Stéphane Audeguy: Das Leben des François Rousseau, von ihm selbst erzählt

Stéphane Audeguy: Das Leben des François Rousseau, von ihm selbst erzählt

Abenteuer und Aufbruch: Leben im 18. Jahrhundert.

Das Leben des François Rousseau wirft ein besonderes Licht auf das 18. Jahrhundert, das als das Jahrhundert der Aufklärung in die Geschichte eingegangen ist und mit der französischen Revolution endete.
Als Greis blickt François Rousseau auf sein Leben zurück und schildert in fiktiven Erlebnissen seinem Bruder Jean-Jacques sein vergangenes Leben.
Während der Bruder zu den großen Vordenkern der französischen Revolution gehörte und mit seinen
„ Bekenntnissen“ und vielen anderen Werken weltberühmt wurde und bis heute unvergessen blieb, frönte sein Bruder François den sinnlichen Genüssen und erfreute sich eines ausschweifenden Lebenswandels!
In Genf als erster Sohn seiner Eltern geboren, begegnete er schon in frühen Kinderjahren dem Marquis de Saint – Fonds, Sohn aus altem französischem Adel, der sich in Genf niedergelassen hatte. Die beiden ungleichen Freunde genießen gemeinsame Lehrstunden und gehen ihren sinnlichen Gelüsten nach.

Jean-Jacques wurde nach dem Tod der Mutter zum erklärten und verzärtelten Liebling des Vaters, während sich François alleine behaupten musste. Er ist gewissermaßen ein Antipode, der, wenngleich klug, das Leben aus der bodenständiger Position heraus betrachtet. Ein schwieriges, leichtlebiges und genussvolles Leben führt ihn von Ort zu Ort, und er lernt, sich in guten und schlechten Tagen durchzuschlagen. Aus Genf geht es unter abenteuerlichen Umständen nach Frankreich, der Hochburg des Feudalismus und der Knechtung der Armen. Er findet Freunde, Gönner und Gönnerinnen, und sein Leben verläuft reich an Höhen und Tiefen. Bei seinen Ortswechseln lernt er Reichtum und Armut, Ungerechtigkeit und Ausbeutung, Verluste von Menschenrechten und den Kampf ums Überleben kennen. Zuletzt erreicht er Paris, wo er sich in Philosophenkreisen bewegt und in Bordellen verkehrt und mitten hinein in die Unruhen der französischen Revolution gerät. Hier wird der Bericht ein wenig langatmig, zeigt jedoch zwei Brüder, von denen der eine der Denker, er andere der praktische Teilnehmer der französischen Revolution wurde. Francois lernt Diderot kennen, sitzt in der Bastille ein, entgeht seinen Henkern, trifft den Marquis de Sade und überlebt schließlich als alter Mann die Verfolgungen und Auswüchse der Jakobinischen Herrschaft.

Stéphane Audeguy hat den Ton der vorrevolutionären Stimmung getroffen und in eindrucksvollen Bildern in Szene gesetzt. Man fühlt sich als stiller Beobachter des jungen und älter werdenden Reisenden, und fiebert mit ihm seinen Abenteuern entgegen. Ärmliche Unterkünfte, bewegende Verführungskünste und dunkle Verliese lassen ein mittelalterliches Szenario lebendig werden, das einen berührt und gelegentlich das Fürchten lehrt. Verschiedene Lehrherren demonstrieren die herrische Grausamkeit, die als Mittel zum Zweck der Züchtigung an der Tagesordnung war. Soziale Missstände zeigen das Ausmaß der Ungleichheit und Verkommenheit, in der sich die Menschheit befand. Audeguy ist ein hervorragender Rechercheur und Interpret dieses von der französischen Revolution beherrschten Jahrhunderts. Sein Entwurf richtet sich strikt am Zeitgeist aus, so dass man fast überzeugt ist, es hier mit den richtigen Lebenserinnerungen des François Rousseau zu tun zu haben.
Und doch ist alles nur Fiktion!

Stéphane Audeguy
Das Leben des François Rousseau, von ihm selbst erzählt
Schirmergraf
296 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3865550439

Werner J. Egli: Black Shark

Werner J. Egli: Black Shark

Black Shark bei Amazon bestellen!Tarek und Omar befürchten ein Massaker in dem kleinen Dorf in Somalia. Aus dem Hinterhalt heraus töten sie deshalb die fremden Soldaten. Ihr weiterer Plan ist es, sich Black Shark anzuschließen. Die Regierung hat auf den gefürchteten Piraten ein hohes Kopfgeld ausgesetzt. Doch er hilft den Armen und genau das, wollen Tarek und Omar auch tun. Sie wollen sich dem Freiheitskampf anschließen.

Tommy ist Kombüsengehilfe auf der „Emma Lou“. Ziel des Frachtschiffes aus Großbritannien ist es, Hilfsgüter nach Kenia zu bringen. Doch aus dem, was der Junge hört, schlussfolgert er, dass möglicherweise noch eine gefährliche Ladung mit an Bord ist. Tommy wird allerdings bald von diesen Gedanken abgelenkt. Ein Fischkutter mit Flüchtlingen, die aus Libyen kommen, ist in Seenot geraten. Kapitän Rooney unterbricht die Weiterfahrt bis die italienische Küstenwache sich der Flüchtlinge annimmt. Ein Mädchen aus Somalia wird später noch aus dem Wasser gefischt. Sie muss an Bord bleiben. Kapitän Rooney überlegt sogar, sie später mit nach Europa zu nehmen. Auch, weil Nuria sich so gut mit seiner Tochter Amy, die mit an Bord ist, versteht.

Was der Kapitän nicht weiß, ist, dass er noch etwas anderes außer Hilfsgüter transportiert. Auch ahnt er nicht, dass Mitglieder seiner Mannschaft ihm gegenüber nicht loyal sind.
Black Shark plant den Frachter zu überfallen. Er hat es nicht nur auf die Hilfsgüter abgesehen, sondern auch auf die mitgeschmuggelten Waffen. Tarek und Omar wollen ihm helfen. Es scheint Schicksal zu sein, dass Nuria an Bord ist. Die beiden haben sie in dem Dorf kennen gelernt, das Tarek und Omar vor dem Überfall durch die Soldaten bewahrt haben. Omar ging Nuria seit dem nicht mehr aus dem Kopf.

Es ist ein modernes Piraten-Abenteuer, das dem Leser hier präsentiert wird. Dabei stehen die Jugendlichen Tarek, Omar, Tommy, Amy und Nuria im Vordergrund, die das Schicksal auf so dramatische Art und Weise zusammenführt. Es ist ein hartes Schicksal. Leichte Kost ist das Buch also nicht. Wer politisch interessiert ist, findet eine spannende und sehr brisante Geschichte vor. Viele Informationen wurden hier eingestrickt, gerade auch über Afrika und hier insbesondere Somalia.
Die Beweggründe der Handelnden werden nicht kritisiert, sondern vielmehr so dargestellt, wie sie sind. Gerade die Jugendlichen im Buch, die noch nicht über genügend Lebenserfahrung verfügen, ändern ihre Meinungen immer wieder. Sie müssen erst herausfinden, was falsche Leitbilder sind, welchen Informationen richtig sind und was sie im Leben erreichen wollen. Es ist Teil der Selbstfindung hier Fehler zu machen. Das wird mit dem Buch sehr schön vermittelt. Die Geschichte ist also äußerst realistisch gehalten.

Rezension von Heike Rau

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Werner J. Egli
Black Shark
192 Seiten, gebunden
ab 14 Jahren
Carl Ueberreuter Verlag
ISBN: 978-3800054961
ISBN-10: 3800054965

James Agee: Ein Todesfall in der Familie

James Agee: Ein Todesfall in der Familie

Familienfrieden, Glück und Zweifel; eine Geschichte von Glaubensfragen und unvorhersehbaren Schicksalsschlägen.

Knoxville in Texas, weit im Süden der USA gelegen, ist der Ort einer Handlung, die von der ersten Zeile an mit dramatischem Sog in ein schicksalhaftes Geschehen führt.
Atmosphärisch dicht und von tief innerlichen Gefühlen geprägt lenkt der Roman des bereits 1955 verstorbenen Autor James Agee die Aufmerksamkeit auf das Geschick einer jungen Familie, das fast in einer Art Kammerspiel dargeboten wird.
Umhüllt von heimeliger Dunkelheit und dem Sternenglanz kommen ein Vater und sein kleiner Sohn von einem Kinobesuch nach Hause. Das Leben zeigt sich friedlich, geborgen und trostreich. Die liebevollen Familienbande sind intakt und versprechen harmonische Idylle.
Catherine und Rufus, die beiden Kinder, gehen zu Bett.

Szenenwechsel: mitten in der Nacht schrillt das Telefon. Unruhig geht Jay, der junge Familienvater, ans Telefon. Jeder Ton und jeder Schritt wird verzeichnet, so dass eine untergründige Spannung entsteht.
In einem stockenden Telefonat berichtet der Bruder von Jay, dass der Vater erkrankt sei, wie schwer, ist kaum auszumachen. Zögerlich, zuletzt aber doch überzeugt, dass er besser gleich aufbricht, bereitet sich Jay auf die Nachtfahrt zu seinen Eltern vor. Liebevoll bereitet ihm Mary noch ein Frühstück und liebevoll ist der Abschied, fast, als wäre es für immer. Er denkt an die Kinder und versichert mehrfach, dass er schon morgen zurück sein werde.

Mary findet kaum Ruhe nach seiner Abfahrt. Sie hält Zwiesprache mit Gott, und aufmerksam hört man von einem Familienkonflikt, der das Glück überschattet: Mary ist fromm katholisch, Jay aber teilt ihren Glauben nicht. Sie fürchtet, dass die von ihr und ihrem Glauben geforderte katholische Erziehung der Kinder den Familienfrieden und den Zusammenhalt der Familie gefährden könnte.
Diese Szene ist grandios in ihrer dichterischen Aufbereitung.

In der Folge steigert James Agee noch die Spannung, denn
erst spät am nächsten Vormittag kommt ein Anruf, in dem von einem Unfall die Rede ist, vom dem Jay betroffen sei.
Das Protokoll einer Todesnachricht wird zu einem minutiösen Bericht des Unfallhergangs.

Wie die Verwandten sich um Mary scharen, was gesprochen, vermutet und befürchtet wird, das schwankt zwischen Hoffnung, ahnungsvollen Untergangsängsten, Glauben und Verzweiflung. Stimmungen und Gefühle, jeder Gang und jede Gebärde oder Verrichtung im Haushalt werden registriert. So entsteht ein genaues Abbild der Vorgänge, und man gelangt zu tiefen Einblicken in die Seelenzustände und Handlungen der Protagonisten. Fast fühlt man sich an Musil erinnert, dessen Gefühlswahrnehmungen ähnlich dauerhaft und präzise in seinem „ Mann ohne Eigenschaften“ abgehandelt werden. Der Zustand zwischen Realität und seelischer Befindlichkeit rührt an die Schmerzgrenze.
Die eingeschobenen Reflexionen einzelner bieten den eigenartigen und faszinierenden Eindruck von lyrisch vorgetragenen Gedanken, die fast Gebeten gleichen.
Der vom Vater an die Tochter gerichtete Satz: „Du musst immer daran denken, dass kein Mensch auf dieser Welt ein Vorrecht genießt. Jeden Augenblick kann die Axt auf den Nacken jedes Menschen niedersausen, ohne vorherige Warnung und ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit “ hinterlässt Schauer der Erschütterung mit seiner fast biblischen Weissagung.

Hinreißend ist die Beobachtung, wie ein Schmetterling aus dem versinkenden Sarg in den Himmel steigt. Symbolträchtiger geht es nicht, und symbolhaft beleuchtet er einen Religionskonflikt, der die Familiengeschichte unterschwellig durchzieht.

Nur drei Tage umfasst der Bericht, mit dem fast im Zeitlupentempo eine Aussage gelingt über das, was in den Empfindungen und Köpfen der einzelnen Familienmitglieder vor sich geht.

Wiewohl der Roman zur modernen amerikanischen Klassik gezählt wird, würde ich ihn aus der Menge der Neuerscheinungen als einen der besten dieses Frühjahrs herausheben.
James Agee wirkte in den vierziger Jahren als einflussreicher Drehbuchautor, Filmkritiker und Journalist in den USA. Sein unvollendet gebliebener Roman wurde in Deutschland 1962 zum ersten Mal auf Deutsch veröffentlicht. Nach seinem Tod wurde der Autor posthum mit dem Pulitzerpreis geehrt.

James Agee
Ein Todesfall in der Familie
C.H.Beck
368 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3406583889

Thomas Clavinic: Das Leben der Wünsche

Thomas Clavinic: Das Leben der Wünsche

Drei Wünsche will der Fremde erfüllen. Und weil der seltsame Mann so viel über Jonas weiß, ist er geneigt, im ein kleine wenig zu glauben. Jonas hat viele Wünsche. Sie auf drei zu reduzieren, ist ein Unding. Da er nicht auf den Kopf gefallen ist, wünscht er sich mehr Wünsche.

Nach diesem seltsamen Erlebnis holt ihn der Alltag wieder ein. Ein Alltag mit seiner Frau und den zwei Kindern, einem ungeliebten Job und seiner Geliebten Marie. Im Hinterkopf hat Jonas die Sache mit den Wünschen. Er kauft sich ein Los, gewinnt aber nicht. Im Büro stellt er dann fest, dass seine Aktien um fast 15 Prozent gestiegen sind. Das macht den entgangene Losgewinn wett.

Ein glücklicher Mann ist Jonas nicht. Er will seine Frau Helen nicht verlieren, aber auch mit Marie zusammensein. Von dem, was er sich wirklich wünscht, erfüllt sich aber nichts. Durch Ausprobieren ist er zu diesem Schluss gekommen. Der Alltag ist das übliche Chaos. Dann, wie aus dem Nicht und direkt vor seinen Augen, geschieht dieser Unfall. Ein LKW erwischt einen Mann, der Jonas wegen dessen Langsamkeit genervt hat. Einem Wunder gleich kommt, dass sein Sohn Chris, dessen Wachstum Grund zur Sorge gegeben hat, plötzlich ein paar Zentimeter in die Höhe schießt.
Dann geschieht etwas Unfassbares. Jonas findet seine Frau in der Badewanne besinnungslos vor. Seine Wiederbelebungsversuche zeigen keine Wirkung. Der herbeigerufene Notarzt kann nichts mehr tun. Helen erlag einem Herzversagen.
Später sitzt Jonas wieder auf der Bank. Da, wo er den seltsamen Mann traf, der ihm drei Wünsche erfüllen wollte. Es ist unfassbar für Jonas, was bisher geschah.

Im Grunde spielt sich hier eine ganz normale Geschichte ab, so wie das Leben sie tausendfach schreibt, wäre da nicht die Sache mit den Wünschen. Jonas scheint nicht viel drauf zu geben. Er probiert einiges aus. Manches läuft wunschgemäß, anderes nicht. Bald spielt es für ihn keine Rolle mehr. Für den Leser schon. Man verfolgt sehr gespannt den Lauf der Geschichte und beobachtet Jonas genau. Man kommt nicht umhin, sich zu fragen, inwieweit er sein Schicksal und das anderer durch seine Gedanken steuert. Der ein oder andere geheime Wunsch ist darunter. Der Verdacht liegt also nahe, dass Jonas das Geschehen wenn auch nicht immer bewusst, so doch durch sein Unterbewusstsein steuert.
Nach und nach entsteht eine sehr drückende Atmosphäre. Spätestens als Jonas’ Frau Helen unter mysteriösen Umständen stirbt, ist der Spaß vorbei.
Jonas befindet sich ab da in einem Zustand der Schwerelosigkeit. Die Trauer überfällt ihn ungebremst. Er läuft nur noch auf Autopilot.
Der Leser ahnt, das Jonas auf eine Katastrophe zusteuert. Unbehagen findet sich ein. Es ist ein Spiel mit den Erwartungen des Lesers. Wirklich sehr gelungen! Man liest nicht einfach so, man wird beschäftigt. Der Anfang der Geschichte kommt einem Märchen gleich, später wird daraus der blanke Horror.
Dabei erzählt der Autor im Grunde seine Geschichte sehr sachlich. Es ist die eigene Fantasie, die beim Lesen nicht im Zaum zu halten ist. Das ist eine sehr interessante Erfahrung!

Rezension von Heike Rau

Thomas Clavinic
Das Leben der Wünsche
320 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN: 978-3446233904

Georg Diez: Der Tod meiner Mutter

Georg Diez: Der Tod meiner Mutter

Todesfälle in der Familie : eine Selbstbeobachtung.

Eine Vielzahl von Büchern erscheint jedes Jahr auf dem Buchmarkt, in denen Menschen ihre Todeserlebnisse protokollieren, den nahenden eigenen Tod oder den von Angehörigen.
Tod und Leben gehören zusammen: das sagt sich so leicht! Aber wie sieht die Wirklichkeit aus?
Georg Diez ist einer von jenen, die sich mit der Erinnerung an den Tod der Mutter etwas von der Seele geschrieben haben. Seine Form ist die einer differenzierten Reflexion über eine Mutter, deren Leben ganz im Zeichen der Veränderung stand.

Sie stammte aus einem bürgerlichen Elternhaus, in dem viel Schein und Verlogenheit herrschte. Die Großeltern von Georg Diez gehörten zu jenen Jahrgängen, die den Krieg überlebt hatten und mit der alten Welt ihre eigenen Lebensvorstellungen begraben mussten ohne neue an ihre Stelle setzen zu können. Kinder aus diesen Familien, Georgs Mutter also, gehörten häufig zu den Revolutionären der 68 ziger Generation, die gerne ihre Herkunft über Bord warfen. Sie wussten mit der Zerrissenheit und der unter autoritärem Gebaren verborgenen Scheinheiligkeit ihrer Eltern nichts anzufangen. Protest und Aufruhr waren die Zeichen der Zeit, in die Georgs Mutter hineingeriet. Das Ergebnis war eine tiefe gefühlsmäßige Verunsicherung, die gekoppelt war an eine unbeugsame Selbstbestimmung und die Trennung von ihrem Mann. Nach dem frühen Ende der elterlichen Ehe lebte der Autor abwechselnd beim einen oder anderen Elternteil. Er beschreibt sensible, atmosphärisch deutlich nachspürbare Augenblicke der Fremdheit, die es zwischen seiner Mutter und ihm gab.
Während ihres Sterbens bemüht er sich darum, ihr die angemessene Fürsorge angedeihen zu lassen, und er will wissen, wer sie ist!
Fragen nach der Selbst- und Fremdbestimmung sind Teile seiner Reflexionen, so dass es hier auch um eine Familienstudie geht. Hat die viel beschworene Selbstbestimmung der Mutter ihr wirklich nur Glück und nicht auch Isolation und Einsamkeit beschert?

In seinen Erinnerungen berichtet Georg Diez schonungslos über seine wechselnden Gefühle. Sein eigenes Leben ist angefüllt mit beruflichen und privaten Verpflichtungen. Schwankend zwischen Schuld, Sorge, Angst vor dem Verlust und Ärger über die ständigen Störungen wurden die Gedanken über den Verfall der Mutter ständige Begleiter seines Alltags. Bemerkenswert sind die ambivalenten Gefühle, mit denen die Lebenden den Wechsel zwischen der Aktivität des Alltags und der Teilnahme an der Trostlosigkeit des Untergangs erleben.

Minutiös zeichnet der Autor die Beobachtungen mit der Konfrontation des Todes als existenzielles Erleben auf.
Die Suche nach den Wurzeln der Gemeinsamkeit zwischen ihm und seiner Mutter ist Bestandteil seiner inneren Rückschau.
Es stellt sich hier die Frage, wem die Veröffentlichung dieser Bekenntnisse dienen soll. Ist sie womöglich eine Form exibitionistischer Selbstdarstellung?
Die Begründung liegt ganz einfach neben der Selbstbefreiung im Lerneffekt für andere!
Die Konfrontation zwischen Eltern und Kindern im Angesicht des Todes sind noch viele Erinnerungsbücher wert!

Georg Diez
Der Tod meiner Mutter
Kiepenheur & Witsch
208 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3462041422

Petra Dietz / Eva-Grit Schneider: Mein Hamster zu Hause

Petra Dietz / Eva-Grit Schneider: Mein Hamster zu Hause

Hamster sind beliebte Haustiere. Bevor man sich einen dieser putzigen Tierchen ins Haus holt, sollte man sich eingehend informieren. Mit dem vorliegenden Ratgeber, in dem es um den Goldhamster und seine Zuchtformen geht, geht das gut.

Zunächst wird der Hamster allgemein beschrieben. Dann erfährt man Interessantes über Fell- und Farbvarianten und zur Geschichte.
Vor dem Kauf muss man einiges bedenken. Darauf wird im Buch genau eingegangen. Man erfährt, wie ein Hamster im Haus lebt und welche Vorraussetzungen man demzufolge schaffen muss, damit sich das Tier wohlfühlt. Was folgt ist eine Kaufberatung, nicht nur was den Hamster betrifft, sondern auch die Ausstattung.

Man muss vieles beachten, wenn man einen Hamster zu Hause hat. Im Buch wird erklärt, wie man von Anfang an richtig mit dem Tier umgeht und was es an Pflege braucht. Um es um die Ausstattung des Käfigs, die Fütterung oder die zu bewahrende Gesundheit geht, man wird sehr gut beraten.

Die Erklärungen im Buch sind sehr gut nachvollziehbar. Und ganz nebenbei bemerkt, die Fotos im Buch sind ausgesprochen gelungen. Das Wesen der kleinen Tiere wird in den Bildern sehr schön sichtbar. Man kann sich dem Charme der dargestellten Hamster nicht entziehen.
Der kleine Ratgeber ist also rundherum empfehlenswert und gerade für Anfänger in der Hamsterhaltung bestens geeignet.

Rezension von Heike Rau

Petra Dietz / Eva-Grit Schneider
Mein Hamster zu Hause
64 Seiten, broschiert
bede-Verlag
ISBN: 978-3898601610

Romain Gary: Die Liebe einer Frau

Romain Gary: Die Liebe einer Frau

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Hommage an die unvergängliche Liebe!

Mysteriös und sehr traurig beginnt die Geschichte von einem Mann, der die Liebe beschwört und die Melancholie über ihre Vergänglichkeit in jedem seiner Worte anklingen lässt.Er will von Flughafen Paris aus nach Caracas fliegen, kehrt jedoch spontan um und fährt wie magisch angezogen nach Paris zurück. Beim Aussteigen aus dem Taxi stößt Michel auf eine Frau, der bei dieser Gelegenheit alle Einkäufe aus der Hand fallen. Sie hat wunderschöne weiße Haare, entschuldigt sich, gibt ihm auf seine Bitten noch ihre Adresse und verschwindet.

Hemmungslos verwirrt sucht Michel daraufhin die Nähe der Frau, die er aus dem Taxi kommend angerempelt hat. Sie macht kein Hehl daraus, dass ihr Leben nach dem kürzlich erfolgten Unfall ihres Ehemannes und dem Tod ihres Kindes den Sinn verloren hat. Auch Michel hat Kummer, denn seine Liebste ist krank. Sie wird sterben, und er fühlt sich ohne sie als ein Nichts! Kurz vor ihrem Ende haben sie sich getrennt, unfähig, den Abschied in Kummer und Sorgen zu ertragen.

Zwei betrübte Geister suchen Schutz und Nähe und sind und bleiben von ihrer Trauer gezeichnet.

In kurzen Szenen versinkt Michel in Trauer, Schweigen und Verzweiflung. Er lernt einen Dompteur kennen, der mit einem rosa Pudel und Schimpansen im Varieté auftritt. Trostlos erscheint auch dieses Milieu. Was wollen die beiden Männer von einander, die sich fremd und in ihrer Trauer doch ähnlich sind? Michel sucht sein Ebenbild im Spiegel, weiß nicht mehr wie und wer er ist. Er gerät durch Lydia, die Bekanntschaft der Nacht, in die Kreise russisch-jüdischer Emigranten und man erlebt clowneske Begegnungen und verwirrende Gespräche, die um die wahre Liebe kreisen.

Gary hat die Liebe in verschiedenen Tonarten hier besungen: betrübt, himmlisch, begeisternd, unzerstörbar und doch vom Ende bedroht. Mit Sätzen wie diesen :. „ Die Freude eines Kindes oder die Zärtlichkeit eines Paares leuchten für alle, sie sind immer ein Platz an der Sonne. Und ein Verzweifelter aus Liebe, der an der Liebe verzweifelt, ist ein recht seltsamer Widerspruch “… ruft er den Zauber des Glücks herbei.

Als Vorbild für das unglückliche Ende einer Liebe kann die eigene Verbindung des Autors mit Jean Seberg gelten: Romain Gary und die Schauspielerin waren von 1962 bis 1970 ein Paar und nahmen sich im kurzen Zeitabstand von eineinhalb Jahren nacheinander das Leben. Er hat den Zusammenhang seiner Protagonisten mit sich und Jean Seberg zwar verneint. Der alternde Beau, weltgewandte Diplomat und Draufgänger und die blutjunge Frau suchten seiner Zeit Erfüllung beieinander: Zärtlichkeit und Fürsorge von seiner und Schutzbedürftigkeit von ihrer Seite, wie sie sich in den Fotos spiegeln, fanden zu einer glücklichen Symbiose, die schlussendlich an der Realität zerbrach.

Romain Garys Erzählung handelt von der Liebe, die für ewig gelten soll, und deren Untergang man nicht überleben kann.
Wie es im Einband heißt: es geht um den existenziellen Wert der Liebe, an den Gary fest glaubte, und dem er über alle Zeitströmungen hinweg das Hohelied sang.
Nach seinem Buch gab es einen Film von Jean Luc Godard, in dem Romy Schneider und Ives Montand die Hauptrollen spielen.

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Romain Gary
Die Liebe einer Frau
192 Seiten, gebunden
SchirmerGraf
ISBN: 978-3865550699
ISBN-10: 386555069X
Originaltitel: Claire de femme

Szilárd Rubin: Kurze Geschichte von der ewigen Liebe

Szilárd Rubin: Kurze Geschichte von der ewigen Liebe

Ungarn nach dem zweiten Weltkrieg: Jeunesse dorée und heißblütige Liebe.

In einer fast schwebenden Weise eröffnet der ungarische Autor Szilárd Rubin den Reigen einer Liebesbesessenheit, die während und nach dem zweiten Weltkrieg in Ungarn durchlebt wird.
Attila und Orsolya sind die beiden ungleichen Partner, die sich 1945 nach dem Ende des zweiten Weltkriegs in Ungarn wieder treffen. Sie kannten sich schon aus Kindertagen.
Attila geht seinen Träumen und Lebensplänen nach, ergeht sich in der Schönheit der Natur, erzählt von seinen Erlebnissen mit Freunden und begeistert sich für seine schöne Freundin. Er sehnt sich nach einem erfolgreichen Poetenleben. Seine Freundin Orsolya, die aus großbürgerlichem deutsch-ungarischem Elternhaus stammt, trägt die Wunden des verbrannten Dresden noch in sich, nachdem sie in ihr ehemaliges Elternhaus in Ungarn zurückgekehrt ist. Hat Attila in ihrem Elternhaus überhaupt eine Chance für ein Willkommen? Er gilt dort als erfolgloser Poet!
Freundschaften, Gespräche und die Nachkriegszeit bieten den Rahmen, in dem sich die Liebe der beiden Protagonisten abspielt. Es geht zwischen Romantik und Realität auf schwankendem Boden unermüdlich auf und ab zwischen den beiden. Überwältigende Szenen zeigen die Wollust der Sinne und den Zauber heißer Nächte, in denen sich Attila und Orsolya von der Tanzfläche schleichen, um im Teich des Parks ein Bad zu nehmen. „Zwischen den Bäumen hindurch schallte die Tanzmusik zu uns her, und wir sahen dem Gewirbel der bunten Kleider zu.“

Nostalgisch und exemplarisch werden Gefühlszonen berührt, die den vergangenen Krieg und das veränderte Europa mit bedenken. Zugleich negieren poetische Betrachtungen die Zeitspanne, in der die Grausamkeit des Krieges und damit einhergehend Ideologien die Gemüter verwirrt haben und der Jugend ihren Zauber nahmen. In einem Rausch der Sinne tanzt und feiert die Jeunesse dorée ganz unterschiedlicher Herkunft in euphorischem Gemeinschaftsgefühl, um sich im Vergessen zu üben. Es ist wie ein Tanz auf dem Vulkan. Nach dem Ende ihrer Studien zerstreuen sich die Freunde in verschiedene Richtungen, um erfolgreich in ihren Berufen zu arbeiten. Attilas poetische Übungen allerdings gelingen unter der neuen Herrschaft des großen russischen Übervaters nicht.
Attila und Orsolya können ihr Glück mit einander nicht finden und zermürben sich in einem von Hass gefärbten, besessenen und Besitz ergreifenden Liebeskrieg. In einer Art Metamorphose wird man Zeuge der Verwandlung einer großen Liebe. Attila sieht noch einmal im Rückblick die kleinen Mädchen seiner Kindheit mit ihren Samthöschen und kleinen Stiefeln,–aber es ist vorbei! Die Zeit der Unschuld und des Glaubens an eine glückliche Zukunft endet im Desaster der Unvereinbarkeit einer schönen Frau und eines unglücklichen Poeten, der zum Diener fremder Herren wird.

Tief berührt liest man Sätze von durchsichtiger Reinheit und sehnsuchtsvollen Erinnerungen. Rubins Beobachtungen umfassen Stimmungen und Gefühle, Trauer, Besessenheit und vergehendes Glück und das Ende einer großen Liebe. Mit feinfühligen Bildern geht er dem Hass und der Liebe auf den Grund, und man staunt über die Emphase, mit der sich seine poetischen Eindrücke in den Texten spiegeln.

In Lobeshymnen ergehen sich die Kritiken des frisch entdeckten ungarischen Autors Szilárd Rubin, der mit diesem neu aufgelegten Roman von 1963 seine Wiedergeburt erlebt. Von Proust bis zum „Großen Gatsby“ reichen die Vergleiche, und man kann sich dem auflebenden Ruhm nicht entziehen.
Das Buch bedeutet eine Entdeckung für alle Liebhaber der großen und einmaligen Werke der Literaturgeschichte!

Szilárd Rubin
Kurze Geschichte von der ewigen Liebe
220 Seiten, gebunden
Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3871346316

Benjamin Markovits: Manhattan Love Story

Benjamin Markovits: Manhattan Love Story

Manhattan, seine Einwohner und der ganz normaler Alltag.

Ein sonderbares Völkchen rückt da im heutigen New York in den Fokus: Lehrer, Unternehmensberater, ein schwuler Lehrer mit seiner plötzlich aufgetauchten Tochter, Ergebnis der kurzen Begegnung einer Nacht, die Frau und Mutter dieser Tochter und sein Freund Tomas…..

Die Personen bewegen sich im Dunstkreis einer teuren Privatschule.
Amy ist Lehrerin dort und hat zu thanksgiving, einem amerikanischen Erntedankfest, ihre Familie eingeladen. Die Atmosphäre ist gespannt, und alle scheinen das Treffen unterschwellig als peinlich zu empfinden. Man ist verlegen in Gegenwart der anderen. Amy hat einen gut verdienenden Freund, Charles Conway, aber so recht nahe kommen sie sich nicht. Man spürt die Unruhe und Melancholie, die über Freundschaften und Familienbanden liegt, denn Amy weint viel. Sie fühlt sich einsam.

Das erste Kapitel dieses Erzählbandes ist mit „Herbst“ überschrieben. Es folgen der Winter, der Frühling und der Sommer.
Im Winter begegnet man Howard Peasbody, der seinen homosexuellen Alltag mit dem jungen Tomas teilt. Howard wird eines Tages mit einer dicklichen und nicht sehr anziehenden Tochter konfrontiert, die er in einer verwegenen Nacht mit Annie gezeugt hat. Annie hat vergeblich versucht, ihn schon früher auf seine Tochter aufmerksam zu machen. Hin und her gerissen zwischen dem neuen Verhältnis und seinem bisherigen Leben, scheint alles in die Brüche zu gehen.

In einer Aneinanderreihung von Geschichten aus dem Alltag sich wenig berührender Protagonisten gilt es, einzelne Ausschnitte zu betrachten. Fast jeder ist in seinen Verhaltensnormen, in den Wünschen und Erwartungen erstarrt. Frühe Prägungen haben die Weichen vorherbestimmt, in denen die einzelnen Protagonisten ihren Weg machen. Auf unterschiedliche Weise sind alle auf der Suche nach dem Glück, nach Erfolg und Anerkennung. Vom Glück beseelt ist jedoch keine der Figuren.
Erwartungen zerschellen an der äußeren Realität, und schlecht und recht sieht jeder zu, wo er bleibt. Der schöne Goethespruch fällt einem dazu ein“ Eines schickt sich nicht für alle! Sehe jeder, wie er’s treibe, sehe jeder, wo er bleibe, und wer steht, dass er nicht falle!“ So ist das Leben, und so beschreibt es Markovits: Höhepunkte sind nicht die Regel, sondern das gewöhnliche Allerlei bestimmt die Tage und die Nächte. Fluchtversuche enden zumeist in der Wiederholung des schon einmal gelebten Lebens, und so lebt jeder sein Leben ab.

Es ist eine melancholisch gefärbte Geschichte, die mit psychologischer Tiefenschärfe die kleinen und großen Miseren des Alltags beschreibt. Die Gesellschaftsstudie ist reflektierend und beobachtend. Auf einen Spannungsbogen, der die einzelnen Schicksale zusammenführt, wartet man vergeblich.

Benjamin Markovits
Manhatten Love Story
276 Seiten, gebunden
Insel Verlag
ISBN:  978-3458174288

Viktor Lodato: Mathilda Savitch

Viktor Lodato: Mathilda Savitch

Leben zwischen Wahn und Wirklichkeit.

Für eine Halbwüchsige ist das Leben voller Geheimnisse und verborgener Genüsse. Mit vagen Erwartungen und stiller Neugierde beäugt man die Erwachsenen, deren Handeln man nicht immer begreift. Mathilda Savitch ist ein eigenwilliges, leicht widerborstiges und mit wachem Verstand ausgestattetes junges Mädchen. Sie ist fünfzehn Jahre alt, frech und aufmüpfig und hat eine empfindsame Beobachtungsgabe.

Monoton und witzig plaudert sie vor sich hin, und man erfährt so allerlei aus ihrem jungen Leben. So hört man, dass die Schwester Helene tot ist, und die Eltern seither sprachlos und stumm sind. Geheimnisumwittert bleibt der frühe Tod der Schwester, die eines Morgens vor einen Zug gestoßen wurde. Aus dem Schatten der naiv neugierig parlierenden Göre tritt ganz allmählich eine Familie in den Fokus, in der nicht alles so einfach, problemlos und taufrisch ist, wie es aussieht.

Victor Lodato hat seine einmalig sensible Erzählung mit vielen feinen Psychodetails ausgestattet!
Der Ton seiner Protagonistin Mathilda ist verwundert, fragend und naiv auf eine Weise, die anziehend und bestrickend ist. Düstere Wolken ziehen am Himmel auf, je tiefer man in die Familiengeschichte eintaucht. Man wähnt sich zuletzt zwischen einer möglichen wahren Geschichte und einem Psychothriller. Leicht verrückt und zuweilen von anrührender Komik bleibt der Autor die ganze Zeit bei der Hauptprotagonistin, aus deren Augen, Sinnen und Trachten man das skurrile und traurige Leben der kleinen Familie betrachtet.

Dass man sich so genau in die Gedanken – und Gefühlswelt einer Fünfzehnjährigen hineinversetzen kann, ist erstaunlich genug. Hinzu kommt die witzige und in skurrile Einfälle verpackte Sozialstudie einer Familie, die durch den unfassbaren Tod einer ums Leben gekommenen Tochter in Schockstarre geraten ist. Nur Mathilda scheint lebendig und neugierig in ihrer ungetrübten Unschuld und begibt sich unscheinbar und unaufdringlich auf die Suche nach dem Täter. Sie geht es ruhig und schlau an. Schon der Schattenriss des jungen Mädchens auf dem Buchumschlag zeigt sie auf der Suche: nicht nur nach einem Mörder, sondern auch nach ihrem eigenen Woher und Wohin. Der preisgekrönte Autor wird mit seinem Debütroman die Bestellerlisten erklettern!

Victor Lodato
Mathilda Savitch
220 Seiten,  gebunden
C.H. Beck
ISBN:  978-3406590740