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Schlagwort: Glück

Elizabeth Strout: Am Meer

Elizabeth Strout: Am Meer

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Lucy Barton ist die Heldin dieses Romans. Wir kennen sie schon aus früheren Werken, so wie E. Strout ihre Protagonisten in ihren Romanen häufig wiedererstehen lässt.

Aufhänger für die Erzählung ist die sehr dramatische Geschichte der Pandemie, die uns vor einigen Jahren heimsuchte, und durch die so viele Menschenleben ausgelöscht, jedenfalls aber aus der Bahn geworfen wurden.
Um dieses Geschehen entwickelt E. Strout ihre Geschichte von Liebe und Vergehen.

Lucy, die erfolgreiche Schriftstellerin, ahnt nichts, als ihr Exmann William sie auffordert, schnell und unvorbereitet mit ihm einige Zeit nach Maine ans Meer zu fahren. Ihr Mann David ist kürzlich verstorben, und William ist gerade von seiner dritten Frau verlassen worden. Er ist emiritierter Professor.

Sehr bald wird auch Lucy klar, wie ernst die Lage für uns Menschen überall auf der Welt geworden ist. Die Behörden in New York werden kaum fertig mit den zahlreichen Kranken und Toten.
Wie aber werden zwei ehemals sich sehr nahestehende Menschen auf engem Raum diese Lage bewältigen?
Lucy trauert um ihren zweiten Ehemann, an den sie so herzliche und gute Erinnerungen hat. William aber war ihr immer ein Freund geblieben.

Wie Elizabeth Strout die Gefühle und den Umgang der beiden miteinander beobachtet und nachfühlt, macht ihr so schnell keiner nach! Die zwei erwachsenen Töchter, um die Lucy sich sorgt, spielen keine geringe Rolle im Leben der zwei.

Neue Begegnungen, Erinnerungen an Vergangenes, ihre Töchter und deren Lebenswege, Veränderungen vielfältiger Art: das alles nimmt Elizabeth Strout zum Anlass, uns davon zu erzählen. So entsteht ein Kleinmosaik der Welt, in der die großen und gravierenden Ereignisse ebenso ihren Platz haben, wie die Schicksale im Kleinen. Die Autorin nutzt wie immer ihre Fähigkeiten, uns so nah wie möglich am äußeren und inneren Leben ihrer Protagonisten teilnehmen zu lassen. Lucy ist in ihren Schilderungen eine warmherzige und mitfühlende Seele. Sie kann trösten, und sie ist interessiert am Geschehen um sie herum. Sie pflegt Freundschaften und gesteht sich zugleich ihre eigenen Schwächen ein.
Der Leser fühlt sich unmittelbar mit einbezogen in ihr Leben.

Es geht um Verluste, um Ängste, um Glück und verlorenes Glück, um Beziehungen der Menschen untereinander, um Irrtümer und Erfahrungen, die Vielfalt des Lebens und „Welches Glück, dass wir nicht wissen, was uns im Leben erwartet.“ (Klappentext)
„Es ist unsere Pflicht, die Bürde des Unerklärlichen mit so viel Anstand zu tragen, wie wir können.“(S. 159)
Sätze wie diese bilden in zahlreichen Passagen die Essenz der Lebenserfahrungen.

Der Leser erfährt Dinge, die ihn anregen, an eigene Erinnerungen anzuknüpfen. Der Roman ist im besten Sinne Unterhaltungsliteratur mit feinem Gespür für die seelischen Verwerfungen, denen wir Menschen anheimfallen können. Liebe, Trennungen, unerwartete Ereignisse, die aus der Bahn werfen, Glück und Freude: das alles finden wir hier wieder.

Elizabeth Strout
Am Meer
Luchterhand Literaturverlag, Februar 2024
288 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630877486
ISBN-13: 978-3630877488
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Bernhard Schlink: Das späte Leben

Bernhard Schlink: Das späte Leben

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Ein Mann von 76 Jahren erfährt, dass er nur noch kurze Zeit zu leben haben wird. Er hat einen kleinen Sohn von sechs Jahren und eine vierzig Jahre jüngere Frau. Wie richtet man sich damit ein?

Bernhard Schlink, der Autor dieses kurzen Romans, ist ein Meister der Reflexion. Zügig und ohne überflüssige Worte beschreibt er das vergangene Leben seines Protagonisten; wie es zur Ehe mit dieser jungen Frau kam, und sich auch noch das Söhnchen unerwartet eingestellt hat.

Man kann sich vorstellen, was es bedeuten mag, unerwartet mit dem baldigen Tod konfrontiert zu werden. Fragen und Ängste tun sich auf, wie das restliche Leben und das Ende sein wird.

Schlink versteht es, die Situation nachfühlend zu beschreiben. Er lässt einen jeden nach seiner Art zu Wort kommen. Gefühle werden angedeutet. Schlink bemüht sich in seiner Geschichte um größtmögliche Nüchternheit.
Doch kann man so ein Geschehen wirklich in seiner ganzen Dimension begreifen?

Ulla, die Frau, zeigt Gefühle, die ihr Mann gelegentlich bei ihr vermisst hat. Und David, das Söhnchen, fragt nach Gott und dem Himmel.
Der Alltag geht weiter. Zuweilen glaubt Martin, die Diagnose stimmt gar nicht.
Er ist Professor im Ruhestand und nimmt noch zahlreiche Aufgaben wahr.
Schlink vermittelt das Bild einer ruhigen und zufriedenen Familie. Das drohende Ereignis schwebt unablässig über ihr.

Doch dann kommt als weiteres Erschwernis die Entdeckung der Untreue von Martins Frau hinzu.
Wie der Protagonist damit umgeht, das wird im zweiten Teil des Romans kunstvoll wiedergegeben.
Es stellt sich die Frage: kann man im Leben alles richtigmachen?
Der Versuch, sich in Briefen und Ereignissen unsterblich zu machen, mag ein jeder fühlen und sich danach verhalten.
Offen und klar beschreibt Schlink, wie sich die Krisen in der Ehe darstellen, welche Versuche Martin startet, um dem geliebten Söhnchen in Erinnerung zu bleiben.
Zahlreiche Selbstzweifel kommen auf und alles unterliegt der kritischen Reflexion des Hauptdarstellers.

Schlink hat ein feines Gespür für seelische Nöte und Krisen in verschiedenen Lebensaltern. Und er kann sie wunderbar in gelebtes Leben umsetzen.

Vielleicht ist die Güte zu groß, die im Verhalten von Martin sichtbar wird. Krisenhafte Entwicklungen in der beschriebenen Form sind jedoch sehr gut nachvollziehbar.

Der Leser folgt gebannt den Ausführungen, denn sie erscheinen wie eine echte Biographie.
Sicher greifen Autoren in ihren Werken auf eigene Lebenserfahrungen zurück. Das macht ihre Werke so anrührend und glaubhaft.
Ein besinnliches, nachdenkliches Werk ist Bernhard Schlink gelungen. Man liest es mit großem Gewinn!

Bernhard Schlink
Das späte Leben
Diogenes, Dezember 2023)
240 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3257072716
ISBN-13: 978-3257072716
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Gabriele von Arnim: Der Trost der Schönheit

Gabriele von Arnim: Der Trost der Schönheit

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Nach ihrem viel beachteten Buch über die Jahre mit ihrem schwer pflegebedürftigen Mann hat Gabriele von Arnim nun ein Buch über die Schönheit und die Suche danach geschrieben.

Dabei gelingt es ihr mit ihrem reichen Wortschatz, die Augenblicke des Lebens zu rekapitulieren, in denen sie Schönheit beruhigt und aus dem Alltag herausgehoben und getröstet hat.

Auf diese Weise kann sie ihr ganzes Leben noch einmal an sich vorbeiziehen lassen.
Die einsame Jugend, das unterkühlte Elternhaus, in dem es weder Musik noch Literatur gab und in der es eine Bestimmung gab, die zu konventionellem Verhalten drängte und wenig Freiheit für den Geist und das freiheitssuchende Kind gab. Sehr vornehm ging es da zu!
Später erlebt die Erzählerin Trost im Anblick von Kunst, Natur und erlebter Lebensfrische.

Es sind die kleinen Dinge des Lebens, auf die uns die Autorin mit ihren überbordenden Gefühlen hinweist: ein Abendhimmel, ein Schwimmen im Meer, eine Mahlzeit in gemütlicher Abendstunde- und Runde. Nicht zuletzt immer wieder die Literatur, die Trost zu spenden weiß.
Man kann sich vorstellen, wie man alle diese Dinge erinnert, um sich damit ein gewisses Lebensglück zurückzuholen.

Der Lebensfaden zieht sich durch die Betrachtungen, und man erfährt so einiges aus dem Leben der Autorin, das einen aufhorchen lässt.
Ja, es gab auch trübe Stunden, die Einsamkeit und Verlorenheit während der großen Epidemie im Jahr 2020 z.B. Von Arnim bekennt, wie sie in diesen Zeiten Verlassenheitsgefühle plagten. Doch sie findet heraus aus der Niedergeschlagenheit. Sie lässt uns teilnehmen am Herausfinden von Glück und Freude, und dass alleine ein schöner Blumenstrauß uns zur Freude gereichen kann.

Die Ehrlichkeit der Erzählerin wird dann deutlich, wenn sie über ihre Ängste spricht, ihre Unzulänglichkeiten und die Not, die sie gelegentlich erfahren hat. Sie gaben den Antrieb, sich nach dem umzuschauen, was das Leben lebenswert macht.

Fast einem Tagebuch gleich fließt der Strom der Glückssuche durch die Zeilen.
Ist es mehr ein Monolog über die Suche nach der Schönheit?
Ein wenig fehlt der rote Faden, wenn von Arnim von einem schönen Augenblick zum nächsten eilt.
Es animiert den Leser, sich der Muße hinzugeben und auch dem eigenen Leben Beachtung zu schenken nach dem, was es an Schönem zu erleben gab. Ob es immer Trost sein kann in Zeiten des Verzagens und der Not?
Der Leser*in muss es für sich entscheiden.

In einem Anhang findet man die zahlreichen Bücher, aus denen die Zitate stammen, mit denen Gabriele von Arnim ihre Aufzeichnungen über Schönheit und Vergänglichkeit, Fluch und Segen belegt.

Gabriele von Arnim
Der Trost der Schönheit
Rowohlt Buchverlag, 2. Auflage August 2023
224 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3498003518
ISBN-13: 978-3498003517
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Michela Murgia: Chirú

Michela Murgia: Chirú

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Eleonore ist 38 Jahre alt, als sie dem Drängen des 18jährigen Musikstudenten Chirú nachgibt, seine Lehrerin zu werden.
Zwischen den beiden entsteht eine erotische, unterschwellige Spannung. In Sardinien, wo die Geschichte zunächst spielt, führt Eleonore den Studenten Chirú in einschlägige Künstlerkreise ein, und der Leser*in erfährt selber, wie es in diesen Kreisen zugeht.

Eleonore hat Freunde und ehemalige Geliebte, die sie auf ihrem Lebensweg begleiten, und mit denen sie in regem Austausch steht, auch in Fragen ihres eigenen Lebens.
Fabrizio, einer von ihnen, warnt sie vor den Folgen, sich mit so einem jungen Studenten abzugeben. Aber sie kann es nicht lassen.
In langen Passagen geht es um Begegnungen aller Art, immer wieder aber auch um die stete Annäherung Chirús an Eleonore. Beide sind voneinander fasziniert.
Sie nimmt ihn mit auf eine Reise nach Rom, wo sie ein Engagement hat. In Museen und beim Essen sehen sie sich und tauschen Gedanken aus. Der Zauber der wunderbaren Stadt lässt Nähe und Sehnsüchte bei den beiden aufkommen. Oh Jugendzeit, Du schöne Zeit! Eleonore spürt erste Zeichen des Älterwerdens, wenn sie auch eine schöne Frau zu sein scheint.

Chirú und Eleonore werden als Antipoden dargestellt. Jeder sucht etwas beim anderen, das man selber nicht hat. Zwei verlorene Seelen, die sich unter dem Deckmantel der Lehre begegnen und in Wahrheit Liebe und Anerkennung suchen. Eleonore bewegt sich wissend durch ihre Kreise und zeigt Chirú, wie man sich gut darstellt.

Richtig spannend wird die Geschichte, als Eleonore ein Engagement in Stockholm erhält. Chirú will nachkommen. Unerwartet trifft Eleonore einen schwedischen Dirigenten wieder, den sie schon in Cagliari einst getroffen hat. Nun wendet sich das Blatt, und die Geschichte endet geheimnisvoll.

Murgia versteht es wunderbar, einzelne Charaktere hervorzuheben. Es geht ihr dabei auch um Treue, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Liebe kommt und vergeht und Dinge geschehen, die man nicht ändern kann. Die Frage nach Unrecht und Wahrhaftigkeit wird zuletzt zur Kernfrage der Geschichte. Ist der Mensch gut oder schlecht? Welche Folgen hat das Glück oder Unglück? Die Antwort bleibt die Autorin schuldig, denn Gefühle und Bedürfnisse wechseln, und die reine Wahrheit gibt es nicht. Aber schuldig wird der Mensch da, wo er Verletzungen auslöst, die nicht vermeidbar sind, wenn man seinen eigenen Weg gehen will. Ambivalenzen zeichnen zwischenmenschliche Beziehungen aus, so dass es immer wieder zu Missverstehen kommen kann. Das alles macht sie Erzählung zu einer faszinierenden Geschichte, die gut und schlüssig erzählt wird!

Michela Murgia
Chirú
Verlag Klaus Wagenbach, März 2017
206 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3803132878
ISBN-13: 978-3803132871
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Éliette Abécassis: Mit uns wäre es anders gewesen

Éliette Abécassis: Mit uns wäre es anders gewesen

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Zwei junge Menschen, Amélie und Vincent, treffen sich an der Sorbonne, als sie sich für das nächste Semester einschreiben wollen. Später geht man als Grüppchen noch in ein Café.

Vincent und Amélie verplaudern die ganze Nacht, in der sie sich über ihre Herkunft, die Zukunftswünsche und ihre Träume unterhalten. Sie erfahren viel über sich aber nicht genug.

Bald ist klar, dass sie sich verliebt haben. Ein nächstes Treffen wird vereinbart. Und dann passiert eine Schicksalswende: sie verpassen sich!

Das Leben geht weiter. Im großen Abständen begegnen sie sich wieder. Sie hat innerlich an ihm festgehalten, während er inzwischen verheiratet ist und zwei Kinder hat. Auch Amélie findet einen Mann, von dem sie glaubt, er könnte der Richtige sein. Nach der Geburt ihrer Kinder aber tut sich eine Leere auf, die am Ende zur Scheidung führt. Bei den Kindern merken beide erst, wie sehr sie lieben können, während ihre Ehen im Alltag und in der Gleichgültigkeit versinken.

Die Jahre gehen ins Land. Nach dreißig Jahren und vielen Zwischenstationen auf ihren Lebenswegen begegnen sich die beiden wieder. Sie empfinden großes Glück miteinander!

Éliette Abécassis hat einen bezaubernden Roman geschrieben. Die Atmosphäre des Studentenlebens ist wunderbar eingefangen. Es ist das Glück des Neubeginns, der jugendlichen Freiheit und die Neugier auf das Leben, die uns die Autorin vermittelt.

Amélie ist die zarte, empfindsame und von Selbstzweifeln geplagte Frau, die sich nach dem großen Glück sehnt. Es hat lange gedauert, bis sie sich zu einer ersten Ehe entschlossen hatte.

Der Leser*in lässt sich vom Leben in der Pariser Gesellschaft beeindrucken und empfindet mit, wie locker und frei Begegnungen und Feiern ablaufen.

Das Entscheidende an dieser Erzählung aber ist die unterschwellige Spannung und der Charme, mit der die Liebe zwischen zwei Menschen bestehen bleibt und erst nach vielen Wirren, Enttäuschungen und zerplatzten Lebensträumen noch einmal neu aufflammt. Oder ist sie nie erloschen?

Ich war hingerissen, weil es den Leser zuerst in die Welt der Jugend mitnimmt und neben der Leichtigkeit die Tragik nie weit ist. Auch alles Folgende ist besonders reizvoll, weil eine immerwährende Sehnsucht nach der einen großen Liebe spürbar bleibt.

Menschwerdung und Menschsein zeigt sich facettenreich und getragen von Sehnsüchten, die dem Menschen eigen sind. Irrtümer können unerwartete Wendungen herbeiführen, und das Schicksal und der Zufall spielen mit. Verletzungen, die Partner sich zufügen können, werden ebenfalls in den Focus genommen.

Wer am Ende zu wem findet, und ob es das vollkommene Glück überhaupt gibt, das bleibt hier die Frage.

Auf jeden Fall ist die Geschichte lesenswert, weil sie mit der lockeren, flotten Erzählweise, die nicht der Tiefe entbehrt und uns keine schöne Welt vorgaukelt, besonders gut getroffen ist.

Das Büchlein liest sich leicht, ist spannend und anregend bis zur letzten Seite und verspricht anhaltendes Lesevergnügen.

Éliette Abécassis
Mit uns wäre es anders gewesen
144 Seiten, gebunden
Arche Literatur Verlag, Juli 2021
ISBN-10: 3716027979
ISBN-13: 978-3716027974
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Halldis Engelhardt: Sieh dich nicht um!

Halldis Engelhardt: Sieh dich nicht um!

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Halldis Engelhardt hat ein Buch über ihre Eltern geschrieben.

Es ist die anrührende Geschichte von zwei jungen Menschen, die sich beim Einmarsch der deutschen Soldaten in Norwegen sahen und sofort unsterblich verliebten. Halldis Engelhardt hat von der Vorgeschichte ihrer Eltern erst nach deren Tod erfahren und sich auf Spurensuche begeben. Sie sucht in Archiven, spricht mit Zeitzeugen und findet einem Puzzle gleich die Zusammenhänge, die ihr ein ganz neues Bild ihrer Mutter vermitteln.

Was war also passiert?

Der deutsche Soldat Heinz marschiert 1940 in den Ort Flekkefjord in Südwestschweden mit seiner Kompanie ein, und Jorna, die Norwegerin, schaut ihm in einem unbeobachteten Moment in die Augen. Sie kann diesen Blick nicht vergessen. Natürlich darf das nicht sein! Norweger haben die Besatzung durch die Deutschen nicht gebilligt. In den Augen der Bevölkerung war ein Liebesabenteuer mit Deutschen Soldaten eine Schmach. Jorna findet Mittel und Wege, um den Soldaten Heinz wieder zu sehen. Zwischen beiden entwickelt sich eine innige Liebesbeziehung. Sie muss äußerst behutsam vorgehen, um nicht mit ihm erkannt zu werden.„Deutschfreundinnen“ wurden von der Bevölkerung geschnitten und verachtet.

Halldis Engelhardt findet anrührende Worte, um über die große Liebe ihrer Eltern zu berichten.

Sie fügt in ihren Bericht über deren Schicksal liebevolle Schriften in der Art fiktiver Briefe ein. Darin zeigt sie Verständnis, Mitgefühl und Verehrung für die Eltern.

Man erfährt, woher die Mutter kam, wie begabt, hübsch und fleißig sie war, und wie sie um ihre Liebe zu dem humorvollen und galanten Heinz gekämpft hat. Sie erleben glückliche Monate bis Heinz an die Ostfront in Russland zum Einsatz verssetzts wird. Dieser Krieg ist ein Fluch, und vorübergehend verlieren sich die beiden Liebenden bei Kriegsende mit seinem Untergangsszenario ganz aus den Augen. Vergessen können sie sich nicht!

Es bedarf noch zahlreicher Umwege, um wieder zu einander zu finden.

Die Biographie liest sich leicht und angenehm. Halldis hat eine besondere Begabung, sich der Wahrheit zu nähern und sich sowohl nüchtern als auch anteilnehmend zu artikulieren.

Norwegen erscheint uns als landschaftlich wunderschönes Land mit Bewohnern, die mit dem Krieg mit dessen Auswirkungen schwer getroffen wurden. Hunger, Not und Kälte machte den Bewohnern ebenso zu schaffen, wie das in anderen Ländern der Fall war. Norwegen wurde in einen Krieg hineingezogen, ohne sich widersetzen zu können. Man hasst die Deutschen Besatzer.

Niemand sollte hier ein literarisch anspruchsvolles Werk erwarten. Es geht um ein Stück Norwegischer und Deutscher Geschichte, in die Halldis’ Eltern unfreiwillig verstrickt waren. Auch zeigt diese Geschichte einmal mehr, dass immer, auch im Krieg, der einzelne als Mensch zählt und nicht ein ganzes Volk als Täter abgetan werden kann.

Halldis Engelhardt
Sieh dich nicht um!
320 Seiten, gebunden
DuMont Buchverlag, Mai 2018
ISBN-10: 3832198717
ISBN-13: 978-3832198718
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Julian Barnes: Die einzige Geschichte

Julian Barnes: Die einzige Geschichte

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Julian Barnes führt uns in seiner einzigartigen Erzählweise die Geschichte seines Icherzählers und dessen erster großer Liebe vor.

Auf dem Tennisplatz, wohin Paul im Alter von 19 Jahren auf Drängeln seiner Mutter zur Ausschau nach einer geeigneten Partnerin fürs Leben geschickt wurde, lernt er die zwanzig Jahre ältere Susan kennen.

Paul lebt mit seinen Eltern in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einer bürgerlichen Siedlung südlich von London in Gemeinschaft mit saturierten Bürgern der Mittelschicht.

Paul ist reichlich angeödet von dem englischen, prüden und langweiligen Milieu, in dem er aufwuchs, und das ihn nach dem ersten Studiensemester noch mehr auf die Nerven geht. Seine pauschale Bezeichnung für die Kinder dieser Schicht sind Hugos und Carolines, die nur darauf warten, in die Fußstapfen ihrer Eltern zu treten. Dort gibt es dann die obligatorische Eheschließung, Kinder, Hund und Haus.

Paul aber sucht anderes und rebelliert gegen die Vorgaben seiner Eltern.

In Susan findet er den Gegenpart zum Spießerleben seiner Umgebung. Sie hat Mann und Töchter, die sogar älter als Paul sind, ist lustig, lebt dem Augenblick, und freut sich an ihrer gemeinsamen Liebe. Ihr sexuelles Eheleben ist schon lange erloschen. Umso euphorischer ist die Erkenntnis, dass sie von ihrem jungen Liebhaber als anziehend und liebenswert empfunden wird. Leider bleibt die Zeit nicht stehen, nie, und so verliert sich die Geschichte nach und nach in einer tragischen Lebensform. Susan trennt sich von Mann und Kindern und lebt mit Paul zusammen. Er vollendet sein Jurastudium. Die Leidenschaft der Anfangszeit weicht bald einem langweiligen Alltag.

Beide wollen das lange nicht wahrhaben und klammern sich an die Erinnerung ihrer frühen ersten Begegnung.

Daneben ereignet sich eine innere Wandlung, die in erschütternder Weise Susan als innerlich leer und dem Alkohol verfallende Frau zeigt. Der Alltag spielt nun bald keine Rolle mehr. Barnes geht in die Tiefe und versucht vergeblich zu ergründen, was zu der entgleisenden Entwicklung beigetragen haben könnte. Paul ist gewissenhaft und hilft noch lange, wo und wie er kann, gibt aber schließlich auf.

Die Mischung aus Alltagsgeschichten und Beleuchtung des spießigen Bürgertums mit Ausflügen in philosophische Gedankenwelten sind es, die uns die Geschichte nahebringt, zu eigenem Nachdenken reizt und von tiefer Weisheit zeugt. Die nach und nach enthüllende Leere zwischen dem Paar lässt keine Hoffnung keimen.

In einem dritten Teil des Romans zieht Paul seiner Wege und lebt in Zukunft ein einsames Leben. Eine neue Liebesgeschichte ist nach kurzen Versuchen nicht in Sicht.

Julian Barnes wäre nicht der Schriftsteller von Weltruf, wenn er seine Geschichte nicht mit Erkenntnissen, Weisheiten, Reflexionen und der Darstellung momentaner Gefühlslagen gespickt hätte. Poetisch und brillant sind seine Stimmungsbilder, mit denen er äußere und innere Befindlichkeiten ans Licht bringt. Man ist tief bewegt und angerührt darüber, wie Lebenswege verlaufen können. Was ist determiniert, und was selbst verschuldet? Die Frage nach der Schuld stellt sich nicht. Es wird seziert und wiedergegeben, was passiert. Fazit: Lebensläufe werden von unerwarteten äußeren und inneren Entwicklungen mitbestimmt.

Am Ende erfahren wir eine resignierte Weltsicht, nüchtern und ohne Zukunftsvision oder Hoffnung.

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass hier ein Autor wirklich viel vom Leben und von seinen Höhen und Tiefen versteht und dieses Wissen in geeigneter Form dem Leser zu vermitteln versteht. Dr Bogen von erster Liebe bis zum Aus ist weit gespannt und fasziniert von der ersten bis zur letzten Zeile!

Julian Barnes
Die einzige Geschichte
304 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Februar 2019
ISBN-10: 3462051547
ISBN-13: 978-3462051544
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Anton Badinger: Zwei unter einem Schirm

Anton Badinger: Zwei unter einem Schirm

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Jede Woche kauf Lotta ein Los in der Trafik und hofft auf den großen Gewinn. Der Mann, der ihr das Los verkauft, gefällt ihr gut. Allerdings scheint Konrad das nicht zu bemerken. Lotta ist nicht nur deshalb unzufrieden mit ihrem Leben. Auch die Arbeit als Buchhalterin füllt sie nicht aus. Und dann kommt der Hauptgewinn. Zunächst bleibt das ein Geheimnis, aber natürlich will sie auch nach außen hin zeigen, dass sie nun eine andere ist. Lotta sonnt sich in ihrem Reichtum und so hat der Makler leichtes Spiel, ihr eine renovierungsbedürftige Villa aufzuschwatzen. Auch nimmt sie die Hilfe vermeintlicher Freunde an, ohne groß nachzudenken. Lotta merkt nicht, wie das schöne Geld dahin schmilzt.

Gülcan lebt bei ihren Eltern in Istanbul, bis sie Cemil heiratet und ihm nach Salzburg folgt. Das erträumte Haus mit Garten ist nur eine Wohnung, in der auch seine Eltern wohnen. Die versprochene Ausbildung kann Gülcan nun doch nicht machen, denn sie wird von Cemil dazu verdonnert, in seinem neuen Hühnerimbiss zu arbeiten. Weil die Ehe mit Cemil unerträglich ist und Gülcan sich immer mehr eingeengt fühlt, läuft sie davon. In Wien trifft sie auf Lotta und beginnt für sie in der Villa zu arbeiten.

Auf unterhaltsame Weise beschreibt der Autor das Leben von Lotta und Gülcan. Beide sind auf der Suche nach dem Glück. Es wird sogar greifbar. Aber manche Versprechen sind einfach nur Lügen oder Betrugsversuche. Lotta und Gülcan müssen damit leben. Doch Widerstand regt sich. Das, was in den beiden Frauen vorgeht, wird auf eine unverblümte Art und Weise dargestellt. Es geht um Anerkennung, Emanzipation und um finanzielle Unabhängigkeit. Ziele zu erreichen, erfordert aber manchmal abenteuerliche Wege.

Den Eindruck, dass mit dem Zusammentreffen von Lotta und Gülcan eine „wunderbare Freundschaft“ beginnt, habe ich nicht, auch wenn das hinten auf dem Buch steht. Selbst wenn über Privates gesprochen wird, ist es doch ein Arbeitsverhältnis, was beide verbindet. Gülcan ist sozusagen Lottas Dienstmädchen. Beide gehen sehr rüde miteinander um. Durch die Konfrontation wird die Unzufriedenheit verstärkt. Der Autor verfolgt das Thema aber nicht mit der zu erwartenden Konsequenz. So erscheint das Ende dann doch recht glattgebügelt.

Rezension von Heike Rau

Anton Badinger
Zwei unter einem Schirm
480 Seiten, Klappenbroschur
Deuticke Verlag
ISBN-10: 3552063765
ISBN-13: 978-3552063761
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Verena Carl: Die Lichter unter uns

Verena Carl: Die Lichter unter uns

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Schicksalswende!

Anna und Jo haben zwei Kinder: Judith und Bruno. Alles scheint seine Ordnung in der Ehe zu haben. Doch dann will Jo unbedingt im Herbst nach Sizilien. Dorthin hatte er mit Anna einst die Hochzeitsreise gemacht.
Anna findet gar nicht mehr alles so romantisch und glücklich wie damals. Die heranwachsenden Kinder sind aufsässig und für Anna sieht alles so gar nicht mehr rosig aus. Sie müssen mit ihrem Geld haushalten und außerdem ist sie innerlich unzufrieden. Doch nun sind sie einmal da.
Dann taucht Alexander auf. Er ist smart und hat eine schöne Frau. Anna beäugt ihn und lässt ihrer Fantasie freien Lauf. Wie mag es ihm und seiner schönen Frau miteinander gehen? Anna sieht neidisch dem Glück der beiden zu. Wohin hat ihr eigener Lebensweg sie nur geführt?

In einer Doppelerzählung werden die beiden Ehen einander gegenübergestellt. Es zeigt sich, dass keine alleine vom Glück gesegnet ist.
In jeder Ehe gibt es den verheißungsvollen Anfang, der nach und nach in verzwickte und schicksalhafte Bahnen gerät.

Verena Carl bemüht sich um eine differenzierte Analyse der Lebenswege aller ihrer Protagonisten, und es zeigt sich, dass jeder einen eigenen Charakter und eigene Wünsche hat, und ein jeder sehr unterschiedliche Lebensziele verfolgt. Die Träume der Einen sind unerfüllbar, die der Anderen voller Erwartung und Zukunftsvisionen.
Insgesamt bemüht sich Verena Carl um Tiefenschärfe und realitätsgerechte Beobachtung. Ihre psychologischen Ansätze sind flach, die der Realitätseinschätzung kommen der Wahrheit schon näher.
Die Vergeblichkeit aller Lebensschicksale sind ernüchternd. Ist die Wahrheit immer so oder gibt es eine dazwischen? In der Tat liegen Glück, Freude und Lebenserfüllung nicht immer beieinander. Doch gibt es eine Mischung von allem, und diese alleine machen das Leben lebenswert.
Es ist ein leicht verdaulicher und zu lesender Lesestoff, der Unterhaltung für einen gemütlichen Nachmittag bietet.

Verena Carl
Die Lichter unter uns
320 Seiten, gebunden
S. FISCHER, 25. April 2018
ISBN-10: 3103973632
ISBN-13: 978-3103973631
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Jonathan Safran Foer: Hier bin ich

Jonathan Safran Foer: Hier bin ich

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Mit einem großen Familienroman tritt der vielfach ausgezeichnete amerikanische Autor J. S. Foer nach langer Pause wieder an die literarische Öffentlichkeit.

Es handelt sich in seinem neuen Roman um eine jüdische Familie, die aus vier Generationen besteht und in Washington D.C. lebt.

Julia und Jacob aus der mittleren Generation sind das Ehepaar, das im Mittelpunkt der Handlung steht. Er ist Schriftsteller und sie Architektin. Sie sind seit 16 Jahren verheiratet und Eltern von drei Söhnen: Sam, Max und Benjy. Diese machen nicht nur Freude, und Julia und Jakob sind sich oft uneins in Fragen der Erziehung.

Von Beginn an stark reflektierend zeigt uns der Autor ein Paar, das die jungen Jahre der Leidenschaft hinter sich gelassen hat.

Natürlich geht es neben anderem auch um Sex und die Veränderung von Sex in der Ehe.

Zwischen Julia und Jacob hat sich mit den Jahren eine gewisse Scheu entwickelt, ihre geheimen Wünsche zu äußern und auszuleben. In Passagen der Rückschau erleben wir die beiden noch neugierig und experimentierfreudig. Doch der Alltag mit Kind und Kegel hat längst die erste Phase der Begegnung und Entdeckung überlagert. Rücksichtnahme auf die Kinder und die Bedürfnisse des anderen haben einen jeden von ihnen in ein Zwangskorsett versetzt.

Gedanken, wie man sich Freiheit und Unabhängigkeit wünscht, sind dem Anfangsstadium der Verliebtheit gewichen.

In meisterhafter Weise handelt J.S.Foer die langsame Entfremdung zwischen den beiden ab. Es ist schwer auszuhalten, wie man sich bemüht, zusammen zu bleiben und sich doch voneinander entfernt.

In langen und endlosen Gesprächen aller Beteiligter quälen sie sich durch ihr Leben. Die Figuren in dem Roman reflektieren und verdrängen zugleich, so dass sich ein tiefer Zwiespalt offenbart: kann man loslassen, und wohin soll das führen?

Heimatlos zu sein ist nicht erstrebenswert. Und doch ist das der tiefere Gehalt der Geschichte: wir alle suchen Zugehörigkeit und müssen diese mit dem Bewusstsein ertragen, dass wir trotz aller Verbundenheit Individuen mit eigenen Gewohnheiten und Wünschen bleiben.

Der Roman umfasst mehr als 600 Seiten. Szenenwechsel erfolgen schnell und unerwartet. Erzählung, Dialoge und unausgesprochene Gedanken wechseln in schnellem Tempo. Die weit verzweigten Familienverbindungen reichen bis nach Israel, in ein Land, dessen Konflikte und Vorgeschichte mit in den Roman einfließen. Traditionen bleiben bestehen, auch wenn man sehr weltlich ausgerichtet lebt. Man feiert die jüdischen Feiertage und bereitet sich auf die Bar Mizwa von Sam, dem ältesten Sohn von Julia und Jacob, vor. Mit dem Fortlauf der Handlung zeigt sich aber die zunehmende Brüchigkeit der Ehe seiner Eltern. Alles läuft auf eine Trennung hinaus.

Der Titel des Romans klingt fast biblisch: Hier bin ich (…und kann nicht anders…) Ja, zu einem langen Leben zu zweit gehört Ausdauer, zuweilen Anstrengung und Durchhaltevermögen. Dazu ist nicht jeder bereit, wenn sich die Wunschvorstellungen von Glück auf Dauer nicht halten lassen.

Autobiographische Erfahrungen haben den Autor J.Safran Foer zum  Entwurf seiner Romanfigur Jacob vermutlich beeinflusst. Er ist wie Jacob Schriftsteller, hat wie dieser Kinder und ist in seiner Ehe gescheitert.

Ein schwieriges, nachdenkliches und anstrengendes Buch mit ausufernder Handlung hat J.Safran Foer geschrieben, das vom Leser Durchhaltevermögen verlangt.

J.S. Foer war mit der ebenfalls herausragenden Schriftstellerin Nicole Krauss („Kommt ein Mann ins Zimmer“) verheiratet und lebt in New York.

Jonathan Safran Foer

Hier bin ich
688 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, November 2016
ISBN-10: 3462048775
ISBN-13: 978-3462048773
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