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Schlagwort: Freude

Elizabeth Strout: Am Meer

Elizabeth Strout: Am Meer

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Lucy Barton ist die Heldin dieses Romans. Wir kennen sie schon aus früheren Werken, so wie E. Strout ihre Protagonisten in ihren Romanen häufig wiedererstehen lässt.

Aufhänger für die Erzählung ist die sehr dramatische Geschichte der Pandemie, die uns vor einigen Jahren heimsuchte, und durch die so viele Menschenleben ausgelöscht, jedenfalls aber aus der Bahn geworfen wurden.
Um dieses Geschehen entwickelt E. Strout ihre Geschichte von Liebe und Vergehen.

Lucy, die erfolgreiche Schriftstellerin, ahnt nichts, als ihr Exmann William sie auffordert, schnell und unvorbereitet mit ihm einige Zeit nach Maine ans Meer zu fahren. Ihr Mann David ist kürzlich verstorben, und William ist gerade von seiner dritten Frau verlassen worden. Er ist emiritierter Professor.

Sehr bald wird auch Lucy klar, wie ernst die Lage für uns Menschen überall auf der Welt geworden ist. Die Behörden in New York werden kaum fertig mit den zahlreichen Kranken und Toten.
Wie aber werden zwei ehemals sich sehr nahestehende Menschen auf engem Raum diese Lage bewältigen?
Lucy trauert um ihren zweiten Ehemann, an den sie so herzliche und gute Erinnerungen hat. William aber war ihr immer ein Freund geblieben.

Wie Elizabeth Strout die Gefühle und den Umgang der beiden miteinander beobachtet und nachfühlt, macht ihr so schnell keiner nach! Die zwei erwachsenen Töchter, um die Lucy sich sorgt, spielen keine geringe Rolle im Leben der zwei.

Neue Begegnungen, Erinnerungen an Vergangenes, ihre Töchter und deren Lebenswege, Veränderungen vielfältiger Art: das alles nimmt Elizabeth Strout zum Anlass, uns davon zu erzählen. So entsteht ein Kleinmosaik der Welt, in der die großen und gravierenden Ereignisse ebenso ihren Platz haben, wie die Schicksale im Kleinen. Die Autorin nutzt wie immer ihre Fähigkeiten, uns so nah wie möglich am äußeren und inneren Leben ihrer Protagonisten teilnehmen zu lassen. Lucy ist in ihren Schilderungen eine warmherzige und mitfühlende Seele. Sie kann trösten, und sie ist interessiert am Geschehen um sie herum. Sie pflegt Freundschaften und gesteht sich zugleich ihre eigenen Schwächen ein.
Der Leser fühlt sich unmittelbar mit einbezogen in ihr Leben.

Es geht um Verluste, um Ängste, um Glück und verlorenes Glück, um Beziehungen der Menschen untereinander, um Irrtümer und Erfahrungen, die Vielfalt des Lebens und „Welches Glück, dass wir nicht wissen, was uns im Leben erwartet.“ (Klappentext)
„Es ist unsere Pflicht, die Bürde des Unerklärlichen mit so viel Anstand zu tragen, wie wir können.“(S. 159)
Sätze wie diese bilden in zahlreichen Passagen die Essenz der Lebenserfahrungen.

Der Leser erfährt Dinge, die ihn anregen, an eigene Erinnerungen anzuknüpfen. Der Roman ist im besten Sinne Unterhaltungsliteratur mit feinem Gespür für die seelischen Verwerfungen, denen wir Menschen anheimfallen können. Liebe, Trennungen, unerwartete Ereignisse, die aus der Bahn werfen, Glück und Freude: das alles finden wir hier wieder.

Elizabeth Strout
Am Meer
Luchterhand Literaturverlag, Februar 2024
288 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630877486
ISBN-13: 978-3630877488
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Bernhard Schlink: Das späte Leben

Bernhard Schlink: Das späte Leben

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Ein Mann von 76 Jahren erfährt, dass er nur noch kurze Zeit zu leben haben wird. Er hat einen kleinen Sohn von sechs Jahren und eine vierzig Jahre jüngere Frau. Wie richtet man sich damit ein?

Bernhard Schlink, der Autor dieses kurzen Romans, ist ein Meister der Reflexion. Zügig und ohne überflüssige Worte beschreibt er das vergangene Leben seines Protagonisten; wie es zur Ehe mit dieser jungen Frau kam, und sich auch noch das Söhnchen unerwartet eingestellt hat.

Man kann sich vorstellen, was es bedeuten mag, unerwartet mit dem baldigen Tod konfrontiert zu werden. Fragen und Ängste tun sich auf, wie das restliche Leben und das Ende sein wird.

Schlink versteht es, die Situation nachfühlend zu beschreiben. Er lässt einen jeden nach seiner Art zu Wort kommen. Gefühle werden angedeutet. Schlink bemüht sich in seiner Geschichte um größtmögliche Nüchternheit.
Doch kann man so ein Geschehen wirklich in seiner ganzen Dimension begreifen?

Ulla, die Frau, zeigt Gefühle, die ihr Mann gelegentlich bei ihr vermisst hat. Und David, das Söhnchen, fragt nach Gott und dem Himmel.
Der Alltag geht weiter. Zuweilen glaubt Martin, die Diagnose stimmt gar nicht.
Er ist Professor im Ruhestand und nimmt noch zahlreiche Aufgaben wahr.
Schlink vermittelt das Bild einer ruhigen und zufriedenen Familie. Das drohende Ereignis schwebt unablässig über ihr.

Doch dann kommt als weiteres Erschwernis die Entdeckung der Untreue von Martins Frau hinzu.
Wie der Protagonist damit umgeht, das wird im zweiten Teil des Romans kunstvoll wiedergegeben.
Es stellt sich die Frage: kann man im Leben alles richtigmachen?
Der Versuch, sich in Briefen und Ereignissen unsterblich zu machen, mag ein jeder fühlen und sich danach verhalten.
Offen und klar beschreibt Schlink, wie sich die Krisen in der Ehe darstellen, welche Versuche Martin startet, um dem geliebten Söhnchen in Erinnerung zu bleiben.
Zahlreiche Selbstzweifel kommen auf und alles unterliegt der kritischen Reflexion des Hauptdarstellers.

Schlink hat ein feines Gespür für seelische Nöte und Krisen in verschiedenen Lebensaltern. Und er kann sie wunderbar in gelebtes Leben umsetzen.

Vielleicht ist die Güte zu groß, die im Verhalten von Martin sichtbar wird. Krisenhafte Entwicklungen in der beschriebenen Form sind jedoch sehr gut nachvollziehbar.

Der Leser folgt gebannt den Ausführungen, denn sie erscheinen wie eine echte Biographie.
Sicher greifen Autoren in ihren Werken auf eigene Lebenserfahrungen zurück. Das macht ihre Werke so anrührend und glaubhaft.
Ein besinnliches, nachdenkliches Werk ist Bernhard Schlink gelungen. Man liest es mit großem Gewinn!

Bernhard Schlink
Das späte Leben
Diogenes, Dezember 2023)
240 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3257072716
ISBN-13: 978-3257072716
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Gabriele von Arnim: Der Trost der Schönheit

Gabriele von Arnim: Der Trost der Schönheit

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Nach ihrem viel beachteten Buch über die Jahre mit ihrem schwer pflegebedürftigen Mann hat Gabriele von Arnim nun ein Buch über die Schönheit und die Suche danach geschrieben.

Dabei gelingt es ihr mit ihrem reichen Wortschatz, die Augenblicke des Lebens zu rekapitulieren, in denen sie Schönheit beruhigt und aus dem Alltag herausgehoben und getröstet hat.

Auf diese Weise kann sie ihr ganzes Leben noch einmal an sich vorbeiziehen lassen.
Die einsame Jugend, das unterkühlte Elternhaus, in dem es weder Musik noch Literatur gab und in der es eine Bestimmung gab, die zu konventionellem Verhalten drängte und wenig Freiheit für den Geist und das freiheitssuchende Kind gab. Sehr vornehm ging es da zu!
Später erlebt die Erzählerin Trost im Anblick von Kunst, Natur und erlebter Lebensfrische.

Es sind die kleinen Dinge des Lebens, auf die uns die Autorin mit ihren überbordenden Gefühlen hinweist: ein Abendhimmel, ein Schwimmen im Meer, eine Mahlzeit in gemütlicher Abendstunde- und Runde. Nicht zuletzt immer wieder die Literatur, die Trost zu spenden weiß.
Man kann sich vorstellen, wie man alle diese Dinge erinnert, um sich damit ein gewisses Lebensglück zurückzuholen.

Der Lebensfaden zieht sich durch die Betrachtungen, und man erfährt so einiges aus dem Leben der Autorin, das einen aufhorchen lässt.
Ja, es gab auch trübe Stunden, die Einsamkeit und Verlorenheit während der großen Epidemie im Jahr 2020 z.B. Von Arnim bekennt, wie sie in diesen Zeiten Verlassenheitsgefühle plagten. Doch sie findet heraus aus der Niedergeschlagenheit. Sie lässt uns teilnehmen am Herausfinden von Glück und Freude, und dass alleine ein schöner Blumenstrauß uns zur Freude gereichen kann.

Die Ehrlichkeit der Erzählerin wird dann deutlich, wenn sie über ihre Ängste spricht, ihre Unzulänglichkeiten und die Not, die sie gelegentlich erfahren hat. Sie gaben den Antrieb, sich nach dem umzuschauen, was das Leben lebenswert macht.

Fast einem Tagebuch gleich fließt der Strom der Glückssuche durch die Zeilen.
Ist es mehr ein Monolog über die Suche nach der Schönheit?
Ein wenig fehlt der rote Faden, wenn von Arnim von einem schönen Augenblick zum nächsten eilt.
Es animiert den Leser, sich der Muße hinzugeben und auch dem eigenen Leben Beachtung zu schenken nach dem, was es an Schönem zu erleben gab. Ob es immer Trost sein kann in Zeiten des Verzagens und der Not?
Der Leser*in muss es für sich entscheiden.

In einem Anhang findet man die zahlreichen Bücher, aus denen die Zitate stammen, mit denen Gabriele von Arnim ihre Aufzeichnungen über Schönheit und Vergänglichkeit, Fluch und Segen belegt.

Gabriele von Arnim
Der Trost der Schönheit
Rowohlt Buchverlag, 2. Auflage August 2023
224 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3498003518
ISBN-13: 978-3498003517
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Jeffrey Eugenides: Das große Experiment

Jeffrey Eugenides: Das große Experiment

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Jeffrey Eugenides gehört zu den großen amerikanischen Erzählern, die in einem Atemzug mit Jonathan Franzen, Siri Hustvedt und Richard Powers genannt werden.

Mit seinem Roman „Middlesex“ machte er vor Jahren Furore.

Nun also hat er einen Band mit Erzählungen vorgelegt.

Auch hier begibt sich der Autor in die Welt der Menschen mit ihren Kümmernissen, Erfolgen und Niederlagen, es geht um Alter, Sterben und Tod. Sehr schön nimmt Eugenides in seiner ersten Erzählung Bezug auf das Buch von Wallis: „Zwei alte Frauen“, die von ihrem Stamm im Norden Alaskas abgehängt wurden, weil sie zu nichts mehr taugten. Hier sind es Cathy und Della, die Freundinnen sind und sich immer umeinander gekümmert haben. Als Della wegen Demenz ins Altenheim abgeschoben werden soll, packen sie die Sachen und entfliehen dem Heim. In Gedanken spult der Autor das Leben der beiden zurück. So entsteht eine Geschichte, die wie ein eigener kleiner Roman anmutet.

Eine Geschichte nach der anderen enthüllt die Wirklichkeit der Protagonisten, ihre Sorgen, Nöte und Liebesabenteuer. Die Geschichten sind nicht immer heiter. So ist das Leben: geprägt von Höhen und Tiefen und immer wieder von Familienbanden, die uns Menschen umgeben und so manche Missgeschicke neben der Nähe und Fürsorge offenbaren. Wir hören von Rodney und Rebecca: sie näht Stoffmäuse, von deren Verkauf die Familie lebt. Rodney frönt der alten Musik und hat sich mit dem Kauf eines Clavichords so übernommen, dass die Schulden ihm über den Kopf wachsen. Wieder eine andere Protagonistin versucht verzweifelt, durch künstliche Befruchtung schwanger zu werden. Mit den Männern hat es nicht geklappt, jetzt ist sie schon vierzig und es wird höchste Zeit für eine Schwangerschaft.

So reiht sich eine Erzählung an die andere. Man sollte Pausen machen zwischen dem Lesen, denn so inhaltsreich, persönlich und empathisch ist jede Erzählung für sich, dass man sie erst in sich nachwirken lassen will, bevor man sich an das nächste Kleinod wagt.

Alles in Allem sind die Geschichten tragisch. Sie handeln von vergehender Liebe, von Vergänglichkeit, von Alter und Tod. Sie handeln davon, wie das Leben ist!

Die Feinsinnigkeit, mit der die Figuren gezeichnet sind, machen das Leseerlebnis aus. Atmosphärisch dicht und wahrheitsgetreu wird hier gezeigt, wie wenig vielversprechend Leben sein kann. Die glücklichen Momente sind nicht von Dauer. Und doch gibt es auch Erfolge beim Lebenskampf und gelegentlichen Überlebensstrategien, die man nur bewundern kann.

Jeffrey Eugenides
Das große Experiment
336 Seiten, gebunden
Rowohlt Buchverlag, November 2018
ISBN-10: 349801675X
ISBN-13: 978-3498016753
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Verena Carl: Die Lichter unter uns

Verena Carl: Die Lichter unter uns

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Schicksalswende!

Anna und Jo haben zwei Kinder: Judith und Bruno. Alles scheint seine Ordnung in der Ehe zu haben. Doch dann will Jo unbedingt im Herbst nach Sizilien. Dorthin hatte er mit Anna einst die Hochzeitsreise gemacht.
Anna findet gar nicht mehr alles so romantisch und glücklich wie damals. Die heranwachsenden Kinder sind aufsässig und für Anna sieht alles so gar nicht mehr rosig aus. Sie müssen mit ihrem Geld haushalten und außerdem ist sie innerlich unzufrieden. Doch nun sind sie einmal da.
Dann taucht Alexander auf. Er ist smart und hat eine schöne Frau. Anna beäugt ihn und lässt ihrer Fantasie freien Lauf. Wie mag es ihm und seiner schönen Frau miteinander gehen? Anna sieht neidisch dem Glück der beiden zu. Wohin hat ihr eigener Lebensweg sie nur geführt?

In einer Doppelerzählung werden die beiden Ehen einander gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass keine alleine vom Glück gesegnet ist.
In jeder Ehe gibt es den verheißungsvollen Anfang, der nach und nach in verzwickte und schicksalhafte Bahnen gerät.

Verena Carl bemüht sich um eine differenzierte Analyse der Lebenswege aller ihrer Protagonisten, und es zeigt sich, dass jeder einen eigenen Charakter und eigene Wünsche hat, und ein jeder sehr unterschiedliche Lebensziele verfolgt. Die Träume der Einen sind unerfüllbar, die der Anderen voller Erwartung und Zukunftsvisionen.
Insgesamt bemüht sich Verena Carl um Tiefenschärfe und realitätsgerechte Beobachtung. Ihre psychologischen Ansätze sind flach, die der Realitätseinschätzung kommen der Wahrheit schon näher.
Die Vergeblichkeit aller Lebensschicksale sind ernüchternd. Ist die Wahrheit immer so oder gibt es eine dazwischen? In der Tat liegen Glück, Freude und Lebenserfüllung nicht immer beieinander. Doch gibt es eine Mischung von allem, und diese alleine machen das Leben lebenswert.
Es ist ein leicht verdaulicher und zu lesender Lesestoff, der Unterhaltung für einen gemütlichen Nachmittag bietet.

Verena Carl
Die Lichter unter uns
320 Seiten, gebunden
S. FISCHER, 25. April 2018
ISBN-10: 3103973632
ISBN-13: 978-3103973631
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Matthias Brandt: Raumpatrouille

Matthias Brandt: Raumpatrouille

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Mit den vorliegenden Geschichten in seinem Buch „Raumpatrouille“ hat Matthias Brandt aus der Sicht eines kleinen Jungen seine Kindheit neu belebt: wie er die Welt sah, und wie er sich darin zurechtfand. Er ist in den siebziger Jahren in einem großen Haus in Bonn aufgewachsen.

Hier erzählt der Sohn vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt Episoden aus seinem Kinderleben.

Die Familie war ständig von Personenschützern umgeben. Natürlich kann der kleine Junge nicht so ganz ermessen, warum diese Umstände sein Leben bestimmen. Insgeheim beneidet er die anderen Jungs um ihre „normale“ Kindheit.

Er scheint mühelos durch seine Welt zu trudeln, die aus Spielen, seinem Hund Gabor und den mehr oder weniger geschätzten Wachleuten vor seinem Elternhaus, den Lehrern oder dem Postboten bestand. Ferner gab es da den komischen Nachbarn, der sich etwas seltsam aufführt, und es gibt das Vorsingen bei eben jenem Mann namens Heinrich Lübke.

Zwischendurch gelingt es dem Jungen immer wieder einmal, den Erwachsenen zu entwischen. Dann verlustiert er sich in den angrenzenden Wäldern oder Wiesen. Wie alle Kinder erfreut er sich an seinem Spielzeug und lässt seiner Fantasie beim Spielen freien Lauf. Zuweilen recht waghalsige Spielchen wie z.B. das Feuer in seinem Kinderzimmer werden ihm seitens der Erwachsenen nicht nachgetragen.

M. Brandt wollte nie auffallen. Er versteckte sich in der hintersten Reihe der Klasse, wenn es um öffentliche Vorführungen ging. Alles in Allem ist er ein ganz normaler Junge, der keine Extrawünsche für sich beanspruchte.

Naiv und bestrickend sind die Schilderungen, wie er bei seinem Freund Holger übernachtet und das spießige Bürgerleben als das Größte überhaupt betrachtet. Der Blick in die siebziger Jahre mit dem Mief der bürgerlichen Anständigkeit und dem bescheidenen Wohlstand sind von historischer Relevanz!

Der Autor ist hautnah in die Tage seiner Kindheit geschlüpft und eröffnet den Blick in eine kindliche Welt, die so, wie sie war, für ihn in Ordnung war. Humorvolle Passagen über seine Beobachtungen der Erwachsenenwelt lassen auf einen wirklich souveränen kleinen Kerl schließen!

Die Mischung aus Poesie, Fantasie, stiller Beobachtung und ganz authentischem Erlebnisbericht macht das Buch so attraktiv für den Leser. Hier rechnet niemand mit seiner Kindheit ab oder beklagt sich über entgangene Kindheitsfreuden. Im Gegenteil: dieser Junge hat eine liebevolle Mutter und einen fernen Vater, den er kaum vermisst. Er hat einen wachen Geist und zeigt ganz freimütig Gefühle der Furcht oder der Freude.

Das bescheidene und freundliche Kind hat einen Weg gefunden, in dem er seine ganz eigene Karriere zum Erfolg brachte: er wurde ein angesehener Schauspieler.

Matthias Brandt hat mit seinem Debüt über Episoden aus seiner Kindheit ein poetisches kleines Werk geschaffen, das erfreulich und genussvoll zu lesen ist.

Matthias Brandt
Raumpatouille
176 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, September 2016
ISBN-10: 3462045679
ISBN-13: 978-3462045673
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Lisa Elsässer: Fremdgehen

Lisa Elsässer: Fremdgehen

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Mit einem kurzen Einblick in die Geschichte einer Freundschaft beginnt Lisa Elsässer ihre Erzählung über eine ungewöhnliche Liebe. Einleitend zu ihrem Briefroman zitiert sie Hannah Arendt, die sagt „wenn es nicht so gefährlich wäre, sollte man der Welt doch einmal erzählen, was eine Ehe wirklich ist“. Die weise Philosophin sollte es wissen!

Zuerst zaghaft, dann immer schneller offen, ehrlich und schließlich zärtlich erzählt Elsässer über den Beginn einer großen Liebe, die sich in Briefen und Mails manifestiert.

Lino ist Gastdozent in einer europäischen Metropole, Julia lebt in der Pampa und von Bergen umgeben. Sie lektoriert und schreibt ein wenig. Nur einmal sind sie sich kurz begegnet. Danach fingen sie einen Mail- und Briefwechsel an. Die Mitteilungen zeugen von einer zunächst sehr scheuen Annäherung. Schnell ist man beim Du und bei immer intensiverem Austausch über das, was man erlebt, und wie man sich in der Beziehung zu einander fühlt.

Wie aber soll man diese Beziehung, die sicher auch von der Distanz beflügelt wird, mit den eigenen Bindungen an Ehepartner und Kinder in Einklang bringen?

Zwei Menschen geraten unerwartet in eine Beziehung, die tief und innig wird.

Lisa Elsässer erfasst die Verführung und Sehnsucht zweier Menschen in einer wunderbar klaren Sprache. Die Geschichte wird durch poetische Einschübe über Naturerlebnisse und das Großstadtleben bereichert. Sie beschreibt zwei kluge, diskrete und feinsinnige Menschen, die sich zunehmend in einen Strudel der Gefühle füreinander verlieren. Psychologisch klug und einfühlsam werden die Erwartungen, Träume und Sehnsüchte der beiden Liebenden dem Leser vermittelt.

Lisa Elsässer hat ein feines Gespür dafür, wann eine Beziehung nicht mehr im Gleichgewicht bleibt.

Hier finden sich wie überall auf der Welt unterschiedliche Charaktere zusammen. Konfliktscheu der eine, offen und direkt die andere. Über das alltägliche Leben mit den eigenen langjährigen Partnerbeziehungen gibt es nur Andeutungen.

Phantasien mögen den Adressaten ideell erhöhen, da man den Alltag mit ihm nicht kennt.

Viele Fragen rühren den Leser an: wie ist das mit der ehelichen Treue? Kann man Parallelbeziehungen haben? Sind die auf Distanz und Briefwechsel beschränkten Liebesschwüre aus einer Fiktion geboren? Gelegentliche Treffen der beiden Liebenden werden leidenschaftlich erlebt. Irritationen über den jeweils anderen bleiben jedoch nicht aus. Ist in einer nahen Beziehung die Liebe auf Dauer haltbar?

In diesem kleinen Büchlein, setzt sich Lisa Elsässer mit Fragen von Treue, Sehnsucht, Phantasie und Wirklichkeit auseinander. Da sie eine ästhetische Sprache benutzt, ist die Geschichte nie flach oder gewöhnlich. Man bekommt einen Eindruck davon, wie verwirrend das Zusammenleben unter den Menschen sein kann. Zwei sensible und feinfühlige Menschen suchen einen Ausweg. Wie wird das Ende sein?

Sehr lesenswert!

Lisa Elsässer
Fremdgehen
192 Seiten, gebunden
Rotpunktverlag, Juli 2016
ISBN-10: 3858697141
ISBN-13: 978-3858697141
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Petra Durst-Benning: Kräuter der Provinz

Petra Durst-Benning: Kräuter der Provinz

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Petra Durst-Benning hat mit dem vorliegenden Roman ihren ersten Gegenwartsroman veröffentlicht. Nach überragenden Erfolgen mit historischen Romanen hat sie sich in ein anderes Genre gewagt. Auch dies erfolgreich, wie ich finde. Denn auch in dieser Geschichte geht es um Frauen, Frauen, die ihr Leben auf den Kopf stellen wollen oder müssen, Frauen, die sich durchsetzen, und am Ende ihr Glück finden … oder auch nicht.

Therese hat in ihrem Heimatdorf Maierhofen im Allgäu einen Landgasthof zum Erfolg gebracht. Als Bürgermeisterin möchte sie solch einen Erfolg auch für das Dorf schaffen. Es gibt nur ein Hindernis: Eine Diagnose „Krebs“ liegt ihr im Nacken und lässt sie immer häufiger den Optimismus verlieren. Durch Zufall wird sie an ihre Cousine Greta erinnert, die sie seit ihrer Kindheit nie wieder getroffen hatte und die eine erfolgreiche Werbefachfrau geworden ist. Das bringt sie auf die Idee, Greta in das beschauliche Maierhofen zu holen und auf fachfrauliche Hilfe bezüglich des Dorfes zu hoffen. Greta, der gerade in der Agentur, in der sie arbeitet, eine viel jüngere neue Werbefrau an die Seite gestellt wurde, verliert die Lust an der Arbeit für diese Agentur. Aber ebenso wenig kann sie sich zunächst eine Kampagne für ein Dorf vorstellen. Sie ist ausgebrannt. Doch sie greift die Idee einer Auszeit und eines kleinen Checkups in dem Allgäu-Dorf ihrer Kindheit auf. Als ihre Ideen für eine Kampagne Gestalt annehmen, wird sie zusätzlich von Thereses Freundin Christine, der Frau des örtlichen Autohändlers und von Beruf Hausfrau, unterstützt.

Petra Durst-Benning zeigt mit diesem spannenden Roman Wege auf, um sich von persönlichen Tiefschlägen nicht in die Knie zwingen zu lassen. Sie will Mut machen und plädiert dafür, den Kopf nie in den Sand zu stecken, immer nach vorne zu schauen und gegebenenfalls neue Wege zu beschreiten. Das Buch trägt selbst in den Wintermonaten, in denn die Handlung teilweise spielt, so viel Sonne in sich, dass man glaubt, stets von dieser beim Lesen begleitet zu werden. Die Figuren, nicht nur die weiblichen, bringt uns die Schriftstellerin über ihr Handeln und Denken sehr nah. Es ist alles nachvollziehbar und plausibel. Es braucht nicht lange, um sie als Freunde ins Herz zu schließen.
Geschmückt wird der Aufbruch des Dorfes mit vielen Rezepten, die Leserin oder Leser gleich ausprobieren kann. Selbst Edy vegane Bratwurst ist dabei. Und wer beim Lesen Appetit auf ein dickes Butterbrot, bestreut mit Kräutersalzen, bekommt, muss sich keinen Zwang antun. Drei kleine Gläschen mit Kräutersalzen gehören ebenfalls zum Buch. Eine wunderschöne Idee für ein wunderschönes Buch, welches Lust auf die Zukunft macht.

Durst-Benning, Petra
Kräuter der Provinz
Blanvalet, München
ISBN 9783734100116

© Detlef Knut, Düsseldorf 2015
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Chantal Louis: Ommas Glück

Chantal Louis: Ommas Glück

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Formen der Demenz und wie mit ihnen umgehen. Heim oder daheim das ist hier die Frage.

„Ommas Glück“ ist die nette Geschichte über Chantal Louis’ Großmutter, die nach einigen Fehlläufen in einer Demenz-WG gelandet ist.
Im schönsten Ruhrpottdialekt werden die Besonderheiten des Alters und der in diesem Fall damit einhergehenden Demenz beschrieben.
Teilweise geht es da lustig und heiter zu, immer aber leicht und unbeschwert. Die Autorin erzählt von den fabelhaften Altenpflegerinnen, die mit so viel Geschick und Klugheit ihre ihnen anvertrauten Pfleglinge aus den Wirrnissen ihrer Empfindungen in die realen Gegebenheiten (essen, trinken, kleiden) führen. Sie sind geduldig, liebevoll und voller Empathie. Dass es Menschen gibt, die sich zu dieser Art Betreuung berufen fühlen, ist wunderbar. Ja, das wäre die ideale Voraussetzung, um auch diese Phase des Lebens zu meistern!
Doch wie sieht die Realität wirklich aus? Was wird nahen Angehörigen abverlangt, die zunächst jahrelang das Abgleiten ihrer Eltern, Geschwister, Ehepartner oder Großeltern erleben und erleiden?

Da ist einer ja nicht von Heute auf Morgen dement. Da gibt es gleitende Übergänge und eine Gratwanderung zwischen normal und irreal. Vergesslichkeiten, den ganzen Tag lang Fragen nach diesem und jenem, Verlegung von wichtigen Akten, Papieren und anderer Kleinigkeiten und ein unentwegtes Nähebedürfnis, im einen Fall mehr im anderen weniger, machen den Angehörigen, meistens den Ehefrauen oder Töchtern, zu schaffen. Das zerrt an den Nerven und macht auf die Dauer wütend, unduldsam und krank. Natürlich bleiben auch die „guten Ratschläge“ von allen jenen nicht aus, die aus der Ferne alles so gut zu durchschauen meinen und nach einem kurzen Besuch, in dem sich der/die demente Person von der besten Seite zeigt, genau Bescheid zu wissen glauben. Es gibt sogar Angehörige, die es den nahestehenden Betroffenen übel nehmen, wenn sie „Omma“ oder „Oppa“ ins Pflegeheim vermeintlich „abschieben“.

Wie stark sind erst die Schuldgefühle, wenn man wieder einmal merkt, dass man den anderen beschimpft und ermahnt hat, wo er doch eigentlich „nichts dafür“ kann! Das kann Jahre so gehen, und die Angehörigen werden sich sehr schwer tun, ihre „Omma“ oder den „Oppa“ ins Pflegeheim oder gar in eine WG zu geben.

Diese WGs, das bleibt nicht ungesagt, haben mit zahlreichen Unbilden zu kämpfen. Da geht es um Mietverträge, Verantwortlichkeiten, Versicherungen und Haftungen. Wer bestellt den richtigen Pflegedienst und übernimmt die Gehaltszahlungen? Was, wenn eine Pflegekraft plötzlich ausfällt, sei es durch Krankheit oder anderer Gründe wegen?
Was als Ei des Columbus erscheint, ist in Wirklichkeit mit unendlicher Mühsal und Arbeit verbunden. Dazu gehört Idealismus und Einsatzbereitschaft. Es klingt alles so verlockend und simpel. Doch fürchte ich, diese Wohnform für Alte wird auf lange Zeit Utopie bleiben.

Chantal Louis hat sich sicher verdient gemacht, indem sie einmal mehr auf das Thema „Demenz“ und ihre Folgen aufmerksam macht.
Ihr Buch beinhaltet wichtige Aspekte der Unterbringung und gibt wertvolle Hinweise. Doch eine Lösung für das Thema Demenz bietet sie nur sehr in Grenzen.

Chantal Louis
Ommas Glück
208 Seiten, broschiert
KiWi-Paperback, März 2015
ISBN-10: 3462047183
ISBN-13: 978-3462047189
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Felicitas von Lovenberg: Und plötzlich war ich zu sechst

Felicitas von Lovenberg: Und plötzlich war ich zu sechst

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Familienkonstellationen in modernen Zeiten…

In lockerem und leichtem Ton erzählt Felicitas von Lovenberg, wie es ihr erging, als sie einen Mann mit zwei Kindern kennen und lieben lernte.

Sie ist über dreißig Jahre alt und hatte nach einer geschiedenen Ehe, die sie hinter sich hat, eigentlich dem Familienstand „Ehe“ abgeschworen.

Doch dann begegnet ihr der „Mann ihres Herzens“. Sie muss sich allerdings zugleich in zwei kleine Kinder verlieben, denn ohne diese kann sie den Mann nicht haben! Ihre eigenen Erfahrungen sind die Quelle, aus der sich der hier vorliegende Bericht speist.

Die Autorin bezieht sich in ihren Aufzeichnungen auf Untersuchungen, Statistiken und Veröffentlichungen zum Thema „Patchworkfamilie,“ deren Titel man im Anhang aufgeführt findet.

Mit ihren klugen theoretischen Erörterungen, Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis und Beobachtungen an sich und anderen beschreibt sie die Achterbahnfahrt, die man erlebt, wenn man sich erst einmal auf die Form von getrennten und neu gegründeten Familien mit allen dadurch bedingt verzweigten Verwandtschaftsbeziehungen einlässt.

Geistreich, witzig und schlagfertig sind die Situationskomiken, mit denen sie sich konfrontiert sieht. „Das hat unsere Mutter aber anders gemacht“ bezeichnet sie als Killerargument, gegen das es nichts zu sagen gibt.

Im Bekanntenkreis mit befreundeten Familien des neuen Mannes wird sie argwöhnisch begutachtet. Mit schmissigen Bemerkungen weiß sie über ihre Beobachtungen zu berichten. Sie ist ganz bei der Sache und doch distanziert genug, um ihre Erfahrungen mit Humor und Überlegenheit zu analysieren. Aus ihren Anmerkungen lugt gelegentlich der Schalk hervor, mit dem sie sich teils über sich selber oder über die anderen Beteiligten sehr reflektiert auslässt. Das heißt nicht, dass ihre Ausführungen nicht substantiell sind und auf ernster Grundlage basieren.

Warmherzig, einfühlsam und beherzt geht sie ihren neuen Lebensabschnitt an. Es ist ein langer Weg, bis sie zu der Einsicht gelangt, dass sie „Stiefmutter“ der Kinder ihres Mannes ist und bleiben will, nicht Freundin, Kumpel oder sonst wie geartete Begleiterin. Sie setzt ihre Regeln durch und bietet damit den Kindern ein sicheres Gegenüber. Dass bei diesem Prozess die Liebe zu ihrem Mann überdauert, ist Ausdruck von Stärke und Sicherheit im Urteil. Als Krönung ihrer „Arbeit“ als Patchworkerin bekommt sie nach Jahren zwei eigene Kinder. Erst dann scheint sie sich als richtige Familie zu fühlen. Auch hier bleibt sie jedoch kritische Beobachterin ihrer eigenen Gefühlswelten.

Ihre Analysen sind raumgreifend und detailgenau, wenn auch gelegentlich nicht ganz korrekt. Harz IV Empfängerinnen mit drei Kindern müssen nicht mit nur 490,00€ auskommen. Da gibt es noch Kindergeld und Mietzulagen.

Wie verwirrend aber das Zusammenspiel so vieler alter und neuer Stiefmütter- Väter und Großeltern sein kann, macht sich der unerfahrene Leser nicht klar. Da gibt es ungeahnte Kombinationen und Dynamiken, die es schwer machen, noch die richtige Zusammenhörigkeit zu orten. Insgesamt ist das eine gescheite und umfassende Studie, die neue Formen von Familienleben eruiert.

Felicitas von Lovenberg ist eine gut aussehende, strahlende und imponierende Gestalt im deutschen Literaturbetrieb, die als Leiterin des Feuilletons der FAZ schon einige Preise und Ehrungen einheimsen konnte. Man sieht mit Staunen, wie mutig sie sich ihrer neuen Aufgabe als Stiefmutter gestellt hat und wünscht ihr nach ihren Ausführungen, dass es ihr gelingen möge, das Familienglück zu erhalten.

Felicitas von Lovenberg
Und plötzlich war ich zu sechst
256 Seiten, gebunden
S. FISCHER, Mai 2014
ISBN-10: 3100800338
ISBN-13: 978-3100800336
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