Annette Mingels: Was alles war

Annette Mingels: Was alles war

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Familienstrukturen heute: eine Spurensuche.

Annette Mingels lässt ihre Heldin Susanna auf Spurensuche gehen. Mehr oder weniger wurde diese an sie herangetragen, als ihre leibliche Mutter Kontakt zu ihr aufnimmt. Denn Susa, wie sie auch genannt wird, ist ein adoptiertes Kind. Ihre leibliche Mutter, Viola, ist eine exzentrische Person, die überall in der Welt herumreist und Kontakt zu ebenso exotischen Menschen wie sie einer ist, sucht. Es gibt kaum einen Ort, an dem sie noch nicht gewesen ist. Susa ist von liebevollen Ersatzeltern adoptiert worden. Sie ist eine gestandene Wissenschaftlerin, die sich der Meeresbiologie verschrieben hat.

Im Aufbau gekonnt und anregend geschrieben, blättert die Autorin nach und nach die Lebenssituation ihrer Heldin auf. Zu ihren Adoptiveltern hält Susa mit ihrer ebenfalls adoptierten Schwester engen Kontakt. An ihrer leiblichen Mutter oder ihrem Erzeuger zeigt sie wenig Interesse. Sie leben ja alle in so verschiedenen Welten! Doch hat es sich so ergeben, dass sie nun doch Nachforschungen über ihre biologische Herkunft betreibt.

Susa bildet mit ihrem Mann Hendryk eine Patch- Workfamilie, da er zwei Töchter mit in die Ehe brachte. Was das für eine angeheiratete Mutter bedeutet, kann man in schönster Ausführung bei Felicitas von Lovenberg nachlesen, die bei der Hochzeit mit einem geliebten Mann gleich zwei Kinder dazu geheiratet hat. Der Titel ihres Buches lautet „Und plötzlich war ich zu sechst“. Sie entwirft überzeugend das Gebilde an Feingefühl und richtiger Umgangsform mit den beiden Kindern, bis diese sie schließlich als Frau ihres Vaters und „Stiefmutter“ voll akzeptieren.

In der Familienforschung findet man neue Lebensformen und verändertes familiäres Verhalten. Diese sind Ergebnis einer Entwicklung, in denen Lebensmuster und Beziehungen in sehr unterschiedlicher Weise zum Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts gelebt werden. Die so genannte Patch- Workfamilie ist die Lebensform, die mit dieser neuen Gestaltung von Familie einhergeht. Was also hält Familien überhaupt zusammen?

Hier werden Wege aufgezeigt, die sicher verbindlich für viele dieser zusammen gewürfelten Familien sind. Zugehörigkeit, ein Ort der Sicherheit und gemeinsames Erleben und Wachsen hält Familien zusammen. Die Sehnsucht danach bleibt bei aller angestrebter Freiheit erhalten. Doch eigenständige Entwicklungen und ambitionierte Berufswege erfordern ein Gleichgewicht und diplomatisches Austarieren in den Beziehungen, das nicht immer gegeben ist.

Im Roman von Annette Mingels geht es um Erwachsene, die in der Rückschau und Gegenwart ihre Überlegungen zu ihrer Vorstellung von Familie preisgeben. Verwicklungen und menschliche Irrtümer sind dem Leben immanent. Anfechtungen und Zweifel werden in schönster Manier in Mingels Roman abgehandelt. Dass die Liebe über allem steht, bleibt ihr unangefochtenes Bekenntnis am Ende ihrer Geschichte.

Annette Mingels ist selber ein adoptiertes Kind, so dass sie für ihren Roman aus der eigenen Biographie schöpfen konnte.

Man lebt und fühlt mit den Protagonisten und kann sich in deren Gedankenwelt hineinversetzen. Der Roman ist leicht zu lesen und man wird zum Nachdenken angeregt.

Diese gute und nicht zu anspruchsvolle Lektüre eignet sich sehr für verregnete Sommertage oder für den Urlaub.

Annette Mingels
Was alles war
288 Seiten, gebunden
Albrecht Knaus Verlag, März 2017
ISBN-10: 3813507556
ISBN-13: 978-3813507553
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Krischan Koch: Backfischalarm – Ein Insel-Krimi

Krischan Koch: Backfischalarm – Ein Insel-Krimi

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Die Zwillinge Telje und Tadje gehen mit ihren Mitschülern, Klassenlehrer Dr. Niggermeier, Junglehrerin Vanessa Loebell und Referendar Manuel Scholz auf Klassenfahrt. Bei der Überfahrt nach Amrum geht es turbulent zu. Es stürmt ordentlich. Die Schüler drehen trotzdem richtig auf, jedenfalls bis eine Leiche auftaucht. Es ist Jungreeder Bent Blankenhorn. Und er ist offensichtlich ermordet worden.
Das ruft die beiden Ermittler Polizeiobermeister This Detlefsen und seine Kollegin Nicole Stappenbek auf den Plan. Dass seine Zwillinge in den Fall verwickelt sind, gefällt This gar nicht und seiner Frau, die ihn mit Anrufen nervt, erst recht nicht. Die ganze Klasse muss verhört werden. Der eine hat dies gesehen, der andere das. Dazu kommen einige von Sturm und Nebel in Mitleidenschaft gezogene Fotos und Videos auf den Handys. Da keiner wirklich was gesehen hat oder sich nicht erklären kann, was er gesehen hat, gestalten sich die Ermittlungen also schwierig.

Der Schreibstil ist wie immer sehr witzig. Das liest sich ganz gut und ist unterhaltsam. Gut fand ich auch, dass die Runde aus der „Hidden Kist“ gerade zum Wellness auf Amrum eintrifft. Da sind alle bekannten Gesichter wieder beisammen und das gewohnte Umfeld ist an den Ermittlungsarbeiten beteiligt. Jeder steuert seinen schlauen oder weniger schlauen Beitrag bei. Das macht Spaß!
Der Fall selbst ist sehr undurchsichtig. Aber es sind auch einige Figuren unterwegs, die fragwürdig sind. This und Nicole suchen nach einem Motiv und verrennen sich dabei immer mehr. Sie gehen rational vor, was allerdings wenig bringt. So folgt ein weiterer Mord und dann wird auch noch die eine oder andere Person vermisst. Das sorgt für Fassungslosigkeit. Der Nebel will sich einfach nicht verziehen. Es geht also turbulent zu in diesem Krimi. Und das bis zum spannenden Ende.

Rezension von Heike Rau

Krischan Koch
Backfischalarm – Ein Insel-Krimi
288 Seiten, broschiert
dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-10: 3423216727
ISBN-13: 978-3423216722
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Daniel Schreiber: Zuhause

Daniel Schreiber: Zuhause

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Wie und wo finden wir den Ort der Heimat?

Daniel Schreiber beginnt seine Reflexionen über „Zuhause“ mit einem Gang durch das frühlingshafte London. Er beschreibt in poetischen und anrührenden Worten die vielfarbige Blumenpracht und das frische Grün des Frühlings. Bei seinen Überlegungen, was für ihn „Zuhause“ bedeutet, kommt er zu einer tiefsinnigen Betrachtung dessen, was dem Menschen Zuhause sein kann. Ist es ein Ort der Bestimmung? Führt Heimat und Zuhause zur Identitäts- und Sinnfindung? Bedeutet es den Ort, der Geborgenheit und Sicherheit verheißt?

In seinem Essay über seine Kinder- Jugend- und späteren Jahre gibt er seinen eigenen Weg preis, mit dem er sich lange Jahre auseinandergesetzt hat. Er wuchs auf der brandenburgischen Seenplatte auf, kann dem aber als Heimat später nichts mehr abgewinnen. Zu bitter waren die ersten Schulerfahrungen mit einer sadistischen und linientreuen Stasi- Lehrerin, die ihn quälte.

Aus dem zuerst so poetischen Beginn entwickelt sich zunehmend ein theoretisches und philosophisches Gedankenspiel mit ganz handfesten Berichten über eine Jugend, die mit dem Makel der Homosexualität behaftet war.

In der DDR war es verpönt, zu dieser Spezies Menschen zu gehören, wie ja überhaupt das Tabu der Homosexualität erst in den frühen siebziger Jahren auch im so genannten Westen Deutschlands eine Änderung erfuhr. Im Wechsel mit Erinnerungen an New York, London und weiten Reisen, eigenen Lebenserfahrungen und geheimen Ängsten weiht uns Schreiber in die Tiefen psychologischer Einsichten über das Wachsen und Werden seines Lebens ein.

In einem Exkurs beschreibt er die Wanderjahre seiner Vorfahren durch Flucht und kriegsbedingte Vertreibung.

Aussagen von Philosophen, Soziologen und Psychoanalytikern bereichern die praktischen Einsichten, zu denen er in seinen Reflexionen kommt.

Es ist ein angenehm offenes aber keinesfalls indiskretes Bekenntnis, mit dem Daniel Schreiber über seine dunklen Stunden und die Suche nach dem wahren Zuhause aufwartet.

Die poetischen Passagen sind besonders reizvoll, weil sie unmittelbar eine zu Ort oder Stadt passende Stimmung wiedergeben.

Jeder mag ähnliche Erfahrungen und Entwicklungen erlebt haben, die in einer sich ändernden Welt mit großer Mobilität zu Entfremdungen und Neuorientierungen führen mag.

Daniel Schreiber
Zuhause
144 Seiten, gebunden
Hanser Berlin, Februar 2017
ISBN-10: 3446254749
ISBN-13: 978-3446254749
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Nicolaia Rips: Alles außer gewöhnlich

Nicolaia Rips: Alles außer gewöhnlich

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Eine Kindheit in ungebundener Freiheit und Sorglosigkeit

Wenn es etwas gibt, das umwerfend komisch und apart zu lesen ist, dann dieses Buch mit den Erinnerungen an ihre Kindheit von Nicolaia Rips. Sie wuchs in dem legendären Hotel Chelsea in New York City auf. Ihre Eltern lebten in diesem Hotel. Sie waren Lebenskünstler: der Vater ein vermögender Lebemann, die Mutter Malerin und Weltenbummlerin. Als die Mutter nach acht Jahren Ehe schwanger wurde, konnte sich der Vater damit nicht abfinden. Die Mutter begab sich daraufhin zunächst auf eine Weltreise, um nach der Geburt der Tochter mit Mann in Italien einzukehren.

Nach einigen Zwischenstationen trafen die Eltern mit ihrer Tochter erneut im Hotel Chelsea ein. Das Mädchen wuchs zwischen all’ dem wandernden Volk in der Lobby des Hotels auf. Eine gewöhnliche Kindheit war das nicht! Sie spielte mit den Erwachsenen, bekam hie’ und da Geschichten vom Vater vorgelesen, blieb aber im Allgemeinen sich selbst überlassen. Von skurrilen Gestalten umgeben, Fixern, Musikern und Dichtern, Tänzern, Schwulen und Theaterleuten, genoss sie ein von Konventionen unbeschwertes Dasein. Als sie zur Schule kam, fand sie ihre erste Freundin. Diese war die längste Zeit ihre Freundin gewesen, als Nicolaia bei einem Geburtstagsfest für ihren Vater einen Poolunfall mit zunächst ernsten Folgen verursachte.

Nicolaia Rips hat als Ergebnis ihres skurrilen Werdegangs eine umwerfend komische Diktion, mit der sie über ihre Erinnerungen schreibt. Sie wirkt unberührt und eher amüsiert über die einzelnen Stationen ihrer Kindheit und Jugend. Nichts vermag sie zu erschüttern, ja fast lakonisch berichtet sie auch über die Dinge, die anderen vielleicht Kummer bereiten würden wie z.B. die Aufkündigung der Freundschaft durch ihre erste Freundin Greta. Eine gewisse Naivität in der Wahrnehmung ihrer Umwelt gibt der Erzählung den Glanz des Außergewöhnlichen.

Die Leichtigkeit und Unbeschwertheit teilt sich dem Leser mit, und man amüsiert sich unweigerlich. Gleichen doch die Erlebnisse teilweise so genannten Slapsticks mit darüber hinaus ausufernden fantastischen Kostümfesten. Eine Kindheit mit derartigen Freiheiten und Erfahrungen vermag fast den Neid jener zu erregen, die sich herkömmlichen Forderungen nach Leistung, ordentlichem Benehmen und Strebsamkeit gegenübersehen.

Man folgt den Lebenserinnerungen bis zum Ende der Schulzeit, denn auch über ihre Mitschüler vermag die Autorin die drolligsten Geschichten zum Besten zu geben.

Der Rahmen dieses ungewöhnlichen Daseins wird lebhaft vermittelt und man wünschte sich, einmal selber den Fuß in das legendäre Hotel Chelsea gesetzt zu haben. Hier verkehrten die bekannten Größen aus dem Pop und Kulturbetrieb des vergangenen Jahrhunderts wie Bob Dylan, Arthur Miller, Andy Warhol und so viele andere mehr!

Die Atmosphäre an dem Kultort ist unmittelbar nachzuempfinden: Räumlichkeiten mit überbordendem Interieur, Bilder, Fotos, alte Holzböden und verrauchte Tapeten geben dem Ganzen einen Hauch von Dekadenz und voluminösen Lebensrausch. Herrlich und erheiternd ist dieser nette Roman mit den wahren Erinnerungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu lesen!

Nicolaia Rips
Alles außer gewöhnlich
224 Seiten, gebunden
Nagel & Kimche, Februar 2017
ISBN-10: 3312010187
ISBN-13: 978-3312010189
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Eliza Graham: Weil du mich liebst

Eliza Graham: Weil du mich liebst

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Südengland. Die Geschichte zweier Frauen. Eine davon spielt in der Gegenwart, die andere geht zurück auf das Jahr 1943. Minna Byrne ist nach dem Verlust ihres Sohnes durch einen Unfall mit ihrem Mann aus London aufs Land gezogen. Sie brauchen Abstand von dem Trubel, müssen in ihrer Trauer zu sich kommen. Der Tod des Sohnes scheint ihre Ehe zu zerreißen. Durch Zufall finden sie bei einem Spaziergang das Skelett einer Leiche an der Küste. Die Herkunft dieses Toten zieht Minna in den Bann. Dann trifft sie auf für Felicity Vance, genannt Felix, die nach sehr vielen Jahren in ihren Heimatort zurückgekehrt ist. Minna wohnt nun dort, wo Felix als Kind aufgewachsen war.

Schnell stellt sich heraus, dass der Tote ein amerikanischer GI aus dem Zweiten Weltkrieg ist. Felix beginnt zu erzählen, denn sie kannte diesen GI.

In beiden Geschichten werden Liebesgeschichten erzählt. Sie sind faszinierend ineinander montiert. Rückblenden wechseln mit der Gegenwart ab. Die heutige Geschichte um Minna und ihren Mann erzählt Minna selbst. Die gegenwärtige Erzählweise lässt den Leser alles direkt miterleben. Die Geschichte des GIs wird von einer dritten Person im Präteritum erzählt. Teilweise auch von Felix selbst, meist aber von einem unbekannten Erzähler.

Die Spannung wird von der Autorin auf mehrere Säulen aufgebaut. Man möchte einerseits wissen, ob Minna und Toni wieder zusammenkommen, warum und wie ihr Sohn ums Leben kam. Andererseits möchte man alles um den Toten GI wissen. Überraschungen sind vorprogrammiert.

Die Autorin erzählt interessante Geschichten. Besonders die von dem amerikanischen GIs vor dem berühmten D-Day bringt ungewöhnliche Sachen hervor. Der Lokalkolorit ist nicht ganz so ausgeprägt, lässt aber dennoch genug Stimmung aus dem südlichen England um Bournemouth erkennen. Das Lektorat hätte an einigen Stellen besser aufpassen müssen. Verwechselte Namen, falsche Erzählperspektiven einzelner Sätze geben dem Leser Rätsel auf, die eigentlich nicht sein mussten. Aber das soll den Gesamteindruck nicht wesentlich beeinträchtigen. Mir hat der Roman trotzdem gut gefallen.

Eliza Graham
Weil du mich liebst
Aus dem Englischen von Elfriede Peschel
blanvalet Verlag, München
ISBN 9783734103889

© Detlef Knut, Düsseldorf 2017

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Emylia Hall: In unendlicher Ferne

Emylia Hall: In unendlicher Ferne

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Die Hauptfiguren dieses Romans, Robyn Swinton und Jago Winters befinden sich zu Beginn (im Prolog) jeweils an einem Ort, an dem sie eigentlich nie sein wollten. Noch dazu jeder an einem anderen Ort, mehrere 1000 km voneinander entfernt. Während Robyn in Cornwall auf das Meer schaut, kümmert sich Jago im heißen Texas um die Pferde auf einer Ranch. Dabei ist Robyn ein Großstadtkind, die nur ihrer Eltern wegen, die in den Ruhestand gegangen sind, nach Cornwall mitgegangen ist. Jago hingegen ist in Cornwall geboren, liebt das Land, lebt mit seinem Vater zusammen und liebt die Arbeit mit Holz. Als Möbeltischler bestreitet er ganz gut seinen Lebensunterhalt.

Während der Leser im Prolog von zwei unterschiedlichen Menschen erfährt, beginnt deren Geschichte anschließend sieben Jahre zuvor. Nach und nach nähert sich der Lesende dem Ende des Spannungsbogens (Was machen sie hier an diesen Orten?), der im Prolog aufgebaut wurde. In einem ständigen Auf und Ab der Gefühle wird der Lebensweg beider in den letzten sieben Jahren geschildert.

Hall erzählt eine Geschichte von einer tiefen Freundschaft und lässt die Leser spüren, dass da offenbar noch mehr als Freundschaft ist. Doch es wird eine Geschichte von verpassten Gelegenheiten. Faszinierend hat die Autorin die Landschaft von Cornwall in das Geschehen eingebunden. Penzance, Porthcurno, St. Ives sind immer wieder genannte Orte, die Malerei, die in diesem Landstrich eine besondere Rolle spielt, nimmt auch im Roman einen festen Platz ein. Dennoch ist der Roman nicht ein simpler Regionalroman. Der Sog geht von der Geschichte aus. Doch dabei eine Region kennen zu lernen, die man noch nicht kannte, kann ein wunderschöner Nebeneffekt sein. Ebenso für denjenigen, der diese Landstriche selbst schon bereist hat. Dem einen oder anderen mag der Roman zu einer Reise nach Cornwall animieren.

Detailreiche und bildhafte Beschreibungen von Landschaft und Gefühlen machen den Roman zu einem Erlebnis. Amüsant und interessant die Nebenhandlung um Eltern im Ruhestand und der Aufstieg einer Musikband sind weitere schöne Zutaten.

Dieser Roman macht riesigen Spaß!

Emylia Hall
In unendlicher Ferne
Aus dem Englischen von Astrid Mania
btb Verlag, München
ISBN 9783442714667

© Detlef Knut, Düsseldorf 2017

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Kurt Palm: Strandbad Revolution

Kurt Palm: Strandbad Revolution

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Es ist der Sommer im Jahre 1972. Mick, er nennt sich so, weil er Mick Jagger verehrt, sollte eigentlich für die Nachprüfung in Französisch lernen. Doch er kann nicht bei der Sache bleiben. Seine Eltern schaffen es auch nicht, ihn zu motivieren. In scheinbarer Zufriedenheit gehen sie ihren Alltagsgeschäften nach.

So verbringt Mick viel Zeit mit seinem Freunden im Bad, es sind schließlich Ferien, und schaut den Mädchen hinterher. Zu seinen Freunden gehören Mü, Candy, Taylor und Hendrix . Sie sprechen über Dinge, die sie beschäftigen und über das, was verändert werden sollte. Sie planen drastische Aktionen, um ihre Mitmenschen aufzurütteln und ihre Ansichten zu verändern. Mick versucht unterdessen die Aufmerksamkeit eines Mädchens, irgendeinen Mädchens, auf sich zu ziehen. Er denkt darüber nach, wie er wahrgenommen wird oder wie er auftreten müsste, um wahrgenommen zu werden. Er sucht nach Orientierung und sinniert Songtexten nach, die ihn beschäftigen. Das wird auf sehr intensive Art beschrieben. Der Autor nimmt sich Zeit für Gedankengänge und Diskussionen, die er Mick aus seiner Sicht darstellen lässt.

Die Kindheit ist vorbei, das wird sehr deutlich gemacht. Auch wenn keiner recht weiß, wie die Zukunft nun aussehen soll. Zumindest haben die jungen Leute sich nun zu benehmen wie Erwachsene. Sie haben die Folgen für ihr Handeln zu tragen. Aber die Frage ist, ob sie über genug Reife verfügen. An Lebenserfahrung fehlt es nun mal, denn sie sind jung. Im Laufe der Handlung ist diese Frage nicht mehr von Belang. Das, was passiert, muss bewältigt werden. Der Autor lässt aus Komödie, wenn man so will, eine Tragödie werden. Es ist keine Zeit mehr zum Träumen. Und wirklich wichtige Dinge einfach zu ignorieren und den Kopf in den Sand zu stecken, macht es nicht besser. Es liefert dem Leser aber viel Stoff zum Nachdenken.

Rezension von Heike Rau

Kurt Palm
Strandbad Revolution
256 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag
ISBN-10: 3552063374
ISBN-13: 978-3552063372
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Katie Kitamura: Trennung

Katie Kitamura: Trennung

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Ehescheidung oder Schicksalsfall?

Eine junge Frau bekommt von ihrer Schwiegermutter einen Anruf, in dem diese fragt, wo ihr Sohn Christopher denn sei. Sie weiß nicht, dass das Paar bereits in Trennung lebt. Die namenlose junge Frau, eine Übersetzerin, bekommt von der ihr feindselig gesinnten Schwiegermutter den Auftrag, aus London, wo sie lebt, nach Griechenland zu fliegen, um den Sohn ausfindig zu machen.

Diese Reise entpuppt sich als eine merkwürdige, dubiose und leicht unheimliche Geschichte.

Frau X, nennen wir sie so, spürt in dem abgelegenen Hotel einer wüsten Landschaft, fünf Autostunden von Athen entfernt, dem Verschwinden ihres Mannes nach. Sie findet heraus, dass eine Hotelangestellte womöglich eine kurze Beziehung zu ihrem Mann Christopher hatte. Er war notorisch untreu, was zur Entfremdung des Paares beigetragen hat. Frau X. wollte ihrem Mann die Scheidung antragen. Doch sie trifft ihn im Hotel nicht an.

Man erfährt einiges über die emotionale Wahrnehmung der jungen Frau. Sie beobachtet und gibt ihre Empfindungen zu dem Beobachteten preis. Dem Pförtner, den Hotelangestellten und dem Taxifahrer gilt ihre besondere Aufmerksamkeit. Doch auch eigene Erinnerungen und die Ehe von Christophers Eltern fließen in ihre Betrachtungen ein.

Die Landschaft in ihrer trockenen Dürre tut ein Übriges, um den Leser zu faszinieren. Als die Dame schon unverrichteter Dinge nach London zurückfliegen will, bekommt sie die Mitteilung, dass ihr Mann tot aufgefunden wurde.

In langen, intensiven Reflexionen folgt man dem inneren Monolog von Frau X. Sie bieten die Möglichkeit, sich die unterschiedlichen Ehe- und Familienstrukturen der beiden Paare vorzustellen und sich Gedanken über den Tod ihres Mannes zu machen. Er wurde vermutlich ermordet.

Eine nüchterne und geheimnisvolle Atmosphäre zeichnet die Erzählung aus.

Sie bietet Einblicke in bizarre, verlogene und teilweise auch drastische Lebensweisen. Jeder/ jede scheint jedem etwas vorzumachen.Vieles im Leben der Protagonisten (oder vielleicht aller Menschen?) deutet auf Rollenspiele hin, die wir betreiben, und auf Sichtweisen, die subjektiv der Realität entgegenstehen. Was aber ist Realität, was Fantasie und Vision?

Nachdenklich und intellektuell werden wir mit dem konfrontiert, was das Leben in seinen Tiefen ausmacht. Die Mischung zwischen einem möglichen Kriminalfall und realer Existenzbetrachtung bringen Spannung in die Geschichte, die man angeregt beiseite legt.

Katie Kitamura lebt als Journalistin und Literaturkritikerin in New York.

Katie Kitamura
Trennung
256 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Januar 2017
ISBN-10: 3446254455
ISBN-13: 978-3446254459
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Keri Smith: Mach dich auf

Keri Smith: Mach dich auf

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Es gibt Dinge, die das Leben verändern können. Oder es ist das Leben, das sich verändern muss. Weil Unzufriedenheit vorherrscht, weil es nicht vorwärts geht und weil die gute Laune steckengeblieben ist. „Mach dich auf“ ist ein Buch mit einem Lösungsansatz für solche Fälle. Wer mag, kann sich der Wander Society anschließen. Das kostet nichts, man muss nichts unterschreiben und man muss auch keinen Kontakt mit anderen Wanderern aufnehmen.

Es geht nicht darum, mit Riesenrucksack und Wanderschuhen die Welt zu umrunden. Es geht mehr um Spaziergänge ohne Ziel in der näheren Umgebung und um Achtsamkeitstraining oder auch Gehmeditation. Es ist wichtig, sich auf sich selbst zu besinnen, die Umgebung wahrzunehmen, den eigenen Atem und das Gehen. Es ist gar nicht so einfach, sich von den Gedanken, die sonst das Leben bestimmen und die so schwer sind und sich im Kreis drehen, freizumachen und sich auf bis dahin eher Nebensächliches zu konzentrieren. Das geht nicht von heute auf morgen. Es ist ein Lernprozess. Doch die Autorin schafft es, zu motivieren und mit kreativen Tipps zu helfen.

Das Buch ist sehr speziell. In seiner Aussagekraft, aber auch in der Gestaltung. Das ziellose Spazierengehen wird stilisiert zu einer ganz besonderen Sache. Es hat etwas Geheimnisvolles. Es ist etwas, das man entdecken und sich erarbeiten muss. Es wird nicht jedem offenbart. Es gibt zwar überall Spuren, aber nicht jeder erkennt diese.

Langweilig wird das Wandern nicht. Die Autorin hat viele Ideen, wie man sich beschäftigen und die Wahrnehmung trainieren, die Natur entdecken oder Feldforschung betreiben kann. Außerdem gibt es zahlreiche Tipps zum Recherchieren des Themas, mit denen man sich auseinandersetzten kann. So lassen sich auch andere Meinungen und Ansichten in das eigene Denken mit einbeziehen. Das Buch hat also Charme und irgendwie ist es auch witzig.

Rezension von Heike Rau

Keri Smith
Mach dich auf
Aus dem Englischen von Astrid Gravert
178 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN-10: 3956141741
ISBN-13: 978-3956141744
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Susann Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Susann Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

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In dem neuen Roman von Susann Pásztor beobachtet sie einen Sterbehelfer und seinen Sohn bei ihrem Ehrenamt.

Fred, die Hauptperson in diesem Roman, ist geschieden und wirkt traurig. Er ist zugleich ein rührender Vater für seinen Sohn Phil. Dieser ist eine wenig kleinwüchsig, begabt und ruhig in seinem Wesen.

Phil entstammt der Ehe mit Sabine. Fred und sie kannten sich schon aus der Schule. Ihre Beziehung war ein seltsames Gemisch aus Gewohnheit und Überdruss und erschien merkwürdig leer. Als sie sich anderweitig orientiert, findet die Ehe in einer schnellen und friedlichen Scheidung ihr Ende. Ohne viel Aufhebens bleibt Phil bei seinem Vater. Die regelmäßigen Besuche bei seiner Mutter sind für ihn Pflichtbesuche, die er folgsam und ohne Freude absolviert.

Fred hatte sich zum ehrenamtlichen Sterbehelfer ausbilden lassen und betreute seine erste Klientin. Karla ist krebskrank und weiß, dass ihre Lebenszeit begrenzt sein wird.

Mit Fred weiß sie wenig anzufangen. Als Phil ihr beim Scannen ihrer Fotos hilft, erlebt sie in dem kleinen Kerl einen sensiblen, künstlerischen und aufgeweckten kleinen Kerl, der es ihr angetan hat. Er fragt nicht so viel, aber sie spürt, dass er sich in sie einfühlen kann.

Wie immer bei Susann Pásztor kommt in ihren Erzählungen der Humor nicht zu kurz.

Die Beschreibungen der Supervision, an der Fred in Ausübung seiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Sterbehelfer teilnehmen muss, wachsen sich zu ironischen kleinen Events aus. Da gibt es den Redestein, den derjenige, der etwas sagen möchte, in die Hand nehmen muss. Die Kommentare und Beispiele zeigen etwas von den charakterlichen Sonderlingen, die sich hier zusammengefunden haben. Fred ist ein unsicherer, nachdenklicher Bedenkenträger, der sich viele Fragen stellt über das, was er hier tut, und ob sein Handeln wohl richtig ist. Es muss nicht erwähnt werden, dass er an einem ausgeprägten Helfersyndrom leidet. So drängelt er ängstlich und etwas schwächlich seine Hilfe förmlich auf, die von der spröden Karla entsprechend abgewiesen wird.

Der dreizehnjährige Phil ist hingegen ein heimlicher Dichter mit Neigung zur Beobachtung und klaren Erkenntnissen über die Welt der Erwachsenen. Karla ist trotz ihrer heftigen Schmerzen voller Selbstironie und grober Ablehnung gegenüber allen falsch bekundeten Mitleidsbezeugungen. Kein Wunder, dass sie Phil am liebsten um sich hat!

Susann Pásztor versteht auf unnachahmliche Weise, Ernst mit Komik zusammenfügen.

Das konnte man schon in ihrem Debütroman “Ein fabelhafter Lügner“ feststellen.

Wie soll man das Leben in schwierigen Phasen auch anders ertragen?

Wie die Autorin Details herausgreift und auf den Punkt bringt ist bemerkenswert. Der feine Humor, der durch die Erzählung blitzt, gibt der Erzählung einen leichten Anstrich und macht die Dramatik von Krankheit und Tod auf erträgliche Weise fassbar.

Sie bietet in ihrem Roman gekonnte Einblicke in das Leben und Sterben der Betroffenen. Ferner lässt sich uns teilnehmen an einer glücklichen Vater-Sohn-Geschichte.

Susann Pásztor ist selber Sterbehelferin. Man kann sich vorstellen, dass sie für diejenigen, die sie betreut, mit ihrem Humor und Witz eine wahre Hilfe ist.

Ein gelungenes kleines Werk liegt hier vor. Es bietet Einblicke und Sichtweisen, die den Leser unterhalten, nicht langweilen und durchaus zum Nachdenken anregen.

Susann Pásztor
Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
288 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Februar 2017
ISBN-10: 3462048708
ISBN-13: 978-3462048704
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