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Schlagwort: Judentum

Edmund De Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen

Edmund De Waal: Der Hase mit den Bernsteinaugen

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Assimilation und Antisemitismus am Beispiel einer Familienchronik.

Edmund De Waal ist Nachfahre jener berühmten jüdischen Bankiersdynastie Ephrussi, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Odessa aus ihren Weg in die Welt antrat. Aus einem kleinen Getreidehandel hatte Charles Joachim Ephrussi 1860 ein riesiges Unternehmen gemacht, das zu den größten Getreideexporteuren der Welt aufstieg. Die Familie schickte ihre Abkömmlinge zunächst nach Wien, andere nach Paris, wo sie eine den de Rothschilds ebenbürtige Bank gründeten.

Von dem Vorfahr Charles Ephrussi, einem gebildeten, hoch interessierten Kunstsammler, Mäzen und Freund Marcel Prousts, erhielt Edmund De Waal eines Tages als dessen Nachfahre 264 Netsuke. Es sind japanische geschnitzte Kleinplastiken, die Charles im Laufe seines Lebens zusammen getragen hatte. Ausgehend von diesen Figuren macht sich Endmund De Waal auf den Weg, seine Familiengeschichte zu erforschen und zu erzählen. De Waal ist selber ein Keramikkünstler, der mit ungewöhnlicher Sensibilität und Genauigkeit den einzelnen Zweigen seiner Familie nachgegangen ist. So ist eine Studie auch über die Entwicklung jüdischer Kaufleute und Bankiers entstanden, die reizvoll und vielversprechend mit vielen Details den Lebenswegen mit Erfolgen und Niederlagen der einzelnen Familienzweige nachgeht. Diese Wege führten von Odessa über Wien, Paris bis nach London und Japan.

Vor uns entfaltet sich die ganze Pracht und Herrlichkeit eines gebildeten, erfolgreichen, kunstbeflissenen, weltläufigen und unermesslich reichen Familienclans. Die Jahre 1871-1899 sind der Kunst und dem Aufstieg des französischen Zweiges der Familie gewidmet. Vielfarbig und detailgenau kann man dem Pariser Gesellschaftsleben folgen und den Künstlern, die mit Charles Ephrussi befreundet waren. Danach sieht man sich in der Familie zunehmend mit einem fortschreitenden Antisemitismus konfrontiert, der zum Ende des Jahrhunderts in der Dreyfusaffäre seinen Höhepunkt fand.

Edmund De Waal hat mit großer Empathie, ungeheurem Interesse und Fleiß die Chronik dieser außergewöhnlichen Familie nachgezeichnet. Sie bietet ein anschauliches Zeitgemälde des im ausgehenden 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gelebten Judentums. Mit dem gesellschaftlichen Wandel und der weitgehend praktizierten Assimilation gelang jüdischen Mitbürgern der Aufstieg zu Wohlstand und Bildung. Gleichzeitig behielt ein unterschwellig bis offen gelebter Antisemitismus weiterhin die Oberhand.

Edmund De Waal zieht als Fazit zum Ende seiner Aufzeichnungen: “Ich habe das etwas mulmige Gefühl des Biographen, mich unbefugt am Rande des Lebens anderer Menschen herumzutreiben. Lass es einfach. Hör auf zu suchen und Dinge aufzuheben, beschwört mich die Stimme. Fahr heim und lass die Geschichten.“

Und genau so ist es: unergründlich und reich an Erfahrungen mit der Vergangenheit verlässt der Autor sein Werk, das er unendlich noch fortführen könnte.

Es ist ein weit gefasstes Panorama, fein ziseliert und tiefgehend erforscht.

Edmund De Waal
Der Hase mit den Bernsteinaugen
352 Seiten, gebunden
Paul Zsolnay Verlag, August 2011
ISBN-10: 3552055568
ISBN-13: 978-3552055568
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Barbara Honigmann: Bilder von A.

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Eine Liebe in Zeiten gesellschaftlichen Wandels.

Die Malerin und Schriftstellerin Barbara Honigmann hat eine intensive und exklusive Liebesgeschichte geschrieben. Sie erzählt die Geschichte ihrer großen Liebe zu dem Regisseur A., der unschwer als Adolf Dresen zu erkennen ist. Er war 1975 Regisseur am Deutschen Theater Berlin und sie Dramaturgieassistentin.

Beflügelt vom Gleichklang ihrer Empfindungen über Poesie, über Kleist und beim Betrachten der Bilder Caspar David Friedrichs bis hin zu den Eindrücken des Theaterlebens in der ehemaligen DDR ist der Roman eine Geschichte von Glück, Gemeinsamkeit, Euphorie, seltener Harmonie und einer fast traumhaften Entrückung. Lernt B. doch zusammen mit A., sich der Theaterluft- und Lust zu nähern, in der es so viel zu entdecken gibt. Glücklich ist der Beginn dieser großen Liebe, die jedoch zuletzt in Unverständnis und fast Gleichgültigkeit übergeht. Der Wechsel von innigem Einvernehmen und späterer Trennung bei gleichzeitigem Missverstehen zeigt einmal mehr die Vergänglichkeit von Liebe. Ungewöhnlich waren die Vorzeichen der Affäre, die eng mit der Geschichte der ehemaligen DDR verbunden ist. Marxismus, Kommunismus, Atheismus und die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderungen bei gleichzeitiger Enttäuschung über das wahre Gesicht des so gepriesenen Sozialismus beflügelten das Leben der Liebenden.

Der egomanische Mann hat Frau und Kind und wechselt häufig die Theaterorte, als er mit der jungen Barbara eine Beziehung eingeht. Sie geht eng mit der geistig-seelischen Entwicklung beider Protagonisten einher. Die symbiotische Beziehung bei zwei äußerst eigenwilligen Individuen mit 15 Jahren Altersunterschied konnte nicht von Dauer sein.

Barbara Honigmann ist eine Suchende in Sachen Liebe, wie man schon in ihrem Roman „Eine Liebe aus nichts“ nachlesen kann. Sie ist deutsch-jüdischer Abstammung und hat als lebenslängliches Trauma die Suche nach der eigenen Identität in ihre Werke einfließen lassen. So endet auch diese Geschichte bei der Suche nach ihren jüdischen Wurzeln.

Ihre Sprache bezaubert mit Tiefenschärfe, mit der sie ihre Blicke auf den Mann und die Welt richtet. Einfühlsam und feinfühlig bleibt sie in einer Sphäre der Diskretion, die den literarischen Wert ihrer Ausführungen erhöht.

Nachfühlbar und warmherzig entwickelt sie ihre Geschichte mit einer Spontaneität, die anrührt und ein Gefühl für die Theaterwelt der siebziger Jahre spürbar werden lässt.

Sehr lesenswert!

Barbara Honigmann
Bilder von A.
144 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Juli 2011
ISBN-10: 3446237429
ISBN-13: 978-3446237421
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Lena Gorelik: Lieber Mischa

Lena Gorelik: Lieber Mischa

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Jüdisches Leben und die ach so feine deutsche Freundlichkeit zu ihren jüdischen Mitbürgern!

In einem langen Monolog erzählt Lena Gorelik ihrem kleinen Sohn, was es mit dem Judentum auf sich hat.
Sie, die sich in ihren vorherigen Romanen vielfach mit dem Leben als Jüdin und mit Identitätsfragen beschäftigt hat, kann es auch jetzt nicht lassen! Wer Romane von Lena Gorelik kennt, weiß, dass sie mit Heiterkeit, Humor und Lachen ihr Leben und das ihrer jüdischen Mitbürger zu zeichnen versteht.

Verwandte mit ihren Eigenarten kommen zur Sprache, Mütter und Kinder und L. Gorelik erzählt von ihrem Leben in der Sowjetunion. Sie beschreibt jüdische Feste und setzt sie in Verbindung zu den Traditionen der jüdischen Geschichte.

Mit feiner Selbstironie nimmt sie das Judentum auf die Schippe und bleibt zugleich bei ihren jüdischen Wurzeln, die sie als Kind mit elf Jahren vermittelt bekam. So sagt sie ihrem gerade erst geborenen Sohn: „Lieber Mischa, der Du fast Schlomo Adolf Grinblum geheißen hättest, es tut mir so leid, dass ich Dir das nicht ersparen konnte: Du bist ein Jude….“
Wenngleich ihre Kritik am Judentum in feine Ironie getaucht ist, spürt man doch einen nicht geringen Stolz, zu dem „auserwählten“ Volk zu gehören. Witzig, geistreich, amüsant, sprudelnd vor Fantasie und niemals bösartig, liebenswert bis spöttisch sind ihre Schilderungen über das jüdische Leben, dem sie eine gewisse Lebensfreude zuspricht. Mit Intelligenz und Scharfsinn findet sie die Schwachstellen in der Gesellschaft der Nichtjuden und gibt dabei heitere Begebenheiten zum Besten. Umwerfend äußert sie sich über Philosemiten und Konvertiten, und so manch’ einer wird sich wie in einem Spiegel hier wieder erkennen können.

Man liest den Brief an ihren Sohn Mischa mit der gleichen Freude wie ihre früheren Romane und freut sich über den Humor, den gelegentlichen Ernst und die Weisheit, die aus ihren Worten spricht. Mit ihnen preist sie ihre jüdische Lebensart, und insgeheim kämpft sie für eine gerechte Sache: den Juden zu lassen, was zu ihnen gehört und das Leben der anderen bitte nicht mit dem jüdischen Leben zu vermengen.

Lena Gorelik gehört zu den so genannten „Kontingentjuden“, denen die Ausreise aus Russland nach Deutschland ermöglich wurde. Heute lebt sie mit Mann, Kind und Hund in München.

Lena Gorelik
Lieber Mischa
192 Seiten, gebunden
Graf Verlag, März 2011
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3862200124
ISBN-13: 978-3862200122
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Vanessa F. Fogel: Sag es mir

Vanessa F. Fogel: Sag es mir

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Liebe, Krieg und die Folgen…

Oszillierend zwischen Gegenwart und Vergangenheit entwirft Vanessa Fogel in ihrem Debütroman ein Bild ihrer Generation und damit der dritten nach dem Holocaust.

Die Icherzählerin Fela lebt zu Beginn ihrer Geschichte in New York und will mit ihrem Großvater nach Polen reisen, um ihm auf seinen Spuren in die Vergangenheit zu folgen. Über Berlin führt sie der Weg dorthin. Hier hört sie viele Geschichten aus des jüdischen Großvaters Leben als KZ Häftling und über seine Familie, von denen nur wenige den Holocaust überlebt haben. Seine Mutter war schon 1931 gestorben, so dass ihr Grab die einzige Erinnerungsstätte für ihn bleibt. Die Asche aller anderen ist weit verstreut. Mit den Erzählungen des Großvaters begleitet Vanessa ihn auf einer Reise, in der sie über eigene Befindlichkeiten und gegenwärtige Zustände ebenso nachdenkt wie über ihre Kindheit in Israel in den achtziger Jahren.

Sie ist die Tochter einer Deutschen und eines Zionisten, deren Ehe über die bewaffneten Konflikte in Israel zerbricht. Auch Fela erlebte in ihrer Kindheit die Ängste und Schrecken einschlagender Raketen und eine stets gegenwärtige Todesfurcht. Ihr Vater postuliert, dass es den Juden nie wieder so ergehen soll wie im dritten Reich. Mit dieser Aussage bekräftigt der Vater den Überlebenswillen seines Volkes in Zeiten der Kriege und der versuchten Auslöschung des Staates Israel.

Mit der Mutter lebt Fela nach der Trennung ihrer Eltern einen großen Teil ihrer Jugendjahre in New York. Doch die Sehnsucht nach ihrem Bruder Tom und dem Freund ihrer Kindheit  in Israel hält sie innerlich gefangen. In langen Reflexionen gedenkt sie ihres jungen vergangenen Lebens.

Die sehr hübsche, wache und sensible Erzählerin trifft mit ihrem Ton die Stimmung der jüngeren Menschen unter den Juden, die teilweise eine  Heimat in Israel fanden, und teilweise immer auf der Suche nach der wahren Heimat blieben. Die Wurzeln ihrer Vorväter reichen in zahlreiche europäische Länder zurück, aus denen sie als Folge des Zweiten Weltkriegs vertrieben wurden oder den Tod fanden. Mit der Hypothek um das Wissen dieser Vergangenheit sucht auch Vanessa Fogel einen Weg, auf dem sie sich sicher und zu Hause fühlen könnte. Wird das überhaupt möglich sein?

Venessa Fogel hat einen Jugend -und Entwicklungsroman der ganz feinen Sorte geschrieben. Ihre Gedanken sind sensibel, hoch empfindsam, wechselnd zwischen Fragen, Antworten, Phantasien und täglicher Realität. Angerührt und betroffen legt man den Roman beiseite, in dem noch einmal und immer wieder das Schicksal der Juden in aller Welt angesprochen wird. Dass eine persönliche Liebesgeschichte und Adoleszenz hineingestrickt ist, gibt dem Roman die persönliche Note, die ihn so anrührend macht und Empathie auslöst.

Vanessa F. Fogel
Sag es mir
334 Seiten, gebunden
Weissbooks, September 2010
ISBN-10: 3940888583
ISBN-13: 978-3940888587
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