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Schlagwort: Opfer

Riley Sager: Final Girls

Riley Sager: Final Girls

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Quincy Carpenter hat als Einzige überlebt. Alle anderen, die mit ihr in der Hütte in diesem finsteren Wald den Geburtstag einer Freundin gefeiert haben, hat der Mörder erwischt. Lisa Milner und Samantha Boyd haben ähnliches erlebt. Final Girls werden diese Überlebenden genannt. Quincy kann sich an nichts erinnern. Sie kann den Hergang der blutigen Taten nicht schildern. Vielleicht schafft sie es deshalb, trotz der schrecklichen Erlebnisse ein halbwegs normales Leben zu führen.

10 Jahre sind vergangen. Quincy lebt in New York. Sie bewohnt mit ihrem Freund Jeff eine großzügige Wohnung, bezahlt vom Schmerzensgeld. Ab und an hat sie noch Kontakt zu Coop. Er ist der Polizist, der nach dem Vorfall in Pine Cottage zuerst vor Ort war und Quincy gerettet hat. Er ist es auch, der sie darüber informiert, dass eine der Final Girls tot ist. Quincy kennt sie nicht näher, hat aber einmal mit ihr telefoniert.

Es ist vorbei mit der Ruhe, denn die Presse stürzt sich auch wieder auf Quincy. Alles hängt an ihr, denn sie trägt Erinnerungen in sich, die der Schlüssel zu den jetzigen Vorkommnissen sein könnten.

Das Buch ist über alle Maßen spannend! Der Autor geht so richtig in die Tiefe, was die psychologischen Abgründe der Hauptfiguren betrifft. Er gewährt einen Blick hinter die Fassade der scheinbaren Normalität. Und er arbeitet mit Rückblicken. Diese werden von außen betrachtet, während die Vorkommnisse in der Gegenwart aus der Perspektive Quincys erzählt werden. Die echte Realität und die angenommene Realität, die aus den Erinnerungslücken herrühren, vermischen sich also nach und nach, bis die Wahrheit für Quincy und auch für den Leser greifbar wird.

Der Autor hat eine sehr fesselnde Art zu schreiben. Er unterhält nicht nur, er beschäftigt den Leser. Es ist klar, dass jemand die Fäden zieht und manipuliert. Ich habe die falschen Schlüsse gezogen und war vom überaus dramatischen und nervenaufreibenden Ende dann sehr überrascht.

Rezension von Heike Rau

Riley Sager
Final Girls
Thriller
Deutsch von Christine Blum
416 Seiten, broschiert
dtv Verlagsgesellschaft
ISBN-10: 3423217308
ISBN-13: 978-3423217309
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Uwe Timm: Ikarien

Uwe Timm: Ikarien

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Zu Beginn der Lektüre fragt man sich, ob man wirklich noch einmal mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und seinen Gräueln konfrontiert werden will.

Doch nach den ersten Zeilen lässt einen die Geschichte nicht mehr los.

Worum geht es?

Michael Hansen geht als deutschsprachiger Offizier nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach Frankreich und von dort nach Bayern. Seine Eltern sind durch Zufall schon vor dem Krieg aus Deutschland nach Amerika geraten, wo sie dann geblieben sind.

Uwe Timm hat die großartige Gabe, Sachliches mit Poetischem zu verbinden. Während der junge Offizier von einem Auftrag zum nächsten eilt, bemerkt er den nahenden Frühling und kann die Farben und Stimmungen in Worte fassen. Ihm begegnen die ersten Nazis und Menschen, die keine Parteimitglieder waren.

Unwillkürlich kommen beim Leser Erinnerungen hoch an die ersten Eindrücke vom Einmarsch der Alliierten und von den armseligen, verhungerten Gestalten, die durch die Straßen der zerstörten Städte schlichen.

Die sauber gekleideten Soldaten und die abgemagerte und gedrückte Bevölkerung bilden einen krassen Gegensatz.

Hansen bekommt einen besonderen Auftrag: er soll etwas über die Rassehygieniker herausfinden, deren Ideologie der reinrassigen Bevölkerung zu den unmenschlichen Versuchen an Menschen und Behinderten im Nazireich geführt hatten.

In München findet er einen Antiquar, den Dissidenten Wagner, der den Eugeniker Alfred Ploetz kannte.

Im weiteren Verlauf berichtet er Hansen, der ihn im Auftrag des CIC verhörte, von einer ideologisch verbrämten Gemeinde zu Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika.

Aufbauend auf sozialistischen und kommunistischen Gedankengut und den Ideen des französischen Revolutionärs Étienne Cabet, hatten sich die Auswanderer eine utopische Gemeinde mit Namen Ikarien vorgestellt und in die Praxis umzusetzen versucht.

Das Experiment scheitert, doch A. Ploetz wird zum Verfechter einer reinen Rasseidee.

Nun beginnt eine lange Abhandlung über die Verhöre und zugleich des Lebens der amerikanischen Soldaten in Deutschland.

Uwe Timm nimmt sich Zeit, in seinen Perspektiven zwischen Verhören und Leben in Deutschland zu wechseln.

Auf diese Weise entsteht ein atmosphärisches Bild dieser „Zwischenzeit“. Zwischen dem Kriegsende bis zur Normalisierung des Lebens und Gründung der BRD lagen einige Jahre, in denen Fraternisierung verboten und schließlich übersehen wurde. Jeder sah am Ende, wie er am besten durchkam.

Das Buch ist umfassend und beleuchtet die Zustände der Euthanasie, über die schon während des Krieges und erst recht danach die unmäßigsten Behandlungspraktiken und Menschenversuche bekannt wurden.

Die Ausführung der Tötung der von oben bestimmten Kategorie von „unwertem Leben“ hat nach dem Krieg zu einem Aufschrei der Empörung und der Tabuisierung jedweder Euthanasiegedanken in Deutschland und in der Welt geführt.

Sich mit dem barbarischen Tun noch einmal zu konfrontieren ist aufschlussreich aber auch quälend. Die guten poetischen Einschübe beispielsweise über einen Vogelkundler unter den Amerikanern und kleine Liebeleien und Bootsfahrten auf dem Starnberger See entspannen die Erzählung und bieten den Rahmen der Menschlichkeit, die es schließlich überall und immer auch gab.

Die schwere Kost ist nicht für jeden erträglich. Uwe Timm ist ein Könner unter den Autoren, und wer ihn kennt, wird auch diesen Roman begrüßen.

Uwe Timm
Ikarien
512 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, September 2017
ISBN-10: 3462050486
ISBN-13: 978-3462050486
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Mirna Funk: Winter Nähe

Mirna Funk: Winter Nähe

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Findet man sein Ich in einer von der Nachkriegs- und Nazischuld geprägten Gesellschaft?

Weit ausholend schildert Mirna Funk das Leben von Lola in Deutschland und Israel.

Lola ist etwa 34 Jahre alt ist.

Sie lebt und arbeitet in Berlin und fühlt sich als Jüdin. Doch sie ist keine! Bekanntlich wird die Religionszugehörigkeit der Juden über die mütterliche Linie weiter gegeben. Ihre jüdischen Großeltern väterlicherseits haben sie aufgezogen. Sie lebt und liebt, ganz, wie es der Tag bringt. Ihre Arbeit als Fotografin im IT Bereich spielt keine große Rolle in dieser Geschichte. Man erfährt mehr über Lolas Liebschaften und ihr Innenleben als über ihre Arbeit.

Einst lernte sie Shlomo kennen, einen Israeli, den sie wirklich liebt. Doch er kehrt nach einer kurzen und glücklichen Zeit nach Israel zurück. Lola trauert ihm nach, so wie in der Vergangenheit ihrem Vater, der schon früh aus Ostberlin geflohen und im australischen Busch gelandet ist. Ihre Mutter hat sich noch früher aus dem Staub gemacht.

Das ständige Dilemma zwischen Schuld, Opfer und Vergänglichkeit in der Berliner Gegenwart begleitet Lolas Leben, und macht sie zuweilen wütend. Schuldangst nennt sie das, was die Menschen noch so viele Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs umtreibt. „Der christliche Wunsch, dass Jesus für die Sünden aller Menschen gestorben wäre, repräsentiert die tiefe Schuldangst der vom Christentum geprägten Gesellschaft.“(S.86)

Wer aber ist Lola, und zu wem darf sie sich zugehörig fühlen? Antisemiten und ehemalige Nazis kreuzen ihren Weg und machen ihr die Ichfindung schwer.

Man findet sie zu Zeiten in Israel und in Thailand, und immer scheint sie auf der Suche zu sein.

Mehr und mehr zieht sich die Geschichte Lolas zu einem allgemeinen Bericht über die Lage der Juden und ihrer Verlorenheit in der Welt zusammen.

Verkappter Antisemitismus mischt sich mit berechtigter Kritik an der Politik Israels im Palästinakonflikt.

Der Roman besticht durch die Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit. Immer wieder reichen die Erfahrungen während des Holocausts bis in die Gegenwart. Sie zeigen die Suche und die Heimatlosigkeit, der sich Juden seither ausgesetzt sehen. Palästina war englisches Mandatsgebiet, als Juden zu tausenden nach dem Krieg dorthin flüchteten. Bis in die heutige Zeit wissen wir von den Streitigkeiten um den Anspruch auf Heimat, der Palästinenser und Juden zu Feinden macht. Jeder in diesen beiden Lagern fühlt sich im Recht. Und Menschen auf beiden Seiten werden zu Opfern und Tätern.

Der Autorin ist ein markantes Werk gelungen, das zahlreiche Aspekte dieses konfliktträchtigen Geschehens tiefenscharf erfasst und heraus arbeitet.

Es ist ein differenziert angelegtes Werk, dem man sich mit zunehmender Spannung überlässt. Mirna Funk hat gerade den Uwe Johnson Förderpreis für das beste deutschsprachige Debüt der letzten zwei Jahre erhalten.

Mirna Funk
Winter Nähe
352 Seiten, gebunden
FISCHER; Auflage, Juli 2015
ISBN-10: 3100024192
ISBN-13: 978-3100024190
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