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Schlagwort: Linda Stift

Stierhunger

Stierhunger

Von einer Fremden wird sie vor der Konditorei angesprochen und gefragt, ob sie sich nicht einen Gugelhupf mit ihr teilen will. Die junge Frau tut es, obwohl sie nichts mit dem Kuchen anzufangen weiß. Auch als sie dann von der Älteren zum Kaffeetrinken genötigt wird, sagt sie nicht nein und geht mit.
Trotz Einladung fühlt sie sich fremd und wie ein Eindringling, was an dem unheimlichen Ambiente lieben mag, das die Wohnung ausstrahlt. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Gasgeberin, Frau Hohenembs, bewohnt die Räumlichkeiten mit ihrer Dienerin Ida und scheint voll und ganz in der Rolle der Kaiserin Elisabeth aufzugehen.

Obwohl die junge Frau eigentlich keine Kuchen wollte, langst sie doch kräftig zu. Zuhause geht das Fressgelage weiter. Dann wird alles wieder herausgewürgt. Es ist ein Rückfall nach fünfzehn Jahren. Trotzdem sieht sie die Hohenembs wieder. Und wird diesmal zum Diebstahl einer Entenpresse, die einst der Kaiserin gehörte, aus der Hofburg angestiftet. Dass sie sich so hat überrumpeln lassen, ist für die junge Frau unfassbar. Sie verbringt die nächsten Tage allein in ihrer Wohnung mit Fressgelagen und Erbrechen. Der Rückfall festigt sich.

Jeden weiteren Kontakt lehnt die junge Frau ab, bis Ida ein Klappbett vor ihrer Wohnungstür aufbaut und so zeigt, was erwartet wird. Ohnehin ist der Diebstahl ein guter Erpressungsgrund für die Hohenembs, sie zu weiteren Treffen zu nötigen. Bald kommt noch ein weiterer hinzu, als die Statue der Kaiserin Elisabeth, gelegen am Rande des Volksgartens, von einer Explosion in Schutt und Asche gelegt wird und die junge Frau Komplizin der Zerstörungswut der Hohenembs wird.

Was für ein Buch! Äußerst makaber, aber gut!
Erzählt wird die Geschichte einer jungen Frau die von zwei skrupellosen alten Damen in die Abhängigkeit getrieben wird. Es ist interessant zu lesen, wie die Umstände sich entwickeln oder besser gesagt, wie sie entwickelt werden, bis die junge Frau zu einer Marionnette der Hohenembs wird, auch wenn sie nicht ganz willenlos an den Fäden hängt.
Für die junge Frau wird es dennoch der blanke Horror, aus dem es kein Entrinnen zu scheinen gibt. Die Hohenembs wird als äußerst geheimnisvoll dargestellt. Sie spielt ein teuflisches Spiel, mit dem man als Leser sehr gut unterhalten wird.

Auch wenn man öfter mal über schauerlichen Ereignisse schmunzeln muss, weil sie so abwegig scheinen, die Gänsehaut gewinnt schnell die Oberhand. Die Autorin sorgt wortreich dafür, dass man sich in die junge Frau gut hineinversetzten kann, auch wenn die literarisch angehauchte Beschreibung der Bulimie, ein Würgen in der Halsgegend verursacht. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. Denn ein Buch im Stile von „Stierhunger“ hat Seltenheitswert.

Rezension von Heike Rau

Linda Stift
Stierhunger
172 Seiten, gebunden
Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien
ISBN: 978-3552060685
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