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Autor: Claudine Borries

Harper Lee: Gehe hin, stelle einen Wächter

Harper Lee: Gehe hin, stelle einen Wächter

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Kompliziertes literarisches Werk

Das berühmte und überall gelobte und zum amerikanischen Kulturgut gehörende Buch von Harper Lee, “Wer die Nachtigall stört“ ist 1966 erstmals erschienen. Das jetzt vorliegende Buch hat lange unentdeckt in der Schublade gelegen. Es ist schon früher geschrieben worden, ist aber eine Fortsetzung von „Wer die Nachtigall stört“.

Tatsache aber ist: beide Romane handeln von der Familie Finch und dem Anwalt Atticus Finch, der nach dem Tod seiner Frau seine beiden Kinder Jean Louise, genannt Scout, und Jem alleine großgezogen hat.

In der Zeit unbeschwerter Kindheit und Freiheit wuchsen Scout und Jem unter der liebevollen Fürsorge ihres Vaters heran. Er erscheint ihnen als Held, denn er verteidigt die Rechte Farbiger (Neger), was in Alabama in den dreißiger Jahren nicht selbstverständlich war.

Doch nun im neuen Roma zu Beginn der fünfziger Jahre ist Jean Louise in New York tätig und kommt nur gelegentlich zu Besuch.
Warmherzig und gemütlich wird dieser Ort Maycomb in Alabama beschrieben. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.
Jean Louise hat einen Verehrer, Henry, der nach dem plötzlichen Tod von Jem der Nachfolger von Atticus in seiner Anwaltskanzlei werden soll.

Ganz offen sprechen Henry und Jean Louise über eine mögliche Ehe.

Doch sind sie auch immer wieder in Erinnerung in ihrer Kindheit, in der alles so leicht und unbeschwert war. Sie scherzen und spielen mehr, als dass es ihnen mit der Ehe ernst zu sein scheint.

Harper Lee hat einen ganz eigenen Roman hier konzipiert. Und so muss man ihn wohl lesen: die Kinderjahre waren die eine Seite der Geschichte. Das Alter von Atticus und die herangewachsenen Kinder von einst sind die andere Seite dieser selben Geschichte.

Der anfangs so liberal erscheinende Atticus ist in Wirklichkeit gar nicht so ein Verteidiger der Rechte der Neger. Eher ist er konservativ und begibt sich sogar zu einem Treffen des Ku Klux Klan, einer Gemeinschaft zur Unterdrückung der Rechte Farbiger. In langen Passagen kommt es zwischen Scout und ihm zu Streitigkeiten und Auseinandersetzungen, die seine Einstellung zur Rassenfrage betreffen. Einerseits geht es hier also ganz allgemein um die Überwindung der Rassendiskriminierung in den Südstaaten der USA und andererseits, und das macht das Buch so anrührend und ungemein spannend, um Scouts Entidealisierung ihres Vaters. Für Scout ist der Vater immer ein Held gewesen, ein gerechter und ausgleichender Mann. Nun wütet sie buchstäblich um den Verlust ihres „Helden“ und kämpft mit ihm um die rechte Position in der Rassenfrage. Das bleibt lange das Thema, und es ist so menschlich und tiefschürfend gefasst, dass man schier spürt, wie hier zwei gleichgeartete Menschen um die rechte Einstellung kämpfen.

Emotional und wirklichkeitsnah werden einem von Harper Lee die Menschen, ihre Eigenarten und ihre Verschiedenartigkeit nahe gebracht. Hier gibt es die Angepassten und die Bigotten, die Spießer und die Nachdenklichen. Darüber hinaus aber geht es um die tiefe Liebe und Achtung zwischen Vater und Tochter.

Bewußt habe ich das heute unübliche Wort „Neger“ verwandt, weil Harper Lee es ebenfalls verwendet, um damit dem Zeitgeist Ausdruck zu geben.

Der Roman ist absolut lesenswert.

Harper Lee
Gehe hin, stelle einen Wächter
320 Seiten, gebunden
Deutsche Verlags-Anstalt, 3. Auflage 2015
ISBN-10: 3421047197
ISBN-13: 978-3421047199

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Margaret Mazzantini: Herrlichkeit

Margaret Mazzantini: Herrlichkeit

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Homo – und Heterosexualität; ihre Wucht und ihre Ausweglosigkeit.

Perspektivische Aspekte zweier Heranwachsenden, die sich erst nach und nach und verwirrt ihrer sexuellen Neigungen zueinander bewusst werden.

Zwei Jungen aus unterschiedlichen Verhältnissen wachsen in einem Palazzo in Rom auf.

Guido ist der Sohn aus dem Palazzo und dem bürgerlichen Familienstand, Constantino ist der Sohn des Portiers.

Die Jungenjahre sind für Guido einsame, denn seine Mutter ist überall nur nicht bei ihm, und der Vater ist ein grauer, seelenloser Eigenbrötler.

Guido lebt sein abgeschiedenes Eigenleben mit diversen Haushälterinnen, die für sein leibliches Wohl sorgen. Die Sehnsucht nach der Mutter bleibt unterschwellig spürbar.

Erst im Gymnasium kommen die beiden Jungen sich näher und sind sehr ambivalent in ihrer Haltung zu einander. Versteckt und erschreckt zieht es sie zu einander.

Margaret Mazzantini fängt in wundersamer Weise mitempfindend und treffend die Atmosphäre um die Heranwachsenden ein.

Schweiß, Sport und erste sexuelle Annäherungen führen zunächst die Jungen im sportlichen Übereifer zueinander. Später machen sie erste Erfahrungen mit Mädchen gleichen Alters.

Dann jedoch entwickelt sich subtil, anrührend und auf fragile Weise eine Beziehung zwischen Constantino und Guido. Sie überdauert räumliche Trennungen und getrennte Lebenswege. Constantino betreibt in Rom ein Restaurant, Guido lebt als Kunstprofessor in London. Die Liebesgeschichte durchzieht den Alltag der beiden, der inzwischen durch Ehen, eigene und angenommene Kinder weit voneinander weggeführt hat. Sie finden immer wieder einen Weg zu einander. Diese Sehnsucht, die sie immer wieder zusammenführt, ist herzerweichend beschrieben.

Nach einem dramatischen Überfall im Süden Italiens dreht sich die Welt für die beiden Liebenden und bringt ihr ganzes Leben ins Wanken.

Der Alltag und die Liebe stehen einander gegenüber. Unausweichlich und verzweiflungsvoll unternehmen sie alle Anstrengungen, ihre Geschichte zu vergessen. Von Trauer und Sehnsucht getrieben finden sie immer wieder den Weg zurück.

Margaret Mazzantini erzählt einfühlsam und sensibel die Entwicklungsgeschichte dieser zwei Jungen, die zum Ausleben ihrer homosexuellen Bedürfnisse führt. Mit erstaunlicher Genauigkeit fühlt sie sich in deren Leben ein.

Sie hat einen tief anrührenden und selten differenzierten Ausdruck gefunden, in dem sie das Dilemma auswegloser Liebe erzählt. Atmosphärisch dicht und vielseitig beschreibt sie Land und Leute und die Umgebung, in der die beiden Liebenden ihr verstecktes Leben führen.

Das Thema ist im Rahmen momentaner Diskussionen in zahlreichen Staaten um die Homoehe von besonderer Brisanz.

Margaret Mazzantini

Herrlichkeit
500 Seiten, gebunden
DuMont Buchverlag, Juni 2015
ISBN-10: 3832197869
ISBN-13: 978-3832197865
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Hugues De Montalembert: Der Sinn des Lebens ist das Leben

Hugues De Montalembert: Der Sinn des Lebens ist das Leben

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Mut und Kraft zum Leben!

„Ich glaube, solange man morgens voller Hoffnung aufwacht, ist man guter Verfassung. Wenn man morgens aufwacht und sich am liebsten nur auf die andere Seite drehen will, um weiterzuschlafen, ist man in großer Gefahr. Und manchmal passiert das auch mir“.

Mit diesen klaren Worten beendet ein Mann seine Lebensgeschichte, die ihm ein unwahrscheinliches Lebensschicksal aufgebürdet hatte.

Der Autor ist nach einem Überfall in New York und einer damit einhergehenden Säureattacke innerhalb weniger Stunden vollständig erblindet. Dieses Schicksal erleidet ein Mann, der sich als Maler und Filmemacher verstand. Kann man sich vorstellen, was das bedeutet?

Hugues De Montalembert muss sich innerhalb kürzester Zeit auf ein Leben als Blinder einstellen. Wie er dieses Schicksal meistert und sich bemüht, seine alte Unabhängigkeit wieder zu erlangen, das beschreibt er in seinem vorliegenden Buch. Denn der Gedanke an den Verlust der Autonomie und die Vorstellung, fortan in seinem eigenen Käfig gefangen zu sein, bewegt ihn von der ersten Sekunde der Wahrheit an.

In zahlreichen eindrucksvollen Szenen beschreibt er, wie er sich ins Leben zurückkämpft. Er erkennt den Weg, wie er wieder zur Selbständigkeit zurückfinden kann.

An vielen Beispielen führt er auf, was man als Blinder nicht machen soll, um in der Abseitsfalle steckenzubleiben. Die Menschen anschauen und sich verhalten wie ein Sehender ist eine seiner zentralen Erkenntnisse, die ihn zuletzt zur Weisheit führten.

Als Reisender hatte er bisher sein Leben gestaltet. Sollte das unwiderruflich vorbei sein?

Wir erleben einen Mann, der sich ganz konkret zu einem Wissenden macht über das, was möglich, und das, was unmöglich sein könnte. Am Ende wird er feststellen und wir mit ihm, dass fast nichts unmöglich ist. Er wird sogar ein Ballett als Choreograph leiten!

Dieses kleine Büchlein ist ein weiser Lebensführer durch das Leben, wenn man die Möglichkeiten denn nur zu fassen weiß!

Lehrreich und erfahrungssatt schließt das Buch, das man jedem Verzagenden nur als Lektüre empfehlen kann!

Hugues De Montalembert
Der Sinn des Lebens ist das Leben
128 Seiten, broschiert
DuMont Buchverlag, Juni 2015
ISBN-10: 3832163247
ISBN-13: 978-3832163242
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Paul Harding: Verlust

Paul Harding: Verlust

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Trauer und Verzweiflung in aussichtsloser Lage.

Im kleinen Städtchen Enon im Maine lebte über Generationen die Familie Crosby. In diesem Roman wird ein Teil ihrer Geschichte fortgeschrieben.

Die Geschichte nimmt den Plot sofort vorweg: Charlies Tochter Kate ist tot! Sie war 13 Jahre alt und wurde von einem Auto angefahren.
Vater und Tochter waren eine glückliche und harmonische Einheit.

Auffallend ist der Bruch, mit dem die Erzählung beginnt: ein vermeintlich glückliches Familienleben mit einem normalen Alltag bricht buchstäblich zusammen. Kates Mutter Susan fährt zu ihren Eltern und verlässt ihren Mann, der mit seiner Trauer ganz alleine bleibt.

So beginnt eine Geschichte, die Trauer, Verzweiflung und Lebensangst zum Inhalt haben wird. Es wird eine Geschichte der Vergangenheit.

Charlie lebt nach der Trennung von seiner Frau alleine in einem Haus, das nach und nach verwahrlost. Er vertieft sich ganz in seine Erinnerungen. Einmal denkt er an seine eigene Kindheit, seine Großeltern und Urgroßeltern; dann wieder fallen ihm Erinnerungsfetzen ein, die schöne Tage und gute Jahre mit Kate heraufbeschwören.

Die Erzählung ergeht sich in wunderschönen Naturbetrachtungen im Wald und am See. Man spürt buchstäblich als Leser die Düfte und Stimmungen des Tages. Daneben wird man Zeuge einer beispiellosen Verzweiflung, mit der Charlie den Bezug zur Gegenwart zu verlieren scheint. Er wird medikamentensüchtig und beschafft sich Drogen und Schmerzmittel auf immer unzulässigeren Wegen. Äußerlich kommt er herunter.

Die Parallelgeschichte: hier die empfindsamen Naturbeobachtungen und da der körperliche Verfall eines aus allen Bindungen gefallenen Mannes macht den Reiz einer Erzählung aus, die sich den schönen und den traurigen Seiten des Lebens widmet. Der VERLUST ist das Thema! Dieser wird in vielfältiger Weise erkennbar und trägt den armen Vater weit fort aus seinem bisherigen Leben. Die Visionen, Erinnerungen und Halluzinationen sind lebensnah beschrieben und lassen einen spüren, dass es Trauer gibt, die das bisherige Leben fast auslöschen. Man geht in Gedanken einen Lebensweg mit, von dem man nicht weiß, wie er enden wird.

Paul Harding ist Pulitzerpreisträger. Er lebt mit Frau und Kindern in Boston und gilt als Star unter den neuen amerikanischen Erzähltalenten.

Paul Harding
Verlust
272 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag Juni, 2015
ISBN-10: 3630873774
ISBN-13: 978-3630873770
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Oliver Sacks: On The Move Mein Leben

Oliver Sacks: On The Move Mein Leben

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Abenteuer Gesundheit…

Als berühmtester Neurologe der Welt wird Dr. Oliver Sacks ausgewiesen!
Sein Buch „Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte“ machte ebenso Furore wie das Buch mit dem Titel „Zeit des Erwachsens“, nach dem ein gleichnamiger Film entstanden ist.

Was macht uns als Leser so neugierig auf die Autobiographie?

Es sind u.a. die Fallgeschichten, mit denen er in seinen Büchern Furore gemacht hat. Wie war dieser Mensch mit seiner intensiven Affinität zu den ihm anvertrauten Patienten?

Er war offensichtlich von einer tiefen menschlichen Verständnisfähigkeit für die körperlichen Malaisen seiner Patienten.
Anomalien im Verhalten beruhen nach seinen Ausführungen auf einer Fehlsteuerung im Gehirn, Schädigungen der Hirnzellen oder auch seltenen Stoffwechselstörungen oder fehlgeleiteten Ausschüttungen wichtiger Botenstoffe im Gehirn, die für das Zusammenspiel von Körper und Geist vonnöten sind.

Nach einem Studium der Medizin in England ging er nach Amerika, wo er an verschiedenen Kliniken, zuletzt in New York, gearbeitet hat.
Mittlerweile ist er 81 Jahre alt und berichtet hier von seinem Leben, das von Wechseln, Krisen, Erfolgen und Neugier getragen war.

Seine Erfahrungen auf dem Gebiet der Medizin und Menschenkunde sind aufregend. Privat hatte er einige wenige sehr enge Liebesbeziehungen zu Männern. In einer kritischen Phase seines Lebens war er schwer drogensüchtig. Das Motorradfahren war ihm früh im Leben schon Lebenselixier, dem er sich mit Leidenschaft überließ.
Hohe Intelligenz und Kreativität zeichnen seinen Berufsweg aus.

Durch seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen gewann er Achtung und Ansehen, musste allerdings auch die unangenehmen Begleiterscheinungen von Neid und Missgunst erleben.

In seinem Buch über seinen Werdegang erlebt man einen sehr offenen und äußerst ehrlichen Burschen, der mit vielerlei eigenen Entwicklungsproblemen zu kämpfen hatte. Sein Buch ist detailreich, zuweilen sehr auf seine medizinischen Forschungen und Erfolge ausgerichtet, doch immer von einer tiefen Anhänglichkeit und Würde getragen, mit denen er nächsten Angehörigen, Mitarbeitern und guten Freundinnen und Freunden zugetan war.

Seine unterschiedlichen Charaktereigenschaften zeigen ihn in seinen menschlichen Bezügen liebevoll und treu. Eigene Konflikte werden souverän von ihm thematisiert. Sie lassen ihn sehr sympathisch erscheinen. Er stellt bewusst heraus, dass ihm nichts Menschliches fremd ist. Seine Persönlichkeit befähigt ihn offensichtlich in besonderer Weise, Menschen mit diversen Krankheitssymptomen gerecht zu werden.

Die Autobiographie liest sich spannend und anregend. Man ist beeindruckt von einem Menschen, der mit Kraft, Liebe und Engagement seiner Berufung als Neurologe und Schriftsteller nachgekommen ist. Sehr lesenswert!

Oliver Sacks

On The Move Mein Leben
Gebundene Ausgabe: 448 Seiten
Rowohlt, Mai 2015
ISBN-10: 3498064339
ISBN-13: 978-3498064334
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Ram Oren: Gertrudas Versprechen

Ram Oren: Gertrudas Versprechen

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Dieser Bericht stützt sich auf eine wahre Begebenheit.

Er handelt von der Nazizeit, von Bedrängnis und aufkommende Verfolgung bis hin zu Flucht und Vernichtung aller menschlichen Würde und des jüdischen Lebens.

Gertruda hat nach einigen schweren Enttäuschungen in ihrem Leben eine Stelle als Kinderfrau bei einer sehr reichen polnisch-jüdischen Familie angenommen. Sie selber ist katholisch. Michael ist das einzige Kind der Familie, heiß ersehnt und fürstlich umgeben von Reichtum, Fürsorge und der Liebe seiner Eltern. Er ist ein reizendes Kind, für das Gertruda von Beginn an eine tiefe Zuneigung hegt.

Als die Nazis in Deutschland an die Macht kommen, mehren sich die Anzeichen, die auf schwere Verfolgungen bis hin zu Folter, Tod und Vernichtung aller Juden hinweisen. Der Millionär Jakob Stolowitzky und seine Frau Lydia können lange nicht glauben, das da in Deutschland passiert.

Parallel zu dieser Geschichte gibt es in Deutschland Karl Rink mit seiner jüdischen Frau Mira und Tochter Helga. Karl hat während der Arbeitslosigkeit Aufnahme in die SS gesucht und gefunden. Auch er will nicht glauben, dass die angekündigten Exzesse Hitlers und seiner Nazibonzen zum Erfolg führen könnten, bis es so aussieht, als wäre es zu spät für Frau und Kind, dieser Hölle zu entkommen.

Ram Oren hat eine dramatische Geschichte zu erzählen. Ihm gelingt es, die Verdichtung von guten und friedlichen Zeiten und großem Glück hin zu der Zeit des Terrors, der Angst und schlimmster Verfolgung mit klugen und ausgewählten Beschreibungen herauf zu beschwören. Man fühlt sich ganz dicht am Geschehen, fürchtet sich und freut sich, je nach Schilderung, mit den Protagonisten. Wenn Dichtung und Wahrheit hier dicht beieinander liegen, so ist das Stilmittel der Dichtung durchaus erlaubt, um die schauerliche Zeit des Nationalsozialismus hautnah vor Augen zu führen. Der Erzählstrang führt gelegentlich alle erwähnten Personen zusammen.

Alles überragend wird hier auch die Geschichte einer Mutterliebe und einer Treue erzählt, wie sie ihresgleichen sucht.

Wie man das aus zahlreichen Erzählungen und vielen Biographien kennt, war die Hitlerzeit das Schlimmste, was in einem aufgeklärten christlichen Land geschehen konnte. Ram Oren besticht durch die Macht seiner Erzählkunst, mit der er die Geschichte so erzählt, dass man meint, man sei dabei gewesen. Unvorstellbare Strapazen, Ängste und Zufälle bestimmen das Geschehen, das in seiner Dramatik kaum zu überbieten ist. Man lese das Buch und erfahre erneut, wie die Barbarei in unserem Land Platz gefunden hatte.

Ram Oren
Gertrudas Versprechen
352 Seiten, gebunden
DuMont Buchverlag, Mai 2015
ISBN-10: 3832163336
ISBN-13: 978-3832163334
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Siegfried Lenz: Gespräche unter Freunden

Siegfried Lenz: Gespräche unter Freunden

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Ein stiller Künstler in seiner ganzen Größe…

Siegfried Lenz, 1926 – 2014, ist uns allen bekannt durch seine Romane, Hörspiele und Bühnenwerke.

Sein schriftstellerisches Werk zeichnet sich durch einen gewissen Ernst, Heiterkeit, Melancholie und Wehmut aus. Wehmut in Erinnerungen an Masuren, Ernst über die Zeitgeschichte, Gelassenheit durch die Ruhe, die seinen Werken inne wohnt.

In dem Buch „Gespräche unter Freunden“ versammeln sich nach und nach gesammelt aus fünf Jahrzehnten Schriftsteller und Journalisten von Rang und Namen zu gemeinsamen Gesprächen mit Siegfried Lenz.

Hier kommt uns dieser liebenswerte, weise und kluge Autor noch einmal ganz nahe.

Er war keiner, der sich produzierte, keiner, der laut wurde, und dennoch gehörte er zu den bedeutendsten Autoren Nachkriegsdeutschlands nach dem 2. Weltkrieg. Mit seiner leisen Unaufdringlichkeit hat er sich mit den allgemeinen Fragen von Gut und Böse auseinandergesetzt, hat seine Stimme zu wichtigen politischen Themen erhoben und blieb doch immer einer im Schatten.

In den Gesprächen dreht sich u.a. alles immer wieder um das Schreiben und die richtige Position, die Lenz im Leben und im Schreiben einnahm. Klar und deutlich artikuliert er seine Vorlieben für nördliche Landschaften, seine Vorstellung von Pflichtgefühl und seine persönliche Einstellung zu seinen Werken, über die er befragt wird.

Neben dem Freund von Siegfried Lenz, Marcel Reich- Ranicki, kommen Persönlichkeiten wie Manfred Durzak, Ekkehard Rudolf, Pavel Kohut und natürlich Günter Grass zu Wort. Weitere bekannte Namen wie Fritz Raddatz, Heinrich Böll und so viele, die uns im Zusammenhang mit der Gruppe 47, bekannt wurden, tauchen hier noch einmal auf. Die Gruppe 47 war eine Vereinigung deutscher Schriftsteller zur Förderung junger deutscher Talente und zur Reflexion über die eigenen Werke.

Die Spiegelredakteure Volker Hage und Martin Doerry möchten S. Lenz aus der Reserve locken, in dem sie ihn zu kritischen Stellungnahmen ermuntern. Doch S. Lenz lässt sich nicht provozieren.

Eine der schönsten Anmerkungen finden sich im Gespräch mit Loki Schmidt. Hier geht es u.a. um das Thema „Altern“. Beide, Lenz und Loki, können diesem nichts abgewinnen. Loki aber meint, vielleicht ginge es einem gut, wenn man nicht mehr so viel mit bekäme und schon dankbar wäre „…wenn man sich darüber freut, dass man ein Süppchen bekommt, oder dass einen jemand mit einer Decke warm zudeckt“. Auch in diesem sehr anregenden Gespräch bleibt Lenz der Skeptiker und der zurückhaltende Melancholiker, während Loki die frische Zuversicht eines ganzen Lebens in sich trägt.

In den Gesprächen unter Freunden finden sich zahlreiche Einsichten, Stellungnahmen zu politischen und gesellschaftskritischen Themen und immer wieder Einlassungen zu den eigenen Werken.

Sie zeigen einen Schriftsteller, der einen sehr eigenen Weg gesucht und gefunden hat. Sein Ruhm wird hoffentlich anhalten und durch dieses Dokument einen Nachhall finden!

Siegfried Lenz

Gespräche unter Freunden
512 Seiten, gebunden
HOFFMANN UND CAMPE VERLAG, April 2015
ISBN-10: 3455503675
ISBN-13: 978-3455503678
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Massum Fayar: Buskaschi oder der Teppich meiner Mutter

Massum Fayar: Buskaschi oder der Teppich meiner Mutter

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In diesen Roman auf der Suche nach der Vergangenheit muss man sich erst langsam einfinden.

Es handelt sich um eine opulente Familiengeschichte mit zahlreichen Verzweigungen und Nebengeschichten.

Der Icherzähler Schaer reist im Jahr 2008 nach Herat in Afghanistan, um seine alte, kranke Mutter zu besuchen. Aus Anlass dieses Besuches fängt er an, sich auf die Spuren der elterlichen Geschichte zu begeben. Ihm fallen zahlreiche Erlebnisse und Namen ein, die zu den bedeutsamsten Stationen des Lebens seines Vaters gehörten. Die Erzählungen über die Gebräuche, die Farben, das Essen und die wunderbare Landschaft mit ihren klimatischen Besonderheiten lassen den Sohn in Wehmut an die Vergangenheit denken. Da gab es den Förderer seines Vaters, Talib Asis, der ihm die Wege zu einem Leben jenseits des bäuerlichen Daseins seiner Vorväter ebnete. Und es gab den Teppich seiner Mutter, einen Buskaschi, der den traditionellen Reiterwettkampf um eine Ziege symbolisiert. Er liefert den Leitfaden, um den sich die Geschichte rankt. Die Liebesgeschichte der Eltern von Schaer bildet den Kern einer Erzählung, die reich an Traditionen tief verwurzelt im heimatlichen Afghanistan angesiedelt war. Verwandtschaftsverhältnisse sind kompliziert und Freund und Feind krass in ihren Gegensätzen.

Lebensweisheiten und die Verse des Korans begleiteten den Vater von klein auf. Er wurde dank seiner Begabungen zu einem erfolgreichen Geschäftsmann.

Der Autor Massum Fayar hat Afghanistan 1982 verlassen. Er gehört damit zu den zahlreichen Menschen, die nach der sowjetischen Besatzung und damit im Zuge der gesellschaftlichen und politischen Veränderungen aus dem Land ihrer Väter geflohen sind, um anderswo Heimat und Arbeit zu suchen.

Er besitzt eine reiche, farbige Sprache und ausufernde Fabulierkunst, mit der er uns zurückführt in die Wirren seines Landes. Man sah sich hier im Zuge der Auflösung des Osmanischen Reichs mit einer Vielzahl von Stammesfehden und immer neuen politischen Herausforderungen konfrontiert. Verwirrend ist die Geschichte des Landes und bedeutsam sind die Erinnerungen an die bunten, malerischen Basare, Feste und die Künste, die dem Land seine besondere Kultur verliehen. Ich verweise hier auf den Romanvon Mariam Kühsel-Hussaini „Gott im Reiskorn“, in dem die Kalligraphie eine zentrale Rolle spielt, und in dem der Niedergang dieser einstigen orientalischen Hochkultur ihren Ausdruck fand.

Massum Faya führt uns in eine Welt zwischen Tausend und ein Nacht und realen politischen Gegebenheiten, die mit der Abschaffung des Königreichs in Afghanistan 1973 zum Höhepunkt ihrer politischen Veränderungen gelangte.

Wer Freude an der Farbenpracht des Orients hat und an den archaisch anmutenden Brauchtümern Gefallen findet, dem wird in diesem Roman alles geboten, sich in fremde Welten zu vertiefen.

Massum Fayar
Buskaschi oder der Teppich meiner Mutter
656 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Mai 2015
ISBN-10: 3462046748
ISBN-13: 978-3462046748
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Henry Marsh: Um Leben und Tod

Henry Marsh: Um Leben und Tod

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Medizinische und menschliche Aspekte eines anspruchsvollen Lebens als Neurochirurg.

Henry Marsh ist Neurochirurg, ein bekannter dazu, und hat in seinem vorliegenden Buch in ungewöhnlicher Weise über seinen Berufsweg und die langjährigen Erfahrungen, die er als Chefarzt gemacht hat, ausführlich berichtet.

Dabei geht es um die Medizin, um die Bürokratie des englischen Gesundheitswesens und um die Hoffnungen und Zweifel von Arzt und Patient.

Nach frühen Umwegen bei der Berufsfindung hat er sich zum Facharzt für Neurochirurgie ausbilden lassen. Er genießt in England hohes Ansehen auf seinem Fachgebiet.

In verschiedenen Kapiteln werden Hirnerkrankungen unterschiedlichster Genese und Formen mit ebenso vielfältigen Folgen abgehandelt.

Seine Arbeit ist schwer und auch für die praktizierenden Ärzte, wie er versichert, zuweilen unerträglich. Geht es doch immer um schwerstkranke Menschen, deren Weiterleben oder Sterben von dem Grad der Erkrankung und vom Können des Chirurgen abhängt.

Seine Leidenschaft für das Handwerk, das für die Feinarbeit als Hirnchirurg unabdingbar ist, macht ihn zum Könner auf seinem Gebiet.

Dass man als Neurochirurg einerseits Distanz zum Kranken bewahren muss, um nicht im Mitleid unterzugehen, und sich andererseits doch mitmenschlich und empathisch dem Kranken und seinen Angehörigen zuwenden muss, macht er in seinen Aufzeichnungen sehr deutlich.

Er hat die Gabe, sich klug und einfühlsam zu verhalten. Das bemerkt man, wenn er über Gespräche mit Kranken und Angehörigen berichtet.

Eigenreflexionen und die Einschätzung gegenüber eigenen und den Fehlern anderer bieten ein hohes Maß an Selbstkritik. Henry Marsh ist im wahrsten Sinne des Wortes ein mitfühlender und nachdenklicher Mensch.

Man liest den Bericht über den Klinikalltag mit seinen bürokratischen Anforderungen und den medizinischen Herausforderungen teilweise mit hohem Interesse, teilweise mit Grauen, immer aber mit großer Aufmerksamkeit.

Bei den Möglichkeiten der Heilung verweist H. Marsh auf die dem Arzt gesetzten Grenzen. Der Grat zwischen Leben und Tod wird gerade in diesem Bericht überdeutlich. Zuweilen ist Nichthandeln menschlicher als Handeln, wenn sicheres Siechtum oder nur qualvolle Lebensverlängerung zu erwarten ist.

Die menschlichen, medizinischen und wissenschaftlichen Komponenten in seinem Handeln und seinem inneren Kampf um den richtigen Weg bilden den Grundtenor in seinem beruflichen Lebensrückblick. Das macht das Buch anrührend und nimmt den Leser auf ganz eigene Weise mit.

Henry Marsh
Um Leben und Tod
352 Seiten, gebunden
Deutsche Verlags-Anstalt, April 2015
ISBN-10: 3421046786
ISBN-13: 978-3421046789
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Anne Tyler: Der leuchtend blaue Faden

Anne Tyler: Der leuchtend blaue Faden

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Familiengeschichten: wen interessieren die nicht?

Gleicht nicht jedes Leben, jede Familiengeschichte einem Roman?

Anne Tyler versteht sich darauf, das Panorama menschlichen Glücks und Leids in einer einfachen Mittelschichtfamilie in Amerika zu erfassen und den Leser in ihre Geschichten mitzunehmen, so dass man sich fast wie ein Besuch bei ihren Protagonisten fühlt.

Abby und Red Whitshank haben ihr gemeinsames Leben um 1959 in Baltimore begonnen. Sie bilden ein Paar in mittleren Lebensjahren.

Eines Abends bekommen sie einen Anruf von ihrem Sohn Denny, der sie mit einer schwer verdaulichen Nachricht konfrontiert.

Mitten in dieses Geschehen des Alltags wird man als Leser hineingezogen.

Alsbald tun sich die einzelnen Kinder mit ihren Gewohnheiten und ihren Eigenarten hervor. Vier Kinder haben die beiden Whitshanks. Der jüngste Spross, Stem genannt, ist kein unmittelbarer Abkömmling.

Red betreibt einen Holzwarenhandel größeren Ausmaßes, und Abby ist Sozialarbeiterin. Sie kümmert sich um alle möglichen Leute, die ihrer Hilfe bedürfen.

Ihre Kinder sind mittlerweile flügge geworden und haben schon eigene Kinder. Ein buntes Treiben tut sich auf. Die Geschwister mit ihren Ehepartnern und Kindern sind so unterschiedlich wie das Leben eben ist. Man hört zu, nimmt teil, leidet mit, wenn etwas nicht so gut geht, und fühlt sich in dieser Familie bald schon zu Hause.

Fast möchte man sich mit Rat und Tat beteiligen.

Und natürlich: niemals ist in Familien alles gut, niemals verlaufen Lebensschicksale ohne Einbrüche. Man muss sich mit jedem Tag und zu jeder Stunde auf gewöhnliche und ungewöhnliche Ereignisse einstellen. Auch Eltern haben ein eigenes Leben, das vor dem ihres Familienlebens mit eigenen Kindern stattgefunden hat. Davon berichtet Anne Tyler in zwei anschließenden Teilen ihres Romans, so dass man erst spät auf die Ursprünge der Beziehungen von Eltern- und Großeltern aufmerksam wird. Auch hier gab es Glück und Leid, schwierige Aufbrüche ins Leben und nicht immer einfache Lebensbedingungen. Immerhin erlebten die Großeltern die große Wirtschaftskrise mit, die mit dem New Yorker Börsenkrach im Jahr 1929 ihren Ausgang nahm.

Gewöhnliche Leben sind nicht immer illuster. Zuweilen finden sich Paare eher zufällig zusammen. Ob die Beziehung dann gut oder schlecht wird, das wird nicht immer durch die Liebe sondern häufig durch Einsicht, Gewöhnung und Beharrungsvermögen entschieden.

Über dieses Auf und Ab in Freude und Leid schreibt Anne Tyler so lebendig und mitteilsam, dass man gar nicht möchte, dass die Geschichten in dem Buch irgendwann aufhören.

Felicitas von Lovenberg beschrieb in der FAZ ihren Eindruck des Buches in dieser Weise. Ihrer Vorstellung kann ich mich nur anschließen!

Anne Tyler

Der leuchtend blaue Faden
452 Seiten, gebunden
Kein & Aber, März 2015
ISBN-10: 303695712X
ISBN-13: 978-3036957128
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