deren Umfeld in ihren Reportagen zu nähern. Danach interessierte sie sich brennend für die Raumfahrt und lebte einige Zeit unter Astronauten, um mehr von deren Leben und ihren Motiven für die Raumfahrt zu erfahren. Sie war stets zur Stelle, wenn es um wichtige Reportagen ging.

In England begegnete sie ihrer großen Liebe Alfredo, der sie nicht liebte und ihr den Laufpass gab. Am Scheitern dieser Liebe ist sie fast zugrunde gegangen.

Nun war sie lange alleine und wollte sich nie wieder in eine Liebesabhängigkeit begeben.

Als Kriegsreporterin war sie fortan auf den damals wichtigsten Kriegsschauplätzen der Welt in Korea und Vietnam zu finden. Ihr Mut und ihre Schlagfertigkeit waren legendär. Die zierliche Gestalt und die beschriebene Schönheit standen ganz im Widerspruch zu ihrer draufgängerischen Natur, mit der sie keiner Gefahr auswich.

Insgesamt wird in der Biographie von Cristina De Stefano die Gestalt einer außergewöhnlichen Persönlichkeit herausgearbeitet. Mutig, hoch intelligent, charakterstark, unabhängig und eigenständig zieht uns die Persönlichkeit von Oriana Falacci ganz in ihren Bann. Man folgt ihren Abenteuern, ihren Liebeskümmernissen, ihren ungewöhnlichen Freundschaften, vor allem aber der einmaligen Eigenständigkeit, mit der diese Frau die Welt durch das geschriebene Wort für sich eroberte und ihren Weg ungeschönt und ehrlich ging.

In der Biographie von De Stefano wird immer wieder betont, wie scharfzüngig ihre Interviews waren. Sie konfrontierte ihre Interviewpartner mit gezielten Fangfragen, die diese zu unangenehm ehrlichen Antworten zwangen. Da sie mit den Jahren eine hoch angesehene Journalistin wurde, öffneten sich ihr zwangsläufig Türen zu ebenso hoch angesehenen Persönlichkeiten in Politik und Gesellschaft.

Das Leben von Oriana Falacci mutet selber fast an wie ein Roman. Es würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen, wollte man alle die Namen und Orte aufzählen, an denen sie sich aufgehalten hat. In der Toskana besaß sie ein Landgut, in dem ihre Familie wohnte. In Rom, Paris und New York hatte sie eigene Wohnungen. Als sie älter wurde, verlegte sie sich auf das Schreiben von Büchern. Dabei zeigte sich, dass sie eine besessene Arbeiterin war, die wochenlang in ihrem Zimmer verbleiben konnte, um zu schreiben.

Zuletzt rundet sich das Bild von ihr zu einer starken, nicht immer einfach zu ertragenden aber äußerst charismatischen Persönlichkeit.

Man ist fasziniert von dieser Ausnahmeerscheinung und liest das Buch mit Spannung und hohem Interesse. Es sind die Orte, Länder und Kontinente, die uns die Welt öffnen und uns am politischen Klima der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts noch einmal teilnehmen lassen.

Cristina De Stefano
Oriana Falacci
Ein Frauenleben
352 Seiten, broschiert
btb Verlag, September 2016
ISBN-10: 3442714168
ISBN-13: 978-3442714162
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Miriam Stein: Das Fürchten verlernen

Miriam Stein: Das Fürchten verlernen

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Miriam Stein hat mit dem vorliegenden Buch ihre Biographie geschrieben.

Sie wuchs als adoptiertes Kind in einer deutschen Familie auf. Als Säugling war sie in Korea an einer Straßenkreuzung aufgefunden worden.

Die Familie besteht aus Vater, Mutter und vier Kindern: zwei eigenen und zwei angenommenen. Die Kinder sind 14, 13, 9 und sechs Jahre alt. Als die Jüngste, Jessica, adoptiert wurde, ist die Familie komplett.  Letztere ist ein schwieriges und kaum zu bändigendes Kind. Seit ihrem Erscheinen wurde die Mutter von unerklärlichen Angstattacken geplagt. Diese führten zu einem vollständigen Stillstand ihres Lebens und betrafen die Familie mit.

Miriam Stein scheint ein sensibles und empfindsames Kind gewesen zu sein. Sie beobachtet dezidiert, was in der Familie passiert. Zuerst gehört dazu ihr andersartiges Aussehen. Die anderen sind blond und hellhäutig, sie ist eher dunkel mit schwarzem Haar und mandelförmigen Augen. Auf dem Titelbild ist sie eine hübsche junge Frau.

Wie lebt es sich in einer Familie, die langsam durch die Angsterkrankung der Mutter aus der Fugen gerät?

Man kann es sich durch die Schilderungen von Miriam Stein lebhaft vorstellen.

Kinderbesuch wird selten, und auch das übrige gesellige Leben der Familie erstirbt langsam. Der Vater bleibt immer länger auch über Nacht in Hamburg, wo er arbeitet. Miriam beginnt, sich zu einem renitenten Teenager zu entwickeln mit Hang zum Punk. Mit Anorexie und Bulimie zeigen sich bei ihr die Folgen der Angstkrankheit ihrer Mutter, die sie jahrelang miterlebt hat.

Bei aller Abnormität ihrer Krankheitssymptome werden die Konturen eines starken Charakters deutlich. Eine erstaunliche junge Frau beschreibt das Milieu der achtziger Jahre, den Mief und die Spießigkeit in ihrer Familie mit Haus, Auto und Karriere und einer von ihr erwarteten Konformität darüber, wie man zu leben oder zu arbeiten hat. Das alles wirft sie über Bord und startet ein eigenes Leben, das anderen Bahnen folgt.

Miriam Stein beginnt ihren außergewöhnlichen Lebensweg. Sie verlässt das Elternhaus und begibt sich über London und andere Großstädte nach Berlin. Dort kellnert sie und betreibt Fotografie und Film und versucht sich gar als Regisseurin.

Nach zahlreichen Umwegen und einem Leben der Boheme in Berlin Mitte begibt sie sich auf die Suche nach den Ursprüngen ihrer Herkunft und den  Behandlungsmöglichkeiten von Angststörungen.

Sie beschreitet einen abenteuerlichen Weg, kommt weit herum, befragt Therapeuten und Experten, um für sich selber einen Ausweg aus der auch für sie bemerkbaren Angst zu finden. Nach diversen Forschungserkundungen und eigenen Therapien beginnt sie, das Fürchten zu verlernen.

Der Reiz ihres Berichtes liegt in der Überschneidung von eigenem Erleben mit der Erforschung dessen, was Angst für Menschen ausmacht; welche Formen und Auswirkungen sie annehmen kann, und worin sich Angst und Furcht unterscheiden.

Miriam Stein zeigt mit ihrer Erzählweise eine Vielzahl von Forschungsergebnissen und Behandlungsmöglichkeiten auf. Ihre Schilderungen sind von reflektierter Genauigkeit. Im Kontext steht alles immer im Zusammenhang mit ihrer eigenen Biographie.

Die Autorin ist voller Lebensvitalität und Neugier. Auf diesem Wege ist ein spannender Lebensbericht entstanden. Das Leben der Autorin ist wie ein Roman. Sie fügt wissenschaftliche Erkenntnisse und eigene Erfahrungen in einen nachvollziehbaren Zusammenhang. Für interessierte Leser ist das Buch absolut lesenswert.

Miriam Stein wuchs in Osnabrück auf und lebt heute in Berlin.

Miriam Stein
Das Fürchten verlernen
270 Seiten, broschiert
Suhrkamp Verlag, Oktober 2016
ISBN-10: 3518467255
ISBN-13: 978-3518467251
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Peter Henisch: Suchbild mit Katze

Peter Henisch: Suchbild mit Katze

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Der Autor Peter Henisch erzählt in diesem Buch von seiner Kindheit. Es sind die ersten Erinnerungen, die er hat, und die dann folgenden in einigen späteren Jahren, die ihn bewegen. Es ist eine Zeit, die er auf etwas melancholische Art und Weise betrachtet und beschreibt. Was weiß man schon als kleines Kind von den Vorgängen? Und doch gibt es immer etwas, das ihm nahe ist und an das er sich auch im Alter sehr genau zurückerinnern kann. Seine Kindheit verbringt Peter Henisch in Wien in der Zeit nach dem Krieg. Er ist ein verträumtes Kind, das auch einfach mal damit zufrieden ist, mit der Katze aus dem Fenster zu sehen. Das Fenster wird zum Rahmen für Gedanken und Träume. Auch in diesem kleinen Umfeld gibt es immer etwas zu beobachten. Auch kleine Veränderungen können interessant sein und die Fantasie beflügeln. Langeweile kennt der kleine Junge nicht.

Ich habe diese Autobiographie sehr gerne gelesen. Zumal die Erinnerungen, trotz der schwierigen Zeit, auch immer wieder sehr schön sind. Ruhig fließen die Zeilen dahin, fließt die Zeit dahin. Peter Henisch ist noch zu klein, um zu verstehen. Er arrangiert sich mit den Gegebenheiten im zerbombten Wien und mit dem schwierigen Alltagsleben für seine Eltern, den anderen Familienangehörigen und den Nachbarn. Aber natürlich hat der Autor nun den Blick in seiner Gesamtheit auch auf das Zeitgeschehen gerichtet und sieht mit anderen Augen in die Vergangenheit zurück. Der Bogen wird bis in die Gegenwart gespannt. Es sind Momente, die ihn heute noch prägen, an die er sich nun erinnert. Ganz allein ist er mit seinen Gedanken nicht. Die Erinnerung findet statt im Rahmen einen Interviews mit einer jungen Frau, die seine Bibliographie kennt. Eine Auseinandersetzung mit Nachfragen wird hier also realisiert. Das hilft den Erinnerungen auf die Sprünge und lässt interessante Überlegungen zu.

Rezension von Heike Rau

Peter Henisch
Suchbild mit Katze
Deuticke Verlag
208 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3552063277
ISBN-13: 978-3552063273
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Matthias Brandt: Raumpatrouille

Matthias Brandt: Raumpatrouille

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Mit den vorliegenden Geschichten in seinem Buch „Raumpatrouille“ hat Matthias Brandt aus der Sicht eines kleinen Jungen seine Kindheit neu belebt: wie er die Welt sah, und wie er sich darin zurechtfand. Er ist in den siebziger Jahren in einem großen Haus in Bonn aufgewachsen.

Hier erzählt der Sohn vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt Episoden aus seinem Kinderleben.

Die Familie war ständig von Personenschützern umgeben. Natürlich kann der kleine Junge nicht so ganz ermessen, warum diese Umstände sein Leben bestimmen. Insgeheim beneidet er die anderen Jungs um ihre „normale“ Kindheit.

Er scheint mühelos durch seine Welt zu trudeln, die aus Spielen, seinem Hund Gabor und den mehr oder weniger geschätzten Wachleuten vor seinem Elternhaus, den Lehrern oder dem Postboten bestand. Ferner gab es da den komischen Nachbarn, der sich etwas seltsam aufführt, und es gibt das Vorsingen bei eben jenem Mann namens Heinrich Lübke.

Zwischendurch gelingt es dem Jungen immer wieder einmal, den Erwachsenen zu entwischen. Dann verlustiert er sich in den angrenzenden Wäldern oder Wiesen. Wie alle Kinder erfreut er sich an seinem Spielzeug und lässt seiner Fantasie beim Spielen freien Lauf. Zuweilen recht waghalsige Spielchen wie z.B. das Feuer in seinem Kinderzimmer werden ihm seitens der Erwachsenen nicht nachgetragen.

M. Brandt wollte nie auffallen. Er versteckte sich in der hintersten Reihe der Klasse, wenn es um öffentliche Vorführungen ging. Alles in Allem ist er ein ganz normaler Junge, der keine Extrawünsche für sich beanspruchte.

Naiv und bestrickend sind die Schilderungen, wie er bei seinem Freund Holger übernachtet und das spießige Bürgerleben als das Größte überhaupt betrachtet. Der Blick in die siebziger Jahre mit dem Mief der bürgerlichen Anständigkeit und dem bescheidenen Wohlstand sind von historischer Relevanz!

Der Autor ist hautnah in die Tage seiner Kindheit geschlüpft und eröffnet den Blick in eine kindliche Welt, die so, wie sie war, für ihn in Ordnung war. Humorvolle Passagen über seine Beobachtungen der Erwachsenenwelt lassen auf einen wirklich souveränen kleinen Kerl schließen!

Die Mischung aus Poesie, Fantasie, stiller Beobachtung und ganz authentischem Erlebnisbericht macht das Buch so attraktiv für den Leser. Hier rechnet niemand mit seiner Kindheit ab oder beklagt sich über entgangene Kindheitsfreuden. Im Gegenteil: dieser Junge hat eine liebevolle Mutter und einen fernen Vater, den er kaum vermisst. Er hat einen wachen Geist und zeigt ganz freimütig Gefühle der Furcht oder der Freude.

Das bescheidene und freundliche Kind hat einen Weg gefunden, in dem er seine ganz eigene Karriere zum Erfolg brachte: er wurde ein angesehener Schauspieler.

Matthias Brandt hat mit seinem Debüt über Episoden aus seiner Kindheit ein poetisches kleines Werk geschaffen, das erfreulich und genussvoll zu lesen ist.

Matthias Brandt
Raumpatouille
176 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, September 2016
ISBN-10: 3462045679
ISBN-13: 978-3462045673
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Can Dündar: Lebenslang für die Wahrheit

Can Dündar: Lebenslang für die Wahrheit

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Das Leben eines freiheitlich gesinnten Geistes in düsterer Zeit…

Can Dündar gehört zu einem unter vielen aufgeklärten und anerkannten Journalisten in der Türkei. Er war Chefredakteur der bekannten türkischen Zeitung Cumhuriyet und wurde zum Sprachrohr der „prowestlichen, demokratischen und säkularen Freiheitsbewegung seines Landes“, wie es auf dem Klappentext heißt.

Als er sich mit dem türkischen Geheimdienst schon unter der Ägide Erdogans anlegte, war es, als stäche er in ein Wespennest. Er hatte Waffenlieferungen des MIT (türkischer Geheimdienst) an Syrien aufgedeckt und publik gemacht.

Täglich gab es in der Türkei ab Beginn des Jahres 2015 Verfolgungen, Verhaftungen und Verdächtigungen gegen liberale Intellektuelle und Journalisten.

Jeder weiß, wohin das bis heute führte.

Im November 2015 wurde Can Dündar unter dem Verdacht der Spionage (Weitergabe von Geheimdienstangelegenheiten) in Untersuchungshaft genommen. In einer Art Tagebuch beschreibt er seine Beobachtungen und Erfahrungen mit dem zunehmend despotischen Regime unter Erdogan.

Erst mit dem Putschversuch am 15. Juli 2016, der glücklicherweise niedergeschlagen wurde, verschlechterte sich die Lage in der Türkei gegen jegliche Art von demokratischen Reformen oder Regungen.

Dündar drohte erneut eine lange Haftstrafe, und er trat die Flucht ins Ausland an.

Die Geschichte und politische Entwicklung in der Türkei ist verworren und für einen Außenstehenden schwer zu durchschauen. Insofern bietet Dündars Bericht eine Innenansicht über das, was in der Türkei momentan geschieht.

In seinem vorliegenden Buch beschreibt er sein Leben vor und während der Haft von November 2015 bis Ende Februar 2016.

Der Bericht ist detailreich, informativ und sehr menschlich in der Offenheit der Mitteilungen.

Zahlreiche Freunde, Kollegen und Bürger haben ihn beständig unterstützt und öffentlich gegen seine Inhaftierung protestiert. Ganz nebenbei erfährt man von seiner glücklichen Familie, seiner Frau Dilek und dem Sohn Ege, die ihm emotional tief verbunden sind.

Mit dem hier vorliegenden Bericht erfährt man zahlreiche Einzelheiten über den Alltag im Gefängnis Silivri. Hier sitzen vorwiegend gebildete und intellektuelle Persönlichkeiten ein, deren Ausstrahlung und Kraft eine stete Bedrohung für die Machthaber zu verkörpern scheinen.

Mit Einfallsreichtum und geistiger Potenz versucht Dündar, die Isolierzelle zu ertragen. Es kommen ihm immer neue Einfälle, sei es aus der Literatur, sei es aus Gedanken und Spielen, die ihn die harte Haft durchstehen lassen. Er ist trotz aller Unbilden voller Zuversicht und Hoffnung, dass er bald entlassen wird. Durch die schwere Zeit wird er getragen von der Zustimmung einer breiten Öffentlichkeit, vieler guter Kollegen, Freunde und immer wieder auch von Frau und Sohn. Teilweise sind seine Betrachtungen von feinfühliger, liebevoller und poetischer Kraft.

Hier ist ein warmherziger, freiheitlich gesinnter und liberaler Geist aus seinem Heimatland vertrieben worden, an dem er hängt, und für das er noch viel Gutes im Sinne von kultureller Prägung für eine freiheitliche Gesellschaft hätte beitragen können. Hoffen wir, dass die Verhältnisse in der Türkei eines Tages die Menge der liberalen und gebildeten Freigeister zurückkehren und zum guten Leben in der Türkei beitragen lassen werden! Als Appel dazu kann man das Buch von Can Dündar nur begrüßen.

Can Dündar
Lebenslang für die Wahrheit
304 Seiten, gebunden
HOFFMANN UND CAMPE, September 2016
ISBN-10: 3455504248
ISBN-13: 978-3455504248
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Sacha Batthyany: Und was hat das alles mit mir zu tun?

Sacha Batthyany: Und was hat das alles mit mir zu tun?

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Sacha Batthyany kommt eines Tages darauf, seiner Familiengeschichte nachzugehen, die in ihrer Entstehungsgeschichte viele Jahrhunderte zurückreicht und dramatische Züge während des dritten Reichs annahm.

Er entstammt einer angesehenen österreich-ungarischen Adelsfamilie, die einige hervorragende Persönlichkeiten und Staatsämtern hervorgebracht hat.

Nicht diese aber interessieren den Autor vordergründig. Er kommt eines Tages darauf, dass eine Großtante die Gräfin Margit Thyssen-Bornemisza war. Sie hatte den Bruder des Großvaters von Sacha geheiratet. Im Gegensatz zu den Batthyanys war sie sagenumwoben reich und ermöglichte ihrem verarmten ungarischen adeligen Mann nach dem Zweiten Weltkrieg ein komfortables Leben.

Eines Tages erfährt Sacha, dass sie an einem Judenmassaker kurz vor dem Ende des Krieges in dem kleinen Ort Rechnitz in Burgendland beteiligt gewesen sein soll. Eine Nachfahrin dieser getöteten Juden ist Agnes, die Sacha in Buenos Aires aufsucht. Hier beginnt eine Geschichte, die die weitverzweigten Familienereignisse zum Leben erweckt und den Autor auf eine weite Reise in die Vergangenheit führt.

Die Erinnerungen setzen sich aus den verschiedensten Begegnungen und Gesprächen zusammen. Nachforschungen und Reisen in die entferntesten Ecken der Welt ermöglichen die Rekonstruktion des Verbrechens an den Juden im Jahr 1945.

Man liest sich ein in die Konstruktion eines tagebuchartigen Schreibens, in der dieser oder jener fiktiv oder direkt zu Worte kommt. Wie so vielen Nachfahren der Kriegsgeneration ergeht es auch dem Autor: man spricht nicht über die Zeit und über die Verbrechen, durch die das Nazireich zu unrühmlicher Bekanntheit gelangt ist. Man kommt der Wahrheit nur durch beharrliche Nachforschungen auf die Spur.

Teilweise spricht Sacha bei seinem Psychoanalytiker über seine Empfindungen, Erinnerungen und Wahrnehmungen. Dadurch bekommt der Bericht ungewöhnliche Tiefe und zeigt selbstkritische Reflexionen. Den Leitfaden zu seinen Nachforschungen aber bildet das Tagebuch seiner Großmutter.

Es macht ein wenig Mühe, den einzelnen Strängen der Erzählung zu folgen. Den Verbrechen der Nazis sind auf vielfältigen Wegen viele Menschen als Täter oder Opfer erlegen. Dem weitverzweigten Gebilde aus Schuld und Sühne zu folgen, ist die Aufgabe, vor dem man bei der Lektüre dieser Zeilen steht.

Familiengeschichten können spannender sein als ein Roman. Sacha Bhattyanys Geschichte ist so eine Geschichte: warmherzig, wahrhaftig, schrecklich, menschlich und unglaublich!

Sacha Batthyany

Und was hat das alles mit mir zu tun?
256 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Februar 2016
ISBN-10: 3462048317
ISBN-13: 978-3462048315
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