Eshkol Nevo: Die Wahrheit ist

Eshkol Nevo: Die Wahrheit ist

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Der Roman befasst sich mit dem Schicksal und der Lebensgeschichte eines Schriftstellers.

Zufällig hat er den Namen Eshkol Nevo. Wenngleich es sich um einen Roman handelt, so erscheint die Erzählung doch wie die Autobiographie unseres Autors Eshkol Nevo. Er ist Israeli, lebt in Israel und ist um die vierzig bis fünfzig Jahre alt.

Hier erreichen ihn eine Reihe von Leserbriefen mit Fragen nach seinem Leben und Schaffen. Sie bilden den Auftakt zu einer Bilanz seines Lebens bis heute.

Was z.B. ist Nevo für ein Kind ist gewesen? Und wo steht er heute?
Er war viel sich selbst, seinen Erfahrungen, Ängsten und Fantasien überlassen.
Seine Frau Dikla hat gelegentlich ebenfalls schreckliche Albträume, die mit den ständigen Kriegs-und Terrorzuständen im Land zu tun haben.
Dikla, mit der ihn innige Liebe verband, geht auf Distanz zu ihm, nachdem er ihr von einer Affäre berichtet hat. Er leidet sehr darunter.

Der ganze Roman ist schließlich wie ein Interview gestaltet.
Fragen der Leser führen uns zur Lebensgeschichte des Helden. Er äußerst sich nach und nach zu allem, was sein Leben betrifft. Überschriften wie „Warum wird jemand Schriftsteller? Wusste er das schon immer? Wie biographisch sind seine Bücher? Woran arbeitet er gerade? Wie entstehen seine Frauenfiguren?“ führen uns auf die Spur zu seiner Biographie.

Wie erfahren so viel aus seinem Leben, dass wir am Ende sicher sind, der Autor selbst sei der Hauptprotagonist seines Romans.

Das Leben in Israel mit allen seinen Bedrohungen und Unruhen wird nachvollziehbar.
Die Palästina- Israelproblematik wird in die Handlung einbezogen, so dass man merkt: hier setzt sich einer mit diesem Konflikt kritisch und differenziert auseinander.

Der Roman ist in seinem Aufbau systematisch und seine Hauptperson folgt einem inneren Druck, sich zahlreicher Begebenheiten des vergangenen Lebens zu erinnern.

Moralische Skrupel, wie es um ihn selbst, den Schriftsteller, mit seiner Ehrlichkeit bestellt sei, lösen unendlich Folgefragen aus. Schließlich wird klar, dass dieses Wechselspiel zwischen Wahrheit und Fantasie in seiner Biographie und in seinem Verhalten bei seinem kleinen Sohn Irritationen auslöst.

Handelt es sich also in seinem augenblicklichen Status um eine handfeste Lebenskrise?
Die durchaus kritischen Selbsteinsichten sind tiefschürfend und lassen durchaus darauf schließen. Anmerkungen zu seinen Seelenzuständen und die momentane innere Zerrissenheit treiben den Autor um.

Feinsinnig und differenziert beschreibt Eshkol Nevo Situationen und Gespräche, wie sie stattgefunden haben könnten. Der Wechsel zwischen Icherzählung und immer wieder Gesprächen von Drittpersonen sind gelegentlich verwirrend.

Der Eindruck bleibt, dass es sich hier um ein analytisches Werk handelt, in dem Fiktion und Wirklichkeit unaufhörlich und oft unmerklich wechseln und alle Geschehnisse in einem fort hinterfragt werden.

Das Buch verspricht geistigen Hochgenuss!

Eshkol Nevo
Die Wahrheit ist
432 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, April 2020
ISBN-10: 3423282193
ISBN-13: 978-3423282192
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Karl Schlögel: der Duft der Imperien

Karl Schlögel: der Duft der Imperien

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Anhand von Düften Zeitgeschichte darzustellen, das ist eine originelle Idee. Karl Schlögel hat sich dieser Aufgabe unterzogen. Er beschreibt die Jahrhundertwende vom 19. bis weit ins zwanzigste Jahrhundert. Es geht um die Düfte von Chanel Nr. 5 in Frankreich und Rotes Moskau in Russland.

Noch herrschen in Russland die Zaren. Karl Schlögel bemüht eine Vielzahl der Namen von Personen, die an der Entwicklung der beiden Düfte maßgeblich beteiligt waren.

In Wirklichkeit geht es um die Zuordnung der Düfte, die unweigerlich mit Orten und mit Geschichte verbunden waren. Karl Schlögel erinnert an das berühmte Beispiel von M. Proust, dem bei dem Duft von Madeleines Erinnerungen an seine Urlaube mit seiner Großmutter kamen.

Sehr entscheidend bei der Namensgebung und Etablierung der beiden Düfte waren Polina Shemtschushina Molotowa in Russland und Coco Chanel in Frankreich. Molotowa war die Frau des späteren Außenministers der Sowjetunion, Molotow.

Coco Chanel ist die berühmte Modedame in Paris. Beide waren in die jeweiligen politischen Verhältnisse mit verwickelt.

Chanel hatte sich aus armen Verhältnissen stammend in die Welt der high society hochgearbeitet und verkehrte mit allen Großen von Rang und Namen der dreißiger Jahre. Sie war im Grunde unpolitisch wechselte aber gelegentlich die Seiten.

Ihre Kontakte pflegte sie in England ebenso wie in Frankreich und Deutschland. Unter ihnen gab es Künstler, Politiker und hoch gebildete Schichten aus Intellektuellen und Schriftstellern. Auf diese Weise konnte sie auch ihren Einfluss geltend machen, um ihren Landsleuten in prekären Situationen zu helfen.

In Russland ist es die russische Revolution, die das gesellschaftlichen Leben veränderte. Nicht aber die Sehnsucht nach den gepflegten Düften!

Molotowa agiert politisch und tritt 1918 der Partei der Bolschewiki bei. Nach langen Jahren politischer Arbeit wurde sie als Jüdin 1949 zu fünf Jahren Verbannung verurteilt.

Ihr Weg durch zahlreiche hohe Ämter in Politik und Wirtschaft findet ausführlich Erwähnung in den Darstellungen von Karl Schlögel. U.a. war sie auch für die Kosmetikindustrie tätig, daher ihre Verbindung zu dem russischen Parfum Rotes Moskau.

Im Mittelpunkt der beschriebenen Ereignisse stehen die dreißiger Jahre, in denen Nationalsozialismus, die Folgen der russischen Revolution, Verfolgung und Krieg zu den zentralen Ereignissen des Jahrhunderts wurden.

Viele interessante Einzelheiten zum Regime unter Stalin machen immer wieder Staunen, wie die Anhänger Stalins jede noch so infame Strafe hinnahmen, ohne von ihm abzufallen.

Der Autor hat zahlreiche Einzelheiten zu den gesellschaftlichen Verbindungen der beiden Frauen in ihrer Zeit parat. Er hat für seine Ausführungen alles gründlich recherchiert.

In der Gegenüberstellung der beiden Frauen Coco Chanel und Polina Molotowa ersteht ein ganzes Jahrhundert mit den unterschiedlichen Tendenzen: Luxus, Reichtum, Bürgertum (Chanel) gegen Funktionärsmacht, Intrigen, politische Dominanz in allen gesellschaftlichen Bereichen ( Molotowa).

Ein hoch gelungenes aber dank der unzähligen Namensnennungen nicht ganz leicht zu lesendes Werk. Für Geschichtsinteressierte eine ganz neue Art, die Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts zu betrachten.

Eine lange Reihe von Anmerkungen vervollständigen das Werk zu einem ausgezeichneten Zeitdokument auf dem Weg über die „Düfte“!

Karl Schlögel
Der Duft der Imperien
224 Seiten, gebunden
Hanser Verlag, 2. Auflage, Februar 2020
ISBN-10: 3446265821
ISBN-13: 978-3446265820
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Dora Heldt: Mathilda oder Irgendwer stirbt immer

Dora Heldt: Mathilda oder Irgendwer stirbt immer

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Mathilda könnte wirklich zufrieden sein mit ihrem Leben in Dettebüll, wäre da nicht ihre Mutter Ilse, die an Boshaftigkeit nicht zu übertreffen ist. Mathilda ist um Harmonie bemüht. Sie ist stets am schlichten und vermitteln und versucht heikle Themen unter den Teppich zu kehren. Ehemann Gunnar spielt brav mit. Beide wollen ihren Ruhestand genießen. Doch als dann auch noch die Dorfruhe gestört wird, reicht es Mathilda. Wie schön wäre es, wenn Ilse einfach weg wäre. Mathilda weiß, dass man so etwas nicht denken sollte. Doch der Wunsch manifestiert sich und so fällt Ilse beim Rauchen plötzlich vom Stuhl. Welche Kräfte mit im Spiel waren, kann niemand ahnen. Und doch verbreiten sich Gerüchte, die der Wahrheit bedenklich nahekommen und andere, die völlig daneben liegen. Mit der wohlverdienten Ruhe wird es auch nach Ilses Tod nichts. Der Bürgermeister versucht, mit Nachdruck wertloses Land aufzukaufen und Fremde, deren Motivation zunächst unbekannt ist, spionieren im Dorf herum. Immerhin kommt die Familie wieder zusammen. Mathilda und Gunnar haben einen Sohn, eine Tochter und zwei Enkelkinder, die wegen Oma Ilse nur selten zu Besuch kamen. Und sogar Mathildas Bruder Pit lässt sich nach ewig langer Zeit wieder im Dorf blicken. Doch geht es ihm weniger um die Familie. Er hat „geschäftliche“ Interessen.

Das Buch ist inhaltlich sehr vollgepackt. Im Dorf ist immer was los und die unterschiedlichsten Personen kommen ins Spiel. Mathilda ist immer ganz vorn mit dabei. Sie richtet ihre volle Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse und besonders gerne auf Dinge, die sie nichts angehen. Sie ist, ohne es selbst zu bemerken, außergewöhnlich geschickt darin, zu spionieren und andere zu manipulieren. Das macht die Geschichte sehr unterhaltsam! Dazu kommt der sehr lebendig wirkende Schreibstil der Autorin. Sie spart nicht mit schwarzem Humor. Es kommt zu haarsträubenden Situationen und häufig überschlagen sich die Ereignisse. Entsprechend macht es sehr viel Vergnügen, das Buch zu lesen sich von den sehr kreativen Wendungen überraschen zu lassen!

Rezension von Heike Rau

Dora Heldt
Mathilda oder Irgendwer stirbt immer
464 Seiten, Klappenbroschur
dtv Verlagsgesellschaft, März 2020
ISBN-10: 3423262494
ISBN-13: 978-3423262491
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Monika Helfer: Die Bagage

Monika Helfer: Die Bagage

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In einem Bergdorf in Österreich fernab größerer Siedlungen leben Maria und Josef mit ihren zahlreichen Kindern. Maria ist schön, so schön, dass sich ihrer Anziehung kein Mann entziehen kann.

Sie sind arm, leben in einer Hütte und gelten als die „Bagage“. Sie schlagen sich nur mühsam durch.

1914 muss Josef in den Ersten Weltkrieg ziehen. Er lässt seine Frau unter dem Schutz des Bürgermeisters im Bergdorf zurück.

Ein schöner Mann erscheint eines Tages: Georg! Er kam aus Hannover. Kurze Zeit nur weilt er hier. Dann ist er wieder verschwunden. Auch er kann sich der Anziehung der schönen Maria kaum entziehen. Was mag sich zwischen ihm und Maria abgespielt haben? Das Verhalten des Bürgermeisters treibt die Geheimnisse um die schöne Frau auf die Spitze.

Eine archaische Welt tut sich vor uns auf!

Die zentrale Figur dieser mit kurzen Sätzen und in einem stoischen Stil verfassten Geschichte ist die schöne Maria. Sie ist sehr auffallend. Von ihr geht eine erotische Strahlkraft aus, die fast alle Männer in Sehnsucht, Bewunderung und Begierde treibt.

Monika Helfer verfasst ihre Geschichte in Erinnerungssprüngen an die verschiedenen Generationen.

Maria ist die Großmutter, aus deren Schoß so viele Kinder geboren wurden. Mutter der Icherzählerin ist Marias Tochter Grete, ein Mädchen, dessen Herkunft während der Kriegszeit nicht so ganz sicher zu bestimmen ist.

Schaut Josef sie deswegen nie an und spricht auch nie ein Wort zu dieser Tochter? Hat er Zweifel an seiner Vaterschaft für dieses Kind?

Mit spröden Sätzen und in faszinierenden Bildmalereien ersteht ein Panorama, das Landluft und Natur mit einbezieht in die Geschichte einer großen Familie. Die Icherzählerin befasst sich mit den einzelnen Charakteren ihrer Onkel und Tanten, und es kommen skurrile Naturen zum Vorschein. Hervorstechend bleibt die Großmutter mit ihrer starken Anziehungs- und Verführungskraft.

In dieser Erzählung macht die Armut nicht hilflos und schwach, sondern sie erzeugt kraftvolle Menschen. Sie sind stolz und trotzen dem Hunger, der Kälte und der Armut. Auch verbindet die ganze Sippschaft eine enge Zusammengehörigkeit. Es gibt die Liebe, aber sie bleibt verhalten und man spricht nichts aus.

Zarte Beobachtungen der Natur und der Vogelwelt sind von poetischer Schönheit. Man fühlt sich hautnah dem Winter, dem Schnee und der Kälte ausgesetzt.

Die Autorin hat es geschafft, eine magische Welt zu beschreiben. Der Leser bleibt bis zuletzt im Banne der Geschichte und ist fasziniert, wie aus jedem skizzierten Leben eine ganz eigene Geschichte entsteht.

Das schmale Bändchen mit nur 158 Seiten hat das Zeug zu einem wirklich großen Roman.

Hervorragend!

Monika Helfer
Die Bagage
160 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Februar 2020
ISBN-10: 3446265627
ISBN-13: 978-3446265622
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Eric Berg: Die Mörderinsel

Eric Berg: Die Mörderinsel

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Kaum einer in Trenthin glaubt an seine Unschuld. Trotzdem wird Holger Simonsmeyer freigesprochen. Man kann dem Hotelbesitzer den Mord an einer jungen Frau aus dem Dorf nicht nachweisen. Seine Familie ist froh darüber, hat aber nicht mit dem Gegenwind der Dorfbewohner gerechnet, die in ihm weiterhin den Mörder sehen. Unter diesen Umständen ist es schwierig, das eigentlich sehr beliebte Hotel auf der Insel Usedom weiterzuführen. Als ein weiterer Mord geschieht, spitzt sich die Lage zu.

Die Journalistin Doro Kagel kann nicht fassen, was passiert ist. Das Haus der Simonsmeyers liegt in Schutt und Asche. Sie hatte über den Mordprozess berichtet, aber einen zweiten Artikel nicht für nötig erachtet, obwohl Bettina Simonsmeyer sie eindringlich darum gebeten hatte. Sie hatte die Frau abgewimmelt. Nun drückt das schlechte Gewissen und sie beschließt, die Geschehnisse erneut zu durchleuchten.

Carsten Linz vom Staatsschutz ist mit dem Fall betraut. Er muss herausfinden, wer für den Brandanschlag verantwortlich ist, bei dem Menschen ums Leben kamen. Der Ermittler und die Journalistin ergänzen sich perfekt. Aber es herrscht auch eine gewisse Spannung zwischen den beiden. Carsten flirtet offensichtlich mit Doro, die halbherzig versucht, nicht darauf einzugehen. Das lockert die sehr ernste Situation auf! Überhaupt gefällt der Schreibstil des Autors sehr gut!

Das Buch beleuchtet die Mordfälle aus verschiedenen Blickwinkeln. Dazu geht der Autor immer wieder in die Vergangenheit. Auch Doro versucht, die Fakten noch einmal möglichst unvoreingenommen aufzuarbeiten. Was offensichtlich ist, muss nicht unbedingt die Wahrheit sein. Viele der Zeugen lügen und geben sich gegenseitig Alibis, die fragwürdig sind. Die Dorfgemeinschaft ist gespalten und dann sind da noch die, die zwischen den Stühlen sitzen. Vergleichen Doro und Carsten ihre Erkenntnisse miteinander, ergibt sich ein differenziertes Bild. Nichts passt zusammen. Doch Doro ist durchaus in der Lage querzudenken. Die Haiku, die das erste Mordopfer in ihrem Tagebuch hinterlassen hat, sind verschlüsselte Botschaften, die Doro zu knacken versucht. Das hält die Spannung hoch bis zum überraschenden Ende.

Rezension von Heike Rau

Eric Berg
Die Mörderinsel
480 Seiten, gebunden
Limes Verlag, März 2020
ISBN-10: 3809026611
ISBN-13: 978-3809026617
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Kerstin Hensel: Regenbeins Farben

Kerstin Hensel: Regenbeins Farben

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Kerstin Hensel beschreibt in ihrer Novelle das Leben von drei Witwen und einem Witwer, die auf ungewöhnliche Weise zusammentreffen. Sie befinden sich auf einem Friedhof, wo die Gräber der verstorbenen Partner nahe beieinanderliegen. An- und abfliegende Flugzeuge bieten die gleichmäßige Begleitmusik zu dieser Friedhofsidylle.

Die Personen und ihre Geschicke reihen sich als Einzelschicksale aneinander, die dann aber kunstvoll miteinander in Verbindung gebracht werden.

Der Friedhof und der Tod vereinigen drei Frauen unterschiedlichen Alters und der Lebensart. Der scheue Galerist liefert die Essenz, mit der die Geschichte eine gewisse Brisanz gewinnt.
Irgendwie scheinen sich die Wege der vier schon zu Lebzeiten der Verstorbenen gekreuzt zu haben.
Sie werden jeder/jede in ihrer Art als schrullig und skurril beschrieben.

Karline Regenbein ist Malerin. Sie war bescheiden und lebte im Abseits, bis der verstorbene Fotograf Rüdiger Habich ihren Weg kreuzte und sich an ihr Leben dranhängte. Auch er ein merkwürdiger und ungewöhnlicher Mensch mit einer starken Neigung zur Selbstüberschätzung.

Eduard Wettengel, ein etwas kauziger Galerist, hat die Malerin entdeckt, und stellt seine Gallerie für Ausstellungen der Künstlerin zur Verfügung.

Ziva Schlott, emeritierte Kunstprofessorin, besucht auf dem Friedhof ihren verstorbenen Mann, und Lore Müller-Kilian ist die Frau des verstorbenen Kunstmäzens Kilian. Auch er liegt hier begraben.

Karin Hensel konstruiert aus diesen Figuren eine der Kunst zugewandte Gesellschaft.
Ihre Erzählung lässt die drei Witwen unterschiedlichen Alters recht zufällig aneinandergeraten. Sie sind auf den Galeristen fixiert, der alle drei hofiert.

Die Geschichte ist etwas bizarr und gelegentlich mit einer gewissen Komik ausgestattet, weil die Figuren so unterschiedliche und leicht extravagante Züge tragen.

Angesiedelt ist das Geschehen in der ehemaligen DDR. Es fehlt nicht an Hinweisen darauf.

Prof. Schlott ist Jüdin, was sich bei Gelegenheit einer Grabschändung herausstellt. Hier wurde mir die Geschichte ein wenig zu voll gepackt mit beziehungsreichen Geschichtsereignissen.

Kerstin Hensel schreibt amüsiert und erheiternd. Ihre Figuren sind jede in ihrer Art besonders, und die Autorin macht sich fast ein wenig lustig über sie. Auf jeden Fall sind der Tod und das Leben hier auf eindrucksvolle Weise vereint!

Kerstin Hensel
Regenbeins Farben
256 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, März 2020
ISBN-10: 3630876013
ISBN-13: 978-3630876016
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Jane Healey: Die stummen Wächter von Lockwood Manor

Jane Healey: Die stummen Wächter von Lockwood Manor

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1939 muss das Londoner Natural History Museums eine Sammlung von Tierpräparaten vor dem nahenden Krieg in Sicherheit bringen. Lockwood Manor scheint ein idealer Ort zu sein, auch wenn das Herrenhaus in keinem guten Zustand ist. Hetty Cartwright überwacht die Evakuierung und bleibt vor Ort, um sich um die Sammlung zu kümmern. Doch nach kurzer Zeit verschwindet das erste Exponat. Der ausgestopfte Panther ist nicht aufzufinden. Mit dem tyrannischen Hausherrn ist nicht zu reden. Es kommt zu weiteren nächtlichen Vorfällen, die Hetty glauben lassen, dass es in dem Anwesen spukt. Halt findet sie bei Lucy, Lord Lockwoods Tochter. Lucy zieht Hetty mit ihrem Charme in den Bann. Doch leidet die junge Frau an schweren Albträumen. Hetty glaubt bald, dass Lucys Verfolgungswahn nicht aus der Luft gegriffen ist. Das düstere Herrenhaus birgt Geheimnisse.

Der historische Roman startet geheimnisvoll. Lockwood Manor ist kein Ort, an dem man sich wohlfühlen kann. Die düstere Beschreibung des Anwesens, mit seinen dunklen langen Fluren und den vielen unbewohnten Zimmern, schafft eine Atmosphäre, die unheilvoll erscheint. Zu den Bewohnern, das sind vor allem Lord Lockwood, seine Tochter und unzählige Dienstboten, bekommt man kaum Zugang. Es lässt sich nicht nachvollziehen, was hier läuft. So fällt die Konzentration auf Hetty Cartwright, die ihre geliebten Tiere hegt und pflegt, aber kaum vor Schädlingen und anderen Unbilden bewahren kann. Die Nachtwächter können nicht verhindern, dass Präparate verschwinden.

Anfangs wird die Geschichte von einer guten Spannung getragen. Infolge muss man sich allerdings durch einige Längen hindurch kämpfen. Es gibt zwei Erzählstränge, hier laufen Gegenwart und Vergangenheit zusammen. Es wird schnell klar, dass Lucy eine traumatische Kindheit hatte. Was die Autorin zur Auflösung der Geschehnisse anbietet, ist aber doch etwas enttäuschend und teils auch nicht schlüssig, weil die Aufarbeitung fehlt. Ab einem bestimmten Punkt erfährt das Buch also eine Wendung, die den Lesefluss stocken lässt und aus der eigentlich erwarteten Gespenstergeschichte wird eine undurchsichtige Familientragödie.

Rezension von Heike Rau

Jane Healey
Die stummen Wächter von Lockwood Manor
Aus dem Englischen von Susanne Keller
448 Seiten, Klappenbroschur
hanserblau, März 2020
ISBN-10: 3446266003
ISBN-13: 978-3446266001
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Graham Swift: Da sind wir

Graham Swift: Da sind wir

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In diesem schmalen Roman geht es um drei Varietékünstler, die 1959, geprägt von den Kindheitserinnerungen im Zweiten Weltkrieg, in Brighton/ England zusammenfinden.

Jack ist Tanzkünstler und Initiator des Events. Ronnie ist Zauberer und Magier, und Evie ist seine Assistentin. Sie pflegen einen Sommer lang mit zunehmendem Erfolg Ihre Auftritte in Brighton.
Während Ronnie sich mit Evie verlobt, kann schließlich doch der charmante Frauenheld und Charmeur Jack ihre Liebe gewinnen. Im Alter von 79 Jahren erzählt sie aus der Rückansicht die Geschichte ihres Lebens, in dem Ronnie und Jack ihren festen Platz hatten.

Wie haben sie zusammengefunden?

Das erfahren wir, wenn wir uns näher mit ihrer Herkunftsgeschichte befassen. Am interessantesten und eindrucksvollsten sind die Erfahrungen von Ronnie. Er kam aus ärmlichsten Verhältnisse in London. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 musste sich seine verhärmte und unglückliche Mutter von Ronnie trennen, und ihn zu hilfsbereiten Menschen nach Oxfordshire ziehen lassen. Mit Kindertransporten wurden während des Krieges die Kinder in weniger gefährdete entfernte Orte verschickt. Einigen Kindern ging es schlecht, andere trafen es blendend. Ronnie kam zu äußerst liebenswerten Menschen, die ihn wie einen Sohn aufnahmen. Er hatte es sehr gut dort und bekam für sein Leben viel mit. U.a. erlernte er die Zauberkunst von Eric, dem “Ersatzvater“. Zum Ende des Krieges musste er zurück zu einer Mutter, die ihm als unglückliche, alte Frau begegnete.
Bald schon traf er Jack und heuerte Evie an, um sich mit seinen Zauberkünsten als Varietékünstler zu verdingen.

Was macht die Geschichte so reizvoll?

Es sind die vielen Details im Kleinen: die Trennung von seiner Mutter, die er zuerst noch schmerzvoll erlebt, um dann umso glücklicher bei den Ersatzeltern so sein. Dieses Glück beim Einzug in ein komfortables Haus, die duftenden Gardinen, die liebevolle Behandlung und das Zwitschern der Vögel im Morgengrauen sind atmosphärisch so eindringlich, dass man sich ganz zu dieser Idylle hingezogen fühlt. Ein staunender kleiner Junge erfährt das Glück!

Die Zauberei und die Magie in den Vorstellungen der drei geraten zu Glanzstücken der Beschreibung. Fiktion und Wirklichkeit liegen nahe beieinander. Der Reiz der Magie liegt darin, dass uns das Geheimnisvolle in der Zauberei erheitert, nachdenklich macht und uns eine schöne, entrückte Welt vorgaukelt, die voller Wunder steckt.

Neben dem Showbusiness sind die persönlichen Beziehungen der drei von ernsthafter und zu Herzen gehender Tiefe. Der Wechsel zwischen Magie und dem wirklichen Leben ist äußerst feinfühlig und anrührend beschrieben. Die poetischen Schilderungen lehren uns, dass Magie zuweilen scheinbar wie die Wirklichkeit daherkommt.

Graham Swift ist ein wunderbarer Erzähler. Er kann Geschichten erzählen, die wie im Märchen den Leser berühren und in Bann ziehen.

Man lese dieses Büchlein und genieße die Fiktion und erfreue sich zugleich am Leben!

Grajam Swift
Da sind wir
160 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, März 2020
ISBN-10: 3423282207
ISBN-13: 978-3423282208
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Dr. Markus Strauß: Die Wildpflanzen-Apotheke – Essbare Pflanzen, die nähren und heilen

Dr. Markus Strauß: Die Wildpflanzen-Apotheke – Essbare Pflanzen, die nähren und heilen

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Essbare Wildpflanzen genießen immer noch zu wenig Aufmerksamkeit. Dabei wachsen sie kostenlos. Es scheint also schwierig zu sein, dafür zu begeistern. Wildpflanzen- und Baumexperte Dr. Markus Strauß geht deshalb ein wenig anders an das Thema heran. Natürlich beschreibt auch er im Buch, wie man essbare Pflanzen, identifizieren kann und wie man erntet. Auch erfährt man, welche interessanten Vitalstoffe jede Pflanze enthält und wie sie als Heilmittel wirkt. Davon abgesehen beschreibt der Autor zudem, wie man Wildkräuter in den eigenen Garten oder wenn geeignet, in einen Blumentopf bringt. Wer also nicht am Wegesrand suchen möchte, weil hier zu viele Hunde Gassi gehen, holt sich das Unkraut einfach nach Hause in den Garten, auf den Balkon oder die Terrasse. Hier wird es zum Küchenkraut oder zum Heilkraut.

Im Buch sind die wichtigsten Wildpflanzen zu finden, darunter Löwenzahn, Echte Kamille, Wilde Malve, Mädesüß, Eberesche und Schwarzer Holunder. Interessant fand ich die Ausführungen zur Bachbunge und Sumpf-Kohldistel. Ich habe mir vorgenommen, nach diesen beiden Pflanzen, die ich bisher nicht kannte, Ausschau zu halten.

Unterteilt ist das Buch in die verschiedenen Sammelstellen. Man erfährt, was am Bach wächst, auf der Wiese usw. Wer sich zum ersten Mal mit Wildpflanzen beschäftigt, sollte sich „Das wilde Triumvirat“ ansehen. Hier geht es um Wildpflanzen, die häufig vorkommen und leicht zu erkennen sind. Es ist recht einfach, damit einen Anfang zu machen. Es gibt zahlreiche heilsame oder genussvolle Rezepte zu diesen Pflanzen. Wobei hier immer beides zusammenkommt. Denn jedes Kraut hat seine Wirkung. Der Autor spart nicht mit Informationen, Erklärungen und Tipps, sodass man eine Menge lernt.

Insgesamt gibt es 28 Pflanzenporträts mit über 60 Rezepten von Weißdorn-Herzkeksen über Gänseblümchensalat bis hin zu Schafgarbentee. Das Buch ist ansprechend mit vielen kleinen und großen Pflanzenfotos und Rezeptfotos illustriert. Dazu kommt ein Erntekalender in den Buchklappen.

Rezension von Heike Rau

Dr. Markus Strauß
Die Wildpflanzen-Apotheke – Essbare Pflanzen, die nähren und heilen
208 Seiten, Klappenbroschur
Knaur MensSana, März 2020
ISBN-10:3426658607
ISBN-13:978-3426658604
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Joanna Schaffenhausen: Wie viel willst du töten

Joanna Schaffenhausen: Wie viel willst du töten

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Ellery Hathaway versucht die Vergangenheit hinter sich lassen, auch wenn sie die schreckliche Zeit, in der sie als 14-Jährige in der Hand des Serienmörders Francis Michael Coben war, nie vergessen wird. Sie ist unter anderem Namen Polizistin geworden und lebt in Woodbury/Massachusetts.

Obwohl hier niemand etwas über sie weiß, hat sie schon zweimal eine Geburtstagskarte zugeschickt bekommen. Die Botschaft, die damit verbunden sein könnte, erschließt sich ihr nicht. Und doch ist es auch die Zeit, in der jedes Mal ein Mensch verschwindet. Zwei Vermisste gibt es bereits. Auch dieses Jahr wird wieder eine Person verschwinden, da ist Ellery sich sicher. Bei ihrem Chef findet sie kein Gehör. Er glaubt nicht, dass die zwei Vermisstenfälle zusammenhängen. Es gibt keine Leichen, also werden die beiden aus freien Stücken abgehauen sein.

Ellery wendet sich an Reed Markham. Er arbeitet beim FBI. Und er hat ein ganz besonderes Interesse an Ellery, war er es doch, der sie damals gerettet hat. Er kommt sofort. Doch er kann Ellerys Angst nicht nachvollziehen. Er glaubt, sie hat das Trauma noch nicht aufgearbeitet und bewertet die Lage vielleicht über. Wie können die Vermisstenfälle mit dem Serienmörder Francis Michael Coben zusammenhängen? Er sitzt schließlich im Knast. Von einem Nachahmungstäter auszugehen, hält er für überzogen. Doch auch seinem Urteil kann man nicht unbedingt trauen. Er ist stressbedingt arbeitsunfähig und ermittelt ohne Auftrag. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt allerdings nicht. Plötzlich werden beide von den Geschehnissen überrollt.

Das Buch ist so spannend, wie man es von einem Thriller erwarten darf. Dazu kommt, dass es ausgesprochen gut geschrieben ist. Es sind die psychologischen Feinheiten, die überzeugen. Man bekommt das Gefühl vermittelt, sich langsam vorzutasten. Doch wird man überrascht von der Art, wie der Krimi aufgebaut ist. Immer wieder schießt die Spannungskurve nach oben. Es gibt neue Details, die zu Wendungen führen, die mal zielführend sind und mal nicht. Dass manche Erkenntnis sich als Sackgasse entpuppt, strapaziert die Nerven.

Den zwei Ermittlern steht man mit Skepsis gegenüber. Sie verhalten sich nicht immer angemessen und setzen lieber auf ihre Intuition. Sie haben sich mit vielen Problemen herumzuschlagen und stehen unter Zeitdruck. Es wird sich zeigen, ob Ellery Verdacht sich erhärtet und Reed ihr folgen kann. Das Ende ist auf jeden Fall überraschend.

Rezension von Heike Rau

Joanna Schaffenhausen
Wie viel willst du töten
Deutsch von Irene Eisenhut
336 Seiten, broschiert
dtv Verlagsgesellschaft, März 2020
ISBN-10: 3423219203
ISBN-13: 978-3423219204
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