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Schlagwort: Sühne

Ayelet Gundar-Goshen: Löwen wecken

Ayelet Gundar-Goshen: Löwen wecken

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Eine Frage von Schuld und Sühne.

In diesem Roman handelt Gundar-Goshen die Liebe und das Leben ab in einer Weise, die fesselnd und tiefschürfend ist.

Worum geht es?

Etan Grien ist Neurochirurg. Er lebt glücklich und zufrieden mit seiner Frau, einer Polizeikommissarin, und seinen beiden Söhnen in Beer – Scheva. Die Familie bewohnt eine geräumige Villa. Nur die warmen Winde und der Wüstensand bereiten zuweilen Beschwerden. Etan Grien ist ein aufrechter Mann, den man aus Tel Aviv in das hiesige Krankenhaus versetzt hat, weil er allzu rebellisch gegen die Korruption seiner Vorgesetzten vorgegangen ist.

Vom Krankenhaus auf einer abendlichen Fahrt nach Hause fährt er einen illegal hier lebenden Eritreer an. Panik ergreift ihn, als er feststellen muss, dass der Mann tot ist. Was tun? In einer konfusen Reaktion beschließt er, seine Fahrt ohne weitere Rücksichten fortzusetzen. Sein glückliches Familienleben und sein zufriedenes Dasein wären seiner Meinung nach andernfalls abrupt zu Ende. Doch was folgt, ist schlimmer, als er es sich vorstellen konnte. Die Frau des Toten erpresst ihn, sich um andere illegale Flüchtlinge zu kümmern. Fortan muss er ein Doppelleben führen zwischen nächtlichen Behandlungen der kranken und verletzten Flüchtlinge und dem Tagesbetrieb im Krankenhaus seines Alltags. In der Wüste arbeitet er unter schlimmsten Bedingungen in einer alten Werkstatt.

Man wird unweigerlich in den Sog dieser tragischen Geschichte hineingezogen. Wie wird Etan sich aus der Affäre ziehen? Wie lange wird er dieses Leben aufrechterhalten können? Seine seelischen Qualen sind unübersehbar.

Die Autorin Ayelet Gundar-Goshen ist von einer begnadeten psychologischen Weitsicht. Sie lässt ihre Protagonistin Liat, Frau von Etan, sehr genau die Stimmungen und Gefühle ihres jeweiligen Gegenübers erkennen. Liat muss aufpassen, dass man ihr nicht anmerkt, wie sie zu einer ungewollten Beschauerin des Innenlebens anderer wird. „Eine vertrackte Angelegenheit, dieses Sehen. Denn wie groß und stark fühlt sie sich, wenn sie so in den Menschen stöbert, unbemerkt, ohne Durchsuchungsbeschluss.“

Mühelos versteht sie zu unterscheiden zwischen „Distanz aus Unsicherheit und Distanz aus Arroganz, zwischen künstlicher und ruhiger Gelassenheit, zwischen gesundem Flirt und echter Verführung…..“

In diesen Passagen zeigt sich die hervorragende Fähigkeit der Autorin, psychologische Vielfalt im Dunst des alltäglichen Lebens zu beschreiben. Doch Liat rätselt unermüdlich darüber, wie sie das unerklärliche Benehmen, die Unruhe und Veränderungen im Wesen ihre Mannes, mit dem sie sich bis dahin einig fühlte, verstehen soll. Misstrauen und Verdächtigungen versetzen sie in ein unerträgliches Wechselbad der Gefühle.

Gundar-Goshen baut ihren Roman zu einem gewaltigen Epos auf, in dem es um illegale Einwanderer in Israel geht und darum, wie es um die inneren Gefühle der sich nahe stehenden Menschen steht.

Spannend und subtil führt sie ihren Roman zu Ende, der keine Wünsche offen lässt: teils Krimi, teils Familiengeschichte und teils erfahrbare Verführungen, die das Fremdsein und die geheimnisvollen Verhaltensweisen einiger Protagonisten umgibt. Was zunächst wie ein einfacher Familienroman beginnt, wächst sich zuletzt zu einem gelungenen und sehr lesenswerten Thriller aus.

Ayelet Gundar-Goshen
Löwen wecken
432 Seiten, gebunden
Kein & Aber, Februar 2015
ISBN-10: 3036957146
ISBN-13: 978-3036957142
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Rachel Joyce: Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry

Rachel Joyce: Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry

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Liebesgeschichte aus besonderer Perspektive…

Der vorliegende Roman lässt keine Wünsche offen, was Unterhaltung und stilvolles Ambiente zu bieten hat. Worum geht es? Queenie Hennessy ist krank, so krank, dass sie bald sterben wird.

Sie begibt sich in ein Hospiz, wo sie ihre letzten Tage verbringen will. Da erreicht sie ein Brief von ihrem ehemaligen Kollegen Harold Fry, in dem er sie dringend auffordert, auf ihn zu warten! Doch er tritt seine Reise in den äußersten Norden Englands vom Süden her zu Fuss an. Wer weiß, ob er noch rechtzeitig bei Queenie eintreffen wird? Und warum will er sie unbedingt noch lebend sehen?

Queenie macht sich inzwischen an die Arbeit. Sie schreibt ihrer geheimen Liebe Harold einen langen Brief, in dem sie ihm verborgene Wahrheiten über sich selbst erzählen wird.

Queenie und Harold haben gemeinsam in einer Brauerei gearbeitet. Dabei sind sie sich näher gekommen. Doch Queenie ist die treibende Kraft der Liebe, die sie ihm nie offenbart hat. Harold ist verheiratet und hat einen Sohn, der keine ganz unbedeutende Rolle in dieser Geschichte spielt. Wie nicht anders zu erwarten breitet Queenie in ihrem Brief ihre Gedanken und Gefühle weit vor uns aus.

Begleitet von melancholischen und gelegentlich witzigen Beobachtungen berichtet sie über ihren Hospizalltag und über die Menschen, die dort, wie sie selbst, auf ihren Tod warten. Schließlich folgen in zahlreichen Einschüben Erinnerungen an das Verhältnis zwischen ihr und Harold. In ihren Aufzeichnungen holt sie alles hervor, was so lange in ihr geschlummert hat. Da ist von Schuld und Sühne ebenso die Rede wie von der gemeinsam verbrachten Arbeitszeit und ihrer stillen Zuneigung zu Harold.

Entstanden ist auf diese Weise ein Liebesroman ganz eigener Prägung. Unerwiderte Liebe, geheime Beobachtung des anderen und Zeiten des Glücks allein durch das Beisammensein machen den Roman zu einer stillen und zarten Liebesgeschichte. Rachel Joyce versteht es vorbildlich, Atmosphäre und Stimmungen auf leichte und poetische Weise einzufangen. Die Liebesgeschichte nimmt einen in ihrer rührenden Selbstlosigkeit und Verhaltenheit gefangen.

Rachel Joyce bietet keine harten Schnitte. Sie behält einen ruhigen und gemäßigten Gesprächsfluss bei. Der anheimelnde und gemütlich zu lesende Roman bietet Gelegenheit, sich bei der Lektüre entspannt zurückzulehnen und sich ganz den Bildern aus Natur, Träumerei und stiller Hoffnung und nicht zuletzt des Abschieds hinzugeben.

Rachel Joyce
Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry
400 Seiten, gebunden
FISCHER Krüger, Oktober 2014
ISBN-10: 3810521981
ISBN-13: 978-3810521989
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Ferdinand von Schirach: Schuld

Ferdinand von Schirach: Schuld

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Mord, Totschlag, Grausamkeit und die Folgen.

Nach seinem Buch „Verbrechen“ beschäftigt sich Ferdinand von Schirach in diesem nunmehr zweiten Band mit Geschichten aus dem Gerichtsalltag, in dem er dem Begriff der „Schuld“ nachgeht.

Kurz, knapp und prägnant werden auch hier wie schon in seinem ersten Buch Geschichten aus dem Juristenalltag vorgetragen. Mysteriös und unklar sind nicht immer aber oftmals die Motive, die zu Unrechtstaten führen, deren Auswüchse uns vor Rätsel stellen. Als seien die Menschen Getriebene, die ihren Impulsen nicht mehr widerstehen könnten, erlebt man die absurdesten Übeltaten. Mord, Besudelung, Missbrauch und Torturen bieten die Anzeichen für verbrecherische Handlungen, die an Grausamkeit und Widerwärtigkeit kaum vorstellbar sind.

Der Jurist von Schirach ist ein Meister der kurzen Pointen. Seine Geschichten deuten an, ohne zu erklären, wie es zu den beschriebenen Verbrechen kommen konnte. Der Leser sieht sich mit den Absonderlichkeiten menschlicher Schwächen und Perversionen konfrontiert, die wie aus dem Nichts das Handeln entarten lassen. Gekonnt und ruhig, lakonisch und präzise beschreibt der Autor Geschehnisse, die an Erbarmungslosigkeit nicht zu überbieten sind. Ohne die tiefenpsychologischen Wissenschaften zu Rate zu ziehen, erklärt sich das Handeln der Täter und ihrer Motive aus sich selbst. Der Autor beschreibt drogensüchtige Freaks, die einen Perversen zur Strecke bringen und Schüler, die in einer Art Verblendung sich zu  Exorzisten erklären und einen Mitschüler mit ihren Torturen fast zu Tode quälen. Auch Drogenbosse und ihre Handlanger finden sich in einer Geschichte kopiert. Von Schirach zeigt die niedersten Instinkte, die im Menschen schlummern und sie zu Verbrechern werden lassen. Man wird zum Zuschauer des Verlust jeglicher Selbstkontrolle, mit denen Menschen zum Opfer der eigenen Triebe mutieren.  Die Beschriebenen Verbrechen enden entweder mit der Verurteilung, häufig mit Selbstjustiz unter den Schuldigen und kommen zuweilen nicht einmal zur Anklage. Der Schuldnachweis ist Voraussetzung  für ein Urteil, doch ist dieser Schuldnachweis nicht immer zu erbringen. Von Schirach lässt die Schuldfrage alleine durch die absurden Handlungen sichtbar werden.

Wortgewand und einfallsreich trägt von Schirach seine Fälle vor. Die Verfremdung von diffizilen Einzelfällen gelingt ihm hervorragend. Seine Fantasie in der Darstellung der Vielfalt abartiger Verhaltensweisen kennt scheinbar keine Grenzen.

Hervorragend und lesenswert sind diese Geschichten sicher für alle, die an Krimis und den Abgründe menschlichen Verhaltens Interesse haben. Man möchte als Fazit sagen: es gibt nichts, was es nicht gibt!

Hohes Lob gilt dem begabten und faszinierenden Erzähler, der als Anwalt und Strafverteidiger in Berlin lebt.

Ferdinand von Schirach
Schuld
208 Seiten, gebunden
Piper, August 2010
ISBN-10: 3492054226
ISBN-13: 978-3492054225
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