Baudolino

Baudolino

Nachdem ich 600 Seiten lang durchs Mittelalter gereist bin, sitze ich hier und frage mich: hat es sich gelohnt?
Die Idee ist gut, sie wird auch hervorragend mit Material gefüttert, doch es fehlt etwas:

Ich vermisse die Spannung der „Rose“ und die intelligenten Entwürfe des „Pendels“. Zudem bleiben die Charaktere sehr blass. Baudolino wirkt immer ein wenig distanziert. Die Schilderung der Reiseerlebnisse auf der Suche nach dem Reich des Priesters Johannes liest sich wie eine Odyssee des Käpt’n Blaubarts.

Baudolino erzählt zu viel und zeigt zu wenig. Die „story“ plätscherst vor sich hin. Gewiss, Baudolino ist ein mitreißender Erzähler, doch manchmal kann sich der Leser des Eindrucks nicht erwehren, er lese das Tagebuch eines mittelmäßigen Ministranten des Kaiser Friedrich Barbarossa.

Wir wissen, dass die „Geschichtsschreiber“ Geschichte mehr erfinden als beschreiben. Dass die Phantasien des „Lügenbarons“ Baudolinos zur Realität werden, ist ein Aspekt, den wir in etwas anderen Formen auch aus der modernen Physik und der Esoterik kennen. Das ist nichts Neues, doch Eco hat diese „Erkenntnis“ genauso witzig formuliert wie die „Erkenntnis“ über die ebenfalls bekannten Mogelgeschäfte der Reliquienhändler.

Die Suche nach dem Gral erscheint wie ein Aufhänger, der die Fäden des Buches zusammenhalten soll. Doch dieser „story-Halter“ ist stark angerostet. Die Figuren des Kyot (aus Eschenbachs Parzifal) oder des griechischen Heiligen Zosimos wurden aus dem Wachsfigurenkabinett geholt und für Ecos Werk neu abgestaubt.

Dennoch: das Buch ist ein „Muss“ für den Eco-Fan. Doch wer sich nach intelligenten Traumreisen durch die Geschichte sehnt und Ecos „Pendel“ bereits gelesen hat, der kann sich den Baudolino sparen und sollte besser „Das Montglane-Spiel“ (siehe rabexas Empfehlung) lesen.

Umberto Eco
Baudolino
Toller Entwurf – mittelmäßig umgesetzt
ISBN:3446200487
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