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Schlagwort: Streit

Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter

Daniela Dröscher: Lügen über meine Mutter

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Mutter ist zu dick!
Wie ein Mantra zieht sich diese Feststellung durch den ganzen Roman.

Dieses Buch über eine Familie im Hunsrück zu Beginn der 80ziger Jahre löst Mitgefühl, Empörung und Zorn aus. Zorn darüber, wie ein Mann seine Frau tyrannisiert, und wie diese Frau über Jahre mit dieser Tyrannei leben konnte.

Sie leben in einem kleinen Dorf im Hunsrück: Vater, Mutter und die Tochter Ela.
Von Beginn an merkt man, dass ein unerträgliches Klima des Zanks und des Streits in der Familie zu spüren ist.
Der Vater moniert ständig, dass seine Frau zu dick sei. Das Töchterchen Ela beobachtet und fühlt die Spannung, die fast zu jede Minute des Zusammenseins in der Luft liegt. Sie berichtet aus der Perspektive einer Sechs-bis Zehnjährigen über die Jahre zwischen 1986 bis 1990.

Ist die Mutter zu dick? Man glaubt es kaum, denn anlässlich eines Badeurlaubs in Italien denkt Ela, dass die Mutter schön ist. Im Laufe der Jahre sieht sie die Mutter aber mehr und mehr mit den Augen des Vaters.

Die hilfsbereite und soziale Mutter und der ambitionierte Vater bilden die Pole, zwischen denen das Befinden des Kindes schwankt.

Eine unausgesprochene Wut seitens der Mutter und die ständigen Nörgeleien des Vaters, der ihre Figur zur Ursache für seine eigenen Misserfolge erklärt, prägen das Geschehen. Hin und her gerissen zwischen der Liebe zur Mutter und dem Vater muss sich Ela einen eigenen Weg suchen. Sie ist ein fröhliches Kind, der „Sonnenschein“ der Familie.

Ela ist unschwer als das Alter Ego der Autorin zu erkennen. Sie beschreibt das Leben ihrer Mutter als einer Abhängigen, die sich der ständigen Kritik des Vaters nicht entziehen kann. Der Vater hat seine bäuerliche Herkunft verlassen und ist technischer Zeichner geworden. Er möchte Karriere machen. Seine Klagen über den Berufsalltag und die empfundene Ungerechtigkeit bei Beförderungen bestimmen sein Denken und die Gespräche bei Tisch.
Es ist ein schrecklich verklemmtes Spießerleben, voller Vorurteile und Klischees!

Zwischen den einzelnen Kapiteln des Romans reflektiert die erwachsene Tochter Ela das Verhalten der Eltern und stellt Fragen, ob wirklich alles so war, wie sie es sieht.

Während sich die Mutter mit Diäten quält, tänzelt der Vater mit immer neuen Ideen durchs Leben, braun gebrannt und dem Erfolg hinterher. Ein neues Auto, ein neues Haus: nichts scheint unmöglich, um Prestige zu gewinnen.

Auch die Großelternpaare streiten untereinander.
Das Motto in beiden Häusern war: “ Opa hat entschieden, Oma ist gelaufen. Er war der Kopf, sie die Beine“.

Die achtziger Jahre mit ihren gesellschaftlichen und familiären Zwängen werden ausgezeichnet wiedergegeben. Die Grünen ziehen in den Bundestag ein, und Kohl wird Bundeskanzler. Männerherrschaft in allen Bereichen wird überzeugend beschrieben. Mit der Emanzipation hat es in dem abgelegenen Dorf, und vielleicht nicht nur dort, noch nicht geklappt.

Das Buch liest sich flüssig. Es sind bedrückende Jahre ihrer Kindheit, die von der erwachsenen Ela/ Dröscher zu einem aufschlussreichen Familienporträt verarbeitet wurden. Man kann sich den Sog der Erzählung nicht entziehen.

Daniela Dröscher war mit dieser Arbeit auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Daniela Dröscher
Lügen über meine Mutter
Kiepenheuer & Witsch, 3. Auflage, August 2022
448 Seiten, gebunden
ISBN-10: 346200199X
ISBN-13: 978-3462001990
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Juli Zeh: Unterleuten

Juli Zeh: Unterleuten

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Unterleuten ist der beziehungsreiche Titel eines neuen Romans von Juli Zeh. Unterleuten ist ein kleines Dorf im Brandenburgischen ungefähr 100 km von Berlin entfernt.

Worum geht es?

In Unterleuten hat sich nach der Wiedervereinigung der zwei Deutschen Staaten ein buntes Völkchen zusammengefunden: ehemalige Dorfbewohner, Arme, Reiche aus dem Westen und aus Berlin Zugezogene, die es in die Idylle der vermeintlich noch unberührten Natur zog.

Hier herrschen enge und überschaubare Verhältnisse. In ihnen aber spiegeln sich gesellschaftliche Gegebenheiten, die sich auf die ganze deutsche Wirklichkeit übertragen lassen. Es gibt mehr Feind als Freund und jeder/jede versucht, den eigenen Wertvorstellungen oder Ideologien nachzustreben. Dabei stößt man sich an allen Ecken und Enden.

Der (fast) Professor für Soziologie Gerhard Fließ wandelt sich zum Vogelkundler und Umweltschützer, seine Frau Jule will Gartenbau und Gartenpflege zu ihrem Hobby machen. Die Häuser, anfangs noch verfallen, sind preiswert zu erstehen und werden im gemeinsamen Eifer den eigenen Bedürfnissen angepasst. Da stößt so mancher Gartenzaun an den anderen und die innere Stimmung samt passender Ideologie gleich mit dazu.

Von der ersten Zeile an ist man gebannt von der Dynamik, mit der Juli Zeh ihre Geschichte aufbaut. Man spürt die Wut, wenn die Enttäuschung nach dem zuvor angepeilten glücklichen Leben Risse bekommt. Und man erlebt den ehemaligen Gutsbesitzer Gombrowski, der die Kleinbürger von einst mit Verachtung straft. Alle bisherigen Wertvorstellungen geraten nach der Wende ins Wanken. Kommunisten versuchen zu retten, was zu retten ist. Der ehemalige Gutsbesitzer versucht aus der neuen Lage seine alte Herrschaft unter anderen Bedingungen wieder zu erlangen.

Es herrscht ein diffiziles Netz von Verschwörungstheorien und persönlichen Kränkbarkeiten, in dem sich nach und nach zahlreiche Dorfbewohner verfangen.

Als eines Tages ein Gewinnler aus dem Westen mit Unterstützung einiger Dorfbewohner einen Windpark in der Gegend errichten will, beginnt eine Unruhe, die die ganze Gemeinschaft erfasst. Unterleuten ist nachweisbar Naturschutzgebiet, das mit diesem Vorhaben in seiner ganzen Fauna und besonders dem Vogelreichtum vernichtet würde.

Das Dorf Unterleuten ist gewissermaßen mit seinen Einwohnern ein Schmelztiegel, in dem Frust, Lust, Schikane und heile Weltvorstellungen eine ungute Symbiose eingehen. Sie zeigt uns eine Öffentlichkeit, in der Gier, Selbstsucht und Gewinnstreben, auch Eifersucht, Neid und die kleinen Streitereien des Alltags das Leben bestimmen. Hier spiegelt sich am Beispiel der Welt im Kleinen unsere momentane gesellschaftliche Wirklichkeit.

Juli Zeh ist nach den Aussagen in einem Epilog einer Zeitungsnotiz nachgegangen, in der es in eben jenem Ort Unterleuten zu einem Verbrechen gekommen sein soll. Anhand von eigenen Recherchen kommt sie als Ergebnis zu dieser umfassenden Sozialstudie.

Zuweilen sind die Einzelheiten ihres Berichts ein wenig ermüdend in ihrer ausufernden Detailfreude.

Mit diesem Roman gesellt sie sich aber zu den ganz Großen in der Weltliteratur. Sie kann sich messen lassen mit den anerkannten amerikanischen Autoren, die ebenfalls aus einer Kleinstadt (Elizabeth Strout) oder aus der Lage des Landes (Richard Ford)ihre Schlüsse mit Blick auf gesellschaftlichen Befindlichkeiten zu ziehen vermögen.

Sie schreibt klug, einfallsreich, empathisch und mit Sinn für die kleinen Alltäglichkeiten. Man sollte sich ihren Roman nicht entgehen lassen!

Juli Zeh
Unterleuten
640 Seiten, gebundn
Luchterhand Literaturverlag, März 2016
ISBN-10: 3630874878
ISBN-13: 978-3630874876
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Vanessa F. Fogel: Hertzmann’s Coffee

Vanessa F. Fogel: Hertzmann’s Coffee

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Jüdisches Familienleben über mehrere Genrationen beobachtet.

Yankele und Dora sind ein altes Ehepaar. Sie leben in New York, wohin es sie durch die Kriegs- und Nachkriegszeit verschlagen hat.

Yankele Hertzmann hat sich ein großes Kaffeeimperium erarbeitet.

Ihre vier Kinder sind aus dem Haus. Sehr zum Kummer ihres Vaters und ihrer Mutter herrscht Zwietracht und Unfrieden zwischen den erwachsenen Kindern.

Yankele beschließt, die Familiengeschichte öffentlich und auf Umwegen den Kindern zugänglich zu machen. Er benutzt dazu die modernen Medien des Videos und des Internets.

Durch seine Erinnerungsform werden im Wechsel alte und neue Passagen der Familiengeschichte in den Fokus genommen.

Herausgekommen ist eine lange Familiengeschichte voller Höhen und Tiefen.

Sie führt von Polen über Deutschland nach Venezuela und New York. Einmal geht es um den Zweig von Doras Familie. Dann wieder ist Yankeles Familie im Mittelpunkt des Geschehens. Durch alle Beziehungen zieht sich die Liebe, der Streit, die Versöhnung, Schicksalsschläge und die Unauflöslichkeit von Familienbanden. Man bekommt einen unmittelbaren Eindruck vom Lieben und Streiten auch aber von Yankeles Sehnsucht nach Versöhnung.

Yankele wurde während des Krieges von seiner Familie aus Deutschland beizeiten ins Ausland geschickt. Die ganze übrige Familie ist während Shoah umgekommen.

Er sucht und findet seine jüngste Schwester Leah, die durch die Vermittlung eines guten Familienfreundes in einem Nonnenkloster in Deutschland der Judenverfolgung während der Nazizeit entkommen konnte. Sie lebt in Venezuela. Doch Leah will oder kann sich nicht erinnern, und Yankeles Bemühungen führen nur mühsam zum Ziel.

Und Dora? Sie sagt ihren Kindern die Meinung in einer drastischen Weise, die mit dem Vergleich beginnt: “Leben ist genau das: Leben! Es ist vieles, aber keiner hat es bisher verstanden“ und „das Leben ist nicht wie ein Puzzle. Man kann Teile nicht einfach wieder zusammensetzen, wenn man sie auseinandergerissen hat.“

Das Buch ist mit viel Wärme und Empathie geschrieben, so dass man sich vor allem den beiden Hauptprotagonisten nahe fühlt. Die Geschichte geht zu Herzen und zeigt einmal mehr, wie Familien in Streit und Versöhnung verbunden sein können, und wie viel Weisheit, Klugheit, Gelassenheit und Geduld dazu gehören, Verbindungen gelingen zu lassen.

Vanessa F. Fogel ist den Spuren ihres Großvaters beim Abfassen zu diesem Roman gefolgt.

Analogien und Vergleiche, poetische Abhandlungen und Empfindungen wechseln ab mit Erzählungen aus dem wahren Leben. Der Extrakt von Weisheit und Erkenntnis zweier alter Menschen, die sich in Kraft, Freundschaft und Liebe verbunden sind, werden hier aufgezeigt. Hertzmann’s Coffee ist ein wunderbarer Roman über die Kraft der Liebe und Versöhnung. Jüdische Familiengeschichten enthalten immer den besonderen Ton von Zusammengehörigkeit. Dieser Zusammenhalt und ihre Lebensformen sind überlebenswichtig in einer ihnen häufig nicht wohlgesonnenen Umwelt. In diesem Roman kann man diese Lebensformen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und sich ein Bild von jüdischen Leben machen.

Vanessa F. Fogel
Hertzmann’s Coffee
320 Seiten, gebunden
Weissbooks, Juli 2014
ISBN-13: 978-3863370435
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Michael Van Zeveren: Das Ei

Michael Van Zeveren: Das Ei

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Im tiefen Dschungel findet das Froschkind ein Ei, das so groß ist wie es selbst. Was man findet, darf man behalten. Oder? Der kleine Frosch beschließt jedenfalls, dass das gefundene Ei nun seins ist. Doch eine Schlange ist anderer Meinung. Sie sagt, das Ei gehöre ihr. Aber auch der Adler möchte das Ei haben. Aber schon nimmt der Waran das Ei an sich. Wer will ihn daran hindern? Er ist groß und stark. Der Adler lässt es trotzdem auf einen Streit ankommen. Da flutscht das Ei davon und knallt auf den Kopf des Elefanten, der eine Beule davon trägt. Als er mit Strenge fragt, wem das Ei gehöre, zeigen alle auf das Froschkind. So gibt der Elefant dem Frosch das Ei zurück. Und schon sind die anderen sich einig, dass das nun auch wieder nicht richtig ist. Doch bald wird sich zeigen, was aus dem Ei schlüpft und ob das Froschkind wirklich einen guten Fang gemacht hat. Die Eierschale knackt schon.

Die Geschichte ist kurz gehalten und eigentlich sehr schnell erzählt bzw. vorgelesen. Aber im Zusammenhang mit den Zeichnungen verfehlt sie ihre Wirkung nicht und entwickelt eine ungeahnte Spannung. Die Kinder werden angeregt, genauer hinzusehen und ihre eigene Interpretation dieser Bilderbuchgeschichte zu entwerfen. Die gezeichneten Figuren überzeugen durch ihre Mimik und Gestik, sodass Kinder verstehen können, welche Gefühle und Beweggründe hier mitspielen. Es geht um mein um dein. Um etwas, das man gerne hätte, warum auch immer, das einem aber nicht gehört. Und um die Folgen dieser Entscheidung. Denn am Ende kommt die Wendung der Geschichte mit einer unerwarteten Überraschung, die eigentlich ganz lustig ist, aber auch den eigentlichen Ernst der Situation darstellt. Die Geschichte regt zum Nachdenken an und bietet damit Stoff zum Nachdenken und für Gespräche über ein Thema, das Kinder interessiert.

Rezension von Heike Rau

Michael Van Zeveren
Das Ei
Aus dem Französischen von Paula Peretti
31 Seiten, broschiert
Beltz & Gelberg
ISBN-10: 3407761333
ISBN-13: 978-3407761330
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Viveca Sten: Die Toten von Sandhamn

Viveca Sten: Die Toten von Sandhamn

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Dieses ist bereits der dritte Fall von Thomas Andreasson. Schon die beiden ersten Bände dieser Krimireihe von Viveca Sten lösten Begeisterung aus.

Dieses Mal wird der Kommissar zu einem Fundort mit Leichenteilen, genauer gesagt: einem abgetrennten Arm, gerufen. Es scheint sich um die zwanzigjährige tote Lena zu handeln, Tochter der Roséns, die seit vier Monaten vermisst wird.

Einzelheiten über die Bewohner der Insel Sandhamn spielen wie immer eine wichtige Rolle. So erfahren wir, wie es mit der Ehe von Nora und Henrik weiterging, einem Paar, das schon lange in einer zerrütteten Ehe gelebt hat. Die Kinder der Paare und ihre Freunde sind wichtige Protagonisten; über sie erfährt man etwas von dem gemütlichen Leben auf der Insel. Es sind neben den Alteingesessenen die begüterten Bürger, die hier ihre Sommerhäuser besitzen. Nora ist aus Wut über die Untreue ihres Mannes gerade jetzt im Winter auf die Insel geflüchtet. Doch auch diese Jahreszeit besitzt ihre Reize. Nur fanden leider ihr Söhne Adam und Simon die Leichenteile! Was für ein Schock!

Parallel verläuft die Geschichte von Gottfrid und Vendela fast hundert Jahre früher. Sie sind ein zerrüttetes Ehepaar mit dem unsympathischen Sohn Thorwald, einem verstockten und eingeschüchtertem Kind, und der von Gottfrid heiß geliebten Tochter Kristina. Wie diese Familie mit den Ereignissen auf Sandhamn im Jahr 2007 verzahnt wird , das ist die Kunst der hervorragenden Krimiautorin Viveca Sten. Sie verzaubert mit herausragenden Milieubeschreibungen, die sich am Wetter, dem Himmel und dem Klima festmachen. Düstere Familiengeheimnisse, grausamer Erziehungsmissbrauch und ein ungerechter, cholerischer Vater bestimmen die Handlung um 1920. Nun, im Jahr 2007, fügt sich alles zu einem Krimi zusammen, der es in sich hat.

Hoffentlich gesundet der während einer Verfolgungsjagd schwer unterkühlte Thomas Andreasson, damit wir noch in vielen weiteren Krimis von seinen Taten hören dürfen!

Viveca Sten schreibt packend und weckt Neugierde, so dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen mag!

Viveca Sten
Die Toten von Sandhamn
352 Seiten, broschiert
Kiepenheuer & Witsch, Mai 2012
ISBN-10: 3462043889
ISBN-13: 978-3462043884
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