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Schlagwort: Kummer

Ford Madox Ford: Die allertraurigste Geschichte

Ford Madox Ford: Die allertraurigste Geschichte

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Mit einer Widmung an seine Geliebte Stella beginnt Ford Madox Ford seinen Roman, ursprünglich „The Good Soldier“ betitelt, über zwei Ehepaare zu Beginn des Ersten Weltkriegs.

Die Geschichte ist sehr geheimnisvoll, steckt voller ahnungsvoller Gedanken über ein Geschehen, dass wir zu Beginn noch nicht erkennen. Edward Ashburnham, seine Frau Leonora, der Erzähler John Dowell und dessen Frau Florence verbringen jeden Sommer Tage der Kur in Bad Nauheim. Man ist sich in allem einig und es herrscht eitel Harmonie. Doch war das wirklich so?

Ein wenig mühsam muss man sich durch die einzelnen Episoden hindurchquälen, bis man einen roten Faden erkennt.

Langsam gewinnt man Einblick in das Leben und Treiben der vier Personen.

Florence und Dowell stammen aus Amerika, die anderen sind Engländer. Florence ist sehr krank, das darf man schon bald erfahren. So denkt man zunächst an eine gesellige Zeit der Kur für alle Beteiligten.

Die Geschichte entwickelt sich jedoch zu einer unendlichen Liebesgeschichte. Sie betrifft vor allem Edward Ashburnham, der seine Finger von keiner neuen Begegnung mit einer Frau lassen kann. Ob es sich um Florence oder andere weibliche Bekannte aus seinem Umkreis handelt: er scheut keine Mühen und kein Geld, um sich mit Damen aller Couleur zu verlustieren. Leonora ist die Leidtragende, die seine vielfachen Liebschaften erträgt und seine Finanzen in die Hand nimmt, um den totalen Ruin zu verhindern. Der 4. August ist ein magisches Datum, an dem sich immer wieder Entscheidendes ereignet. Der 4. August 1913 ist der letzte Abend in Bad Nauheim, bevor eine Katastrophe dem hässlichen Spiel zunächst ein Ende macht.

Es soll nicht zu viel des Inhalts verraten werden, denn genau genommen geht es um den Stil und die atmosphärische Widergabe einer längst vergangenen Welt. Es geht um die s.Zt. herrschende Moral und den gesellschaftlichen Umgang in bestimmten Kreisen. Verwirrend ist die Vielzahl an Männern und Frauen, die sich lieben, hassen, betrügen und verlassen. Immer im Zentrum sind die oben genannten Ehepaare. Die bizarren Verbindungen zeigen uns das verblasste Gesellschaftsbild der zwanziger Jahre in England, Frankreich und Deutschland.

Man liest das Buch in Muße und Geduld, um sich noch einmal auf die ferne Zeit   einzulassen. Literarisch vollkommen und doch breit angelegt werden wir mit einem Autor bekannt gemacht, der nur diesen einen Roman geschrieben haben soll. Er erschien 1915. Ford Madox Ford  (1873 -1939) war bekannt und befreundet mit zahlreichen Schriftstellern seiner Zeit: Hemingway, Henry James, Galsworthy  und Joseph Conrad, mit dem ihn „eine tiefe Freundschaft verband“( Wikipedia).

Julian Barnes gibt im Anhang einen Einblick in das Leben des Autors.

Der Roman ist lesenswert für Menschen mit literarisch hohen Ansprüchen.

Die Aufmachung des kleinen Werks ist edel gestaltet und bietet den Hinweis auf eine wertvolle Lektüre.

Ford Madox Ford
Die allertraurigste Geschichte
320 Seiten, gebunden
Diogenes; Auflage: New edition, November 2018
ISBN-10: 3257070381
ISBN-13: 978-3257070385
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Elizabeth Poliner: Wie der Atem in uns

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Jüdisches Leben und Schicksalsschläge …

Molly Leibritzky ist die Icherzählerin einer typisch jüdischen Familiengeschichte in Middletown/Connecticut. Die Familie verbringt die Sommer am Meer in Woodmont/Connecticut. Wie so viele Juden sind die Ahnen der Familie ursprünglich vor Jahrzehnten aus dem Osten nach Amerika zugewandert. Mit ihrem Kaufhaus hat sie eine einträgliche Einkommensquelle, so dass sie sich ein gutes Leben leisten kann. Man hilft sich untereinander und steht sich in allen schwierigen Fragen des Lebens zur Seite. Doch wie überall auf der Welt gibt es in der Familie nicht nur eitel Sonnenschein. Schicksalsschläge und Querelen untereinander geben so manchen Anlass zur Sorge und zu Zwietracht.

Der Sommer 1948 prägt sich allen ins Gedächtnis ein, denn es ist der Sommer, in dem Davy, der Jüngste der Familie, zu Tode kommt. Er ist damals erst acht Jahre alt.

Molly, seine Schwester, versucht in ihrem Rückblick nach Jahren Ordnung in die Geschehnisse von damals zu bringen.

Auf diese Weise erfahren wir etwas vom Zusammenleben ihrer Mutter Ada mit ihren Schwestern Vivie und Bec.

Ada ist in Laufe der Jahre mit drei Kindern gesegnet worden und hat ihre unbefangene frühere Lebensfröhlichkeit verloren. Vivie hat ihrer Schwester lange verübelt, dass sie ihr den Mann einst ausgespannt hat. Doch nun ist sie früh zu einem gewissen Gleichmut und einer korrekten Realitätseinschätzung gelangt. Mit Leo und ihrer gemeinsamen Tochter Nina führt sie schließlich eine ruhige und treue Ehe. Bec, die jüngste der Schwestern, hat einen ganz eigenen Weg genommen.

Elizabeth Poliner zeichnet ein lebhaftes Bild der Gemeinschaft in ihrem Sommerdomizil. Man isst zusammen, treibt Sport, geht schwimmen und verlustiert sich auf vielerlei Weise.

Elizabeth Poliner vermittelt das Bild einer jüdischen Familie, wie wir sie aus zahlreichen Familiengeschichten schon kennen. Wichtig ist allen, dass man unter sich bleibt. Die jüdische Familie fordert bedingungslose Achtung bei der Einhaltung ihrer Traditionen und fest gefügten Lebensmuster. Das fällt nicht jedem leicht! Die Liebe erfährt Veränderungen und sprengt den Rahmen dessen, was jeder zu leisten vermag.

Als in Sommer 1948, der Gründung des Staates Israel, Davy tödlich verunglückt, bricht das mühsam konsolidierte Familienleben zusammen.

Die tragischen Ereignisse um Davys Tod berühren jeden tief.

Warum interessiert einen dieser Roman so sehr?

Er sprüht vor Lebendigkeit, erzählt von Klima, Luft und Familiensinn mit feiner Beobachtungsgabe und beinhaltet zudem eine Menge Erkenntnisse zu dem, was das Menschsein ausmacht. Hinzu kommt eine Einsicht, die so oft zum Leben gehört: Zufälle können eine unerwartete Wende bringen, die das Leben aller Beteiligen erschüttert. Keiner bleibt unberührt, wenn ein junges Leben vorzeitig endet. Und die Erwartungen an aneinander sind, wie sich zeigen wird, nicht immer erfüllbar.

Zitat: “Doch so sind Familien: sie sagen uns, was wir sind, und das sind wir dann, und deshalb besteht ein Teil des großen Lebenskampfes darin, sich jenseits der Last der erdrückenden kollektiven Definition selbst kennenzulernen.“(S.88)

So klar ausgesprochene tiefsinnige Betrachtungen findet man selten in diesem Roman. Sie fassen aber zusammen, worum es in der Geschichte geht: Selbstfindung, Identitätssuche und Überlebensstrategien. Am Ende ist die Geschichte schlüssig und man legt das Buch mit dem Wissen aus der Hand, dass hier wieder einmal ein Roman lehrt, wie das Leben so spielt und wie viele Variablen es beinhaltet.

Elizabeth Poliner
Wie der Atem in uns
428 Seiten, gebunden
DuMont Buchverlag. Juli 2016
ISBN-10: 3832198172
ISBN-13: 978-3832198176
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Chantal Louis: Ommas Glück

Chantal Louis: Ommas Glück

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Formen der Demenz und wie mit ihnen umgehen. Heim oder daheim das ist hier die Frage.

„Ommas Glück“ ist die nette Geschichte über Chantal Louis’ Großmutter, die nach einigen Fehlläufen in einer Demenz-WG gelandet ist.
Im schönsten Ruhrpottdialekt werden die Besonderheiten des Alters und der in diesem Fall damit einhergehenden Demenz beschrieben.
Teilweise geht es da lustig und heiter zu, immer aber leicht und unbeschwert. Die Autorin erzählt von den fabelhaften Altenpflegerinnen, die mit so viel Geschick und Klugheit ihre ihnen anvertrauten Pfleglinge aus den Wirrnissen ihrer Empfindungen in die realen Gegebenheiten (essen, trinken, kleiden) führen. Sie sind geduldig, liebevoll und voller Empathie. Dass es Menschen gibt, die sich zu dieser Art Betreuung berufen fühlen, ist wunderbar. Ja, das wäre die ideale Voraussetzung, um auch diese Phase des Lebens zu meistern!
Doch wie sieht die Realität wirklich aus? Was wird nahen Angehörigen abverlangt, die zunächst jahrelang das Abgleiten ihrer Eltern, Geschwister, Ehepartner oder Großeltern erleben und erleiden?

Da ist einer ja nicht von Heute auf Morgen dement. Da gibt es gleitende Übergänge und eine Gratwanderung zwischen normal und irreal. Vergesslichkeiten, den ganzen Tag lang Fragen nach diesem und jenem, Verlegung von wichtigen Akten, Papieren und anderer Kleinigkeiten und ein unentwegtes Nähebedürfnis, im einen Fall mehr im anderen weniger, machen den Angehörigen, meistens den Ehefrauen oder Töchtern, zu schaffen. Das zerrt an den Nerven und macht auf die Dauer wütend, unduldsam und krank. Natürlich bleiben auch die „guten Ratschläge“ von allen jenen nicht aus, die aus der Ferne alles so gut zu durchschauen meinen und nach einem kurzen Besuch, in dem sich der/die demente Person von der besten Seite zeigt, genau Bescheid zu wissen glauben. Es gibt sogar Angehörige, die es den nahestehenden Betroffenen übel nehmen, wenn sie „Omma“ oder „Oppa“ ins Pflegeheim vermeintlich „abschieben“.

Wie stark sind erst die Schuldgefühle, wenn man wieder einmal merkt, dass man den anderen beschimpft und ermahnt hat, wo er doch eigentlich „nichts dafür“ kann! Das kann Jahre so gehen, und die Angehörigen werden sich sehr schwer tun, ihre „Omma“ oder den „Oppa“ ins Pflegeheim oder gar in eine WG zu geben.

Diese WGs, das bleibt nicht ungesagt, haben mit zahlreichen Unbilden zu kämpfen. Da geht es um Mietverträge, Verantwortlichkeiten, Versicherungen und Haftungen. Wer bestellt den richtigen Pflegedienst und übernimmt die Gehaltszahlungen? Was, wenn eine Pflegekraft plötzlich ausfällt, sei es durch Krankheit oder anderer Gründe wegen?
Was als Ei des Columbus erscheint, ist in Wirklichkeit mit unendlicher Mühsal und Arbeit verbunden. Dazu gehört Idealismus und Einsatzbereitschaft. Es klingt alles so verlockend und simpel. Doch fürchte ich, diese Wohnform für Alte wird auf lange Zeit Utopie bleiben.

Chantal Louis hat sich sicher verdient gemacht, indem sie einmal mehr auf das Thema „Demenz“ und ihre Folgen aufmerksam macht.
Ihr Buch beinhaltet wichtige Aspekte der Unterbringung und gibt wertvolle Hinweise. Doch eine Lösung für das Thema Demenz bietet sie nur sehr in Grenzen.

Chantal Louis
Ommas Glück
208 Seiten, broschiert
KiWi-Paperback, März 2015
ISBN-10: 3462047183
ISBN-13: 978-3462047189
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