Pierre Bost: Bankrott

Pierre Bost: Bankrott

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Eine ungewöhnliche Charakterstudie.

Wieder einmal ist es dem Dörlemann Verlag gelungen, ein Werk aus der Vergessenheit zu holen. Pierre Bost, 1901-1975, hat seinen Roman „Bankrott“ in den dreißiger Jahren veröffentlicht.

Seine Romanfiguren kranken häufig am Leben und finden nicht den richtigen Weg. So ergeht es auch dem Helden des nun vorliegenden Romans “Bankrott“.

Brugnon hatte eine unbeschwerte Jugend, geliebt von der Mutter und auf vorgezeichnete Bahnen seines Vaters setzend. Dieser war ein reicher Zuckerfabrikant. Kurz nach dem Ende seines Studiums wurde Brugnon Sekretär des Vaters. Etwas anderes war für ihn nicht vorstellbar. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters übernahm Brugnon die Firma und strebte ein einfaches Leben an. Er ging früh zur Arbeit, ruhte zur Mittagszeit ein Stündchen, um sich danach wieder der Arbeit zu widmen. Alles in allem ist er ein furchtbar langweiliger Mensch.

Wie Pierre Brost dieses Leben in seiner Schilderung umsetzt, zeugt von einer subtilen Beobachtungsgabe. Hier beginnt einer, um Anerkennung und Selbständigkeit zu ringen und ist doch recht eigentlich nie richtig erwachsen geworden. Wenngleich im Laufe der Erzählung schon 45 Jahre alt, wirkt er wie ein alter, müder Mann, der sich den Freuden des Lebens kaum hingeben kann. Er ist dem Spott eines Provinzredakteurs ausgesetzt, der ihn in tiefe Selbstzweifel stürzt.

Man sieht einen Menschen, der sich von Pflichtversessenheit beseelt in den streng diktierten eigenen Vorsätzen verheddert, verwegene Pläne zur Erweiterung seiner Firma schmiedet und auf ein unausweichliches Scheitern zusteuert. Zwischen zwei Frauen schwankend kann er sich auch hier nicht zu einer Entscheidung durchringen. Die treue Simone will er nicht, und die flatterhafte Florence bekommt er nicht. So bleibt er ein getriebener und unsteter Mensch, der fahrlässig seinem finanziellen und psychischen Ruin entgegen steuert. Seine Mitarbeiter sind scheu um ihn versammelt; doch auch sie können ihm nicht helfen. Die selbstzerstörende Gewalt ist erschreckend.

Pierre Bost nimmt die Zeichen seiner Zeit auf, denn überall schlingert die Nachkriegszeit in den zwanziger Jahren einer unausweichlichen Katastrophe entgegen. Brugnon wird zum Prototyp des Hasardeurs. Eine traurige Gestalt, die dem Leben nicht gewachsen ist.

Feine Beobachtungen der Menschen wechseln mit Bürostimmungen und Landschaftsbeschreibungen, die in ihrer stimmigen Genauigkeit faszinieren.

Es lohnt sich, Pierre Bost als herausragenden Schriftsteller seiner Zeit wieder zu entdecken.

Pierre Bost
Bankrott
260 Seiten, gebunden
Dörlemann, August 2015
ISBN-10: 3038200182
ISBN-13: 978-3038200185
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Elsebeth Egholm: Das nächste Opfer

Elsebeth Egholm: Das nächste Opfer

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Die Journalistin Dicte Svendsen und ihr Lebensgefährte Bo (Fotograf) werden aus dem Schlaf gerissen, weil der Pferdestall der Nachbarn in Flammen steht. Nicht weit entfernt, im Moor von Arhus, wird am folgenden Tag eine junge Frau tot aufgefunden. Sie wurde auf brutalste Weise ermordet. Es ist die Schwester der Nachbarin. Sie wurde offenbar gleich zweimal ermordet: mit dem Strick aufgehängt und mit einer Axt erschlagen. Kurze Zeit später wird eine zweite Leiche entdeckt. Auch hierbei handelt es sich um eine junge Frau, die in gleicher Weise ermordet wurde. Die Polizei geht davon aus, dass es sich um einen psychopathischen Serienmörder handelt. Neben der Polizei interessiert sich auch Dicte Svendsen als Journalistin für die Mordfälle. Nachdem sie einen Artikel darüber veröffentlicht hat, erhält sie per E-Mail eine Morddrohung.

Dieser skandinavische Roman fesselt nicht zuletzt wegen der vielfältigen Beziehungen seiner Figuren untereinander. Die Figuren sind keine losgelösten Individuen, sondern sie sind alle untereinander verbunden, was ein erhebliches Potenzial an Konfliktstoff aufweist. Zunächst einmal droht der Redaktion der Zeitung, für die Svendsen arbeitet, die Schließung bzw. die Entlassung einzelner Journalisten. Da wundert es nicht, dass ein Praktikant versucht, um den Platz, den Svendsen innerhalb der Redaktion innehat, zu kämpfen. Doch mit seinen Artikeln schießt der Praktikant in seinem jugendlichen Alter gerne über das Ziel hinaus. Dann gibt es da Martin Wagner, den Leiter der Mordkommission. Svendsen von der Zeitung und Wagner von der Polizei haben ein durchaus sympathisches Verhältnis zueinander. Es ist aber nicht konfliktlos, denn der Kommissar ist geschieden und lebt mit der Freundin der Journalistin zusammen. Zu Recht nehmen er als auch seine Freundin Ida Marie wahr, dass auf Seiten von Dicte wohl ein kleines Fünkchen Eifersucht in die Freundschaft hinein spielt. Eifersucht auf Wagner kann es eigentlich nicht sein, denn sie selbst lebt ja mit dem Fotografen Bo zusammen. Aber Eifersucht auf das schöne Leben ihrer Freundin Ida Marie wäre denkbar. Schließlich muss der Leser feststellen, dass das Verhältnis zwischen Dicte und Bo auch noch nicht sehr gefestigt ist. Auch Bo schießt als Zeitungsfotograf über das Ziel hinaus und verletzt seine Freundin in einem Moment, in dem sie es nicht erwartet hat.

Zwischen all dem Beziehungsstress wird ermittelt. Da hat die Autorin ein ganz besonderes Beziehungsgeflecht zusammengestellt und die Ermittlungen werden nicht einseitig von der Journalistin oder von der Polizei geführt. Immer wieder greifen die Rädchen ineinander. Immer wieder werden neue Aspekte ins Spiel gebracht, so das der Leser stets gezwungen ist, die Situation neu zu überdenken, um neue Möglichkeiten für die Aufklärung des Falles in Betracht zu ziehen. Egholm hat eine hinreißende Vorlage für spätere skandinavische Krimis geschaffen. Nicht zuletzt durch das Vorkommen religiöser Glaubensgemeinschaften und Sekten scheint der Roman eine Vorlage für die Krimis von Jussi Adler-Olsen zu sein. Ruhig und beschaulich geht es in diesem Roman jedenfalls nicht zu. Obwohl man ihn zurückgelehnt im Sessel mit viel Spaß genießen kann.

Egholm, Elsebeth
Das nächste Opfer
Aus dem Dänischen von Hanne Hammer
btb, München
ISBN 9783442733736
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Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe

Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe

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Verstrahltes Dorf – und was nun?

Tschernobyl ist der Ort des Schreckens, an dem diese Erzählung ihren Platz hat. Das Atomkraftwerk in Tschernobyl war 1986 außer Kontrolle geraten, und die ganze Gegend, Fauna und Flora mit allen Lebenden war von der Verstrahlung durch Radioaktivität betroffen.

Jeder weiß, wie dramatisch die Gefahr für die Menschen dort und auch in weiter Ferne noch war, durch radioaktive Strahlen vergiftet zu werden. Baba Dunja ist nach einiger Zeit in das Dorf, das ihr Heimat bedeutet, zurückgekehrt. Ihre Kinder sind erwachsen und weit fort. Sie ist niemandem Rechenschaft schuldig, wenn ihre Tochter auch nicht einverstanden ist, dass sie sich in diese Gefahrenzone begibt.

In knappen Worten und mit einem naiven Blick erzählt Alina Bronsky vom Leben in dem fast toten Dorf. Man bekommt einen lebhaften Eindruck davon, wie es sich ohne eine geordnete Verwaltung und damit einem gesicherten Leben dort wohnen lässt. Elektrizität, Wasser und Nahrungsmittel gibt es nur begrenzt. Die Heizung im Winter bleibt kalt.

Für größere Einkäufe, die Post und Rentenbescheide muss man sich in die nächste größere Stadt begeben. Es gibt aber durchaus noch Mitbewohner, die nach Tschernobyl zurückgekehrt sind. Dunja ist nicht alleine. Fast alle sind schon sehr alt! Die ungewöhnliche Alterspopulation macht das kleine Werk so einnehmend. Wo erfährt man schon, wie alte Menschen lieben, leben und hassen?

Die zarten Bande, die wenige Einwohner gelegentlich für einander empfinden, sind von einer besonderen Herzlichkeit. Ohne Humor und Witz läuft fast gar nichts!

In der Geschichte passiert nicht viel. Doch nimmt man die Stille wahr, die über allem liegt.

Alina Bronsky erzählt ruhig und mit trockenem Humor, wie es sich so weit entfernt von jeder uns vorstellbaren Zivilisation leben lässt. Allerdings ereignen sich auch sonderbare Dinge, die auf die russische Seele und die barbarischen Verhältnisse in Russlands Rechtssystem schließen lassen.

Man hält an Traditionen fest, ist sich zugetan oder mag sich nicht. Erzählt wird über russische Lebensart, über die Menschen in dem großen Land und den stoischen Gleichmut, mit der jeder/jede ihr Schicksal hinnimmt, so wie es gerade kommt.

Alina Bronsky
Baba Dunjas letzte Liebe
160 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, August 2015
ISBN-10: 3462048023
ISBN-13: 978-3462048025
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Hildegard Möller: Kohl – Rezepte mit dem Kultgemüse

Hildegard Möller: Kohl – Rezepte mit dem Kultgemüse

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Kohl ist doch ein eher langweiliges Gemüse. Das dachte ich jedenfalls bisher. Beim Durchblättern des Buches „Kohl – Rezepte mit dem Kultgemüse“ habe ich meine Meinung aber schlagartig geändert. Das mag zunächst an der Gestaltung des Buches liegen. Die Fotografen Rogge & Jankovic haben das Gemüse nämlich auf außergewöhnliche Art und Weise in Szene gesetzt. Man sieht den Kohl sofort mit anderen Augen. Und die Autorin führt dann auch direkt in die Szene ein. Der Kohl mausert sich nämlich zum Trendgemüse und das nicht nur hierzulande. Der Grünkohl zum Beispiel rückt direkt ins Rampenlicht. Da muss man einfach genauer hinsehen, hat doch das grüne Gemüse eine lange Geschichte.

Die Autorin streicht den Gesundheitswert von Kohlgemüse heraus. Die Vielfalt ist groß und reicht von Grünkohl über Chinakohl bis hin zu Brokkoli. Die Rezepte im Buch sind innovativ. Damit Kohl überzeugen kann müssen außergewöhnliche Kochanleitungen her.

Der Zeit angepasst, sind die Gerichte im Buch alle vegetarisch. Aber, und das finde ich wirklich gut, sie sind auch individuell anpassbar und können mit Fisch und Fleisch ergänzt werden. In einem extra Kästchen werden einige Rezepte erweitert. So kann beim Blumenkohl-Bruschetta die Oliven-Tapenade durch Koriander-Limetten-Shrimps ersetzt werden. Und der Wirsing-Kartoffelsalat kann wunderbar mit gebratenen Schinkenspeckwürfeln ergänzt werden.

Kohl kann mehr als eine Vorspeise oder ein Mittagsgericht sein. Wobei ich die „Grünen Pfannkuchen mit Honig-Senf-Dip“ schon sehr überzeugend fand. Auch roh schmeckt das Gemüse gut. Für Salat sind viele Sorten bestens geeignet.
Interessant ist, dass der Kohl auch ein gesunder Snack sein kann. Grünkohl-Chips sind wirklich mal etwas anders. Selbst grüne Smoothies lassen sich zubereiten.

Mit Kohl kann man also wirklich viel anfangen, das beweist die Autorin auf jeden Fall. Mit dem letzten Kapitel wird ihre Kreativität über jede Grenze hinausgetragen. Grünkohl-Brownies? Kohl-Schoko-Hupf mit Vanillesauce? Grünkohl-Orangen-Cupcakes mit Schoko-Topping? Unglaublich!

Rezension von Heike Rau

Hildegard Möller
Kohl – Rezepte mit dem Kultgemüse
Fotos von Rogge & Jankovic Fotografen
160 Seiten, gebunden
Franckh Kosmos Verlag
ISBN-10: 344014819X
ISBN-13: 978-3440148198
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E.L. Doctorow: In Andrews Kopf

E.L. Doctorow: In Andrews Kopf

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Genie oder Wahnsinn, das ist hier die Frage…

Andrew, der Held dieses Romans, erscheint uns als ein sonderbarer Mensch: zuerst stirbt ihm sein erstes Kind durch nachlässige eigene Fehler. Vermutlich einige Jahre später sucht er seine geschiedene erste Frau Martha auf, um ihr sein zweites Kind nach dem Tod der zweiten Frau zur Versorgung zur überlassen. Bemerkenswert erwähnt er immer wieder den „riesigen Ehemann“ von Martha.

Langsam rückblickend erfährt man in den teilweise wirren und teils genialen Gedanken, wie Andrew die Welt sieht und als Kognitionswissenschaftler sich die Welt zurechtbastelt. Gehirn, Seele, Mensch, Geist, Erinnerung und Studien zur Genese des Menschen geraten in einem heillosen Durcheinander zu einem verwirrenden Gemisch heutigen und vergangenen Wissens. Andrews Leben scheint aus einem einzigen Irrweg mit realen Mustern zu bestehen.

Der Leser ist überrascht und leicht verstört, was er von all’ dem halten soll.

Im einem zweiten Teil hören wir die Geschichte von Andrew und Briony, seiner ersten Frau. Skurril, witzig und sehr amüsant lesen wir von den Merkwürdigkeiten ihrer Herkunft und zuletzt ihrem unerwarteten Tod.

Wieder in einem weiteren Teil des Romans wird Andrew zum Präsidentenberater nach 9/11, dem Datum, das für Amerika zum Trauma wurde. Hier erlebte das Land den tiefsten Schlag seiner Geschichte. Der Autor nimmt den damalige Präsidenten und seine Umgebung zum Anlass für eine böse Satire.

Nach und nach werden die einzelnen Geschichten in einer Art Fiktion mit jeweils wechselnden Dialogpartnern erzählt.

E.L. Doctorow, hoch angesehener amerikanischer Autor und kürzlich verstorben, hat uns ein kleines, schmales Werk hinterlassen, das allerhand Rätsel aufgibt. Jeder wird sich seinen eigenen Reim darauf machen. Tatsache bleibt, dass der Autor eine Neigung zu Sonderlingen hat, wie man sie in einem seiner bekanntesten Romane „Homer & Langley“ schon ausmachen konnte. Der frühere Roman war humorig, kurzweilig und amüsant. Dieser Roman ist eher verworren und ein wenig undurchschaubar in seiner Absicht.

E.L. Doctorow
In Andrews Kopf
208 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, August 2015
ISBN-10: 3462048120
ISBN-13: 978-3462048124
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Verena Lueken: Alles zählt

Verena Lueken: Alles zählt

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Schicksale…

Wunderbar eingängig und sehr flott in der Diktion beginnt der neue Roman von Verena Lueken über eine Frau und ihre Geschichte.

Sie kommt aus Frankfurt/M nach New York, es mag im Jahr 2013 sein, und lebt für einen Sommer in der Wohnung von Freunden. Mit wenigen Worten verdichtet sich das Leben in der heißen, lauten, wilden und multikulturellen Stadt, in der in der Hitze des Abends Jazzklänge zum Tanzen verleiten, und die Menschen in einem fremdartigen Völkergemisch ihren Freuden, Nöten und allerlei sonstigen Tätigkeiten nachgehen.

Doch die Erzählerin ist krank. Sie wird eine schwere Operation erleiden müssen und sich den Fragen von Tod und Leben gegenübersehen.

Die Erzählung setzt sich schmissig fort und lässt in ihrem Tempo nicht nach. Erinnerungen an frühere Lebenszeiten und Erinnerungen an eine bewunderte Mutter und deren Lebenspartner wechseln ab mit den wachen Gedankenspielen darüber, welche Lebensphasen, Ziele und Gewohnheiten dem Leben inne wohnen.

Atmosphärisch dicht und im Erzählstrang nachdenklich erlebt man Reflexionen, Zweifel und kritische Lebensbetrachtungen einer Protagonistin, die es nicht leicht mit ihrer schweren Krankheit hat. Ihre nüchterne Betrachtungsweise und die klaren Ansagen zum eigenen Befinden werden sachlich vorgetragen. Erzählung reiht sich an Erzählung, in diesem Falle Erinnerungen und tägliche Begegnungen, ohne dass zwischen den einzelnen Episoden Brüche entstehen. Das erweckt den Eindruck einer flüssig fortschreitenden Geschichte.

Verena Lueken schreibt einen poetischen Stil, in dem das Leben in seiner ganzen Bandbreite Platz findet. Sie kann mit wenigen Worten Stimmungen, Ängste und Nöte einfangen, ohne je aufdringlich zu werden. Man fühlt sich berührt und liest mit großer Aufmerksamkeit, wie die namenlose Frau in dieser Erzählung ihr Leben zu meistern versucht.

Verena Lueken
Alles zählt
208 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, August 2015
ISBN-10: 3462047973
ISBN-13: 978-3462047974
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Irene Ruttmann: Adèle

Irene Ruttmann: Adèle

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Die Notizbücher sind abgegriffen. Erst lange nach dem Tod ihres Vaters beschließt die Tochter, darin zu lesen. Der erste Eintrag wurde im Sommer 1916 gemacht. Der Vater ist Anfang 20. Er hat sich freiwillig zum Sanitätsdienst gemeldet. Im Dezember 1916 ist er an der Aisne in Frankreich. Hier soll nach schlimmen Wochen etwas Ruhe einkehren. Es ist eine Zeit des Wartens in Ungewissheit. Als Kameraden unter Bauchschmerzen leiden, weiß Max, was helfen kann. Im Ort hatte er eine Apotheke gesehen und macht sich auf den Weg, um Salbeiblätter zu beschaffen. Das Geschäft hat nicht geöffnet. Ein Haus gegenüber weckt sein Interesse. Es hat einen Garten und hier könnte es auch Salbei geben. Er macht sich auf die Suche, ist aber nicht allein. Eine junge Frau sitzt hinter dem Haus auf einer Bank. Sie spricht kaum Deutsch und er auch nur ein paar Worte Französisch, dennoch gelingt eine Verständigung. So kehrt Max nicht mit leeren Händen zum Quartier zurück. Lange reicht der kleine Vorrat jedoch nicht. Wieder muss Max zu Adèle. Die beiden verlieben sich ineinander. Es ist eine Liebe auf Zeit, denn der Krieg geht weiter.

Die Autorin erzählt die Geschichte auf eine sehr schlicht wirkende Art und Weise, die dennoch die Vorstellungskraft anspricht und vor allem auch das Mitgefühl des Lesers weckt. Eine tiefe Melancholie liegt zwischen den Zeilen. Es gibt keine Zukunft für die Liebenden, denn Max wird gezwungen sein, weiterzuziehen. Die kurzen Zusammenkünfte sind gestohlener Zeit zu verdanken. Und Max wagt mit seinen Besuchen viel zu viel. Jedes Treffen kann das letzte sein. Auch ohne Abschied könnte die Liebe ein Ende nehmen. Es schmerzt unendlich, sich in dieser Gewissheit zu begegnen. Die Geschichte berührt. Die Autorin beschränkt sich auf Wesentliches. Die Handlung wird nicht besonders ausgeschmückt. Aber es sind gerade die nicht gesagten Worte, die die Tragik verdeutlichen.

Rezension von Heike Rau

Irene Ruttmann
Adèle
160 Seiten, gebunden
Paul Zsolnay Verlag
ISBN-10: 3552057382
ISBN-13: 978-3552057388
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Jocelyne Saucier: Ein Leben mehr

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Vom Glück des einfachen Lebens…

Drei alte Männer haben sich hoch oben in die nordkanadischen Wälder zurückgezogen. Sie leben dort unter denkbar einfachsten Bedingungen mit wenig Komfort, doch sie scheinen glücklich zu sein.

Eine ungenannte Fotografin sucht den Weg zu ihnen, weil sie sich für die großen Brände interessiert, die im Jahr 1916 in dieser Gegend weite Teile der Wälder und mit ihnen Dörfer, Städte und Menschen vernichtet haben.

Eigentlich sucht sie Boychuck, Ted, Ed oder Edward mit Vornamen.

Doch der ist kürzlich verstorben.

Hier in der Wildnis fühlt man sich wie am Ende der Welt. Die Fotografin ist zunehmend fasziniert von dieser endlosen Stille, dem Einsiedlerleben und den Erzählungen der sehr alten Männer.

Steve und Bruno versorgen die Alten mit dem, was man im Wald nicht finden kann. Als die Tante von Bruno, Marie-Desneiges, 81 jährig, zu ihnen stößt, wird die Geschichte zunehmend spannend. Was haben diese Menschen alles erlebt, wovon sie zu erzählen wissen! Dabei bleibt die Erzählung unaufdringlich und diskret.

Mit einnehmende Worten, poetischen Bildern und nachfühlbarem Erleben nimmt uns die Autorin mit auf eine Reise, von der wir nicht wissen, wohin sie uns führen wird. Es ist ein stiller und ruhiger Erzählstrom, der keine Hektik oder unerträgliche Erwartungshaltung auslöst. Man überlässt sich der Führung der Erzählung und den Geschichten, um die sich das Geschehen rankt.

Spannend ist ein jedes Schicksal, von dem hier die Rede sein wird. Man lernt zuhören und genau hinzuschauen. Die wunderbare, klare und kräftigende Natur bietet den Rahmen, in dem man die alten Männer trifft. Marie-Desneiges mit ihrem seltenen Schicksal macht die Gruppe komplett. Sie hatte es besonders schwer im Leben und schließt sich nur schwer an. Dass ihr hier nochmals ein spätes Glück beschieden sein würde, hat sie nicht geahnt. Es ist eine delikate und von hinreißender Zartheit gezeichnete Liebesgeschichte.

Die Erzählung handelt von Alter und Einsiedelei, von spätem Glück und Vergänglichkeit, von Freundschaft, Treue und Verlässlichkeit. Einfach herrlich!

Jocelyne Saucier lebt in Kanada. Dieser Roman ist ihr erster, der auf Deutsch erschienen ist. Man sollte sich ihren Namen merken.

Jocelyne Saucier
Ein Leben mehr
192 Seiten, gebunden
Insel Verlag, August 2015
ISBN-10: 3458176527
ISBN-13: 978-3458176527
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Reinhard Rohn: Leise, stirb leise

Reinhard Rohn: Leise, stirb leise

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Niemand weiß, dass er ein Mörder ist. 26 Jahre vergehen, bis ein ähnliches Verbrechen geschieht. Opfer ist wieder eine Prostituierte. Dass ein Zusammenhang besteht, ist ihm sofort klar. Er erkennt das Muster. Es deutet alles auf ihn hin, nur steht er nicht unter Verdacht. Dass er den zweiten Mord nicht begangen hat, heißt aber nicht, dass er nun keine Probleme hat. Zwar ist ihm die Polizei nicht auf der Spur, aber er wird mit einer Erpressung konfrontieret. Jemand ist hinter sein Geheimnis gekommen und droht nun, seine Familie zu zerstören. Er ist verheiratet und hat erwachsene Kinder, denen nun Unheil droht.

Kommissarin Lena Archer und ihr Kollege Henning Mahn gehen die Ermittlungsarbeiten an die Substanz. Beide sind mit privaten Problemen überladen. Sie arbeiten auf eine unkonventionelle Art, versuchen sich irgendwie durchzuschlagen. Archer ist sofort klar, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Mordfällen geben muss, auch wenn es 26 Jahre sind, die dazwischen liegen. Larchers Vater, heute im Ruhestand, hat in dem ersten Mord ermittel und immer noch damit zu kämpfen, dass er den Täter nicht überführen konnte.

Im Vordergrund stehen die Ermittlungsarbeiten. Es ist spannend zu sehen, wie Erkenntnisse zusammengetragen werden und wie alles voran geht. Dabei erfährt der Leser in parallelen Handlungssträngen schon sehr viel mehr über den Mörder, während der Erpresser unerkannt bleibt. Ein bisschen verwirrend sind die vielen Personen, die eine scheinbar eher untergeordnete Rolle spielen. Hier muss man sehr aufpassen, den Faden nicht zu verlieren.
Der Autor beschreibt sehr ausführlich. Dabei wird eine gewisse Spannung immer gehalten. Der Krimi ist also aufwändig konstruiert und damit auch sehr glaubwürdig. Am Ende gibt es dann eine unverhoffte Überraschung, was die Auflösung des Falles betrifft.

Rezension von Heike Rau

Reinhard Rohn
Leise, stirb leise
320 Seiten, gebunden
Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 342321600X
ISBN-13: 978-3423216005
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Ralf Kramp: Totholz

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Bei diesem Krimi handelt es sich um einen hausgemachten Eifel-Krimi. Der Autor Ralf Kramp stammt aus der Eifel, lebt in der Eifel, arbeitet in der Eifel und schreibt Eifelkrimis. Der Leser wird dezent in die Eigenheiten und die Schönheiten der Eifel und ihre Einwohner eingeführt. Ohne jeglichen Klamauk, dafür aber mit Charme und einer Portion Liebe, werden die Figuren beschrieben. Die Beschreibung der Eifel ist aber nicht der Kern des Romans, sondern der ist und bleibt ein Kriminalroman. Darum geht es:

Die ersten Kapitel führen scheinbar auf unterschiedliche Handlungsstränge ein, zwischen denen der Leser kaum einen Zusammenhang herstellen kann. Da ist zunächst der ominöse Deal, bei welchen Briefe und Urkunden aus dem Dritten Reich mit Unterschrift von Adolf Hitler und seinen engsten Mitarbeitern den Besitzer wechseln. Dann ist da die Sache mit den beiden Jungs aus dem Dorf, die den Hof ihrer Familie in die Medien bringen wollen, damit die Touristen kommen. Sie chauffieren eine angeblich verschwundene Kuh in geheimer Mission in die unglaublichsten Ecken der Eifel, wo sie dann zufällig von jemandem gesehen und fotografiert wird. Schließlich ist da die Amerikanerin, die einen Mühlenhof erworben hat, weil sie den Wurzeln ihrer Herkunft nach spüren wollte. Verlassen von ihrer Lebensgefährtin zergeht sie in tiefer Trauer.

Doch nun dauert es nicht mehr lange, bis die erste Leiche auftaucht, und Dr. Jo Frings der Meinung ist, ermitteln zu müssen. Von nun an lernt der Leser viele Eifelaner mit den unterschiedlichsten Eigenschaften kennen. Da wären einerseits die schlitzohigen Eifelaner, andererseits die dödeligen, aber auch die cleveren, die korrekten und gesetzestreuen, genau so wie die schrulligen, welche nicht in der heutigen Zeit zu leben scheinen. Es wird eifeler Platt gesprochen genauso wie Hochdeutsch. Humorvolle Dialoge geben Auskunft über das Miteinander der Figuren. Sie ziehen den Leser genauso in den Bann wie die Spannung und die Verwirrungen um den Täter. Anders, als in vielen seiner Kurzgeschichten schafft der Autor einen Roman ohne viel Klamauk und Komödie. Immer wieder bestechend sind die detaillierten Beschreibungen der Natur, die nur von jemandem stammen können, der sich viel auf Wiesen und Feldern und in Wäldern aufhält. Das Leben mit und in der Natur schafft die besten Möglichkeiten solch bildreiche Beschreibungen hiervon zu liefern.

Ein wunderbarer Kriminalroman nicht nur für Eifelaner, der sich in einem Stück gut weglesen lässt, weil er mit seinen bildreichen Naturbeschreibungen und zahlreichen Verwirrungen um den Tod einer Künstlerin den Leser in den Bann zieht.

Kramp, Ralf
Totholz
KBV-Verlag, Hillesheim
ISBN 9783942446440

© Detlef Knut, Düsseldorf 2015
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