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Schlagwort: Deszö Kosztolányi

Lerche

Lerche

Deszö Kosztolányi Lerche Manesse Bibliothek
ISBN 3717521446

In diesem kleinen Büchlein des 1936 bereits verstorbenen Autors Kosztolányi erwacht eine längst versunkene Welt in Ungarn z.Zt. der k.u.k – Monarchie für uns zu neuem Leben.

Fernab von den großen Städten mit ihrer Pracht erleben wir eine kleine Provinzstadt, in dem das Ehepaar Vajkay ihrem Alltag nachgeht.
In einer unspektakulären Handlung wird ihr Haus, die Inneneinrichtung, ihre Wohnung und ihr Leben mit ihrer ältlichen Tochter Lerche beschrieben.
Schon lange waren sie auf das Gut eines Vetters nur unweit ihres Städtchens eingeladen. Sie wollten die Einladung nie annehmen. Nun fährt statt ihrer die Tochter Lerche für eine Woche aufs Land.

Der Aufbruch der Tochter ist in allen Details aufgezeichnet.
Der Tisch im Wohnzimmer, auf dem sich die Sonnenstrahlen abzeichnen, die Couch, auf der noch Bänder zum Verschnüren liegen, der prall gefüllte Koffer und ein Korb mit allerhand Habseligkeiten stehen zur Abfahrt bereit.
Mit großem Aufwand begleiten die beiden alten Leutchen ihre Tochter zum Zug, der schon dampfend auf dem Gleis wartet.
Sie haben Tränen in den Augen beim Abschied und sind zum ersten Male seit langer Zeit alleine.
Zunächst etwas ratlos nehmen sie ihr Leben mit alten Bekannten in dem kleinen Städtchen wieder auf.

In feiner Manier und detailgenau werden die Gefühle der Alten zu Protokoll genommen. Man liest mit Entzücken über die Ruhe, die über der Stadt liegt. Das eintönige Leben läuft immer nach dem gleichen Maß ab. Zwischen den Zeilen spürt man die Ambivalenz gegenüber einer Tochter, die recht hässlich ist, und deren ältliche Gewohnheiten zum täglichen Allerlei gehören, und die man sogleich nach ihrer Abreise vermisst. Ein wenig aber darf man auch spüren, dass der Vater zwischen Zuneigung und stark verleugneter Abneigung schwankt. In einem Augenblick der Schwäche, er hatte ein wenig zu viel getrunken, rutscht ihm seine Abneigung, ja fast Hass, auch verbal heraus,–zum Entsetzen von Mutter!

In einer höchst einduckvollen und den damaligen Geflogenheiten gemäßen Sprache wird die Geschichte fort gesponnen.
Da steht ein Gasthausbesuch an, wo sich die Honoratioren treffen, und eine Theateraufführung steht ins Haus.

Die altmodische und differenzierte Sprachweise löst unweigerlich Bewunderung aus. Die k.u.k Monarchie ersteht mit ihrem Glanz und ihren konventionellen und höflichen Formen, ja so liebenswürdig und zuvorkommend charmanten Tönen des Umgangs miteinander. Man ist hingerissen von der filigranen Ausstattung der Beschreibungen. An jedem Wort und jedem Satz hat man seine Freude. Wie fast toten Gegenständen Leben eingehaucht wird, und ein langweiliges Provinzleben vor unseren Augen belebt wird; wie das Leben so ganz abseits vom Glanz der großen Welt auch im Kleinen seine Lebhaftigkeit und Reize enthüllt, das zeigt Meisterschaft.

Viele berühmte Dichter und Denker wurden Mitte des 19. Jahrhunderts geboren. Zu ihnen gehörten Musil, Broch, Th. Mann, Kafka, Einstein u.a. Aus Ungarn stammten Dichter, die uns heute fremd sind. So manches Kleinod mag darunter noch zu finden sein. Kosztolányi wird in einem Nachwort von Péter Esterházy als einer der besten Dichter jener ungarischen Zeit um die Jahrhundertwende benannt.

Das kleine, wunderschön aufgemachte Büchlein ist eine Kostbarkeit für Menschen mit bibliophilen Neigungen! Ich möchte es sehr empfehlen!

Rezension von Claudine BorriesBestellen