Manil Suri: Shiva

Manil Suri: Shiva

Indien, das Land der Geheimnisse, der politischen Unruhen und der auseinander driftenden Interessengruppen bietet den Plot zu vorliegenden Roman von Manil Suri.
Tief in die Sitten und Gebräuche indischen Lebens führt uns der Autor hinter die Kulissen eines Landes, das auch heute noch für uns fremdartig und von ungeheuren sozialen Unterschieden gezeichnet ist.
In den einfachen Hütten und Häusern der Armen gibt es kaum Strom oder fließendes Wasser, während die besser gestellten Bürger mit Klimaanlagen und westlichem Komfort leben können.
Als Meera sich in den Liebhaber ihrer Schwester Roopa verliebt, die längst eine bessere Partie für sich im Auge hat, weiß sie nicht, auf was für ein Leben sie sich einlassen wird.
Der Vater der beiden Mädchen, ein gebildeter Verleger, wurde schon als Kind mit einem Mädchen verheiratet, das weder lesen noch schreiben kann. Er ist ein guter Vater, der nur das Beste für seine Kinder will. Mit Entsetzen nimmt er zur Kenntnis, dass sich Meera mit dem kommenden Schlagersänger Dev eingelassen hat. Ausgestattet mit einer für die armselige Schwiegerfamilie hervorragenden Aussteuer, kann diese sich nur freuen über das neue Familienmitglied. Erst nach der Hochzeit mit dem hübschen und verwöhnten Söhnchen aus armem Hause ahnt Meera, welche Entbehrungen sie in der neuen Familie auf sich nehmen muss.

Mit Dev durchlebt sie schwere Zeiten, denn er ist unzufrieden in einem unter geordneten Beruf und träumt von seiner Sängerkarriere. Meeras Vater schmiedet den Plan, seine Tochter studieren zu lassen. Trickreich und unter schweren Opfern für seine Tochter kommt er seinem Ziel langsam näher.

Meera geht mit Dev nach Bombay, wo der Vater Studium und Wohnung bezahlt und dem Schwiegersohn bei der Verwirklichung seiner Sängerkarriere behilflich ist.
Meera schlägt sich schlecht und recht durch. Sie versucht Dev eine gute Frau zu sein, ist ihm willfährig, doch es zeigt sich, dass er von schwachem und labilem Charakter ist.

Einblicke in die beiden unterschiedlichen Familien zeigen das soziale und das Bildungsgefälle in dem übervölkerten Staat.

In seinem groß angelegten Indienroman lernt man die Zeiten nach der Unabhängigkeitserklärung von 1955 kennen. Unruhen zwischen Moslems und Hindus teilen in Geiste und Mentalität die Familien. Meeras gebildeter Vater ist liberal und offen, Devs Familie, die einen Bahnwärter zum Familienoberhaupt hat, ist eng im Denken und hängt der Organisation der Hindus an, die den Moslems feindlich gesinnt sind.
Die Auswirkungen der Schichtunterschiede sind beträchtlich. Sowohl die Lebensform, die Denkweise als auch das Miteinander der Familienmitglieder ist durch auffallende Unterschiede gekennzeichnet. Meera geht einen mühsamen Weg zwischen Tradition und Moderne.
Der Autor bietet Einblicke in das Innere des Landes und seiner Bevölkerung und in Konflikte, die sich aus Bildungsunterschieden, Armut, Hoffnungslosigkeit, Lethargie und dem Lebensstandard einzelner Bevorzugter ergeben. Meera ist die zentrale Figur, auf die sich die Potenziale aller Möglichkeiten konszentrieren. In ihrer Figur sieht man sich mit den Widersprüchen konfrontiert, die sowohl die politische, traditionelle und mit den Gegenwartslösungen befasste Realität für jeden Beteiligten bedeutet.

Ein unfassendes Bild indischer Wirklichkeit ist entstanden, das verwirrend, glaubwürdig und folgerichtig in der Darstellung und spannend zu lesen ist.

Manil Suri
Shiva
Gebundene Ausgabe: 496 Seiten
Verlag: Luchterhand Literaturverlag (24. August 2009)
ISBN-10: 3630872891
ISBN-13: 978-3630872896
-> Diesen Buch jetzt bei Amazon bestellen

Gerhard Gemke: Der falsche Orden

Gerhard Gemke: Der falsche Orden

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Durch einen wirklich dummen Zufall werden Carl und Ede Küchenchefs im Knast. Da die beiden Landstreicher nicht kochen können, wird die Fantasie bemüht. So wird aus „Reis mit Ketchup“ dann „Risotto alla tomato“.
Hinter den dicken Gefängnismauern beweisen noch ganz andere Fantasie. Einige der Insassen sind ehemalige Mönche, die Mord zu verantworten haben. Trotzdem führt Klumpp die Geschäfte fort. Sein zweifelhafter Orden sucht stets nach gutgläubigen Mitgliedern, die man abzocken kann. Alles läuft übers Internet. Ein Glück, dass ein Wärter die Spielchen mitträgt.

In Bresel laufen die Weihnachtsvorbereitungen. Doch dann entdeckt Lisa eine Bombendrohung. Sie hat es geschafft, die seltsamen Schriftzeichen, die wiederum mit dem geheimnisvollen Orden zu tun haben, zu entschlüsseln. Natürlich kommt man den Mönchen schnell auf die Spur, auch wenn nichts bewiesen ist. Und klar wird die Bombe hochgehen, wenn die Mönche nicht auf freien Fuß gesetzt werden.
Doch möglicherweise ist noch etwas anderes im Gange. Lisa und ihre Freunde Jo, Jan und Freddie kommen einigen seltsamen Vorgängen in Bresel auf die Spur. Doch was das Ganze soll, können sie sich auf Anhieb nicht zusammenreimen.

Dies Gaunerkomödie ist ausgesprochen unterhaltsam. Der Autor schreibt in einer saloppen Sprache. Das bringt Schwung in die Geschichte. Das Lesen macht Spaß.
Die Handlung ist sehr turbulent. Zum Schluss hin geht es dann so richtig drunter und drüber. Das liegt auch an den handelnden Personen, die der Sache nicht so richtig gewachsen sind. Man hat keine Ahnung, wer da wem in die Hand spielt, wer sich nur blöd verhält und wer es wirklich ist. Die Polizei ist auf dem Holzweg, der Bürgermeister überfordert und so mancher Stadtbewohner beobachtet zwar Entscheidendes, ist aber nicht in der Lage zwei und zwei zusammenzuzählen. Die Gerüchteküche brodelt. Einzig Lisa und ihre Freunde scheinen der richtigen Spur zu folgen.

Das Buch hat also viele spannende Aspekte. Nicht zuletzt ist das auch die geheimnisvolle Stadtgeschichte von Bresel. Interessantes kann man hier auch noch einmal im Anhang lesen. Eine Karte von Bresel (mit Westen oben) gibt es ebenfalls.

Rezension von Heike Rau

Gerhard Gemke
Der falsche Orden
288 Seiten, gebunden
ab 10 Jahren
Verlag Carl Ueberreuter
ISBN-10: 3800054884
ISBN-13: 978-3800054886
-> Diesen Buch jetzt bei Amazon bestellen

Elisabeth von Arnim: Verzauberter April

Elisabeth von Arnim: Verzauberter April

Vier Damen unterschiedlicher Herkunft aus England machen sich Mitte der zwanziger Jahre auf, um einen ungestörten Urlaub in der Toskana zu verbringen. Ihrer Ehen überdrüssig, voller Sehnsucht, den Alltagstrott einmal hinter sich zu lassen, gestatten sich zwei von ihnen, verwegen auf eigene Faust sich diesen Urlaub zu gönnen.
Zuerst sind es nur zwei, die sich verabreden, ein Castello unweit von Genua mit Blick auf das Meer zu mieten. Als die Miete ihnen zu hoch erscheint, gewinnen sie noch zwei weitere Damen zu ihrem Plan dazu.

Abenteuerlich und wirklich zuweilen etwas irritiert über den eigenen Mut, gehen sie die Reise an. Das adlige Fräulein Caroline und die alte Frau Fisher sind die neu hinzu gewonnenen Partnerinnen dieser ungewöhnlichen Reise.
Was es an Zauber zu bewundern gibt,–sie geben sich gerne und aufgeschlossen dem Anreiz der malerischen und bunten Landschaft mit den fremden Blumen und Früchtedüften hin.

Allerdings zeigt sich alsbald, dass sich Hierarchien wie überall entwickeln, und dass ohne Aufsicht des Personals der tägliche Arbeitsablauf nicht gelingen will. Jede denkt, die andere soll es richten, und so entsteht ein gruppendynamischer Prozess, der es in sich hat.

Fein und detailliert beobachtet die Autorin die Eigenarten der einen wie der anderen. Sie weiß genau zu berichten, was in den Köpfen der einzelnen vor sich geht. Wie da gerangelt und innerlich gestritten wird, und wie eine jede versucht, die andere zu übertrumpfen oder zu unterjochen….
Jede hat ihr Schicksal, sei es mit einem ungeliebten Mann, sei es ohne einen Gemahl, oder bei der hübschesten, jüngsten und adeligen unter den vieren in Erwartung einer Zukunft mit Familie!
Man erlebt einen wirklich zauberhaften April in Italien mit dem blauen Meer, einem herrlichen Ambiente, liebevollem Dienstpersonal und einer schrulligen Mrs. Fisher, die sich zur Obergouvernante über alle anderen erhebt.
Es ist ein Lust, das kleine Büchlein zu lesen, das in das England der zwanziger Jahre entführt, bürgerliche Konventionen berührt und vier ganz verschieden geartete Charaktere in Gestalt der vier Damen lebendig werden lässt.

Elisabeth von Arnim Verzauberter April
Broschiert 273 S.
Insel Verlag
ISBN-10: 345834957X
ISBN-13: 978-3458349570

Martin Haberer: Taschenatlas Gehölze

Martin Haberer: Taschenatlas Gehölze

Gehölze sind im Garten unentbehrlich, im Hausgarten genauso wie im Park. Ihre Vielfalt ist groß. Mal ist es die Blattfarbe, die Blicke auf sich zieht, mal die Blütenpracht oder auch die Früchte, die sehr schmückend wirken oder sogar essbar sind. Diese Vielfalt ist unüberschaubar geworden, auch weil es viele fremdländische Arten gibt, die auch gut in unseren Gärten gedeihen. Das vorliegende Buch bietet Orientierung für den Nachwuchs im Gartenbau und der Floristik und natürlich für jeden Hobbygärtner.

Vorgestellt werden im Buch 727 Laubgehölze und 48 Nadelgehölze. Immer vier Porträts stehen auf einer Seite. Unter dem Foto findet man kleine Symbole. Man sieht auf den ersten Blick, wie groß die Pflanze ist, wie groß die Blätter, wann Blütezeit ist und ob die Pflanze giftig ist oder nicht. Unter dem wissenschaftlichen Namen und ihrer Familienzugehörigkeit findet man auch die deutsche Bezeichnung. Weiter geht es stichpunktartig mit Informationen zu Heimat, Wuchs, Blatt, Blüte, Frucht, Standort, Verwendung, Arten und einigen Hinweisen unter dem Punkt Sonstiges.
Im Anhang findet man Informationen zur Vermehrung der Gehölze, eine Literaturliste und ein Register.

Das kleine Buch ist sehr nützlich zum Nachlagen und Informieren. Man bekommt einen guten Überblick über die verschiedenen Gehölzarten, was sich gerade bei der Gartenplanung bezahlt macht. Auf besonders schöne Gartensorten wird aufmerksam gemacht. Die Pflanzenbeschreibungen sind sehr kurz gehalten, enthalten aber alle benötigten Informationen. In Verbindung mit dem Foto ist das ausreichend.

Rezension von Heike Rau

Martin Haberer
Taschenatlas Gehölze
320 Gehölze für Garten und Landschaft
2. aktualisierte Auflage
192 Seiten, 325 Farbfotos
Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart
ISBN: 978-3-8001-5944-4

Ulrich Wickert: Der nützliche Freund

Ulrich Wickert: Der nützliche Freund

Der bereits aus den vorhergehenden Kriminalromanen des ehemaligen Tagesthemen-Moderators bekannte Pariser Richter Jacques Ricou wird erneut ganz persönlich in einen Fall hineingezogen, zu dem er zunächst einmal dienstlich und auch so keine Beziehung hat. Aus der Zeitung erfährt er von den Machenschaften eines französischen Ölkonzerns in Deutschland beim Erwerb einer Raffinerie. Unverkennbar handelt es sich um die Leuna-Affäre. Seine Freundin, die mal mehr oder weniger auch seine Lebensgefährtin ist, recherchiert und ermittelt als Top-Journalistin Jahre nach Abschluss und Todschweigen dieser Affäre erneut, weil ein ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes sein Schweigen brechen und auspacken möchte. Durch Ricou‘s Freundin Margaux bekommt die ganze Sache einen privaten Aspekt und ist nicht mehr rein dienstlich zu betrachten. Während sich die Journalistin zwecks eines Interviews mit dem ehemaligen Agenten in dessen Appartement trifft, versteckt sie sich beim Klingeln an der Wohnungstür, um nicht auf unerwartete Besucher zu treffen. Kurz darauf wird der Agent tot und sie bewusstlos aufgefunden. Richter Ricou wird mit den Ermittlungen in diesem Fall betraut, jedoch ahnt zunächst keiner, dass es sich hierbei um die Fortsetzung der fast vergessenen deutsch-französischen Affäre handelt und der Richter selber unter Verdacht gerät.

Faszinierend gestrickt bleibt die Handlung, selbst der Hintermänner des Mordes und anderer Taten dem Leser nicht verborgen. In zwei Handlungssträngen werden einerseits die Ermittlungen in diesem Fall und andererseits die Auftragsvergabe für die Verbrechen durch ein Genfer Bankhaus beschrieben. Kapitelweise wird zwischen beiden Szenen gewechselt und im Falle des Bankhauses, welches seinen Reichtum im zweiten Weltkrieg mit den Geldern der Juden erwarb, die Skrupellosigkeit einer speziellen gesellschaftlichen Kaste dargestellt. Mithilfe der „Genfer“ Kapitel wird der Leser auf bevorstehende Aktionen vorbereitet und es werden bereits abgeschlossene Handlungen plausibel erklärt. Der Strang für die Ermittlungen beansprucht mit Recht einen erheblich größeren Teil der Romanhandlung und der Autor bringt all sein Können ein, um dem Leser in äußerst dramatischer und abwechslungsreicher Weise seine Liebe zu und dem Charme von Paris nahezubringen. Durch die Offenlegung der wahren Hintermänner stellt sich dem Leser also nicht die Frage nach dem Täter, sondern die, ob und wie der Richter die Hintermänner dingfest machen kann.

Da die Akten der tatsächlichen Leuna-Affäre beim Umzug der deutschen Regierung von Bonn nach Berlin plötzlich verschwunden und in Frankreich nur Handlanger verurteilt worden waren, bleibt natürlich viel Raum für Spekulation, den sich Wickert sehr geschickt zu Eigen gemacht hat. Alles, was zu recherchieren war, wurde recherchiert und anschließend gekonnt mit den fiktiven Spekulationen verbunden. Auf diese Weise scheint der Roman sehr nah an der Realität zu sein und könnte beinah reportagenhaft einen Überblick zur Leuna-Affäre geben. Die Handlung um den Richter herum scheint also in erster Linie die fiktive Handlung zu sein, wobei der Leser berechtigten Zweifel an der Fiktion bei der Beschreibung des französischen Lebensgefühls anmelden darf. Wer selbst schon einige Zeit in den Straßen, Bistros und Cafés in Paris verbracht hat, der wird bestätigen, dass Paris so ist, wie es in dem Buch beschrieben wurde. Die Gespräche in den Bistros, das Verhalten der Menschen und vor allem der Beamten scheinen eher ein echter Spiegel der Realität zu sein. Das Pariser Umfeld des Richters mit all seinen Freunden, Bekannten, Kollegen und Nachbarn wird sehr detailliert und angenehm geschildert. Somit lässt die Lektüre des Buches an dieser Stelle einen, wenn auch eingeschränkten, Hauch einer Reise nach Paris aufkommen. Ob das Gleiche für die offenherzige Zusammenarbeit der deutschen und der französischen Behörden gilt, wird der Autor selbst am besten einschätzen können.

Der Autor hat nie verschwiegen, dass er Frankreich und Paris liebt, warum sollte er es also in seinen Romanen verbergen. Aus diesem Grund ist „Der nützliche Freund“ nicht nur ein spannender, unterhaltsamer und flüssig zu lesender Kriminalroman mit dem Hintergrund einer früheren großen Politaffäre, sondern das Buch gleicht auch einer Reisebeschreibung von Paris. Es vermittelt ein Stück Paris und Pariser Lebensart und ist damit aber nicht nur für jeden Balkonien-Urlauber ein Muss.

_______________________________
Ulrich Wickert
Der nützliche Freund
Roman, 313 Seiten, Hardcoverausgabe
Piper Verlag GmbH, München
ISBN: 978-3-492-05020-3
_______________________________
© Detlef Knut, Düsseldorf 2009

Mikael Engström: Ihr kriegt mich nicht!

Mikael Engström: Ihr kriegt mich nicht!

Was in Miks Familie vorgeht, soll geheim bleiben. Niemand soll wissen, dass der Vater trinkt. Mik sucht Ausreden für ihn, wenn er nicht zu Elternabenden oder Elterngesprächen kommt. Auch die Schulpsychologin lügt er an. Doch die Leute vom Sozialamt sind der Familie auf der Spur. Mik macht die Tür nicht auf. Sein Bruder Tony hat es ihm verboten. Und doch passiert es. Als Mik Tony erwartet, macht er die Tür auf. Die Frau und der Mann versprechen Hilfe. Miks Vater hat diese gerade sehr nötig, er muss ins Krankenhaus.
Mik wird bei seiner Tante Lena untergebracht. Sie wohnt in einer einsamen Gegend, in einem kleinen Dorf im Norden von Schweden. Es gefällt ihm hier auf Anhieb. Er wird von Lena herzlich aufgenommen und unter den zwölf Schülern findet er Freunde, obwohl diese von seinen schwierigen Familienverhältnissen wissen.
Die Kinder haben eine Möglichkeit gefunden, sich ein Taschengeld dazuzuverdienen. Sie verstecken Katzen und verdienen sich dann, wenn sie die Katzen zu ihren Besitzern zurückbringen, Finderlohn. Doch als er Lena die Sache mit den Katzen verrät, kehrt die Einsamkeit zu ihm zurück. Er wird ausgegrenzt, weil Lena die Sache nicht auf sich beruhen lässt.
Trotzdem will Mik nicht wieder nach Hause. Doch nach Neujahr kommen die Leute vom Sozialamt wieder. Mik soll zu seinem Vater zurück.

Die Geschichte erzählt von einem Jungen, der unter sehr schwierigen Familienverhältnissen aufwächst. Der Vater trinkt und Bruder Tony gerät immer mehr auf die schiefe Bahn. Mik sehnt sich nach Ruhe und Geborgenheit und findet dies bei seiner Tante Lena. Die würde den Jungen bei sich behalten, doch sie darf nicht. So wird Mik herumgeschoben bis er schließlich bei einer Pflegefamilie landet, die ihm das Leben zur Hölle macht. Man liest mit wachsendem Entsetzten, wie die Lage für Mik immer unerträglicher wird. Der Junge sieht die angebotene Hilfe vom Sozialamt als Bedrohung an und hat in seinen Fall recht damit.

Erzählt wird hier eine sehr traurige Geschichte, die zu Herzen geht. Man erträgt sie im Grunde nur, weil der Autor trotz aller Ernsthaftigkeit, humorvolle Szenen eingebracht hat. Man liest also nicht selten mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Die Geschichte ist sehr sensibel geschrieben. Miks Gefühle werden mit Achtung behandelt. Er wird ernstgenommen. Und das macht das Buch sehr realistisch. Schließlich ist es Miks Durchsetzungsvermögen, das ihm letztendlich ein besseres Leben ermöglicht. Es ist ein langer Weg dahin, den man als Leser mit Spannung verfolgt.

Rezension von Heike Rau

Mikael Engström
Ihr kriegt mich nicht!
Aus dem Schwedischen von Brigitta Kicherer
267 Seiten, Klappenbroschur
ab 12 Jahren
Carl Hanser Verlag
ISBN-10: 3446233792
ISBN-13: 978-3446233799

Kerstin Tomiak: Drachenwind

Kerstin Tomiak: Drachenwind

Spannende Reportage aus einem geheimnisvollen Land!

Als sich Kerstin Tomiak nach Afghanistan aufmacht, um dort in Kunduz von 2006 -2007 ein Büro der Internationalen Friedenstruppe ISAF zu leiten, ahnt sie nicht, was auf sie zukommt.
Sie ist zuständig für die von der ISAF herausgegebene Zeitung und die Berichtserstattung aus Kunduz.

Abenteuerlich und überraschend ist schon der Aufbruch aus Deutschland bei der Suche nach dem richtigen Flug. In einer amerikanischen Transportmaschine erreicht sie schließlich Kabul, wo sie die ersten Nächte in abgeriegelten Lagern der ISAF verbringt. Mit einer anderen Journalistin zusammen unternimmt sie nächtliche Ausflüge in ein französisches Restaurant, das als Ausgangspunkt für viele Partys gilt. Die Fahrt durch das nächtlich Kabul bietet erste Einblicke in ein Land, das extrem fremdartig wirkt: es ist staubig, der Straßenverkehr ist ungeregelt, man sieht Frauen in Burkas oder Kopftüchern, die ihre Blicke gesenkt halten und Taxiunternehmen, die ausschließlich für die ISAF arbeiten, damit man sicher sein Ziel erreicht.
Ihre ersten Schritte zu Erkundung des Landes, Einblicke in die Feldlazarette, die zahlreiche Einwohner ärztlich betreuen und versorgen, das Leben im Lager zusammen mit deutschen Soldaten–es sind überwältigende Empfindungen, die sie faszinieren.
In Kundus darf sie mit den ISAF Truppen zu Einsätzen fahren. Sie bekommt Einblicke in afghanische Familien, lernt Frauen mit ihren Rechten, Pflichten und Lebensregeln kennen und beginnt einen regen Gedankenaustausch mit vielen Einwohnern des Landes. Dabei zeigt sich eine nachdenkliche Autorin, die ihre eigenen Wertmaßstäbe im Vergleich zu denen, die im Lande herrschen, auf den Prüfstand stellt.
Tolerant und einsichtig sieht sie, dass andere Länder und andere Sitten nicht unbedingt negativ zu beurteilen sind. Sie erlebt das Bedürfnis nach Freiheit, Bildung und Gleichberechtigung als den Landessitten angepasst. Nicht zuletzt ist es die Schönheit des Landes, die sie ganz in ihren Bann zieht.
Die Autorin beschreibt in ihrer leidenschaftlichen Reportage eindrucksvoll und aufrichtig ihre Eindrücke, die von Vielseitigkeit und Widersprüchlichkeit getragen sind. Ihr Bericht ist hoch aktuell angesichts einer Lage, in der die Friedensmission der Nato in eine Kriegsaktion zu kippen droht.
Kerstin Tomiak ist voller Neugierde in das Land gestartet, gewarnt von Freunden und Verwandten, die sich um ihr Wohlergehen sorgten. Ihr Interesse für das Land war jedoch vom ersten Augenblick an geweckt, so dass sie heute wieder dort lebt und arbeitet.

In einem Glossar kann man über die Bedeutung der ein wenig befremdlich wirkenden Abkürzungsbezeichnungen für die Internationalen Organisationen und ihre diversen Strukturen Informationen erhalten.

Kerstin Tomiak
Drachenwind
Broschiert: 288 Seiten
Verlag: Droemer/Knaur (1. September 2009)
ISBN-10: 3426782618
ISBN-13: 978-3426782613

Hans-Jörg Karrenbrock, Miriam Özalp: Abschied für immer

Hans-Jörg Karrenbrock, Miriam Özalp: Abschied für immer

Es gibt Dinge, über die spricht man nicht gerne. Und doch muss man sich auch diesen Themen stellen. Im Buch geht es um das Abschiednehmen, also um den Tod, der nun mal auch zum Leben dazugehört. Der Umgang mit diesem Thema ist nicht leicht, eine Begegnung aber unvermeidbar. Mit dem Ratgeber ist eine Annährung möglich. Die vielen Fragen, die man hat, werden hier beantwortet.

Aufgeklärt wird zunächst über das Geheimnis des Sterbens. Die Autoren erzählen, was mit dem Menschen passiert und mit seinem Körper. Es werden auch Vermutungen angestellt, was nach dem Tod kommen könnte. Dabei finden die verschiedenen Religionen Beachtung. Besonders interessant ist hier die Frage, ob der Mensch eine Seele hat.

Es ist ungeheuer traurig, zu erleben, wenn ein Mensch stirbt. Die Autoren leisten hier Beistand und vermitteln Trost. Ist es kein plötzlicher Tod, dann läuft dieser Vorgang meistens in bestimmten Phasen ab, die im Buch aufgezeigt werden. So lernt man die Gefühle des Sterbenden, aber auch seine eigenen ein wenig besser kennen. Auch die Frage, wie Sterbebegleitung aussehen kann, wird beantwortet. Gerade wer sich hilflos fühlt, findet hier viele Ratschläge.

Was nach dem Tod passiert, wird ebenfalls erörtert. Man erfährt, welche Bestattungsformen es gibt oder welche Rituale nun inszeniert werden. Auch mit der Trauer wird man nicht allein gelassen. Man erfährt wie andere sich fühlen, und diese Gefühle aufarbeiten. Und man liest, wie man den verlorenen Menschen in Erinnerung behalten kann.

Eingegangen wird im Buch auf konkrete und mögliche Situationen. Immer wieder sind Erfahrungen in die Texte eingegliedert. Die Autoren gehen sehr sensibel mit dem Thema um und zeigen sich ausgesprochen verständnisvoll, so dass die Lektüre des Buches tatsächlich schon für ab 10-jährige geeignet ist.
Es wird sehr offen umgegangen mit dem Thema. Die Autoren räumen auf mit Klischees, sind aber sehr offen für das, was Menschen glauben. Mit ihrem Buch versuchen sie Ängste zu nehmen und sie spenden Trost.

Rezension von Heike Rau

Hans-Jörg Karrenbrock / Miriam Özalp
Abschied für immer
Vom Umgang mit Trauer und Tod
128 Seiten, Klappenbroschur
ab 10 Jahren
Verlag Carl Ueberreuter
ISBN-10: 3800016117
ISBN-13: 978-3800016112

Majella Lenzen: Das möge Gott verhüten

Majella Lenzen: Das möge Gott verhüten

Eine Nonne auf Abwegen?

Was Majella Lenzen in ihrem Orden als Nonne und als Missionarin von 1959 -1992 in Afrika erlebte, hat sie aufgeschrieben und öffentlich gemacht, indem sie neben ihren menschlichen Erfahrungen über eine Kirchenordnung berichtet, die gravierende Realitätsnähe vermissen lässt.

Sie ist als junge Frau aus tief gläubigem katholischem Elternhaus in den Orden der Missionsschwestern vom Kostbaren Blut eingetreten, überzeugt davon, dass Missionsarbeit ihrem inneren Bedürfnis entspricht.
Schon früh gerät sie mit den strengen Ordensregeln in Konflikt, die sie jedoch nicht von ihrem weiteren Weg abhalten.

Ausführlich und überzeugend beschreibt sie, wie sie nach dem Ende ihrer Ausbildung zur Krankenschwester ihre ersten Erfahrungen in Afrika sammelt. Ihre Einsatzorte sind Kenia, Tansania und Simbabwe. In Tansania baut sie ein Krankenhaus auf, erfährt größte Armut, begegnet Patienten mit schweren Krankheiten und lernt das Leben unter ärmlichsten Bedingungen kennen. Sie ist erfüllt von ihrer Aufgabe, zu helfen und treibt Raubbau mit ihren Kräften, so dass sie mehrfach erkrankt. Voller Enthusiasmus widmet sie sich ihren Patienten, verantwortungsbewusst und getrieben von einem bewunderungswürdigen Elan. Mit wachem Blick und kritischem Bewusstsein beobachtet sie, was aus den ehemaligen Kronkolonien wird. Sie sieht sich täglich mit dem sozialen Gefälle und mangelnder Gerechtigkeit konfrontiert.

Den Konflikt ihres Lebens aber erlebt sie in der ständigen Auseinandersetzung mit der Amtskirche in Rom, die fern aller Lebensnähe ihre Regeln verkündet und jene, die sich widersetzen, ausgrenzt.

Der energisch betriebenen Verbesserung der Gesundheitsvorsorge werden durch absurde Ordensregeln Grenzen gesetzt. Kondome bleiben von der Amtskirche an höchster Stelle verboten, doch bieten sie die einzige Möglichkeit, der weit verbreiteten Seuche Aids in Afrika Einhalt zu gebieten. Sie lösen den Konflikt aus, an dem Schwester Lauda, wie sie mit Ordensnamen heißt, bei der Bekämpfung der Krankheit, die tiefes Leid und Unglück verursacht, scheitert.
Nach abenteuerlichen schweren Einsätzen an verschiedenen Orten in Afrika wird sie des Ordens verwiesen und kehrt enttäuscht aber nicht gebrochen in ihrem Glauben in ihre Heimat zurück.

Ein anrührendes Stück Menschlichkeit wird mit diesem Buch sichtbar. Die mutige, energische, aufopferungswillige und tatkräftige Frau hat mit ihrem Einsatz zahlreichen kranken Menschen in den afrikanischen Entwicklungsländern geholfen. Die Kirche würdigt nicht ihre Taten, sondern besteht auf der Erfüllung eng gefasster Glaubensregeln. Sie verliert den Überblick über das, was machbar und was hilfreich ist. Eine Kirche der Verirrung?
Die Gläubigen werden selber um menschlichere Rechte und machbare Glaubensauslegungen streiten müssen!

Majella Lenzen
Das möge Gott verhüten
Gebunden 288 S.
Dumont Verlag
ISBN-10: 383219519X
ISBN-13: 978-3832195199

Friedrich Ani: Totsein verjährt nicht

Friedrich Ani: Totsein verjährt nicht

Es ist einige Jahre her, seit die achtjährige Scarlett verschwunden ist. Es war Mord und Jonathan Krumbholz büßt dafür. Der geistig zurückgebliebene junge Mann hatte ein Geständnis abgelegt. Dass er es später widerrufen hat, ist ohne Bedeutung. Und auch dass die Leiche nicht gefunden wurde, ändert nichts daran. Kommissar Polonius Fischer ist dementsprechend überrascht, als ihn ein Brief eines ehemaligen Schulfreundes von Scarlett erreicht, der behauptet, das Mädchen gesehen zu haben.

Fischer hat nie so richtig an die Schuld von Krumbholz geglaubt. Doch als er jetzt noch einmal mit Scarletts Mutter und ihrem Lebensgefährten, von dem sie mittlerweile getrennt lebt, spricht, wachen die alten Zweifel wieder auf. Unbehagen erfüllt ihn. Doch ein Wiederaufnahmeverfahren anzustrengen, ist aussichtslos. So beginnt Fischer illegal zu ermitteln und kommt bald weiteren Ungereimtheiten auf die Spur.

Polonius Fischer hat seine professionelle Distanz diesem Fall gegenüber verloren. Möglicherweise weil seine Nerven blank liegen. Seine Freundin, eine Taxifahrerin, wurde überfallen und übel zugerichtet. Sie liegt im Krankenhaus. Deshalb nimmt er den Fall um Scarlett persönlich.

Der Krimi ist nicht im herkömmlichen Sinne spannend. Es gibt keine rasanten, spektakulären Szenen. Dafür hat er Tiefgang im psychologischen Sinne.
Fischer ist diesmal Alleingänger. Seine Kollegen ziehen nicht mit. Selbst Liz, seine berufliche Partnerin, versteht ihn nicht. Sie kann ihn aber auch nicht von seinen Plänen abbringen. Fischer beißt sich fest. Er gerät gefühlsmäßig ins Chaos und verstrickt sich.

Früher war Polonius Fischer einmal ein Mönch. Seine Denkweise ist also eine andere, als die seiner Kollegen. Er bekommt seine Gefühle nicht unter Kontrolle, gerät in eine psychische Ausnahmesituation. Der Autor vermittelt dem Leser dieses Gefühlschaos sehr genau. Das ist nicht einfach zu lesen. Man kommt selbst ins Nachdenken und Grübeln, gerät fast so wie Fischer an den Rand der Verzweiflung.
Der Blick, der auf die Personen gerichtet wird, die mit Scarlett zu tun hatten, geht tief. Hier tun sich Abgründe auf, die man nie für möglich gehalten hätte. Der Autor sorgt mit Nachdruck dafür, dass man sich dem nicht entziehen kann.

Rezension von Heike Rau

Friedrich Ani
Totsein verjährt nicht
284 Seiten, gebunden
Paul Zsolnay Verlag
ISBN-10: 3552054707
ISBN-13: 978-3552054707