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Rebecca Gablé: Das Haupt der Welt

Rebecca Gablé: Das Haupt der Welt

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Einer Schriftstellerin, die als Mediävistin wie kaum eine andere die englische Geschichte aus dem FF beherrscht, sei es gegönnt, sich in anderen europäischen Landstrichen mit dem Schreiben abzulenken. Mit dem gerade erschienenen Roman „Das Haupt der Welt“ wendet sich Gablé dem deutschen Volke zu und nimmt das 10. Jahrhundert unter die Lupe.

Der Leser befindet sich zu Beginn in Brandenburg des Jahres 929. Besser gesagt: auf der Brandenburg. Hier herrschen die Heveller, ein slawischer Stamm im Havelland. Sie haben sich auf der Burg verschanzt, um einer Belagerung des Frankenkönigs Heinrich zu widerstehen. Doch wie mit einem Handstreich werden die Slawen besiegt. König Heinrich hält es mit seinen Vorgängern und bemüht sich, das Reich der Sachsen nicht nur zu festigen, sondern es auch zu erweitern und die heidnischen Stämme dem christlichen Glauben zuzuführen. Bei Brandenburg erreicht er einen wesentlichen Sieg gegen den Hevellerfürsten Vaclavic, dessen Sohn Bolilut bei diesem Kampf ums Leben kommt. Vaclavics zweiter Sohn, Prinz Tugomir, und seine Tochter Dragomira werden von Heinrich als Geiseln gefangen genommen und nach Magdeburg verschleppt. So soll ein erneutes Aufbegehren der Heveller verhindert werden. Während der Geiselhaft wird Dragomira von Otto, Heinrichs Sohn, geschwängert. Nicht gegen ihren Willen. Sie hat sich in ihr Schicksal gefügt und findet den Prinzen ebenso attraktiv wie er sie. Ihrem Bruder Tugomir jedoch ist das ein Dorn im Auge. Doch so sehr er auch die Sachsen wegen ihrer Gewalttaten gegen die Slawen hasst, kann er sich aufgrund seines edlen Geblüts nicht eines gewissen Respekts seiner Unterdrücker gegenüber erwehren. Das Wort Freundschaft wäre zu viel des Guten, aber Otto, Tugomir und Ottos älterer Bruder Thankmar schwimmen quasi auf einer Wellenlänge.

Gablé hat auf 850 Seiten erneut ein großes Werk der Illusion geschaffen, die Illusion einer Welt, in die die Leser entführt werden. Quasi eine Geiselnahme mit dem Unterschied, dass sich die Leser hierhin gerne entführen lassen. Romane wie dieser dienen mehr denn je dem Eintauchen oder Abtauchen der Leser in andere Welten. Während es im täglichen Alltag immer mehr Stress und Hektik gibt, so kann man sich in diesem Roman trotz aller rasanten Spannung, die ab der Hälfte des Buches noch an Fahrt aufnimmt, in eine ruhigere und überschaubarere Welt versetzen. Die Heldinnen und Helden erscheinen wie Menschen zum Anfassen, sie sind sympathisch und liebenswert, genauso wie die Schurken hassenswert sind. Besonders gelungen ist die Nachvollziehbarkeit der Gedanken der Helden. Natürlich kann heute keiner sagen, was sich ein König bei einer Entscheidung gedacht hat. Aber der fiktive Roman darf das und Rebecca Gablé nutzt das entsprechend. Sie lässt den Leser teilhaben an der Entscheidungsfindung, sie lässt die Zweifel, Ängste, Freiheiten, Zwänge und Gewissensbisse ihrer Helden nachvollziehen. Die Entscheidungen der Herrscher wirken dadurch nicht mehr historisch abstrakt, sondern menschlich. Stundenlang wird der Leser in dieser Welt festgehalten, deren fiktive Handlung mit handwerklichem Geschick und Können durch historische Fakten und Belege untermauert wird. Die Schriftstellerin hat sich nach dem Studium altertümlicher Chroniken und Schriften ihre eigene Meinung gebildet und bietet den Lesern eine Alternative zu manchen Geschichtsschreibern darüber an, wie das Leben am Hofe König Ottos verlaufen sein könnte. In gewohnter Weise hat sie real existierende, historische Persönlichkeiten mit fiktiven Figuren gemischt, um ein dramaturgisch verdichtetes Geschehen der Jahre 929 bis 941 im ostfränkischen Reich aufleben zu lassen.

Mit diesem Roman lässt sich Weihnachten sehr, sehr gut überwintern.

Gablé, Rebecca
Das Haupt der Welt
864 Seiten, gebunden
Hardcover
Lübbe, Köln
ISBN-10: 3431038832
ISBN-13: 978-3431038835

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013
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Julia Stagg: Madame Josette oder ein Dorf trumpft auf

Julia Stagg: Madame Josette oder ein Dorf trumpft auf

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Dieser Roman ist der unmittelbare Nachfolger des ein Jahr zuvor erschienenen Romans „Monsieur Papon oder ein Dorf steht Kopf“ Er beginnt etwa wenige Tage nach der Handlung des ersten Romans. Hautnah kann der Leser den Mikrokosmos in einem Bergdorf in Frankreich erleben. Während im ersten Roman die Einwohner des Dorfes Fogas durch den Zuzug eines englischen Ehepaares, die die Dorfschenke betreiben wollen, erschüttert, so werden die Einwohner in diesem zweiten Roman auf ein neues durcheinandergewirbelt.

Fabian, der Neffe von Josette, die die Inhaberin des kleinen Tante-Emma-Ladens ist, hat in Paris studiert und gearbeitet. Nun kehrt er nach Fogas zurück. Zurück deshalb, weil er als Kind jedes Jahr von seinen Eltern hier hergeschickt wurde, um die Sommerferien zu verbringen. Deshalb ist ihm das Dorfleben nicht unbekannt. Nach all dem Trubel in der Metropole Paris sehnt er sich nach dem Landleben und hat die großartige Idee, seiner Tante beim Betrieb des Tante-Emma-Ladens unter die Arme zu greifen. Diese Idee kommt natürlich nicht von ungefähr, schließlich ist aus den Erbschaftsunterlagen von Jacques, dem verstorbenen Onkel, herauszulesen, dass Fabian die Hälfte des Ladens geerbt hat. Weil sich Josette nicht im komplizierten Erbschaftsrecht auskennt, war sie nie auf den Gedanken gekommen, dass ihr der Laden nicht allein gehörte. Getreu dem Sprichwort „Neue Besen kehren gut“ hat der junge Banker ganz frische und mutige Ideen, den Laden im Dorf wieder in Schwung zu bringen. Selbstverständlich kommt er nicht auf die Idee, irgendjemanden, und schon gar nicht seine Tante, zu fragen, ob sie damit einverstanden sei. Dass er damit alle Vorurteile der Dorfbewohner gegenüber den Großstädten unterstützt, fällt ihm nicht im Traum ein.
Parallel dazu erleben wir die Geschichte von Stephanie, die auch vor kurzer Zeit in das Dorf gekommen war mit ihrer Tochter Chloé. Keiner ahnt, dass Stephanie vor ihrem Mann geflüchtet ist, um mit ihrer Tochter den ständigen Wutausbrüchen ihres ewig betrunkenen Ehemanns zu entgehen. Stephanie hatte sich in Fogas bereits ein neues Heim aufgebaut und sich hervorragend in die Dorfgemeinschaft eingearbeitet.
Doch Stephanie und Fabian geraten des Öfteren mächtig aneinander. Zwischen den beiden scheint sich eine Mauer des Unglücks aufgerichtet zu haben.

Wie schon im ersten Roman hat sich die englische Schriftstellerin auf einen kleinen Trick zurückgezogen, um die Geschichte mit einem zusätzlichen zwinkernden Auge erzählen zu können: Der Geist von Jacques, dem verstorbenen Inhaber des Tante-Emma-Ladens, lebt noch in diesem Dorfladen. Meist sitzt er auf dem Kaminsims. Doch manchmal starrt er auch aus dem Fenster. Jacques ist eigentlich für alle Dorfbewohner unsichtbar außer für zwei von ihnen. Seine Witwe Josette kann ihn sehen und mit ihm sprechen genauso wie die kleine Chloé, Stephanies Tochter. Dieser Geist gibt oft Anlass zu amüsanten Szenen, wenn sich Fabian beispielsweise wundert, dass seine Tante ständig irgendwelche Selbstgespräche führt. Oder wenn Jacques Stephanie warnen möchte. Dazu schreibt er etwas in den Staub. Aber als Geist kann er nicht mit seinen Fingern im Staub schreiben, sondern er muss pusten. Und das bringt den Geist im wahrsten Sinne des Wortes außer Atem. Aber nicht nur dieser Trick ist es, der das Buch besonders reizvoll macht, sondern auch die stets wechselnde Perspektive, aus der die einzelnen Szenen geschildert werden, ist wunderbar gelungen. Nahezu alle wichtigen Dorfbewohner in dieser Geschichte kommen einmal zu Wort, um aus ihrer Sicht die Dinge zu erzählen. Damit der Leser damit nicht zu sehr überfordert wird, ist in jeder neuen Szene im ersten Absatz jeweils der Name der erzählenden Figur aufgeschrieben. Eine schöne Vorgehensweise, die ich so in anderen Romanen noch nicht entdeckt habe.

Volle Punktzahl für einen wunderschönen Roman, der in Frankreich spielt. Wer den Spielfilm um die „Schtis“ kennt, kann sich etwa eine Vorstellung von diesem Roman machen, wer den Film der „Schtis“ liebt, der wird auch dieser Roman lieben.

Stagg, Julia
Madame Josette oder ein Dorf trumpft auf
348 Seiten, gebunden
Hoffmann und Campe, Hamburg
ISBN-10: 3455404316
ISBN-13: 978-3455404319

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013
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Torsten Körner: Die Familie Brandt

Torsten Körner: Die Familie Brandt

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Psychogramm einer eindrucksvollen Familie.

Mit ungewöhnlichem Feingefühl hat sich der Autor Torsten Körner in seiner Biographie über die Familie Brandt den einzelnen Persönlichkeiten angenähert. Viele wissen noch, welche Rolle Willy Brandt(1913-1992) als Oberbürgermeister von Berlin (1957-66) und als vierter Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland (1969-1974) spielte. Sein Rücktritt der Guillaumeaffäre wegen ist Legende.

Torsten Körner hat unendlich viele Quellen benutzt, hat ebenso viele Interviews mit Weggefährten, Freunden, Genossen und insbesondere mit den Söhnen Willy Brandts geführt und hat sich damit aus verschiedenen Sichtweisen ein Bild gemacht vom Charisma des begabten und eindrucksvollen Politikers Willy Brandt. Vom Exil in Norwegen bis zu seiner politischen Karriere in der Bundesrepublik Deutschland reicht der Bogen der Historie. Wir erleben einen Mann, der Suchender, Zweifler und Visionär in Einem war. Brandts erste und seine zweite Frau waren ebenso außergewöhnliche Persönlichkeiten wie er selbst. Sie werden als charakterstark, liebevoll und großzügig beschrieben. Rut ist die uns bekannteste seiner Frauen, mit der er drei Söhne hat.

Rut Brandt ist wohl den längsten Weg mit ihm gegangen. Sie wird uns gezeigt als fröhliche, ausgleichende und fürsorgliche Frau und Mutter, ohne den Gedanken der Emanzipation zu vernachlässigen. Sie gewann auf internationalem Parkett Anerkennung, denn sie konnte das Bild der deutschen „Mutti“ mit ihren Auftritten revidieren.

Herkömmlich galt Willy Brandt als fremdelnden und abgehobenen Politiker. Aus Briefen, Zeugenaussagen und dem Werdegang seiner Söhne lässt sich dagegen schließen, dass er bei aller Gefühlsenthaltsamkeit ein fürsorglicher, liebevoller und vor allem toleranter Vater gewesen ist. Torsten Körner hat ein Psychogramm dieser Familie entwickelt, das an keiner Stelle Fragen offen lässt. Behutsam und sensibel nähert er sich einer jeden Person, die etwas über die Familie sagen kann. Auch Schattenseiten werden nicht ausgespart. Brandt war ein zuweilen an Selbstzweifeln und Depressionen leidender Mann. Der Autor hebt hervor, wie authentisch Willy Brandt wirkte, weil er sich seinen Zweifeln und den Niederlagen stellte. Ein zutiefst menschliches Bild ist unter der Feder von Torsten Körner über die Familie Brandt entstanden. Die einzelnen Mitglieder der Familie waren autonom und unabhängig; sie waren jedoch nicht unangefochten, wie sie durch die Sturmfluten des politischen Geschehens steuerten. Sehr beeindruckend bleibt für mich, dass bei aller Individualität und Stärke der einzelnen Personen ein fester Familienzusammenhalt über die Jahre bestehen blieb.

Nebenbei bietet die Recherche noch einmal Einblicke in die politische Landschaft der Nachkriegszeit mit den unsagbaren Krisen um die Stadt West-Berlin, die durch den Ost- West-Konflikt im Fokus politischer Auseinandersetzungen stand.

Alles in allem ist die Biographie höchst lesenswert!

Torsten Körner
Die Familie Brandt
512 Seiten, gebunden
FISCHER, August 2013
ISBN-10: 3100404076
ISBN-13: 978-3100404077
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T. Coraghessan Boyle: San Miguel

T. Coraghessan Boyle: San Miguel

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San Miguel, vor der Küste Kaliforniens gelegen, ist das, was man eine einsame Insel nennt. Überredet von ihrem Ehemann, beginnt Marantha hier im Jahre 1888 mit ihm und ihrer Stieftochter ein neues Leben, in der Hoffnung, es möge ihrer Gesundheit zuträglich sein. Ab und an bessern sich die Symptome der Schwindsucht tatsächlich, aber bald wird klar, dass es auch auf der Insel keine Heilung geben wird. Die Arbeit auf der Farm mit den Schafen ist hart. Das Wetter ist unberechenbar. Es gibt keinerlei Komfort. Die Sehnsucht nach dem Leben in der Stadt wächst ins Unermessliche. Die alltägliche Monotonie und vor allem auch die Einsamkeit machen ihr zu schaffen. Sie erträgt das Leben hier nicht und ihrer Adoptivtochter Edith, die 14 Jahre alt ist, geht es genauso. Doch sie wird viel mehr Zeit auf der Insel verbringen, als ihre Stiefmutter, weil der Stiefvater sie dazu zwingt.

Jahrzehnte später kommt wieder eine Frau auf die Insel. Elise Lester begleitet ihren Mann hierher. Die beiden behalten ihre Liebe und ihr Glück und lassen sich von der schweren Arbeit nicht unterkriegen. Sie genießen die einsamen Momente, die Natur und die Geborgenheit, die sie sich schaffen. Zwei Kinder werden geboren und wachsen auf der Farm auf. Sogar die Presse wird aufmerksam auf die einsam lebende Familie und das mitten in der Weltwirtschaftskrise. Was nach außen hin so idyllisch wirkt, ist das Ergebnis harter Arbeit und der Bereitschaft, Entbehrungen hinzunehmen. Die Jahre kommen und gehen und es wird immer schwerer, das Glück festzuhalten.

Drei Geschichten werden erzählt. Marantha, Edith und Elise stehen jeweils im Mittelpunkt. Für jede bedeutet San Miguel etwas anderes. Für die eine ist es die Hölle, für die andere ein steiniger Weg in ein selbstbestimmte Leben und für die Dritte das wahre Glück. Diese Unterschiede zu sehen, diese verschiedenen Lebensentwürfe, ist sehr spannend. Man nimmt teil am Leben der Frauen, das der Autor auf eine sehr ruhige und melancholische Art schildert. Immer wieder scheint es, als versuche die Insel, ihnen die Hauptrolle streitig zu machen. Glück, selbst wenn man glaubt, es für immer zu haben, scheint doch vergänglich zu sein. Es gibt so vieles, das als gegeben hingenommen werden muss.

Historische Fakten liegen dem Buch zugrunde. Diese hat der Autor aneinander gewoben und mit seiner Fantasie zu einer lebendigen Erzählung aufgefüllt, die berührt.

Rezension von Heike Rau

T. Coraghessan Boyle
San Miguel
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
448 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN-10: 3446243232
ISBN-13: 978-3446243231
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Nina George: Die Mondspielerin

Nina George: Die Mondspielerin

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Dieser Roman der inzwischen zu einigen schriftstellerischen Ehren gelangten Nina George ist bereits 2011 erschienen. In ihm lässt die Autorin bereits die sanften und sinnlichen Töne anklingen, durch die sie im Roman „Das Lavendelzimmer“ berühmt geworden ist. Er besticht durch seine gefühlvolle und besinnliche Art, Dinge und Geschehnisse zu beschreiben, als würde man in die Protagonistin hinein schauen.

Wir befinden uns in Paris an der Seine, in die sich Marianne hineinstürzt, um aus dem Leben zu scheiden. Sie hat es satt, an der Seite ihres Mannes weiterhin das graue Mäuschen zu spielen, sie hat es satt, nicht mehr zu wissen, wo sie im Leben steht, sie mag einfach nicht mehr und will einen Schlussstrich unter ihr Leben ziehen. Doch so leicht wird es der Deutschen nicht gemacht. Sie wird aus dem Fluss gerettet. Enttäuscht darüber dass ihr der gewählte Weg versagt bleibt, schlägt sie einen neuen Weg ein. Ihr Mann zeigt nach wie vor kein großes Interesse an ihr. Er begreift einfach nicht, wie sie sich fühlt. Mariannes neuer Weg führt in die Bretagne. Hier, in einem kleinen Ort, lernt sie viele nette Menschen kennen, die ihr eine zweite Chance zum Leben geben. Marianne lernt französisch sprechen und sie bekommt einen Job in der Küche eines kleinen Restaurants. Sie wird mit viel Wärme und Liebe in die kleine Gemeinschaft der Bretonen aufgenommen. Doch Marianne bleibt hin- und hergerissen zwischen ihrem alten Leben an der Seite ihres Ehemannes und dem neuen, freien Leben an der Seite eines Malers, in den sie sich verliebt, so wie sie bislang noch nie verliebt gewesen war.

Mariannes Gefühle fahren auf der Achterbahn und Nina George lässt den Leser ganz tief eintauchen in die Gefühlswelt der Protagonistin. Das Schwanken zwischen dem alten und dem neuen Leben wird unheimlich nachvollziehbar und authentisch. George hat einerseits einen Blick und ein Ohr für das feinsinnige in den Beziehungen der Menschen untereinander, andererseits ist sie dank ihres handwerklichen Könnens in der Lage, diese Feinsinnigkeit so akkurat in ihre niedergeschriebenen Worte zu legen, dass dem Leser nichts anderes übrig bleibt, als mit allen Sinnen das Geschehen mitzuerleben und die Gefühlswelt der Menschen nachzuempfinden.

Angenehm ist auch der Ausklang des Buches, in welchem in kurzen Abschnitten die Bretagne von A bis Z erläutert wird. Dem einen oder anderen mag dies eine Hilfe sein, im Nachhinein so manche Kleinigkeit im Roman mit anderen Augen zu sehen.

„Die Mondspielerin“ ist ein Entwicklungsroman, bei der eine von Lethargie und Gram gebeugte Frau jenseits der 50 den aufrechten Gang lernt und sich von ihrem bisherigen Leben lossagt und vom Ehemann emanzipiert. Es ist ein großartiger Roman für alle, die Frankreich lieben, die die Bretagne lieben, und die, die nicht auf actionreiche Szenen aus sind, sondern vielmehr auf das Kopfkino, welches sich bei feinfühligen Sätzen, wie die von George, etabliert. Ich komme nicht umhin und muss diesem Roman, genauso wie zuvor schon seinem Nachfolger, die volle Punktzahl geben.

George, Nina
Die Mondspielerin
Taschenbuch
Knaur, München
ISBN-10: 342650135X
ISBN-13: 978-3426501351

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013

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Elizabeth Strout: Das Leben, natürlich

Elizabeth Strout: Das Leben, natürlich

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Familienleben mit krassen Auswüchsen.

Nach ihrem wunderbaren Roman „Mit Blick aufs Meer“, in dem sie ein Kleinstadtmilieu beschrieben hat, liegt endlich der neue Roman von Elizabeth Strout vor.

Sie berichtet dieses Mal über eine Familie in Maine. Im Prolog kündigt die Autorin an über die Burgess-Kinder schreiben zu wollen. Diese sind wie sie selbst aus Maine, und die Geschwister umgibt ein Schleier aus Unglück und Versagen. Shirley Falls ist die kleine Stadt, in der sie leben, in der jeder jeden kennt und in der nichts unbeobachtet bleibt. Bob, Jim und Susan Burgess haben in Maine die Schulbank gedrückt. Die Brüder sind später nach New York gegangen und Anwälte geworden. Jim ist erfolgreich und lebt mit seiner Frau Helen ein äußerlich zufriedenes Leben. Er hat drei wohl geratene Kinder, die alle aus dem Haus sind. Jims Frau versucht ihr gutes Leben vor den Unbilden der beiden anderen Geschwister zu schützen, denn Bob hat es nicht so weit gebracht. Susan, seine Zwillingsschwester, ist wie Bob geschieden und lebt weiterhin in Maine. Ihr einziger Sohn bereitet ihr Kummer und Sorgen.

Elizabeth Strout zeigt ihre gerühmte Kunst, Milieuschilderungen und Einzelschicksale zu verknüpfen. Sie lässt die Geschichte allmählich erst zu einem Ganzen zusammenwachsen, so dass man über weite Strecken nicht sicher weiß, worauf die Geschichte hinausläuft. Rassismus spielt eine hervorstechende Rolle, und Neid und Missgunst säumen den Weg der drei Geschwister unter einander.

Doch schließlich überschlagen sich die Ereignisse, und die Spannung steigt. Familiengeheimnisse werden erkennbar, bei deren Eröffnung der kluge und erfolgreiche Jim an Glanz verliert und der schüchterne und eher gutmütige Bob an Ansehen gewinnt. Als es Jim unerwartet ganz schlecht geht, und er am Leben, an seiner Familie und an seinen eigenen Fehlern zu verzweifeln droht, sagt ihm sein Bruder Bob: „Doch, Du hast eine Familie. Deine Kinder sind wütend auf Dich, Deine Frau hasst Dich, Deine Geschwister machen Dich wahnsinnig und Dein Neffe ist ein Trottel. Das nennt man Familie.“ Zitat WDR: „Treffender und ironischer kann man die vierhundert Seiten dieses großartigen Buches nicht zusammenfassen.“

Bei allen verzweigten Geschichten und Nebengeschichten sind es doch die Burgess-Kinder, die den Fokus der Geschichte ausmachen. Da ist der deutsche Titel zum Roman nicht ganz verständlich, und die direkte Übernahme aus dem Englischen Titel wäre passender gewesen.

Sprachgewandt und vielseitig mit ihren Sujets, in diesem Fall jedoch fast überfrachtet, gehört Elizabeth Strout nach meinem Dafürhalten dennoch zur Elite amerikanischer Erzähltalente.

Elizabeth Strout
Das Leben, natürlich
400 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, September 2013
ISBN-10: 3630873448
ISBN-13: 978-3630873442
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Thomas C. Boyle: San Miguel

Thomas C. Boyle: San Miguel

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Der amerikanische Bestsellerautor T. C. Boyle hat sich mit diesem Roman der Geschichte zweier Familien angenommen, die auf der kleinen Pazifikinsel San Miguel vor der kalifornischen Küste lebten. Aufmerksam geworden auf diese Geschichte ist er während seiner Recherchen zu dem vorhergehenden Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“. Mit den beiden nacherzählten Familiengeschichten, die in unterschiedlichen Epochen spielen, die erste im 19. Jahrhundert und die zweite 50 Jahre später im 20. Jahrhundert, nimmt sich Boyle dem Phänomen des immer weiter nach Westen strebenden Pioniers an. Wir finden den über 400 Seiten starken Roman in drei Teile untergliedert vor. Die ersten beiden Teile, die um 1880 spielen, sind der Familie Waters gewidmet. Der dritte Teil rückt dann in die Zeit ab 1930 vor, ragt bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein und erzählt die Geschichte der Familie Lester. Die kleine Kanalinsel, auf die die beiden Familien ziehen, ist geprägt von kargem Land. Kaum Vegetation ist lediglich Schafzucht in diesem minimalistischen Lebensraum möglich. Der Autor stellt zu Recht die Frage, was bewegte diese Menschen, auf diese Insel zu ziehen. Während Marantha Waters und ihre Tochter Edith nur dem Ruf von Maranthas Ehemann folgen und das Gefühl haben, auf der Insel wie in einem Gefängnis zu leben, geht Elise Lester mit ihrem Mann aus freien Stücken auf die Insel und lebt sehr gerne auf dieser Insel.

Beide Familien haben tatsächlich existiert und es liegen Dokumente über deren Leben auf der Insel vor. Das besondere Verdienst Boyles ist es, die real existierenden Familien in eine fiktive Handlung eingebettet zu haben, um sie plastischer vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen zu lassen. Erst durch die Handlungen und Dialoge, wie sie nur in einem fiktiven Roman, zudem von einem wortgewandten Schriftsteller wie T. C. Boyle und seinem präzise und ebenso wortgewandten Übersetzer Dirk van Gunsteren machen die Verhältnisse und das Leben auf dieser Insel spürbar. Auch die Herausarbeitung von Figuren, wie sie vom Schriftsteller bezeichnet werden, sind nur in einer fiktiven Geschichte möglich. Dies macht die Charakterstudien der beiden Familien äußerst lesenswert.

Wer mit dem Roman jedoch ein spannendes Abenteuer wie „Drop City“ oder „Amerika“ erwartet, der wird enttäuscht werden. Harte Auseinandersetzungen und Konflikte zwischen zwei Menschengruppen stehen nicht im Vordergrund. Wohl aber eben solch harte Konflikte zwischen den Bewohnern dieser Insel und den Naturgewalten. Diese brechen herein in Form von Stürmen, in Form des Zweiten Weltkrieges, in Form von Krankheiten. Mit San Miguel kann man sich einlassen auf einen eine historische Fiktion. Es besticht durch die vom Autor gewohnten präzisen Charakterstudien und detailreichen Beschreibungen der Landschaft, die Heimat des Inselfuchses ist, der nur auf dieser und fünf anderen kleinen Kanalinsel lebt.

Obwohl das Leben auf dieser Insel einem Abenteuer gleicht, ist der Roman kein Abenteuerbuch und man muss sich auf den Inhalt einlassen. Nichtsdestotrotz ist es hervorragend geschrieben und hat meine volle Punktzahl verdient. Ich freue mich auf ein Treffen mit dem Autor, wenn er in den nächsten Wochen durch Deutschland lesetourt.

Boyle, Thomas Coraghessan
San Miguel
Hanser, München
ISBN 9783446243231

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013
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David Foenkinos: Zum Glück Pauline

David Foenkinos: Zum Glück Pauline

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Leben ist Glückssache!

Der Icherzähler dieses hinreißenden Romans befindet sich in keiner guten Lage. Er lebt mit seiner Frau in Paris zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Unerträgliche Rückenschmerzen plagen ihn und führen zu den wildesten Fantasien über die möglichen Ursachen. Seine Frau Élise und er sind zwanzig Jahre verheiratet und um die vierzig Jahre alt. Die Tochter ist kürzlich mit einem Freund zusammengezogen, und der Sohn, noch nicht einmal 18 Jahre alt, zieht ein Studium in den USA dem weiteren Verbleib im Elternhaus vor. Die Eltern sind geschockt über den Zustand des unwiederbringlichen Alleinseins. Darüber helfen die Freunde Édouard und Sylvie auch nicht hinweg.

Der Icherzähler reflektiert unermüdlich seine Lage, die darauf schließen lässt, dass er hochgradig hypochondrisch und depressiv ist. Zu allem Übel hat er seinen Job als Architekt gerade verloren. Die Einsicht, wie es mit der Liebe zwischen ihm und Élise steht, macht ihn auch nicht gerade froh. “Manchmal, wenn ich mit ihr zwischen den Blumen umherspazierte, überkam uns die Vergangenheit. Dann gingen wir hinauf ins Schlafzimmer und waren für zwanzig Minuten noch mal zwanzig. Diese Momente waren unendlich kostbar.“ Wie sie ihm aus dem Fenster nachwinkt, oder wie sie beide, ihrer Jugend gedenkend, noch einmal kurz die Liebe erleben, das ist meisterhaft in der Beobachtung und Darstellung.
Hier kehrt einer sein Inneres nach außen, und dem Leser werden Zustände vor Augen geführt, die man gut nachempfinden kann. Verlustängste, Zukunftssorgen, Einsamkeit und Verlorenheit kennzeichnen einen Mann, der mit einem sensiblen Gespür für das, was kommen mag, ausgestattet ist. Es kommt schließlich so viel zusammen, dass er wirklich am Leben verzweifeln könnte! Doch dann begegnet ihm Pauline…

Mit ausnehmender Feinsinnigkeit erweckt David Foenkinos seine Helden zum Leben. Man denkt unwillkürlich an Italo Svevo oder Marcel Proust, die zu dem vorliegenden Werk Pate gestanden haben könnten. Sie beschreiben ebenfalls neurotische Menschen mit ihren Selbstzweifeln, Grübeleien, nostalgischen Erinnerungen an die Kindheit und mit der immer gleichen Unsicherheit beim Leiden am Leben. David Foenkinos, Jahrgang 1974, ist jedoch ein Autor ganz eigener Prägung. Er findet genau die passenden Worte für die wechselnden Gefühle und Stimmungslagen, denen sich der Icherzähler ausgeliefert sieht. Die beschriebenen Rückenschmerzen ziehen sich in ihrer Befindlichkeit durch den ganzen Roman und sind Synonym für das allgemeine Elend, in dem der Held steckt. Die Ängste vor den zahlreichen Untersuchungen und der anstehenden Diagnose für seine Beschwerden wachsen sich zur allgemeinen Panik über seinen Gesundheitszustand aus. Bald erweist es sich, dass die Rückenschmerzen psychosomatischen Ursprungs sind.
Wir erleben nun mit, wie gleichsam in einer Art Metamorphose aus dem ängstlichen, zaghaften und zwanghaften Mann ein befreiter Mensch wird, der seine neuen Freiheiten zu nutzen weiß.

Foenkinos Erzählung pendelt zwischen Ernst, Nostalgie, Melancholie und Ironie. Er übertreibt gelegentlich, so dass die Traurigkeit, mit der unser Held seinen von Angst besetzten Netzen der Einbildung und Vergangenheit zu entkommen trachtet, herabgemildert wird. Damit bietet er die nötige Distanz, um die ganze Geschichte mit einem Hauch menschlich absurden Verhaltens zu würzen. Man trifft dieses ja in der Realität tatsächlich häufig an!

Wieder einmal ein gelungener Roman von dem hoch geehrten Autor David Foenkinos!

David Foenkinos
Zum Glück Pauline
411 Seiten, broschiert
Beck, Juli 2013
ISBN-10: 3406654207
ISBN-13: 978-3406654206
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Sarah Moss: Schlaflos

Sarah Moss: Schlaflos

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Das Haus liegt einsam auf einer Insel im Westen Schottlands. Anna Bennet lebt mit ihrem Mann Giles Cassingham und den Kindern für einige Zeit hier. Während Giles, der Ornithologe ist, die Papageientaucher beobachtet, versucht Anna ein Buch zu schreiben, das sie als Historikerin beruflich weiterbringen soll.

Doch Anna ist zeitlich zu sehr eingeschränkt. Die Kinder, der zweijährige Timothy und der siebenjährige Raphael, lassen ihr nur sehr wenig Zeit zum Arbeiten. Und Gils geht seine Forschungsarbeit über alles. Er ist kaum im Hause. Dazu kommt der Schlafmangel, der Anna fast verzweifeln lässt, denn Timothy schläft keine Nacht durch. Austausch mit anderen Müttern findet nicht statt. Kindergarten und Schule stehen nicht zur Verfügung. Es ist einsam auf der Insel.

Als die Familie im Garten Apfelbäume pflanzen will, stößt sie auf die sterblichen Überreste eines Babys. Die Polizei wird informiert. Der Verdacht steht im Raum, dass die Familie Cassingham damit etwas zu tun hat. So beginnt Anna eine weitere Forschungsarbeit, die Generationen der Familie ihres Mannes betreffend, die hier in Colsay House gelebt haben.

Für Anna ist es nicht einfach, Familie und Beruf zu verbinden. Ihre Hoffnungen und Wünsche für die Gegenwart und die Zukunft schlagen sich in der Geschichte nieder. Gedanken, die wohl alle Mütter betreffen, bilden das Fundament. Dem gegenüber wird die wissenschaftliche Arbeit gestellt, die Anna leistet. Sie erforscht unter welchen Bedingungen Kinder im 18. Jahrhundert lebten. Dazu kommt dann das Stück Familiengeschichte, dass sie aufarbeitet. Und so werden die Generationen bis in die Gegenwart verbunden.

Vielleicht ist es das, was Anna dazu bringt, ihre Zeit auf Colsay dann noch etwas leichter zu nehmen. Es ist vor allem auch die entstehende Selbstironie, die sie weiterbringt. Das fasst die Autorin sehr gut in Worte. Und auch, dass die Zeit vergänglich ist, sich Dinge ändern, wenn man offen für Neues ist, wird vermittelt.

Die Autorin hat einen fesselnden Schreibstil. Das Buch gefällt, weil es mit Verstand, Feingefühl und Wärme geschrieben ist.

Rezension von Heike Rau

Sarah Moss
Schlaflos
Aus dem Englischen von Nicole Seifert
596 Seiten, gebunden
Mareverlag
ISBN-10: 3866481772
ISBN-13: 978-3866481770
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Klaus Kordon: Das Karussell

Klaus Kordon: Das Karussell

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Der 450 Seiten starke Roman erzählt eine Familiengeschichte über zwei Weltkriege hinweg. Zunächst wird in parallelen Handlungssträngen von den beiden Kindern Herbert Josef Lenz und Elisabeth Gerber erzählt. Herbert, genannt Berti, ist das Kind einer Vergewaltigung. Seine Mutter war als Dienstmagd von ihrem Dienstherrn vergewaltigt worden. Kein Wunder, dass er von ihr nur halbherzig geliebt wird und sie ihn in ein Waisenheim abschiebt. Als die Mutter später wieder einen Mann findet, hat Berti erst recht keinen Platz mehr in ihrem Leben. Das Waisenhaus wird von einem strengen Pater und einem strengen Lehrer geleitet. Gutes hat Berti von diesen Leuten nicht zu erwarten. Schon als kleines Kind von sechs Jahren, als der Erste Weltkrieg 1914 ausbricht, fragt er sich unentwegt, warum seine Mutter ihn nicht zuhause aufwachsen lässt. Sie kommt ihn zwar oft besuchen, aber das ist nicht das, was er sich wünscht. Die Frage, ob er ein ungeliebtes Kind ist, nagt sehr stark an ihm. Aber er lernt, sich im Heim durchzusetzen und wird zu einem so genannten Rüpel, letztendlich zu einem wahren Prügelknaben. Immer wieder kommt er bei Wasser und Brot in den Karzer oder muss sich über den Prügelbock legen und wird windelweich geprügelt.

Parallel dazu wird die Geschichte von Elisabeth Gerber, genannt Lisa, erzählt. Lisa wächst im Harz, in Thale, als Tochter des Sohns eines Fleischermeisters auf. Die Mutter hatte sich die Hochzeit mit einem Kleinbürger erkämpft, was deren Vater, Hüttenwerker und überzeugter Sozialdemokrat, gar nicht gerne sah. Jedoch spätestens nach der Geburt von Lisa ergab er sich in sein Opadasein mit einem bürgerlichen Schwiegersohn. Ihre Mutter betreibt eine Wirtschaft, doch mit dem Ersten Weltkrieg bricht das Unheil für die kleine Familie ein und der Vater wird in den Krieg berufen. Von nun an musste sich die Mutter mit Lisa und ihren drei Geschwistern alleine durchschlagen, denn der Vater kehrte aus diesem Krieg nicht zurück.

Der Autor hat einen besonders schönen Stil gefunden, diese in Geschichte, die wie eine Familienbiografie anmutet, niederzuschreiben und zu erzählen. Eigentlich wird die Geschichte aus der Perspektive von Bertis Sohn erzählt. Doch dem stehen nur zwei Kapitel zur Verfügung: der Anfang und am Ende der Epilog. Erst im Epilog erfährt der Leser, wie der Erzähler, der ja gar nicht alles miterlebt haben kann, an die Informationen über seine Familie gelangte. Dazwischen wird das gesamte Buch von einem auktorialen Erzähler vermittelt. Über Jugendzeit und Kindheit der beiden Protagonisten Lisa und Berti bis weit in die erste Ehe hinein verläuft die Handlung beider bis zur Hälfte des Buches separat und parallel voneinander. Man erfährt vom Aufwachsen beider über die grausamen Umstände mit denen sie fertigwerden mussten, auch die schönen Momente, die sie im Leben hatten. Man erfährt, wie Lisa einen Menschen heiratet, obwohl sie ihn vielleicht nicht liebte, aber der ihr ein Zuhause bot, und den sie bis über seinen Tod hinaus respektierte. Man erfährt auch von Berti, dass er eigentlich kein Schläger werden wollte. Aber dass er doch ein großes Stück seines Lebens in diesem Waisenhaus verbrachte und sich dort durchsetzen musste, was wiederum dazu führte, dass er sehr wohl austragen konnte, um sich zu verteidigen.

In teils humorvollen Episoden werden viele Lebensabschnitte dieser beiden Personen geschildert. Der aufmerksame Leser wird erwarten, dass sich die Wege von Lisa und Berti irgendwann einmal treffen müssen. Sie werden auch einen gemeinsamen Weg beschreiten. Nahezu anrührend wird das Bemühen der beiden umeinander aufgezeigt.

Der sehr authentisch wirkende Roman ist ein Musterbeispiel für alle diejenigen, die sich berufen fühlen, aus ihrem eigenen Leben oder aus dem Leben naher Verwandter berichten zu müssen. Es gibt sehr viele Lebensgeschichten, sehr viele Lebensberichte aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und davor. Aber meistens sind diese Berichte Tatsachenberichte, die einfach und schnörkellos erzählt werden. Als solche lassen sie jedoch oft die Spannung vermissen. Dem ist nicht so bei dem vorliegenden Roman. Dieser Roman ist dramaturgisch inszeniert, auch wenn viele Elemente davon autobiografisch oder biografisch sein sollten, ist zu spüren, dass an der Dramaturgie gefeilt wurde, damit die Leser nicht nur an die Informationen gelangen, sondern auch noch Spaß dabei haben. Ein einfühlsamer, bewegender Roman mit einem Ende, wie es sie auch geben mag. Von mir gibt es dafür fünf Sterne.

Kordon, Klaus
Das Karussell
Hardcover
Beltz & Gelberg, Weinheim
ISBN-10: 3407811144
ISBN-13: 978-3407811141

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013

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