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Hisham Matar: Geschichte eines Verschwindens

Hisham Matar: Geschichte eines Verschwindens

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Libyen steht hier im Hintergrund einer mysteriösen politischen Geschichte.

Hisham Matar gehörte schon mit seinem Roman „Im Land der Männer“ zu den ausgezeichneten Schriftstellern. Wieder handelt es sich um eine Geschichte aus dem arabischen Raum, in dem seit dem Ende des osmanischen Reichs Chaos und kriegerische Handlungen die Regel sind.

Nuri, ein zwölfjähriger Junge, lebt mit seinem Vater in Kairo. Dorthin ist Kamal Pascha el-Alfi Ende der sechziger Jahre vor den politischen Unruhen in Libyen mit seiner Frau und seinem Sohn über Paris geflüchtet. Kamal bekleidete einst selbst ein hohes Regierungsamt in Libyen und musste nach dem Sturz der Monarchie das Land verlassen.
Nach dem frühen Tod seiner Frau lebt Kamal ein abgeschiedenes Leben zusammen mit seinem Sohn und dem verbliebenen Hauspersonal.

1971 lernt Nuri am Strand von Alexandria die hübsche und sehr junge Frau Mona kennen. Er ist ganz hingerissen von ihr. Umso größer ist die Enttäuschung, als der Vater die um viele Jahre jüngere Mona heiratet. Der an der Grenze zur Adoleszenz stehende Junge leidet unter Einsamkeit und Eifersucht bis ihn weiteres Ungemach trifft. Mit der vorbereitenden Einleitung beginnt eine Geschichte, die uns in die Wirren komplizierter politischer Verhältnisse entführt.

Aus den Augen des jungen Nuri betrachtet man den Vater, der geheimen Aktivitäten nachgeht. Woher soll ein Junge wissen, wie Politik aussieht und warum sein Vater ein sehr vorsichtiger Mann geworden ist? Nuri verehrt den Vater und weiß nicht, warum dieser ihn nach England ins Internat schickt.
Doch eines Tages ist der Vater verschwunden.

Man ahnt mehr als zu wissen, dass der libysche Geheimdienst seine Hände im Spiel hat.

Hishan Matar findet die richtigen Worte, mit der unheilvolle Ereignisse ihr Mysterium behalten. Orient und Okzident sind gegenwärtig, wenn die Familie ihre Aufenthalte zwischen Kairo, der Schweiz, Frankreich und England wechselt.

Eingebettet in die politische Geschichte erlebt man das Heranwachsen von Nuri, der sich mit Mona in einer schicksalhaften Nacht verbindet. Poetische Beschreibungen bieten die schönsten Geschichten, die orientalische Lebensart und hierarchische Strukturen erkennen lassen. Nuri findet nach dem Verschwinden des Vaters seinen eigenen Weg, der von Einsamkeit gezeichnet ist und immer wieder bei der Suche nach Spuren des Vaters endet. Hinreißende Stimmungsbilder zeigen die leicht melancholisch gefärbte Welt, in der Nuri heranwächst. Mit Spannung erwartet man das Ende der Geschichte.

Schon der fein entworfene Einband offenbart in nebligen Grautönen verwischte Spuren von exotischen Pflanzen und Gebäuden.
Ähnlich verwischt sind die Farben, mit denen man Nuri in seiner familiären Verlassenheit erkennt.

Werner Löscher-Lawrence bietet mit der Übersetzung eine Meisterleistung.

Der vielfach mit Preisen ausgezeichnete Autor Hisham Matar lebt heute in London und hat in den Roman eigene autobiographische Erlebnisse einfließen lassen. Er hat erneut mit diesem Werk einen hoch zu lobenden Roman geschrieben.

Hisham Matar
Geschichte eines Verschwindens
192 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, Juli 2011
ISBN-10: 363087245X
ISBN-13: 978-3630872452
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Ulrike Blatter: Der Mann, der niemals töten wollte

Ulrike Blatter: Der Mann, der niemals töten wollte

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Ein sechsjähriges Kind wird vermisst gemeldet. Doch dies ist zunächst kein Fall für die Polizei. Der Entführer ist ein Bosnier, der sich von dem kleinen Mädchen mit „Vater“ anreden lässt.

An dieser Stelle kommt ein gesellschaftliches Thema ins Spiel, welches von der Autorin geschickt in eine spannende Handlung gekleidet wird. Krieg und Flucht aus Ex-Jugoslawien, Aufnahme in unserer westlichen Gesellschaft, Umgang mit ausländischen Mitbürgern. Haarklein werden die Verhältnisse eine Flüchtlingsfamilie in der deutsch-schweizer Gegend um Konstanz und den Bodensee herum geschildert.

Dass sich die Konstanter Kripo nicht um den Entführungsfall kümmert, hat seinen Grund: Sie hat wegen eines Toten, der erstochen in einer Badewanne gefunden wurde, genug zu tun. Das ohnehin schon große Team wird immer wieder durch weitere Experten vergrößert. Noch während die Ermittlungen auf Hochtouren laufen, gibt es einen zweiten Toten, der Ähnlichkeiten zu dem Tötungsdelikt des ersten Toten aufweist. Dieses Mal wurde der Leiter des Jugendamtes bestialisch erstochen und in einem Park abgelegt.

Geschickt sind die Ermittlungen um die Ermordeten mit der Entführung des Mädchens in einer parallelen Handlung verflochten. Die bluttriefenden Details bei der Leichenschau hätten auch ohne diese Konkretheit ihre Wirkung gezeigt, wie auch viele weitere kriminaltechnische Details passend in den Text eingeflossen sind und den Eindruck von Expertenwissen erwecken.

Als angenehm habe ich das Sprechen der handelnden Figuren empfunden, die teilweise im Dialekt oder mit osteuropäischem Akzent ihre Sätze hervorbrachten. Schade, dass dieser Stil nicht konsequent an jeder Stelle umgesetzt wurde.

Während die Ermittlungen der Kripo durchweg interessant und spannend sind, ist die Handlung um die Entführung ein wenig zähfließend. Es steht zwar immer die Frage nach dem „Warum“ im Raum, aber leider ändert sich dies über alle betroffenen Kapitel nicht. Im Ablauf der Entführung gibt es kaum eine überraschende Wendung, kein kleinerer Spannungsbogen, der den Leser bis zum nächsten (Entführungs-) Kapitel gefangen hält. Außerdem wirkt die Sichtweise des Kindes konstruiert, aus dessen Perspektive die Entführung geschildert wird. Es ist offensichtlich die eines Erwachsenen, der glaubt, dass ein Kind so denkt. Das hat nichts mit der realen Denkweise eines Kindes zu tun.

Auf das Thema des Buches ist bereits hingewiesen worden, aber die besondere Herangehensweise an die Problematik des Balkankrieges, an die Schicksale der Flüchtlinge, an die Schilderung der Kriegsleiden bosnischer Soldaten ist ein ausdrückliches Lob wert. Dadurch wird der Krimi einer, der auch zum Nachdenken anregt.

Blatter, Ulrike
Der Mann, der niemals töten wollte
332 Seiten, broschiert
KBV Verlag, Hillesheim
ISBN-10: 3940077968
ISBN-13: 978-3940077967

© Detlef Knut, Düsseldorf 2011
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Yasmin Tabatabai: Rosenjahre

Yasmin Tabatabai: Rosenjahre

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Leben zwischen Orient und Okzident.
In ihrer leichten, freimütigen und humorvollen Sprache schildert Yasmin Tabatabai das Leben ihrer Familie zwischen Deutschland und Persien.

Ihre Mutter Rose hatte Mitte der fünfziger Jahre ihren zehn Jahre älteren späteren Mann, den Iraner Taba Tabatabai, in München auf dem Oktoberfest kennen gelernt. Sie war damals erst knapp zwanzig Jahre alt. Allen Warnungen ihrer Kollegen und Freundinnen zum Trotz folgte sie 1957 seiner Einladung nach Teheran.
Die Familie Tabatabai zählte zu den begüterten, gebildeten und säkular ausgerichteten Kreisen im Iran.
Doch selbstverständlich herrschen dort orientalische Sitten und Umgangsformen. Erste Eindrücke und die traditionellen Formen höflichen Verhaltens müssen erlernt und verstanden werden. Rose spürt bald, dass sie hier in eine fremdartige Kultur eintaucht. Sie bemüht sich, alles schnell zu lernen, um den Ansprüchen der freundlichen Familie zu genügen.

Neugierig und überwältigt von den Ereignissen erlebt sie fasziniert die herzliche Aufnahme in den großen Kreis der Familie.
Die Heirat wird von den Brüdern und der Familie schon bald gefordert und vollzogen.

Mit offenem Interesse erfreut sich Rose an den Kunstschätzen und der landschaftlichen Schönheit mit allen ihren Reizen, Gerüchen und exotischen Farben.

Über viele Jahre ihres Ehelebens hat Rose noch die Herrschaft des letzten Shahs miterlebt, bis 1979 mit der islamischen Revolution alle Ansätze für eine mögliche demokratische Wende zunichte gemacht wurden.

Bunt und spannend ist der Bericht von Yasmin Tabatabai.
Sie kleidet die Atmosphäre, die Gastfreundschaft und das lebhafte Treiben der Familie mit ihren ausgedehnten Mahlzeiten in passende Worte.
In fantasievoller und leicht naiver Ausrucksweise nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit, in der es ungewöhnliche Erfahrungen und ein reiches Leben zu bestaunen gibt. Mit wacher Intensität leitet die Autorin von der Biographie der Mutter zu ihren eigenen Kindheitserlebnissen über. Die islamische Revolution bildet den Schlusspunkt eines eindrucksvollen und der Stimmung angemessenen Erlebnisberichts, der mit Spannung ausgeführt wird.

Herzenswärme und tiefe emotionale Anteile belegen das Engagement dieser mitreißend geschriebenen Biographie.

Yasmin Tabatabai
Rosenjahre
288 Seiten, gebunden
Ullstein, September 2010
ISBN-10: 355008837X
ISBN-13: 978-3550088377
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Tessa Gratton: Blood Magic – Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut

Tessa Gratton: Blood Magic – Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut

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Nach dem schrecklichen Tod ihrer Eltern bekommt Silla ein Buch zugeschickt. Der Absender, er nennt sich der Diakon, schreibt seltsame Dinge über ihren Vater, die Silla nicht glauben kann. Ein Magier und Heiler soll er gewesen sein. Das Buch gehörte ihrem Vater und enthält Zaubersprüche. Sillas Neugier ist geweckt. Auf dem Friedhof probiert sie einen Zauber aus, der sich „Erneuerung“ nennt. Dass sie dazu ihr Blut braucht, schreckt sie nicht ab. Und so erweckt sie ein welkes Blatt zu neuem Leben.

Doch Silla ist nicht allein auf dem Friedhof. Nicholas, der mit seinem Vater und dessen junger Frau in das alte Haus des Großvaters, ganz in der Nähe des Friedhofs gezogen ist, hat gesehen, was geschehen ist. Es weckt Kindheitserinnerungen in ihm. Er kennt den Zauber. Seine Mutter hat es ihm beigebracht. Was er damals für ein Spiel gehalten hat, ist keins.

Sillas Bruder Reece glaubt nicht an Zauberei. Doch als Silla vor seinen Augen ein totes Tier zum Leben erweckt, muss er einsehen, dass es Magie gibt. Blutmagie. Zu der auch er fähig ist. Der Gedanke, auch die Eltern wieder zum Leben zu erwecken, ist verlockend, aber eben auch sehr gefährlich. Denn Silla glaubt, dass ihre Eltern ermordet worden sind. Das heißt aber auch, dass es einen Mörder geben muss.

Die Geschichte ist äußerst spannend. Durch den sehr einfühlsamen und poetischen Schreibstil der Autorin, wird man sofort in das Geschehen hineingezogen. Man sollte Abstand wahren, das merkt man sofort. Nur kann man es nicht, so gefährlich auch ist, was hier geschieht.
Das Buch zu lesen, ist aufregend. Es ist aber auch verstörend. Weil die Autorin die Geschichte um die Blutmagie so wahrhaft erscheinen lässt. Man kann sich perfekt in das Geschehen hineinversetzen.

Die Handlung ist gut aufgebaut. Die düstere Atmosphäre in ihrer Wirkung unglaublich. Man braucht gute Nerven. (Zartbesaitete muss man sogar vor dem Buch warnen!) Denn die Seiten des Buches scheinen mit Blut getränkt. Denn Blut ist es, das den Zauber, neben anderen Utensilien, erst wirken lässt.

Die Sichtweisen von Silla und Nicholas sind parallel dargestellt. Dazwischen findet man Briefe von Sillas Vater, die in seiner Handschrift verfasst und sehr schwer zu entziffern sind. Auch das ist so ein Punkt, der am Buch tiefer teilhalben lässt. Man muss innehalten und sich bemühen, die Buchstaben zu entziffern.

Dann gibt es noch Tagebucheinträge einer Frau aus längst vergangener Zeit, die zunächst nur interessant, dann aber immer unheimlicher werden, bis man schließlich das Ausmaß des Inhaltes erfasst und die Folgen für die Gegenwart.

Es ist die perfekte Illusion. Sich auch nur vorzustellen, was die Autorin hier vorgibt, sorgt für Gänsehaut. Und dieses durchweg gruselige Gefühl verbindet sich mit der Beschreibung der überaus romantischen, schmerzvollen Liebe zwischen Silla und Nicholas. Ein wirklich mitreißender Roman!

Rezension von Heike Rau

Tessa Gratton
Blood Magic
Weiß wie Mondlicht, rot wie Blut
Aus dem amerikanischen Englisch von Anne Brauner
448 Seiten, gebunden
cbj, München
ISBN-10: 3570152863
ISBN-13: 978-3570152867
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Tim Krohn: Ans Meer

Tim Krohn: Ans Meer

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Sommerroman…

Ein unergründliches und belastendes Geheimnis trennt zwei Freundinnen, die sich in frühester Kindheit liebten. Die Familien der beiden besaßen ein Haus am Meer. An der Ostsee haben sie zusammen glückliche Kindertage verbracht. Doch eines Tages zerbrach die Gemeinschaft, und die Familien trennten sich.

Jetzt lebt Anna in Kiel und Josefa in Zürich. Beide haben sich zwölf lange Jahre nicht gesehen. Anna sucht schließlich erneut den Kontakt zu Josefa.

Bis es dazu kommt, wird das jeweilige Schicksal aller Beteiligten skizziert.
Josefa hat den zwölfjährigen Sohn Jens, den sie sehr liebt. Er drängt sie ungeduldig, zum Haus ans Meer zu reisen. Er möchte so gerne auf der Ostsee segeln! Doch Josefa ist taub auf dem Ohr. Sie will nicht zurück an den Ort ihrer Kindheit, wo es ein dunkles Geheimnis gab, das die Gemeinschaft aus glücklichen Tagen zerbrechen ließ.

Anna ist berufstätig und wünscht sich sehnsüchtig ein Kind von ihrem Partner Kalle. Leider wartet sie vergeblich, bis auch sie hinter ein Geheimnis kommt, das ihre Beziehung zu sprengen droht.
Man merk schon: das Buch steckt voller versteckter und verworrener Geschichten, und der Durchblick ist schwer!

Zahlreiche Spuren führen zu den einzelnen Figuren, die sich wie in einem Netz verfangen haben. Niemand weiß alles, jeder kennt nur Teile der Geheimnisse des anderen. Ungewöhnlich frühreif steht Jens, der zwölfjährige Sohn von Josefa, im Mittelpunkt der Erzählung. Aus seinen Augen schaut man zurück und sucht neugierig nach Spuren, die für ihn Unerklärliches verstehbar machen. Doch er und auch wir müssen lange warten, bis wir begreifen, wie es denn nun zu den Zerwürfnissen in den Familien gekommen ist!

Tim Krohn hat seinen Roman verschachtelt angelegt, so dass man sich getrieben fühlt, den einzelnen Spuren zu folgen, um endlich zu verstehen. Immer wenn man auf dem richtigen Erkenntnisweg zu sein scheint, muss man sich doch noch gedulden, bis man der Auflösung aller Rätsel näher kommt.

Der Autor hat einen leichten Roman verfasst. Auch alle unerklärlichen Todesfälle können die sommerliche Unbeschwertheit der Glücksmomente nicht überdecken. Lieben und geliebt werden, Treue und Untreue, Leidenschaft und Vergänglichkeit: alles kommt vor und man hat trefflich zu tun, der Aufklärung zu folgen. Wer der leichten Muse zugetan ist, der wird die kurzweilige Lektüre zwischen Krimi und Gesellschaftsroman genießen.

Tim Krohn
Ans Meer
328 Seiten, broschiert
Diogenes, Juni 2011
ISBN-10: 3257240767
ISBN-13: 978-3257240764
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Julian Fellowes: Eine Klasse für sich

Julian Fellowes: Eine Klasse für sich

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In der Upperclass…

Der namenlose Icherzähler dieses Romans erhält nach vierzig Jahren einen Brief von seinem früheren Freund und späteren Erzfeind, der ihn um einen Besuch bittet.
Mit dieser Einladung verbinden sich für den Icherzähler Erinnerungen an seine Jugend in den sechziger Jahren. Adel und eine Gesellschaft von Gleichen unter Gleichen spielten damals noch eine herausragende Rolle, in der die so genannten einfachen „Bürger“ nichts zu suchen hatten.
Damian Baxter ist einer von den letzteren, der sich in die Gesellschaft drängte, mit einem Eklat ausgestossen wurde und mittlerweile zu ungeahntem Reichtum gekommen ist.
Jetzt steigt er wie aus dem Nichts der vergangenen Jahre auf und sucht Kontakt zum Icherzähler, um einem Geheimnis seiner Jugend auf die Spur zu kommen. Dass er gerade auf ihn verfällt, ist schon einigermaßen verwunderlich. Denn damals sind aus gegebenem Anlass aus Freunden unerbittliche Gegner geworden. Spielten dabei womöglich die Gesellschaft und die Frauen eine entscheidende Rolle?

Damian Baxter steht nun kurz vor seinem Ende. Er sucht einen Erben für sein beträchtliches Vermögen, und dabei soll ihm der Icherzähler helfen.

Die Konstruktion der Geschichte ermöglicht eine Rückschau auf eine längst vergangene Epoche, in der alle jung, übermütig, verliebt und gesellig waren.

Julian Fellowes bringt das Gesellschaftsbild jener inzwischen fernen Jahre mit detaillierten und malerischen Farben zum Leuchten. Sitten und Gebräuche, Umgangsformen und Kleidung: der Autor gewährt einen Blick zurück, der echt und typisch für die damalige Gesellschaft war. Das stilvolle Ambiente und die formvollendeten Manieren zeigten Merkmale der sozialen Zugehörigkeit, deuten aber auch schon den bevorstehenden Umbruch an.
Nach vierzig Jahren haben die Jungen von damals die unterschiedlichsten Entwicklungen genommen. Aus der vermeintlich heilen Welt, die mit ihren Strukturen Halt und Sicherheit bieten sollte, ist eine unsichere geworden.

Die Konfrontation von Gegenwart und Vergangenheit macht einen wichtigen Teil der Erzählung aus.

Julian Fellowes ist eine wunderbare und inhaltsreiche Sozialstudie gelungen. Die Rahmenhandlung,“very british“, bietet die notwendige Spannung, aus der heraus sich ein illustrer Gesellschaftsroman entwickelt.

Einem Mosaikgebilde gleich enthält der Roman zahlreiche Einzelgeschichten, die sich zuletzt zu einem Ganzen zusammenfügen.

Sehr empfehlenswert!

Julian Fellowes
Eine Klasse für sich
480 Seiten, gebunden
C. Bertelsmann Verlag, April 2011
ISBN-10: 3570100154
ISBN-13: 978-3570100158
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Carolin Philipps: Second face

Carolin Philipps: Second face

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Nach Ummanz zu ziehen, können sich die beiden Zwillingsschwestern Marie und Anne gar nicht vorstellen, auch wenn die Ferien dort auf dem Bauernhof immer sehr schön waren. Mittlerweile haben die Schwestern andere Interessen. Anne ist in Kai verliebt und möchte sich nicht von ihm zu trennen. Als Marie von einer Freundin erfährt, dass Kai es gar nicht ernst meint, sondern sich an Anne herangemacht hat, um eine Wette zu gewinnen, erzählt sie Anne davon. Für glaubwürdig hält Anne die Geschichte nicht. Und doch ist sie wahr. Nach einer gemeinsamen Nacht wendet Kai sich von ihr ab. Er hat die Wette gewonnen und kein weiteres Interesse an einem Zusammensein. Die Blamage ist perfekt. Anne leidet und Marie leidet mit.

Auf einmal scheint es gar nicht mehr so abwegig, von Hamburg wegzugehen. Die Familie zieht nach Ummanz. Nach ein paar Wochen bereut Anne diesen Schritt. Sie langweilt sich und vermisst ihre Freunde.
Marie dagegen gefällt es. Bald verliebt sie sich in Lirim, der im Jugenddorf arbeitet.

Auch wenn Anne sich immer noch gekränkt fühlt, macht sie doch den Eindruck, den Liebeskummer allmählich zu überwinden. Sie besucht die Surfschule und kommt wieder unter Leute. Sie nimmt sich vor einen Jungen ebenso auflaufen zu lassen, wie Kai es mit ihr getan hat. In der Disco im Camp lernt sie jemanden kennen. Dass es Maries Freund ist, ahnt sie nicht, denn die Schwester hat sich ihr nicht anvertraut. Was sie mit Lirim macht, der nicht weiß, dass Marie eine Schwester hat, die ihr unheimlich ähnlich sieht, beendet die gerade begonnenen Freundschaft. Die nächste Verabredung mit Marie hält Lirim nicht ein und Marie, die nicht weiß, was passiert ist, versinkt in Liebeskummer. Mit Lirim sprechen kann sie nicht. Er ist abgereist und sie hat nicht einmal seine Handynummer.

Auf Anraten eines Klassenkameraden flüchte sie sich in die Welt des Second Life. Diese virtuelle Welt scheint ihr bald sehr real, obwohl sie nicht wirklich ist. So unterschätzt sie die Gefahr und erlebt bald eine böse Überraschung, in die ihre Schwester geradewegs mit hineingezogen wird.

Liebeskummer und die Gefahren des Internets sind die Themen des Buches. Die Geschichte liest sich sehr flüssig, erscheint im Nachhinein aber zu kurz. Manche Szene hätte ausführlicher und einfühlsamer beschrieben sein können. Ein paar Seiten mehr, hätten dem Buch, das wie unter Zeitnot geschrieben scheint, sicher gut getan.

Die Schwestern, die sich vom Aussehen sehr ähnlich sind, sind von ihrem Charakter her sehr verschieden. Mit den Problemen, wie sie wohl fast jedes Mädchen in dem Alter hat, gehen beide dann auch sehr unterschiedlich um. Und vielleicht auch ein wenig unüberlegt. Aber es fehlt ihnen ja nun mal, jung wie sie sind, an gemachten Erfahrungen und so passieren Fehler.

Die Handlung spielt vor allem auf Ummanz. Die Insel wird sehr romantisch beschrieben. Der Hof mit den Pferden, die neue Heimat der Familie, ist sehr schön. Doch zum Glücklichsein gehört offenbar ein wenig mehr. Die Autorin greift also vieles auf, was junge Mädchen interessiert. Die Geschichte wirkt dadurch real. So werden auch die Gefahren, die das Internet mit sich bringen kann, greifbar. Es wird deutlich, dass man über dieses Thema nachdenken muss.

Rezension von Heike Rau

Carolin Philipps
Second Face
139 Seiten, Klappenbroschur
Verlag Carl Ueberreuter, Wien
ISBN-10: 3800056100
ISBN-13: 978-3800056101
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Amanda Sthers: Schweinezüchten in Nazareth

Amanda Sthers: Schweinezüchten in Nazareth

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Harry ist Kardiologe und hatte irgendwann genug von seinem stressigen Job. Er ist aus seinem Beruf ausgestiegen und aus Paris nach Israel ausgewandert, um sich dem Schweinezüchten zu widmen. Ausgerechnet! Jeder weiß, dass Schweinefleisch nach dem Talmud nicht zu den koscheren Speisen gehört. In einigen christlichen Regionen in Israel kann man das Fleisch dennoch vermarkten. Harry bekommt zahlreiche Vorwürfe und Belehrungen von einem Rabbi, mit dem er sich harte aber im Kern doch freundschaftliche Auseinandersetzungen per E-Mail liefert. Da geht es nicht nur um das koschere Essen, sondern um alle essenziellen Fragen des Lebens.

Eingerahmt von den Disputen zwischen Moshe und Harry erlebt man daneben eine zerstrittene Familie. Sie besteht aus Harry, seiner Frau Monique, dem Sohn David und Annabelle. Letztere verliebt sich immer in die falschen Männer und bleibt ewig unzufrieden alleine. Monique, die Mutter, lebt weiterhin in Paris, wo sie ihre beiden Kinder David und Annabelle nach der Trennung vom Vater Harry alleine aufgezogen hat.

In diesem Buch passieren skurrile Geschichten. Die Familie Rosenmerck ist überworfen mit einander und teilt sich dennoch in E-Mails und Briefen alles mit, was wissenswert ist. David ist Theaterautor und schwul und sehnt sich stets nach der Liebe und Anerkennung seines Vaters, die dieser ihm jedoch konstant verweigert. Dass er insgeheim ein ganzes Zimmer mit Requisiten des Sohnes besitzt, wird nur durch die versteckte Recherche der Schwester Annabelle publik.

Auch so kann Familienleben sein: verstörend, einander immer wieder insgeheim umwerbend und doch an allem vorbei agierend. Amanda Sthers versteht etwas von der Psyche der Menschen. Nur so konnte sie eine Geschichte erfinden, in der Sehnsüchte, geheime Wünsche an den jeweils anderen, Enttäuschungen und gegenseitige Scheu das Zusammenkommen verhindert. Ein wenig Melancholie und unverhohlene Trauer mischen sich in den regen Mailaustausch aller Beteiligten, so dass nichts erfunden sondern wie aus dem richtigen Leben zu stammen scheint. Amanda Sthers liebt die geistreiche Rede, und Ironie und lakonische Redewendungen tragen ihren Teil zur Unterhaltung bei. Sie geben ihrer Erzählung den farbigen Anstrich, mit der sie zu einem ausnehmenden Lesevergnügen wird.

Amanda Sthers
Schweinezüchten in Nazareth
192 Seiten, broschiert
Luchterhand Literaturverlag, Juni 2011
ISBN-10: 3630873626
ISBN-13: 978-3630873626
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Emilio Salgari: Sandokan – Die Tiger von Mompracem

Emilio Salgari: Sandokan – Die Tiger von Mompracem

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Um Sandokan, den gefürchteten Anführer der todesmutigen Piraten von Mompracem, ist es geschehen, als er von seinem Gefährten Yanez von einer jungen Frau mit goldenem Haar erfährt. Man nennt sie auch die Perle von Labuan. Eine Engländerin soll sie sein.
Sandokan wählt die besten Männer unter seinen ihm blind folgenden Tigerchen aus. Er will nach Labuan segeln und sich seinem erbittertsten Feind entgegenstellen, auch wenn es sein Untergang sein sollte. Er hat nur ein Ziel. Er will die junge Frau sehen.

Unterwegs überfällt der Tiger von Malaysia noch schnell ein Handelsschiff. Es trägt die Flagge des Engländers James Brooke, dem „Vernichter der Piraten“.
Später, während eines Erkundungsganges auf der Insel, an der auch Sandokan teilnimmt, werden seine Segelschiffe angegriffen. Eilig kehren die Männer an Bord zurück.
Allerdings wird das Gefecht verloren. Vorerst bleibt nur der Rückzug. Die Rache muss auf später verschoben werden. So viel Vernunft muss sein. Doch dann wird das Feuer noch einmal eröffnet. Sandokan, der dabei viele seiner Männer verliert, springt schwer verletzt ins Wasser. Er schafft es bis an die feindliche Küste. Doch er droht dem Fieberwahn zu erliegen.

Als er gefunden wird, ist er nicht mehr Herr seiner Sinne. Erst bei Lord James Guillonk kommt er wieder zu sich. Er gibt vor, sich nicht an die Geschehnisse zu erinnern. Er, der malaiische Prinz, muss von Piraten überfallen worden sein, so die Erklärung für seinen Zustand, die ihm der gutgläubige Lord natürlich abnimmt.

Was Sandokan aber sofort wieder belebt, ist der Anblick der Nichte Lord Guillonks. Lady Marianna, die Perle von Labuan. Ihr Liebreiz ist nicht in Worte zu fassen.
Sandokan genießt die Gastfreundschaft des Hauses. Aber als er, endlich wieder gesund, an einer Tigerjagd teilnimmt, weckt er das Misstrauen eines Marineoffiziers, der unangenehme Fragen stellt.
Sandokan weiß, dass er gehen muss. Er offenbart Marianna seine Liebe, die von ihr natürlich längst erwidert wird. Seine Vergangenheit erschreckt sie nicht. Überall hin würde sie ihm folgen. So verlässt er sie mit dem Versprechen, sie später zu sich zu holen.

Sandokan ist den Lesern sicherlich durch den Film bekannt, mit Kabir Bedi in der Hauptrolle. Die originalgetreue Übersetzung zu lesen, ist allerdings etwas anderes. Hier kommt der Held manchmal gar nicht so gut weg. Die Handlung ist einigermaßen fragwürdig dargestellt. Heutige Maßstäbe anzulegen, wäre aber sicherlich verkehrt. Der Geschmack der Leser hat sich verändert.

Den Abenteuerroman zu lesen, macht trotzdem Spaß. Zuzusehen wie den mächtigen und blutrünstigen Piraten mit dem feurigen Blick die Liebe überrollt, so dass er vollends den Kopf verliert, ist sehr unterhaltsam.

Alles kommt, wie es kommen muss. Oder auch wie man es sich wünscht. Die Fantasie macht alles möglich. Und die bringt der Autor in vollen Zügen ein.
Eine leidenschaftliche Liebe nimmt ihren Weg. Denn selbstverständlich erwidert Marianna die Liebe Sandokans. Welche Frau könnte sich seinen feurigen Blick entziehen? Welche Frau wäre nicht beeindruckt von seiner Stärke, seinem Kampfgeist, seinem Stolz, seiner Männlichkeit, seinen Muskeln, seiner Kühnheit, seiner Wildheit und seinem Mut?

Keine Sekunde langweilt man sich mit diesem Buch. Auch wenn der Abenteuerroman manchmal ins Komische abgleitet, besonders auch wegen der Selbstgespräche, die Sandokan immer wieder führt.
Der Autor erzählt ausschweifend und wortreich, nimmt sich viel Platz zum Erzählen.
Interessant sind auch die Einführung zum Buch von Ann Lawson Lucas und das Nachwort von Michele Mari mit Hintergrundinformationen zum Buch.

Rezension von Heike Rau

Emilio Salgari
Sandokan – Die Tiger von Mompracem
Aus dem Italienischen von Jutta Wurm
464 Seiten, broschiert
Unionsverlag Zürich
ISBN-10: 3293205283
ISBN-13: 978-3293205284
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Pascal Mercier: Der Klavierstimmer

Pascal Mercier: Der Klavierstimmer

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Mit dem „Klavierstimmer“ hat der Autor Pascal Mercier erneut einen Roman geschaffen („Perlmanns Schweigen“, „Nachtzug nach Lissabon“), auf den sich der Leser zunächst erst mal einlassen muss, um dann mit fortschreitender Seitenzahl umso tiefer in seinen Bann gezogen zu werden. Rasante Aktionen darf der Leser nicht erwarten, eher zahm und einfühlsam wird er in eine Atmosphäre hineinmanövriert, die ihn bald nicht mehr loslassen wird. Dabei ist es unerheblich, ob sich der Leser in dem zugrunde liegenden Milieu (im vorliegenden Fall das der klassischen Musik, besonders der Oper) auskennt oder ob es ihm fremd ist. Es wird sich ihm erschließen.

Das Zwillingspärchen Patricia und Patrice, die als Erwachsene bereits lange und weit von zuhause entfernt leben, erfahren, dass ihr Vater einen berühmten Opernsänger erschossen hat. Sie eilen zu ihren Eltern und erfahren bei ihren Recherchen sehr viel über sich selbst und über das Leben ihrer Eltern.

Der Autor bedient sich bei der Erzählung der Lebensgeschichten einer eher ungewöhnlichen Erzählmethode. Die Geschwister haben ihre Recherchen nämlich akribisch in Hefte geschrieben, die sie sich gegenseitig zusenden. Sie sprechen sich in Briefen in zweiter Person an, was allein für ein Roman schon ungewöhnlich ist. Auf diese Weise bewegt sich der Leser aber in den Köpfen der Erzähler, deren Hefte im steten Wechsel, eines nach dem anderen vorgestellt werden. Er scheint in deren Gedanken zu dringen und die intimen Gespräche von Bruder und Schwester zu belauschen.
Zwischendurch wird immer wieder in die Position eines Erzählers in dritter Person gewechselt. Das geschieht immer dann, wenn die Geschwister von ihren Gesprächen mit Vater und Mutter berichten und diese dann im Dialog mit ihren Kindern aus ihrem eigenen Leben beziehungsweise aus dem des Ehepartners oder über ihn erzählen.

Mit dieser Erzählmethode gelingt es dem Autor, dem Leser eine sich immer wieder wendende Geschichte aus vier verschiedenen Perspektiven näher zu bringen. Der Mord an dem Opernsänger ist dabei nur das Mittel zum Zweck, der darin besteht, höchst unterschiedliche Menschen in all ihren Facetten, Details, Marotten und sonstigen Eigenschaften vorzustellen. Die Wendungen in der Struktur der Familie und dem Geschehen, welches dem Schreiben der Notizen unmittelbar vorausgegangen ist, kommen meist überraschend und verblüffen umso mehr. Schritt für Schritt, aber mit zunehmendem Tempo wird der Leser über die Familienverhältnisse, über die Umstände, die zum Tod des Opernsängers führten und über den tatsächlichen Ablauf des Geschehens aufgeklärt. Was sich für manch einen Krimienthusiasten anfangs noch langatmig anfühlt, ist am Ende eine packende Geschichte, die man kaum aus der Hand legt, bevor man die letzte Seite nicht gelesen hat.

Mit Interesse verfolgt man, was die Zwillinge über sich, über ihre Eltern erfahren, über die Kälte in der Familie, die in ihrer Tiefe doch eine unendliche Wärme darstellt. Ein Buch voller Gefühle, voller auf und ab, voller hin und hergerissen sein. Dabei gelingt dem Autor am Ende noch ein Schwenk zum humorigen, wenn Patrice von seinen ersten Jahren in Chile erzählt und die Macht eines Übersetzers entdeckt und feststellt, dass er dabei wohltätig sein kann, genauso, wie er diejenigen Ausländer mit seinem Dolmetschen unmöglich macht, deren Nasen ihm nicht passen.
Lesevergnügen für viele Stunden!

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Mercier, Pascal
Der Klavierstimmer
512 Seiten, broschiert
btb Verlag
ISBN-10: 3442726549
ISBN-13: 978-3442726547
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© Detlef Knut, Düsseldorf 2011
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