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Schlagwort: Familie

Philippe Pozzo di Borgo: Ziemlich beste Freunde

Philippe Pozzo di Borgo: Ziemlich beste Freunde

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Wie viel Leid kann ein Mensch ertragen? Wie viel Lebensmut und Optimismus muss er in sich tragen, um so humorvoll über das Leid seines Lebens schreiben und berichten zu können?

Ohne Dramaturgie schildert der Autor autobiografisch aus seinem Leben, angefangen von der Kindheit bis hin zur Gegenwart in dieser überarbeiteten Auflage nach den Dreharbeiten zur Verfilmung des Buches. Über dieses Buch zu sprechen führt automatisch hin zu einem Gespräch über diesen Menschen Pozzo di Borgo. Einen Menschen, den all sein Lebensmut auch nach schweren Tiefschlägen nicht verlassen hat, dessen Geschichte zwei Filmemacher aufgegriffen haben, weil sie unbedingt verfilmt werden musste.

Der Autor ist hineingeboren und aufgewachsen in eine reiche Familie, der Champagner-Familie Moët. Er verlebte die Kindheit eines reichen Schnösels mit seinen Geschwistern. Doch beim Studium lernte er wie auch andere 68er die Lehren von Marx und Engels kennen, die ihn an seinem schönen Leben zweifeln ließen. Zu dieser Zeit lernte er Beatrice kennen, mit der er jede Minute seines Lebens verbringen wollte. Er bekam hochdotierte Posten in den Konzernen seiner Familie, zu welcher auch die Marke „Louis Vuitton“ gehört. Er arbeitete sehr viel und heiratete irgendwann Beatrice. Es schien alles perfekt. Doch Beatrice bekam eine Fehlgeburt nach der anderen. Der Kinderwunsch beider wurde trotz des Geldes nicht gestillt. Bis sie schließlich Kinder adoptierten. Dann wurde bei Beatrice Krebs diagnostiziert. Auch hier halfen kein Geld der Welt und nicht die besten Kliniken. Philippe war stets an ihrer Seite. Seinen Job stellte er hinten an bzw. absolvierte er in weniger Zeit wesentlich intensiver. Als Ausgleich diente ihm Gleitschirmfliegen. Doch dann passierte 1993 der Unfall. Bis auf seinen Kopf und „etwas Leblosem zwischen seinen Lenden“ bewegte sich gar nichts mehr. Da trat Abdel in sein Leben. Abdel kannte bis zu diesem Zeitpunkt nur das Leben auf der Straße und lebte von Drogenhandel, Diebstahl und anderen Delikten. Pozzo di Borgo lernte nach Beatrice zum zweiten Mal einen Menschen kennen, dem er sich auf Gedeih und Verderb auslieferte, obwohl dieser aus einer ganz anderen Gesellschaftsschicht stammte.

Humorvoll und mit einer gehörigen Prise Sarkasmus und Ironie hat der Autor sein Leben niedergeschrieben. Der Leser spürt jede Depression, die der Autor bei einem Tiefschlag wie dem Tod seiner Frau, erleidet. Aber er will den Lesern nichts vorheulen und über das verpasste Leben klagen. Er will ihnen zeigen, dass es immer weiter geht, egal, was passiert. Dabei vergisst er sein Leid nicht, wie sollte er auch, wo er seinen Rollstuhl doch mit dem Mund bedienen muss. Das ist so geschickt in die humorvollen Szenen eingearbeitet, dass auch der Leser bei lauter Lachen immer wieder in die Realität des Autors zurückgeholt wird. Wenn das Buch auch nicht wie ein fiktiver Roman mit Dramaturgie aufgebaut ist, so ist es doch so interessant geschrieben, dass man unbedingt wissen möchte, wie das Leben dieses optimistischen Menschen weitergeht. Darin liegt ein besonderes Moment der Spannung. Und wer den Film vor dem Buch gesehen hat, darf sich auf ein ebenso schönes, aber anderes Ende freuen.

Pozzo di Borgo, Philippe
Ziemlich beste Freunde
aus dem Französischen von Dorit Gesa Engelhardt, Marion Ruß und Bettina Bach
FISCHER Taschenbuch, Frankfurt
ISBN 9783596513178
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Hila Blum: Der Besuch

Hila Blum: Der Besuch

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Familiengeschichten…

Geschichten israelischer Autoren gehören zu den sensibelsten und geheimnisvollsten, die wir kennen. Hila Blum ist neu im israelischen Literaturgeschehen. Der hier vorliegende Debütroman dürfte für zahlreiche Leser eine willkommene Neuentdeckung sein.

Jerusalem in einem sehr heißen Sommer.

Ein Junge wird vermisst, und Nati und Nili streiten sich über ihre unterschiedlichen Auffassungen, wie und ob man ihn finden wird. Nati ist nüchtern und arrogant, Nili betont optimistisch.

Es sind eingefleischte Verhaltensmuster, mit denen sich die beiden schon lange auf die Nerven gehen. Ihre Töchter sind für eine Woche verreist, und sie sind ganz auf sich selbst bezogen.

Frei assoziiert erlebt man die beiden in ihrem Alltag.

Nati und Nili wohnen schön und scheinen zufrieden. Doch stimmt das so?

Eines späten Abends meldet sich Duclos bei ihnen. Sie haben den französischer Millionäre vor vielen Jahren in Paris bei einer delikaten Begegnung kennengelernt. Überraschende Einblicke in seine Persönlichkeit geben der Geschichte Feuer und Spannung.

Durch den Roman ziehen sich Impressionen und Szenen aus dem Leben der Protagonisten, die sie in verschiedenen Facetten erscheinen lassen, ganz so wie im richtigen Leben. Niemals verlaufen Leben ohne Hochs und Tiefs und ohne Verstimmungen und Erfahrungen, die den einen oder anderen in unterschiedlichem Licht zeigen. Vergangenes vermischt sich mit der Gegenwart.

Frühere Beziehungen und zwei Töchter geben der Familiengeschichte Vielfarbigkeit.

Die Sprache ist feinsinnig, poetisch und Hila Blum beschreibt Situationen treffsicher. Vieles bleibt vage und unausgesprochen.

Man muss hinter die Worte schauen, um zu begreifen, was im Inneren der Protagonisten vor sich geht.

Wir werden zu Betrachtern von Ereignissen, die voller überraschender Wendungen, Geheimnisse, Missverstehen und erneuten Annäherungen sind.

„Ein großer Familienroman aus Israel, eine Autorin, deren Stilgefühl und klarer, kluger Blick verblüffen“ steht im Klappentext. Und in der Tat: es lohnt sich sehr, diese Autorin kennen zu lernen. Sie zeigt das Talent so großartiger israelischer Autoren wie Amos Oz, David Grossman und vieler anderer mehr.

Die erfolgreiche Übersetzerin Mirjam Pressler tut ein Übriges, um den Roman zu einem ausgewiesenen Lesevergnügen zu machen.

Hila Blum
Der Besuch
416 Seiten, gebunden
Berlin Verlag, August 2014
ISBN-10: 3827011949
ISBN-13: 978-3827011947
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Ulla-Lena Lundberg: Eis

Ulla-Lena Lundberg: Eis

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Mitte der 1940er Jahre kommt der Pfarrer Petter Kummel mit seiner Frau Mona und der kleinen Tochter Sanna auf die Örar-Inseln zwischen Finnland und Schweden. Das Ehepaar ist begeistert von der kargen Landschaft, ihrem neuen Zuhause auf der Kirchinsel und den Bewohnern, die ihnen durchweg freundlich gegenübertreten. Die Fischer und die Bauern auf ihren Höfen sind sofort fasziniert von dem junger charismatischen Pfarrer, der noch nichts weiß von den Konflikten zwischen den östlich und den westlich gelegenen Dörfern. Er begegnet allen Bewohnern unvoreingenommen und versucht so, die Gemeinschaft wieder zu stärken.

Petter und Mona wachsen in ihrem neuen Umfeld weiter zusammen. Dennoch wird ihre Ehe einer harten Prüfung unterzogen, denn der Pfarrer ist viel unterwegs und hat kaum Zeit für Gemeinsamkeiten. Die gesamte Haushaltsführung obliegt Mona. Jede Minute, die frei ist, genießt die kleine Familie deshalb doppelt. Ein weiteres Kind wird geboren. Traditionen und Kirchliches sorgen für Gemeinschaft zwischen den Höfen und bilden ein Rhythmus, nach dem gelebt wird. Die Pfarrersfamilie ist trotz der harten Arbeit glücklich. Aber mit dem Glück ist das so eine Sache. Man soll sich nie zu sicher fühlen. In der Abgeschiedenheit der wenig besiedelten Inseln mit ihren unwägbaren Wetterphänomenen, mit Stürmen, Eis und Schnee ist stets Vorsicht geboten. Doch lässt das der Pfarrer außer Acht.

Erzählt wird eine alltägliche Geschichte von Liebe, Glück und Leid. Das Leben der Familie Kummel wird beschrieben, mit allen Höhen und Tiefen, die der schwierige Alltag so mit sich bringt. Die Autorin stellt das auf eine sehr sensible Art und Weise dar, aber ohne zu beschönigen.
Es ist ein schwieriges entbehrungsreiches Leben und es ist ein Kampf ums Vorwärtskommen. Aber es ist auch voller glücklicher Momente, Hoffnungen und Pläne, die sich erfüllen, und deshalb hält die kleine Familie daran fest.
Als Leser wir man in die Lage versetzt, sich in das Geschehen hineinzuversetzen, mitzufühlen, ganz nah dran zu sein. Was ist wichtig im Leben? Was macht überhaupt ein Leben aus? Auch mit diesen Fragen setzt sich der Roman auseinander und auch damit wie zerbrechlich das Glück und wie verletzlich ein Mensch ist.

Rezension von Heike Rau

Ulla-Lena Lundberg
Eis
Übersetzt von Karl-Ludwig Wetzig
528 Seiten, gebunden
Mareverlag
ISBN-10: 386648206X
ISBN-13: 978-3866482067
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Marlies Ferber: Mord in Hangzhou – Ein neuer Fall für Agent 0070

Marlies Ferber: Mord in Hangzhou – Ein neuer Fall für Agent 0070

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Dieses Mal ist James Gerald in ganz geheimer Mission unterwegs. Ohne seiner Freundin Sheila den wahren Anlass seiner Reise nach China zu verraten, ermittelt er undercover im nächsten Fall. Seine Tarnung ist perfekt. Während Sheila glaubt, er sei Gast einen alten Freundes, dessen Tochter heiratet, was natürlich der Wahrheit entspricht, halten ihn die Menschen um ihn herum für einen Senior-Experten auf einem Gebiet, das garantiert niemanden interessiert.
Das verschafft ihm aber die erforderliche Nähe zu einem Kreis von Verdächtigen. Es geht um das vergifteten Wasser der Drachenquelle und die Ausrottung sehr besonderen Teepflanzen, aus dessen Blättern der Drachenbrunnentee hergestellt wird. Dieser Form von Wirtschaftssabotage muss natürlich Einhalt geboten werden. Dabei darf nicht zu viel nach außen dringen. Und es gibt auch eine Vermutung, wer Drahtzieher dieses Sabotageaktes sein könnte. Es existiert ein anonymen Brief, der seinen Ursprung ausgerechnet im agrarwissenschaftlichen Institut hat. Der Geheimdienst muss also ran. An dieser diskreten Hilfsaktion ist nun auch der Ex-Agent James Gerald beteiligt. Sein Alter von 70 Jahren hindert ihn nicht daran. Er wird im Heim für ausländische Experten des agrarwissenschaftlichen Instituts der Uni in Hangzhou untergebracht – und kommt bald auf eine sehr interessante Spur, die jeden Verdacht und jede Vermutung seitens des Geheimdienstes infrage stellt.

Zwar spielt in jedem Buch James Gerald die Hauptrolle. Die Krimis selbst, „Mord in Hangzhou“ ist der dritte, sind aber wirklich sehr unterschiedlich, was die Fälle und die Orte betrifft. Der Rollator schiebende Ex-Agent aus dem ersten Krimi ist verschwunden. James Gerald könnte auch gut als 50-jähriger durchgehen. Er hat Schwung und Elan, glänzt aber eben auch durch seine Lebenserfahrung und da ist er den jüngeren Kollegen um mehr als eine Nasenlänge voraus. Auch wenn das Buch einige Längen hat, ist es doch spannend zu sehen, wie die Puzzleteile zusammengesetzt werden und der Fall zum Schluss ganz anders dasteht als vermutet. Der Täter ist wirklich gut getarnt und seine Motivation zunächst kein bisschen ersichtlich. Und am Ende geht es dann auch hoch her, als dieser immer weiter in die Ecke gedrängt wird. Das ist der Punkt an dem Sheila, die bis dahin im Hintergrund geblieben ist, doch auf der Bildfläche erscheint und die Fäden in die Hand nimmt, damit ihr Freund James nicht in einem Sarg zurück in die Heimat fliegen muss.

Rezension von Heike Rau

Marlies Ferber
Mord in Hangzhou – Ein neuer Fall für Agent 0070
320 Seiten, broschiert
Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423215224
ISBN-13: 978-3423215220
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Birgit Jasmund: Die Tochter von Rungholt

Birgit Jasmund: Die Tochter von Rungholt

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Man schreibt das Jahr 1361 in Nordfriesland. Iven Levensen betrauert den Tod seines Vaters, der von den Wogensmannen erschlagen worden ist. Seine Schwester Laefke, die den Verlust ihres Ehemannes zu beklagen hat, kehrt auf den Hof zurück, der nun ihrem Bruder gehört. Es ist der zweitgrößte Hof in Rungholdt. Iven will den Tod an seinem Vater und dem Schwager rächen. Doch vor Gericht wiegelt man ab. So versucht Iven Männer um sich zu scharen, die sich ebenfalls gegen Henner Wogensen und seine Raubritter und Piraten, die die Gegend unsicher machen und die Handelsbeziehungen stören, wehren wollen.
Unterdessen verliebt Iven sich in die Kaufmannstochter Silja und gewinnt ihr Herz für sich. Allerdings gedenkt ihr Vater sie gegen ihren Willen mit dem Sohn eines wohlhabenden Hamburger Geschäftsmannes zu verheiraten, um seine wirtschaftliche Stellung aufrecht erhalten zu können. Die Zukunft sieht trübe aus. Auch für Laefkes tut sie das. Schon ihre Großmutter hatte die Gabe aufkommendes Unheil kommen zu sehen. Und auch der jungen Frau scheint diese Fähigkeit gegeben.

Die Stärke dieses historischen Romans liegt in der Erzählweise, derer sich die Autorin bedient. Sie schreibt ausgesprochen detailreich über Personen, Umstände und historische Hintergründe. Das macht die Geschichte lebendig, ausdrucksstark und gut nachvollziehbar. Die undeutlichen Visionen Laefkes deuten auf dramatische Veränderungen hin. Das sorgt für einen guten Spannungsbogen.
Die Geschichte hat einen realen historischen Hintergrund, den die Autorin mit sehr viel Fantasie und natürlich auch den Ergebnissen ihrer Recherchearbeit ausgefüllt hat. Das ist sehr überzeugend gelungen. Das Ende ist in sich abgeschlossen, lässt aber Spielraum für die Fantasie des Lesers und vielleicht auch für die Autorin selbst. Eine Fortsetzung der Geschichte wäre schön.

Rezension von Heike Rau

Birgit Jasmund
Die Tochter von Rungholt
463 Seiten, broschiert
Aufbau Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3746630290
ISBN-13: 978-3746630298
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Felicitas von Lovenberg: Und plötzlich war ich zu sechst

Felicitas von Lovenberg: Und plötzlich war ich zu sechst

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Familienkonstellationen in modernen Zeiten…

In lockerem und leichtem Ton erzählt Felicitas von Lovenberg, wie es ihr erging, als sie einen Mann mit zwei Kindern kennen und lieben lernte.

Sie ist über dreißig Jahre alt und hatte nach einer geschiedenen Ehe, die sie hinter sich hat, eigentlich dem Familienstand „Ehe“ abgeschworen.

Doch dann begegnet ihr der „Mann ihres Herzens“. Sie muss sich allerdings zugleich in zwei kleine Kinder verlieben, denn ohne diese kann sie den Mann nicht haben! Ihre eigenen Erfahrungen sind die Quelle, aus der sich der hier vorliegende Bericht speist.

Die Autorin bezieht sich in ihren Aufzeichnungen auf Untersuchungen, Statistiken und Veröffentlichungen zum Thema „Patchworkfamilie,“ deren Titel man im Anhang aufgeführt findet.

Mit ihren klugen theoretischen Erörterungen, Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis und Beobachtungen an sich und anderen beschreibt sie die Achterbahnfahrt, die man erlebt, wenn man sich erst einmal auf die Form von getrennten und neu gegründeten Familien mit allen dadurch bedingt verzweigten Verwandtschaftsbeziehungen einlässt.

Geistreich, witzig und schlagfertig sind die Situationskomiken, mit denen sie sich konfrontiert sieht. „Das hat unsere Mutter aber anders gemacht“ bezeichnet sie als Killerargument, gegen das es nichts zu sagen gibt.

Im Bekanntenkreis mit befreundeten Familien des neuen Mannes wird sie argwöhnisch begutachtet. Mit schmissigen Bemerkungen weiß sie über ihre Beobachtungen zu berichten. Sie ist ganz bei der Sache und doch distanziert genug, um ihre Erfahrungen mit Humor und Überlegenheit zu analysieren. Aus ihren Anmerkungen lugt gelegentlich der Schalk hervor, mit dem sie sich teils über sich selber oder über die anderen Beteiligten sehr reflektiert auslässt. Das heißt nicht, dass ihre Ausführungen nicht substantiell sind und auf ernster Grundlage basieren.

Warmherzig, einfühlsam und beherzt geht sie ihren neuen Lebensabschnitt an. Es ist ein langer Weg, bis sie zu der Einsicht gelangt, dass sie „Stiefmutter“ der Kinder ihres Mannes ist und bleiben will, nicht Freundin, Kumpel oder sonst wie geartete Begleiterin. Sie setzt ihre Regeln durch und bietet damit den Kindern ein sicheres Gegenüber. Dass bei diesem Prozess die Liebe zu ihrem Mann überdauert, ist Ausdruck von Stärke und Sicherheit im Urteil. Als Krönung ihrer „Arbeit“ als Patchworkerin bekommt sie nach Jahren zwei eigene Kinder. Erst dann scheint sie sich als richtige Familie zu fühlen. Auch hier bleibt sie jedoch kritische Beobachterin ihrer eigenen Gefühlswelten.

Ihre Analysen sind raumgreifend und detailgenau, wenn auch gelegentlich nicht ganz korrekt. Harz IV Empfängerinnen mit drei Kindern müssen nicht mit nur 490,00€ auskommen. Da gibt es noch Kindergeld und Mietzulagen.

Wie verwirrend aber das Zusammenspiel so vieler alter und neuer Stiefmütter- Väter und Großeltern sein kann, macht sich der unerfahrene Leser nicht klar. Da gibt es ungeahnte Kombinationen und Dynamiken, die es schwer machen, noch die richtige Zusammenhörigkeit zu orten. Insgesamt ist das eine gescheite und umfassende Studie, die neue Formen von Familienleben eruiert.

Felicitas von Lovenberg ist eine gut aussehende, strahlende und imponierende Gestalt im deutschen Literaturbetrieb, die als Leiterin des Feuilletons der FAZ schon einige Preise und Ehrungen einheimsen konnte. Man sieht mit Staunen, wie mutig sie sich ihrer neuen Aufgabe als Stiefmutter gestellt hat und wünscht ihr nach ihren Ausführungen, dass es ihr gelingen möge, das Familienglück zu erhalten.

Felicitas von Lovenberg
Und plötzlich war ich zu sechst
256 Seiten, gebunden
S. FISCHER, Mai 2014
ISBN-10: 3100800338
ISBN-13: 978-3100800336
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Rosemary McLoughlin: Die Frauen von Tyringham Park

Rosemary McLoughlin: Die Frauen von Tyringham Park

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Familiensagas sind die Domäne des weihnachtlichen TV-Programms. Aber es muss nicht immer nur Fernsehen sein, um sich mit dem dramatischen Leben einer ganzen Familie, welches über mehrere Jahrzehnte hinweg dargestellt wird, zu unterhalten. In der Romanwelt sind ebensolche Epen bekannt. Eines davon ist der vorliegende Roman „Die Frauen von Tyringham Park“ der Schriftstellerin Rosemary McLoughlin.

Der zum größten Teil in Irland spielende Roman beginnt während des ersten Weltkrieges im Jahre 1917, als die Suche nach der gerade zweijährigen Victoria in vollem Gange ist. Das kleine Töchterchen derer von Blackshaws ist just verschwunden, nachdem wenige Tage zuvor ein Kindermädchen den Herrensitz verlassen hat. Alle sind zutiefst betroffen vom Verschwinden des Kindes. Selbst die Dienstboten zeigen tiefes Mitgefühl. Die achtjährige Schwester Charlotte verliert sogar ihre Stimme nach diesem Vorfall. Die Leute gehen davon aus, dass sie sich die Schuld an dem Verschwinden von Victoria gibt. Nur ihre Mutter Edwina interessiert sich nicht im Mindesten, wie es ihrer größeren Tochter geht. Für sie hängt Victorias Verschwinden unmittelbar mit dem des Kindermädchens zusammen. Den Vater, der in London im Kriegsministerium arbeitet, macht diese Sache am allerwenigsten aus. Er hat keine Zeit, auf den Herrensitz zurückzukehren und wäre dienstlich sehr stark eingebunden, ließ er seine Frau in einem Brief wissen.

Charlotte ist die Protagonistin dieses Romans, obwohl der Klappentext mit dem Hinweis auf das Verschwinden Victorias leicht in eine andere Richtung weist. Die Spannung des gesamten Romans nährt sich aus der Entwicklung des achtjährigen Mädchens zu einer stattlichen Frau, die viele Höhen und Tiefen durchleben muss. Von dem eigenen Kindermädchen und selbst von der Mutter gehasst, hat sie eine schwere Kindheit. Doch der Leser wünscht ihr, dass sie aus diesem Sumpf von Abscheu herauskommt. Dabei ist Charlotte selbst nicht unfehlbar. So manches Mal, wenn sie ohne Argwohn denkt, auch sie hätte ein Anrecht darauf, ein paar Sonnenstrahlen abzubekommen, greift sie zu verkehrten Mitteln. Das Desaster kann nur schlimmer werden. Sehr geschickt ist hier die Autorin mit den Konflikten umgegangen. Immer, wenn der Leser denkt, jetzt hat Charlotte es geschafft, gibt es den nächsten Tiefschlag. So müssen spannende Romane sein. Dabei werden die zuvor lose liegengelassenen Fäden zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgenommen. Die Konflikte werden gelöst.

Unwillkürlich wird der Leser an die Erzählungen von James Joyce erinnert. Das liegt weniger an dem Stil dieser Schriftstellerin als an das gesamte Setting. Joyce hat zu der Romanzeit des vorliegenden Romans gelebt und seine Geschichten aus dem Irland Anfang des 20. Jahrhunderts geschöpft. So erscheinen die Straßenzüge, die Freizeitvergnügen der Herrschaften, das Reden der Leute aus der Upper Class sehr bekannt.

Der Verlag zieht auf dem Klappentext den Vergleich zu der englischen Fernsehserie „Downton Abbey“. Dem kann man nur bedingt folgen. Doch genau wie bei den Erzählungen von Joyce stimmt das Ambiente in Zeit (zwischen ersten und zweiten Weltkrieg), Ort (Herrensitz) und Figurenensemble (Adelige, Bürger und Dienstboten) überein.

Ein historischer Roman, der nicht im Mittelalter spielt, aber dennoch nichts an Dramatik, Spannung und Unterhaltung vermissen lässt. Es sind nahezu alle Genres in ihm enthalten: Liebe, Abenteuer und Verbrechen. Es macht großen Spaß, ihn zu lesen.

McLoughlin, Rosemary
Die Frauen von Tyringham Park
Aus dem Englischem von Dietmar Schmidt
Bastei Lübbe, Köln
ISBN-10: 3404169301
ISBN-13: 9783404169306

© Detlef Knut, Düsseldorf 2014
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Iny Lorentz: Die Wanderapothekerin

Iny Lorentz: Die Wanderapothekerin

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Dieser Roman wurde vom Verlag als Experiment herausgebracht. Es gibt ihn in sieben Teilen inklusive des kostenlosen Prologes, wobei jeder Teil auch als abgeschlossene Geschichte gesehen werden kann. Natürlich gibt es wie aus Fernsehserien bekannt einen alles überspannenden roten Faden. Den erfährt der Leser auch immer wieder in jedem Teil. Lediglich die Auflösung dieses roten Fadens erfährt der Leser nur im letzten Teil beziehungsweise in der Gesamtausgabe, der ich mich gewidmet habe.

Dem Autorenpaar ist erneut eine fesselnde Geschichte gelungen, Ich habe nicht wenige Bücher von ihnen gelesen, muss jedoch sagen, dass mich dieses Buch besonders begeistert hat. Erzählt wird die Geschichte von Klara Schneidt aus Katzhütte, die eine schwere Aufgabe übernommen hat, um ihrer Familie zu helfen.

Doch die Geschichte beginnt zunächst mit einer Begegnung der Brüder Martin und Alois Schneidt. Beides sind Wanderapotheker, die im Auftrag eines Laboranten (auch als Salbenmischer bezeichnet) durch die deutschen Lande ziehen, um die Salben und Elixiere zu verkaufen. Martin Schneidt ist der Vater von Klara und als Handelsvertreter erfolgreicher als sein Bruder Alois. Das verwundert nicht, denn während er extrem sparsam reist, sich abends lieber mit einem Kanten Brot zufriedengibt, kommt Alois ohne Prassen nicht aus. Bei ihm muss es jeden Abend Braten und Wein sein. Er nächtigt in den Herbergen, während Martin in Scheunen auf dem Stroh liegt.

Seit vielen Jahren reisen die Brüder und beginnen ihre Tour in Königsee, die dann nach vielen Monaten unterschiedlicher Wege kurz vor Zuhause in Gernsbach wieder zusammenläuft. Hier feiern sie meist gemeinsam das Ende ihrer Tour. Der eine sparsam, der andere prunkvoll. Vor Jahren hatten beide einen Schatz gefunden und brüderlich geteilt. Während Martin das Gold dieses Schatzes nie angerührt hatte, denn er meinte, es würde Unheil bringen, hatte Alois seinen Anteil für sein ausschweifendes Leben ausgegeben. Als sich Martin und Alois auch dieses Mal wieder treffen, möchte Alois, da er sehr knapp bei Kasse ist, dass sein Bruder den Schatz herausrückt und ihm erneut die Hälfte davon abgibt. Eigentlich sogar alles, denn der geizige Martin, würde das Gold eh nicht gebrauchen. Doch der will es nicht herausrücken. Kurzerhand erwürgt Alois seinen Bruder und kehrt allein nach Katzhütte und Königsee zurück. Den Schatz erhofft er sich von seiner Schwägerin Johanna zu bekommen. Für Martins Familie und alle anderen ist es zu der Zeit durchaus plausibel, dass jemand nicht von seiner Wanderschaft zurückkehrt. Streifen doch marodierende Banden und Soldaten durch das Land. Was den Schatz angeht hört Johanna jedoch zunächst auf den Rat ihres ältesten Sohnes Gerold, später dann auf den ihrer Tochter Klara.

In den Hauptfiguren ist Gut und Böse sofort zu erkennen. Dem Leser fällt es leicht, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Bei den Figuren, die in den einzelnen Abenteuern, welche in jedem Teil bestritten werden, eine Rolle spielen fällt es nicht ganz so leicht. Da wird der Leser schon mal mit einer Charakterisierung auf die falsche Fährte geführt. Diese Abenteuer, die sich der Wanderapothekerin in den Weg stellen, sind vielseitig. Mal hat sie es mit ruchlosen oder hinterhältigen Adeligen zu tun, mal muss ein Mensch aus einer Notlage befreit werden, mal handelt es sich auch um einen Kriminalfall, den es zu lösen gilt. Bei allem bleibt dem Leser im Hinterkopf aber Alois‘ Jagd nach dem Schatz einerseits und andererseits die Frage nach dem „Wer bekommt wen?“ in Sachen Romantik, denn ohne Liebegeschichte wäre ein solcher Roman nur halb so gut.

Ich halte die Gesamtausgabe für sehr empfehlenswert. Denn wenn man gefesselt wird von der Geschichte, dann will man auch alle Teile lesen. Man lernt anregende Figuren kennen und kann spannenden Abenteuern folgen. Ein Muss für Leute, die Geschichten lieben.

Lorentz, Iny
Die Wanderapothekerin
Knaur, München
ISBN 9783426424407

© Detlef Knut, Düsseldorf 2014
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Sarah Butler: Alice, wie Daniel sie sah

Sarah Butler: Alice, wie Daniel sie sah

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!Daniel ist ein Landstreicher. Immer ist er auf der Suche nach Dingen, die andere weggeschmissen haben. Wichtig sind die Farben, denn die haben eine Bedeutung für ihn. Lässt sich doch damit der Name seiner Tochter bilden. Einer Tochter, die er nicht kennt und die längst erwachsen ist. Alice. Sie ist genauso ruhelos wie ihr Vater, von dem sie nichts weiß. Sie unternimmt lange Reisen und hält sich nie lange an einem Ort auf. Sie kehrt zurück, als ihr Vater stirbt. Also der Mann, den sie für ihren Vater hält.

Daniel sieht die Beerdigung als Gelegenheit, seiner Tochter zu begegnen. So geht er hin. Doch wie soll er Alice gegenüber treten? Wie soll er sich verhalten? Was könnte er sagen? Er sieht ungepflegt aus mit den abgetragenen und schmutzigen Klamotten, mit den Bartstoppel und dem fettigen Haar.

Er bastelt für Alice aus den Dingen, die er findet und die in den Farben ihren Namen widerspiegeln kleine Kunstwerke und positioniert sie am Elternhaus, so dass Alice sie finden muss. Alice ahnt, dass der Mann etwas zu tun haben muss mit ihrer Mutter und dass er ihr etwas sagen will. Doch Daniel will seine Tochter nicht verunsichern. Beide finden schließlich einen Weg sich zu verständigen, wo Worte zu viel Schaden anrichten könnten.

Die Geschichte um Alice und ihren liebevollen Vater ist sehr emotional geschrieben. Es geht um Gefühle, Lebenswege, Fehlentscheidungen, Hoffnungen und das Leben im Allgemeinen. Der Tragik der schwierigen Familienkonstellation wird viel Platz eingeräumt.

Es ist schwierig, sich auf diese Buch einzulassen. Es hat eine ungeahnte Schwere. Und die Geschichte ist auch nicht leicht nachzuvollziehen. Es ergeben sich viele Fragen, die aber letztendlich offen bleiben. Die Hauptpersonen, Alice und Daniel, sind vom Charakter äußerst schwierig. Es ist kaum möglich, sich in die beiden hineinzuversetzen, sosehr man es auch versucht. Und doch wird man von der Geschichte gefangengenommen.

Rezension von Heike Rau

Sarah Butler
Alice, wie Daniel sie sah
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
320 Seiten, Klappenbroschur
Droemer Verlag
ISBN-10: 3426514095
ISBN-13: 978-3426514092
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Iny Lorentz: Das goldene Ufer

Iny Lorentz: Das goldene Ufer

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Der Roman des Autorenpaares ist der Auftakt einer neuen Romanserie um die Auswanderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Handlung beginnt im Morast und Schlamm, im Krieg. Der kleine Walter marschiert in einem Heer von Soldaten an der Seite eines Musketiers. Sein Regiment hatte erst vor zwei Tagen mit einem Teil von Napoleons Armee gekämpft. Nun sind sie auf dem Marsch nach Waterloo. Seit zwei Jahrzehnten marschiert der Kaiser der Franzosen von Sieg zu Sieg, doch nun wollen ihm die deutschen Truppen den Garaus machen.

Die Schlacht brachte viele Verluste, viele Weggefährten, darunter die Frauen, die im Tross mitmarschierten, wurden getötet. Während der Kämpfe rettet der kleine Junge, der stets mit seiner Trommel wegen ihrer Größe zu kämpfen hat, dem Regimentskommandeur das Leben. Oberst Graf Regnitz hat ein gutes Herz und belohnt den Trommler damit, ihn nach dem Krieg mit auf sein Anwesen zu nehmen und ihm gleichermaßen wie seinem eigenen Sohn eine Bildung angedeihen zu lassen. Walter bittet den Grafen, auch Gisela, die während der Schlacht zur Waise geworden war, mit auf das Gut zu nehmen. Die fürsorglichen Gedanken, die der Oberst pflegt, sind vor allem dessen Sohn, ein Luftikus und Möchtegern, und seiner Ehefrau, die wiederum den Sohn über alles schätzt und beschützen möchte, ein Dorn im Auge. So werden Ehefrau und Sohn zwangsläufig Widersacher in einem perfiden Spiel. Walter und auch Gisela bekommen Schulbildung auf dem Anwesen und werden später vom Grafen angestellt. Während Gisela als Magd in Diensten genommen wird, wird Walter, der der Sohn des alten Försters ist, gleichermaßen als Förster in Diensten genommen. Doch die außerordentliche Intelligenz Walters missfällt dem Sohne des Grafen überaus, lässt ihn schier vor Neid platzen.

Dem Autorenpaar ist mit diesem Roman wieder ein großes Abenteuer gelungen, in welchem sie das Auf und Ab der Gefühle der Leser bedienen. Der Leser wird hineingezogen in eine Geschichte, die es ihm unmöglich macht, nicht für die eine oder andere Figur im Roman Partei zu ergreifen. Atmosphärisch hat mich dieser Roman sehr stark an einige Werke von Karl May erinnert. Besonders an die Werke Mays, die in Deutschland spielen. Sie handeln im gleichen Jahrhundert wie der vorliegende Roman, und Förster, Grafen, Bedienstete sind dort ebenso bekannt wie die in diesem Buch. Iny Lorenz haben sich wieder mal in eine andere Zeit begeben und verstehen es fantastisch, die Liebe zweier Menschen während eines chaotischen und zerstörenden Umfelds erwachsen zu lassen.

Abenteuer und Lust auf Abenteuer zeichnen für einen sehr unterhaltsamen Roman. Dafür kann es nur eine volle Punktzahl geben.

Lorentz; Iny
Das goldene Ufer
Taschenbuch
Knaur, München
ISBN-10: 342651169X
ISBN-13: 978-3426511695

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013
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