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Andreas Heidtmann: Storys aus dem Baguette

Andreas Heidtmann: Storys aus dem Baguette

Woher nimmt ein Autor seine Einfälle? In der ersten Geschichte im Buch verdankt Tommy Stern seine Ideen kleine Zettelchen, die er ausgerechnet in einem Baguette findet. Es sieht nicht so aus, als hätte der Bäcker selbst das Papier mit eingebacken. Aber das ist dem Autor ohnehin egal. Hauptsache es läuft wieder. Die Schreibblockade ist vorbei. Was macht es da schon, dass das Brot nur durchschnittlich schmeckt. Er greift die Sätze auf und lässt sich inspirieren. Das setzt einen fast schon magischen Kreislauf zwischen dem zu lesenden Text, den Sätzen aus dem Baguette und dem was Tommy Stern schließlich schreibt in Gang. Die auf so wundersame Weise entstandenen Geschichten können sich sehen lassen und verhelfen dem Autor doch tatsächlich zum ersehnten Erfolg. Es scheint, als war es nur wenig Zauber im Alltag, der ihm gefehlt hat.

Auch die folgenden Geschichten wohnt etwas Fantastisches inne. Sie alle haben etwas Geheimnisvolles oder Unergründliches und doch lässt man sich gerne darauf ein, ohne diese inhaltlich hinterfragen zu müssen. Die Protagonisten brechen aus gewohnten Bahnen aus, folgen nicht irgendwelchen Erwartungen und tauchen nicht selten in eine Traumwelt ein, in der alles möglich scheint. So folgt man dem Autor gerne hinein in die Geschichten, die aus dem Rahmen fallen und die durch ihre Ungewöhnlichkeit einen ganz besonderen Reiz ausüben. Es ist ein Buch für Menschen, die noch zu träumen wagen, auch auf die Gefahr hin, das zwischen schöne Träume auch mal ein Albtraum gerät.

Über den Autor:
Andreas Heidtmann wurde 1961 bei Wesel geboren. Er absolvierte ein Klavierstudium in Köln und studierte Germanistik und Philosophie in Berlin. Er schreibt Prosa und komponiert für das Klavier. Außerdem ist er der Herausgeber des Poetenladens (www.poetenladen.de). Andreas Heidtmann erhielt mehrere Stipendien und Preise. Er lebt in Berlin und Leipzig.

Rezension von Heike Rau

Andreas Heidtmann
Storys aus dem Baguette
Einundzwanzig Geschichten
Edition exemplum
127 Seiten, Klappenbroschur
ATHENA-Verlag, Oberhausen
ISBN: 3-89896-239-3
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Storys aus dem Baguette

Storys aus dem Baguette

Liebesgeschichten und andere Ungereimtheiten

„Johann Willibald Sentega schreibt Geschichten, die so merkwürdig sind, dass die Leute den Kopf schütteln. Meine Damen und Herren möchte ich rufen“ – das mag stimmen, aber nicht nur er. Ich kenne da noch einen – „was sind schon die Sonette eines Shakespeare, die Arien eines Puccini, die Farben eines Chagall“ gegen seine Storys aus einem Baguette, die von Liebesgeschichten und anderen Ungereimtheiten berichten?

Wobei die Ungereimtheiten überwiegen. Oder haben Sie schon mal einen Zettel aus einem Baguette gezogen, darauf eine Geschichte stand? Sehen Sie, ich auch nicht. Merkwürdig und ärgerlich dazu. Vielleicht nur deshalb merkwürdig, weil es mir bisher nicht widerfuhr. Was meinen Sie?

Ich denke mir meinen Teil und lese weiter. Von Rinaldo, der auf einem Platz so laut und mit melodischer Betonung Attenzione ruft, dass ein Mädchen auf dem Fahrrad seinen Kopf dreht. „Ihr Blick folgt den Bällen, die von seinen Händen zum Himmel steigen und vom Himmel in seine Hände fallen. Ting-ting, ting-ting. Wie an der Schnur eines Jojos geht der Blick der Radfahrerin hoch und runter. An der nächsten Kurve fährt sie geradeaus und landet kopfüber im Gras.“ Schön und gut, das kann jedem passieren. Ich muss sogar gestehen, dass ich schadenfroh gelacht habe bei der Landung im Gras, denn schließlich lag ich auch schon im Dreck, nicht nur im Gras. Neugierig will ich wissen, wie es weitergeht. Und was muss ich da erfahren? Dass dieser Rinaldo selbst mit Sternen jongliert und auch der Mond nicht sicher ist vor seinen Händen. Und das soll ich glauben? Nichts als Tagträume und Nachtgespinste!

Da wende ich mich doch lieber dem Fräulein Fabienne zu, die einer vernünftigen Arbeit nachgeht. In einem Call Center sitzt sie an der Hotline für unzufriedene Kunden. Alle Achtung, wie sie das meistert. Gekonnt pendelt ihre Aufmerksamkeit zwischen der Stimme von „Kasimir Kern, der offenbar allen Grund hat, sich zu beschweren“ und der Mappe mit Tipps hin und her. Fabienne macht alles so wie im richtigen Leben. Erst ist sie unbeteiligt freundlich, dann etwas lauter und schließlich sagt sie dem Herrn die Meinung. So kenne ich es auch, wenn ich mich beschwere über die Verspätung oder falsche Lieferung meiner Bestellungen. In das Fräulein vom Dienst hab ich mich aber noch nie verliebt, wie Kasimir Kern es tut. Dabei kennt er doch nur ihre Stimme. Hm, vielleicht ist er Stimmenfetischist. Möglich ist alles, und dennoch merkwürdig, nicht wahr?

Stundenlang könnte ich Ihnen von Ungereimtheiten berichten, die mir in dem Buch begegnet sind. Von Onkel Timo zum Beispiel, der im Lotto gewonnen hatte. Ein glückliches Leben war der Hauptgewinn. Neidisch? Fehlanzeige, denn Onkel Timo hat den Gewinn nicht gewürdigt. Er hat weder Luftsprünge vollführt, noch Wahnsinn gerufen, wie in solchen Augenblicken üblich: „Die Aussicht auf ein glückliches Leben ist allerdings nicht jedermanns Sache. Ein Cabrio oder ein Rasenmäher hätten dagegen einen praktischen Nutzen“ für diesen komischen Timo.

Eines möchte ich Ihnen unbedingt verraten: das Buch ist trotz der „Ungereimtheiten“ bezaubernd im wahrsten Sinne. Ach, Sie meinen, es bezaubert wegen und nicht trotz der Merkwürdigkeiten. Da ist was dran. Peter Pan für Erwachsene, würde ich sagen. Kleine Skizzen, mit leichter Hand gezeichnet. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es Detailskizzen sind. Erst zusammen entfalten sie ihre Wirkung. Im Konzert hört man die feinen Töne der einzelnen Geschichten heraus. Das Sammelsurium an Menschlichem und Skurrilem wird durch die Wiederholung sichtbar. Die Brechung des Plausiblen und seine Umkehr ins Irrationale, Wundersame erzeugt Spannung und Staunen. Bei manchen Geschichten geht dem Autor die Lust am Schreiben durch wie wild gewordene Gäule. „und spürte, wie das Licht und die Farben des Tals ihn in einen Rausch versetzten, der eine Schwindel erregende Leichtigkeit erzeugte und ihn für Augenblicke eins mit der flirrenden Sphäre der Landschaft werden ließ.“ Genau das ist es, was ich beim Lesen empfinde: Leichtigkeit, Virtuosität, ein sprühender Wortreigen, der fasziniert.

Ich kann Ihnen das Buch zwar empfehlen, für Risiken und Nebenwirkungen aber wenden Sie sich an des Autors Schalk und Ironie.

Rezension von Dorothea Gilde

Andreas Heidtmann
Storys aus dem Baguette
127 Seiten gebunden
Athena Verlag 2005
ISBN 3-89896-239-3Bestellen