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Kategorie: Belletristik

Alexia Casale: Ein Mann zum Vergraben

Alexia Casale: Ein Mann zum Vergraben

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Mit der gusseisernen Pfanne hat sie ihn erschlagen. Es war nicht geplant, aber Sally hat sich gewehrt, aus Angst, dass er ihr erneut wehtut. Und nun ist ihr Ehemann tot. Sie weiß, dass sie die Polizei rufen müsste. Doch ihr geht so viel durch den Kopf. Sie will nicht ins Gefängnis. Also isst sie erst einmal ein Stück Kuchen. Die ganze Tragweite ihrer Handlung wird ihr erst später bewusst, da hat sie schon zwei Tage verschwendet. Wie soll sie Jim nur loswerden? Und eine glaubhafte Erklärung für das Verschwinden ihres Ehemannes muss sie auch finden.

Doch geht es auch anderen Frauen wie ihr. Mehr durch Zufall lernt Sally, Ruth und Samira kennen und auch ihre Freundin Janey meldet sich wieder. Keine hat in mörderischer Absicht gehandelt und doch sind nun vier Männer tot. Die Frauen wollen sich zusammen tun, sich um die Entsorgung kümmern und so schmieden einen Plan.

Häusliche Gewalt ist ein schwieriges Thema, mit dem sich kaum einer auseinandersetzen mag. In eine skurrile Geschichte verpackt, scheint es zugänglicher zu sein. So hat es die Autorin gemacht. Dennoch wird ihre Botschaft deutlich.

Das Buch arbeitet das Thema also auf eine humorvolle Weise auf, was eigentlich ein Widerspruch ist. Es wird dennoch aufgezeigt, welche Auswirkungen häusliche Gewalt auf die Lebensbereiche von Frauen haben kann und wie Ängste den Alltag bestimmen. Warum sie dennoch schweigen und ihre Männer nicht verlassen, kann verschiedenste Gründe haben. Das wird ebenfalls aufgegriffen. Sally, Ruth, Samira und Janey haben ihre eigenen Geschichten, die sie, nachdem sie Vertrauen aufgebaut haben, miteinander teilen.

Der Handlungsort ist eine Kleinstadt während des Corona Lockdowns. Das macht es den Frauen nicht gerade leichter, regelmäßig in Kontakt zu kommen. Andererseits müssen sie nicht mit Besuchern rechnen, stattdessen aber mit den neugierigen Blicken einer Nachbarin, die die Einhaltung der Corona-Regeln mit übergroßer Sorgfalt überwacht.

Auch wenn das Buch eine Komödie ist und die Handlung ausgesprochen skurril, wird es doch sehr emotional. Die Ernsthaftigkeit des Themas wird mit Humor überspielt, sodass sich das Buch leicht liest. Ein guter Spannungsbogen macht das Dranbleiben einfach. Zum Ende hin wird es sehr aufregend.

Sally ist die Hauptperson und ihr kommt man besonders nahe. Sie macht sich über so vieles Gedanken und versucht die Geschehnisse aufzuarbeiten, sodass man sich in sie gut hineindenken kann. Im Nachwort zeigt Alexia Casale noch einmal auf, was ihr wichtig ist, und warum sie die Geschichte auf diese Weise geschrieben hat.

Alexia Casale
Ein Mann zum Vergraben
Aus dem Englischen von Christine Blum
432 Seiten, broschiert
dtv Verlagsgesellschaft, Juli 2024
ISBN-10: 3423220805
ISBN-13: 978-3423220804
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Colm Tóibín: Long Island

Colm Tóibín: Long Island

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Der bekannte irische Autor Colm Tóibín hat eine hinreißende Liebesgeschichte erfunden.

In Fortsetzung seines Romans „Brooklyn“ lebt die gebürtige Irin Eilis in Long Island mit ihrem Mann und zwei wohl geratenen heranwachsenden Kindern.

Alles scheint glücklich und zufrieden bis Eilis erfährt, dass ihr Mann Toni mit einer Kundin ein Kind gezeugt hat. Er ist Installateur. Seine italienischstämmige Familie mit Geschwistern und Schwiegermutter lebt im Umkreis, so dass Eilis sich von der Familie umgeben weiß. Diese verlangt von ihr, das Kind der anderen im Familienkreis aufzunehmen.
Ihre irische Familie und eine große Liebe hat sie vor zwanzig Jahren in Irland zurückgelassen.
Jetzt packt sie entschlossen ihre Koffer, um ihre alte Mutter in Irland zu besuchen, denn sie hat nicht die Absicht, sich um ein fremdes Kind zu kümmern.

Tóibín baut eine lange Geschichte auf, in deren Verlauf man hineingezogen wird in das irische Leben in einer kleinen Stadt. Mit Spannung erlebt man die verschiedenen Verbindungen, in denen sich die einzelnen Protagonisten befinden. Es ergeben sich so allerhand Verwicklungen dabei.

Hin- und hergerissen ist Eilis zwischen ihrer amerikanischen Familie und Irland, wo sie eher in das enge dörfliche Leben eintaucht.

Intrigen und Klatsch zwischen scheuen Kontakten beherrschen das Geschehen.

Wunderbar spürt man die spröde irische Landschaft, das kalte Meer und die Stimmung zu den verschiedenen Jahreszeiten. Dazwischen die aufwühlenden Gefühle zwischen den Liebenden Eilis und Jim, die zu keinem wirklichen Entschluss für ein weiteres Leben zu zweit finden können.

Mit psychologischem Feingefühl und tiefem Verstehen für die anstehenden Konflikte führt uns der Autor zu den Lebenswegen der verschiedenen Hauptfiguren. Auch die Nebenfiguren aber sind zur Charakteristik der Situation wichtig. Sie scheinen dem wahren Leben entnommen. Fragen tun sich auf, die keine Antworten erfahren. Auf diese Weise bleibt Neugier gepaart mit weiteren Fragen. Das macht den Reiz der Erzählung aus: dass Fragen offenbleiben! Dadurch bekommt das, was wichtig ist, ein größeres Gewicht.

Dass es starke und schwache Charaktere sind, die uns begegnen, ist eklatant. Alles ereignet sich so, wie es im richtigen Leben sein könnte.

Unterschwellig neben allen Schilderungen des Lebens bleibt die Frage: wird Eilis wieder mit Jim zusammenfinden?

Die heimlichen Treffen, die heimlichen Absprachen: alles bleibt in der Schwebe. Der Leser wird stark auf die Folter gespannt und bleibt es bis zum Schluss, dessen Ende hier nicht verraten werden soll.

Der gleichbleibende Fluss der Erzählung beschert dem Leser ein ungetrübtes Lesevergnügen.

Ein gelungeneres Buch habe ich lange nicht gelesen. Familiengeschichte, Liebesgeschichte und Ländergeschichte: es ist alles enthalten und Spannung pur, wenngleich die Gefühle immer verhalten bleiben.

Colm Tóibín kann man durchaus als Meister seines Fachs bezeichnen.

Colm Tóibín
Long Island
Carl Hanser Verlag, 13. Mai 2024
320 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446279474
ISBN-13: 978-3446279476
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Anna Enquist: Die Seilspringerin

Anna Enquist: Die Seilspringerin

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Eine Frau um die 40 Jahre steht am Scheideweg: sie ist eine erfolgreiche Komponistin und sehnt sich zugleich nach einem Kind! Doch stete Selbstzweifel und vermeintliche Empfängnisunfähigkeit behindern die Erfüllung dieses Wunsches.

Anna Enquist entwirft das Bild eines Lebens, das düster und lebensunfroh wirkt.

Alice, der Protagonistin der Geschichte, war der Erfolg als Künstlerin nicht in die Wiege gelegt worden. Ihre Eltern waren bildungsfern und bürgerlich angepasst. Eine gute Erziehung, anständige Manieren und ein anerkannter Beruf gehörten zu ihren Lebenszielen. Diesen Ansprüchen will Alice nicht entsprechen! Schon früh zieht es sie zur Musik!

Mit Energie und Ausdauer hat sie es aufs Konservatorium geschafft. Freundliche Lehrer und Dozenten haben sie gefördert. Die eine oder andere Liebesbeziehung verlief nicht glücklich, und Alice sieht in sich immer noch das ungeliebte Kind. Einmal mehr kann man in diesem Roman erfahren, wie sehr die Herkunft das Leben eines Menschen zu beeinflussen vermag.

Eine psychologische Binsenweisheit besteht in der Tatsache, dass Menschen sich in den Augen des Gegenübers spiegeln. Wer als Kind erfährt, dass man dem Idealbild der Eltern nicht entspricht und dadurch ständige Entwertung erfährt, bleibt lebenslang im Zweifel über den Selbstwert.
Das ist keine gute Voraussetzung für ein glückliches Leben.

Alices Ehemann, ein Finanzjurist, bietet ihr äußere Sicherheit. Er wirkt froh, zufrieden und unbeschwert. Für ihre Arbeit interessiert er sich nur nebenbei. Zunehmend wird die Beziehung zu seiner Frau von deren drängendem Kinderwunsch beeinträchtigt.

Alice begibt sich auf eine Gedankenreise in die Vergangenheit. Sie sucht im Vergleich mit bekannten Komponisten Trost für ihr eigenes Los. Haydn hat es ihr dabei besonders angetan. Die Erfolge in der so genannten E -Musik, die sie unzweifelhaft hat, verblassen angesichts ihrer Selbstentwertung, wenn sie bedenkt, dass sie ihr Geld unter einem Pseudonym mit oberflächlichen Werbemelodien verdient. Schließlich begibt sie sich in Therapie.

Bis zuletzt bleibt Alice trotz ihrer wachsenden Erfolge eine von Selbstzweifeln geplagte Frau. Ihr Wunsch nach einem Kind und ihr zunehmender Ruhm als Komponistin zeigen, dass sie von wechselnden Gefühlsausbrüchen gepeinigt wird. Die Autorin überrascht uns mit einem rätselhaften Ende.

Anna Enquist hatte selber eine musikalische Ausbildung und arbeitete nach ihrem Studium der klinischen Psychologie als Psychoanalytikerin.

Das Können und ihr Wissen über musikalische Prozesse, Kompositionslehre und Entstehungsprozesse von Kompositionen aller Art ist beachtlich. Dazu kommt das Wissen der Autorin über seelische Tiefen und Abgründe, das in ihren Figuren ihren Ausdruck findet.

Der Roman ist tiefschürfend, gibt Anregung zum Nachdenken und ist mit den verschiedenen Erzählsträngen zwischen Kinderwunsch, fortschreitendem Alter und Frau unter mehrheitlich männlichen Kollegen ausgesprochen vielschichtig.

Anna Enquist
Die Seilspringerin
Luchterhand Literaturverlag, März 2024
304 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630877222
ISBN-13: 978-3630877228
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Dani Shapiro: Leuchtfeuer

Dani Shapiro: Leuchtfeuer

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Der vorliegende Roman von Dani Shapiro behandelt eine Familiengeschichte mit berührenden Facetten. Die Erzählung wird nicht chronologisch erzählt, sondern sie verläuft in Zeitsprüngen zwischen 1970, 1985 und 2014 bis 2020.

Die Familie lebt in Avalon im Staat New York.
Beginnend mit einem tragischen Autounfall werden wir den Lebenslinien aller betroffenen Personen folgen.

Sarah ist 17 und Theo 15, als der Autounfall vor ihrem Elternhaus ihr Leben total verändert. Wir erfahren sogleich, was sich zugetragen hat, und wer sich schuldig gemacht hat. In einem stillen Übereinkommen wird über den Vorfall eisern geschwiegen.

Wir sehen Jahre später, wie Sarah sich zu einer erfolgreichen Drehbuchvermittlerin-und Produzentin entwickelt hat.
Sie hat Zwillinge und einen Mann Peter, der nicht gar so erfolgreich ist. Von New York ist ihre kleine Familie nach Los Angeles gezogen, wo sie im Kreise mehr oder weniger erfolgreicher Filmleute ihrem Alltag nachgehen.
Es geht ihnen wirtschaftlich gut. Leise deutet sich an, dass Sarah an einem geheimen Kummer leidet, der sie innerlich peinigt und unüberlegte Handlungen auslöst.

Theo ist am Ende seiner Jugend für viele Jahre verschwunden.
Ben und Mimi Wilf, die Eltern, altern über die Jahre. Auch an ihnen zehrt ein Kummer.

Das alltägliche Leben wird mit allen Schattierungen in den Fokus gerückt.
Jede Figur kommt in einem eigenen Kapitel zur Geltung.
Mimi, die fröhliche und glückliche Frau und Mutter, wird am Ende dement sein.

Wenn ein Kapitel endet, gerät für den Augenblick auch die Figur aus den Blick.

Es gibt neben den Wilfs noch eine Familie in der Nachbarschaft, die Shenkmans. Ben hat als Arzt dem kleinen Sohn ins Leben verholfen, als die Notfallhilfe zu spät kam. Der inzwischen zehnjährige Waldo hat eine tiefe Neigung zur Astronomie. Er ist hingerissen von fremden Himmelskörpern und verbringt viel Zeit damit, das Universum zu erforschen. Sein Vater ist streng und versucht, dem Sohn diese Leidenschaft auszutreiben. Später werden Waldo und Ben dem Rahmen der Handlung einen nachdenklichen Schlusspunkt verleihen.

Die Familien sind ihren Ritualen nach jüdische Familien.
Die eigenen Charaktere aller Protagonisten gewinnen durch die Schilderungen von Dani Shapiro Konturen.
Wie sie ihre Geschichte angeht, zeugt von überragender Fähigkeit, Geheimnisse als solche zu belassen. Sie baut Spannung auf, die den Leser fasziniert und irritiert zugleich.

Kleine Begegnungen, Gespräche und Handlungen leuchten kurz auf, um dem großen Ganzen wieder Raum zu geben. Die Nebengeschichten sind wichtig, weil sie den Blick öffnen, um die Lebensschicksale zu beleuchten und zu verstehen. Warum über das Geheimnis, das alle plagt, nicht gesprochen wird, und zu welchen Konsequenzen unausgesprochene Ereignisse mit belastendem Charakter führen können, das führt Dani Shapiro mit klugen Einlassungen aus.

Diese Familiengeschichte umfasst viele Jahre. Vom Beginn des Lebensglücks bis zu ihrem Fortgang und Ende sehen wir, was mit dem Vergehen der Zeit aus allen geworden ist.
Es ist ein faszinierendes Familienporträt.

Dani Shapiro
Leuchtfeuer
hanserblau, Februar 2024
288 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446279350
ISBN-13: 978-3446279353
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Elizabeth Strout: Am Meer

Elizabeth Strout: Am Meer

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Lucy Barton ist die Heldin dieses Romans. Wir kennen sie schon aus früheren Werken, so wie E. Strout ihre Protagonisten in ihren Romanen häufig wiedererstehen lässt.

Aufhänger für die Erzählung ist die sehr dramatische Geschichte der Pandemie, die uns vor einigen Jahren heimsuchte, und durch die so viele Menschenleben ausgelöscht, jedenfalls aber aus der Bahn geworfen wurden.
Um dieses Geschehen entwickelt E. Strout ihre Geschichte von Liebe und Vergehen.

Lucy, die erfolgreiche Schriftstellerin, ahnt nichts, als ihr Exmann William sie auffordert, schnell und unvorbereitet mit ihm einige Zeit nach Maine ans Meer zu fahren. Ihr Mann David ist kürzlich verstorben, und William ist gerade von seiner dritten Frau verlassen worden. Er ist emiritierter Professor.

Sehr bald wird auch Lucy klar, wie ernst die Lage für uns Menschen überall auf der Welt geworden ist. Die Behörden in New York werden kaum fertig mit den zahlreichen Kranken und Toten.
Wie aber werden zwei ehemals sich sehr nahestehende Menschen auf engem Raum diese Lage bewältigen?
Lucy trauert um ihren zweiten Ehemann, an den sie so herzliche und gute Erinnerungen hat. William aber war ihr immer ein Freund geblieben.

Wie Elizabeth Strout die Gefühle und den Umgang der beiden miteinander beobachtet und nachfühlt, macht ihr so schnell keiner nach! Die zwei erwachsenen Töchter, um die Lucy sich sorgt, spielen keine geringe Rolle im Leben der zwei.

Neue Begegnungen, Erinnerungen an Vergangenes, ihre Töchter und deren Lebenswege, Veränderungen vielfältiger Art: das alles nimmt Elizabeth Strout zum Anlass, uns davon zu erzählen. So entsteht ein Kleinmosaik der Welt, in der die großen und gravierenden Ereignisse ebenso ihren Platz haben, wie die Schicksale im Kleinen. Die Autorin nutzt wie immer ihre Fähigkeiten, uns so nah wie möglich am äußeren und inneren Leben ihrer Protagonisten teilnehmen zu lassen. Lucy ist in ihren Schilderungen eine warmherzige und mitfühlende Seele. Sie kann trösten, und sie ist interessiert am Geschehen um sie herum. Sie pflegt Freundschaften und gesteht sich zugleich ihre eigenen Schwächen ein.
Der Leser fühlt sich unmittelbar mit einbezogen in ihr Leben.

Es geht um Verluste, um Ängste, um Glück und verlorenes Glück, um Beziehungen der Menschen untereinander, um Irrtümer und Erfahrungen, die Vielfalt des Lebens und „Welches Glück, dass wir nicht wissen, was uns im Leben erwartet.“ (Klappentext)
„Es ist unsere Pflicht, die Bürde des Unerklärlichen mit so viel Anstand zu tragen, wie wir können.“(S. 159)
Sätze wie diese bilden in zahlreichen Passagen die Essenz der Lebenserfahrungen.

Der Leser erfährt Dinge, die ihn anregen, an eigene Erinnerungen anzuknüpfen. Der Roman ist im besten Sinne Unterhaltungsliteratur mit feinem Gespür für die seelischen Verwerfungen, denen wir Menschen anheimfallen können. Liebe, Trennungen, unerwartete Ereignisse, die aus der Bahn werfen, Glück und Freude: das alles finden wir hier wieder.

Elizabeth Strout
Am Meer
Luchterhand Literaturverlag, Februar 2024
288 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630877486
ISBN-13: 978-3630877488
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Bernhard Schlink: Das späte Leben

Bernhard Schlink: Das späte Leben

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Ein Mann von 76 Jahren erfährt, dass er nur noch kurze Zeit zu leben haben wird. Er hat einen kleinen Sohn von sechs Jahren und eine vierzig Jahre jüngere Frau. Wie richtet man sich damit ein?

Bernhard Schlink, der Autor dieses kurzen Romans, ist ein Meister der Reflexion. Zügig und ohne überflüssige Worte beschreibt er das vergangene Leben seines Protagonisten; wie es zur Ehe mit dieser jungen Frau kam, und sich auch noch das Söhnchen unerwartet eingestellt hat.

Man kann sich vorstellen, was es bedeuten mag, unerwartet mit dem baldigen Tod konfrontiert zu werden. Fragen und Ängste tun sich auf, wie das restliche Leben und das Ende sein wird.

Schlink versteht es, die Situation nachfühlend zu beschreiben. Er lässt einen jeden nach seiner Art zu Wort kommen. Gefühle werden angedeutet. Schlink bemüht sich in seiner Geschichte um größtmögliche Nüchternheit.
Doch kann man so ein Geschehen wirklich in seiner ganzen Dimension begreifen?

Ulla, die Frau, zeigt Gefühle, die ihr Mann gelegentlich bei ihr vermisst hat. Und David, das Söhnchen, fragt nach Gott und dem Himmel.
Der Alltag geht weiter. Zuweilen glaubt Martin, die Diagnose stimmt gar nicht.
Er ist Professor im Ruhestand und nimmt noch zahlreiche Aufgaben wahr.
Schlink vermittelt das Bild einer ruhigen und zufriedenen Familie. Das drohende Ereignis schwebt unablässig über ihr.

Doch dann kommt als weiteres Erschwernis die Entdeckung der Untreue von Martins Frau hinzu.
Wie der Protagonist damit umgeht, das wird im zweiten Teil des Romans kunstvoll wiedergegeben.
Es stellt sich die Frage: kann man im Leben alles richtigmachen?
Der Versuch, sich in Briefen und Ereignissen unsterblich zu machen, mag ein jeder fühlen und sich danach verhalten.
Offen und klar beschreibt Schlink, wie sich die Krisen in der Ehe darstellen, welche Versuche Martin startet, um dem geliebten Söhnchen in Erinnerung zu bleiben.
Zahlreiche Selbstzweifel kommen auf und alles unterliegt der kritischen Reflexion des Hauptdarstellers.

Schlink hat ein feines Gespür für seelische Nöte und Krisen in verschiedenen Lebensaltern. Und er kann sie wunderbar in gelebtes Leben umsetzen.

Vielleicht ist die Güte zu groß, die im Verhalten von Martin sichtbar wird. Krisenhafte Entwicklungen in der beschriebenen Form sind jedoch sehr gut nachvollziehbar.

Der Leser folgt gebannt den Ausführungen, denn sie erscheinen wie eine echte Biographie.
Sicher greifen Autoren in ihren Werken auf eigene Lebenserfahrungen zurück. Das macht ihre Werke so anrührend und glaubhaft.
Ein besinnliches, nachdenkliches Werk ist Bernhard Schlink gelungen. Man liest es mit großem Gewinn!

Bernhard Schlink
Das späte Leben
Diogenes, Dezember 2023)
240 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3257072716
ISBN-13: 978-3257072716
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Paul Auster: Baumgartner

Paul Auster: Baumgartner

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Paul Auster beschäftigt sich in seinem vorliegenden Roman mit Abschied und Tod.

Zu Beginn sitzt sein Protagonist Seymour Baumgartner am Schreibtisch und arbeitet. Er will eben noch seine Schwester anrufen, und schnell befindet man sich mitten im Leben des 72 Jährigen.
Er ist emeritierter Professor der Phänomenologie und lebt seit vielen Jahren alleine. Seine Frau Anna kam vor zehn Jahren bei einem Unfall ums Leben.
In seinen Gedanken ist sie immer noch mit ihm bei allem täglichen Geschehen und in den Nächten, wenn er wach liegt und nachdenkt, wie alles gekommen ist.

In unvergleichlicher Weise werden wir Zeuge, wie das Leben sich verändert hat. In den Erinnerungen und in Aufzeichnungen von Anna, die er gefunden hat, wird über das Kennenlernen und das Leben zu zweit berichtet. Die sechziger Jahre werden lebendig mit ihrem Aufbruch in Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft. Der Vietnamkrieg mit allen Folgen für Familien und Freunde wird gegenwärtig.

Anna war eine Rebellin. Sie hat das reiche Elternhaus hinter sich gelassen und arbeitet in New York in einem kleinen Verlag. Anlässlich eines ungewöhnlichen Ereignisses auf ihrem Heimweg in der Nacht sucht sie bei ihrem Freund und Geliebten Sy, wie er genannt wird, Hilfe. Er macht ihr einen Heiratsantrag. Sie stimmt ihm nach einer glücklichen Nacht freudig zu. In so vielen Dingen waren sie in Übereinstimmung miteinander!

Diese Beziehung dominiert den Roman. Anna und Sy haben eine enge geistig-mentale innere Bindung, die ihresgleichen sucht. Hier denkt man unwillkürlich an das Paar Auster und Siri Hustvedt, die in New York als DAS Intellektuellenpaar gelten mit einer ebenso engen und unverbrüchlichen inneren Bindung.
Im Roman muss Sy schon so viele Jahre alleine leben!

In poetischen Bildern erleben wir ihn bei Betrachtungen der Natur, bei der Erinnerung an einen engen Freund, der im Zuge des Vietnamkriegs tödlich verunglückte und immer wieder in fast surrealen Begegnungen mit der toten Anna. Gespräche, die er in Gedanken mit ihr führt, werden im Wechsel mit seinem täglichen Leben äußerst realitätsnah beschrieben.

Vor uns ersteht ein New York, das in besonderer Weise charakteristisch war oder auch heute noch ist: intellektuell, dynamisch und voller Gegensätze zwischen arm und reich. Gesellschaftlich schien dieser Ort der Mittelpunkt der Welt zu sein. Hier entstanden Freundschaften und bildeten sich Lebensgemeinschaften zu gemeinsamen Spaß, zur Unterhaltung und zu geistigem Austausch. Durch alle Turbulenzen hinweg blieb die Beziehung zwischen Sy und Anna unerschütterlich.

In dem Roman gleiten kleinere Abschweifungen in die Vergangenheit über in die Gegenwart.
Man erkennt klare Strukturen: Vergangenheit, Gegenwart und Bezüge zwischen beiden.
Da geht es weit zurück die Familiengeschichten von beiden Partnern.

Auster beschreibt das Leben, wie es nach dem Tod eines sehr geliebten Menschen sein kann, wenn man fast symbiotisch verbunden war.
Unschwer erkennt man autobiographische Züge, denn Paul Auster hat Krebs und verarbeitet in diesem Roman fiktiv das Leben nach dem Ende eines Partners.

Die Erzählung ist zärtlich, traurig, suchend und zeigt das Bemühen, nach so vielen Jahren nochmal eine Gefährtin zu finden. Ob es ihm gelingen wird?
Eine gewisse Melancholie ist unübersehbar.

Paul Auster kann schreiben! Gelegentlich denkt man beim Lesen an Philip Roth.
Beide gelten als Titanen der Literatur!

Paul Auster
Baumgartner
Rowohlt Buchverlag, 2. Auflage November 2023
208 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3498003933
ISBN-13: 978-3498003937
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Gabriele von Arnim: Der Trost der Schönheit

Gabriele von Arnim: Der Trost der Schönheit

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Nach ihrem viel beachteten Buch über die Jahre mit ihrem schwer pflegebedürftigen Mann hat Gabriele von Arnim nun ein Buch über die Schönheit und die Suche danach geschrieben.

Dabei gelingt es ihr mit ihrem reichen Wortschatz, die Augenblicke des Lebens zu rekapitulieren, in denen sie Schönheit beruhigt und aus dem Alltag herausgehoben und getröstet hat.

Auf diese Weise kann sie ihr ganzes Leben noch einmal an sich vorbeiziehen lassen.
Die einsame Jugend, das unterkühlte Elternhaus, in dem es weder Musik noch Literatur gab und in der es eine Bestimmung gab, die zu konventionellem Verhalten drängte und wenig Freiheit für den Geist und das freiheitssuchende Kind gab. Sehr vornehm ging es da zu!
Später erlebt die Erzählerin Trost im Anblick von Kunst, Natur und erlebter Lebensfrische.

Es sind die kleinen Dinge des Lebens, auf die uns die Autorin mit ihren überbordenden Gefühlen hinweist: ein Abendhimmel, ein Schwimmen im Meer, eine Mahlzeit in gemütlicher Abendstunde- und Runde. Nicht zuletzt immer wieder die Literatur, die Trost zu spenden weiß.
Man kann sich vorstellen, wie man alle diese Dinge erinnert, um sich damit ein gewisses Lebensglück zurückzuholen.

Der Lebensfaden zieht sich durch die Betrachtungen, und man erfährt so einiges aus dem Leben der Autorin, das einen aufhorchen lässt.
Ja, es gab auch trübe Stunden, die Einsamkeit und Verlorenheit während der großen Epidemie im Jahr 2020 z.B. Von Arnim bekennt, wie sie in diesen Zeiten Verlassenheitsgefühle plagten. Doch sie findet heraus aus der Niedergeschlagenheit. Sie lässt uns teilnehmen am Herausfinden von Glück und Freude, und dass alleine ein schöner Blumenstrauß uns zur Freude gereichen kann.

Die Ehrlichkeit der Erzählerin wird dann deutlich, wenn sie über ihre Ängste spricht, ihre Unzulänglichkeiten und die Not, die sie gelegentlich erfahren hat. Sie gaben den Antrieb, sich nach dem umzuschauen, was das Leben lebenswert macht.

Fast einem Tagebuch gleich fließt der Strom der Glückssuche durch die Zeilen.
Ist es mehr ein Monolog über die Suche nach der Schönheit?
Ein wenig fehlt der rote Faden, wenn von Arnim von einem schönen Augenblick zum nächsten eilt.
Es animiert den Leser, sich der Muße hinzugeben und auch dem eigenen Leben Beachtung zu schenken nach dem, was es an Schönem zu erleben gab. Ob es immer Trost sein kann in Zeiten des Verzagens und der Not?
Der Leser*in muss es für sich entscheiden.

In einem Anhang findet man die zahlreichen Bücher, aus denen die Zitate stammen, mit denen Gabriele von Arnim ihre Aufzeichnungen über Schönheit und Vergänglichkeit, Fluch und Segen belegt.

Gabriele von Arnim
Der Trost der Schönheit
Rowohlt Buchverlag, 2. Auflage August 2023
224 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3498003518
ISBN-13: 978-3498003517
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Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn

Olivia Ford: Der späte Ruhm der Mrs. Quinn

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Jennifer Quinn ist 77 Jahre alt. Sie lebt mit ihrem Mann Bernhard, den sie über alles liebt, in einem schönen Haus mit Garten in einem ruhigen Dorf. Den Ruhestand kann sie jedoch nicht so recht genießen. Soll es das gewesen sein? Der 60. Hochzeitstag steht bevor und auch für diesen Tag wird sie wieder backen. Sie hat viele Familienrezepte zur Hand und backt regelmäßig. Ihre Kreationen sind bei Familie und Freunden beliebt.

Mrs. Quinn mag die bekannte Backshow im Fernsehen. Gerne würde sie hier auch einmal vor der Kamera stehen und zeigen, wie gut sie backen kann. Sie bewirbt sich jedoch heimlich, bringt es nicht übers Herz, Bernhard darüber zu informieren. Vielleicht wird es ja auch nichts. Dieses Geheimnis ist nur ein kleines. Doch gibt es noch ein anderes, das sie allerdings schon viele Jahrzehnte hat. Etwas geschah, bevor sie Bernhard kennenlernte. Vielleicht wird es Zeit, was ihr so sehr auf der Seele lastet, mit ihm zu teilen. Doch wie wird er es aufnehmen?

Der Roman beschäftigt sich auf bewegende Art und Weise mit dem Älterwerden. Mrs. Jennifer Quinn ist eine liebenswerte alte Dame. Ihre Sammlung an Familienrezepten hat eine ganz besondere Bedeutung für sie, wie aus einem zweiten Erzählstrang zu erfahren ist. Gegenwart und Vergangenheit werden im Buch parallel dargestellt und offenbaren die Gewissensbisse, von denen Jennifer noch im Alter geplagt wird, als lägen die Geschehnisse nicht lange Zeit zurück. Und so schwingt zwischen den Zeilen immer eine gewisse Traurigkeit mit.

Das Hauptaugenmerk liegt auf der Backshow, denn mit der Bewerbung möchte Jennifer sich einen großen Traum erfüllen. Wie viele verschiedenen Kuchensorten es doch gibt! Es geht von einem Rezept zum nächsten und alle sind mit Erinnerungen an Geschehnisse oder lieben Personen verbunden. Leider entstehen gerade hier einige Längen im Buch, denn die Show nimmt sehr viel Raum ein. Auch andere Bewerber zeigen ihr Können. Die Konkurrenz ist nicht zu unterschätzen. Es entwickeln sich aber auch Freundschaften, die Jennifer guttun und ihr helfen, zu entscheiden, wie sie ihren weiteren Lebensweg gestalten und mit ihrem Geheimnis umgehen möchte.

Olivia Ford
Der späte Ruhm der Mrs. Quinn
Aus dem Englischen von Sonja Rebernik-Heidegger
400 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, Oktober 2023
ISBN-10: ‎3423283823
ISBN-13: 978-3423283823
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Tim Parks: Hotel Milano

Tim Parks: Hotel Milano

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Dieses Buch zeigt die schrecklichen Folgen einer tödlichen Epidemie, die im März 2020 die Welt erschütterte und sie verändern sollte.

Frank erhält unerwartet zu dieser Zeit Nachricht vom Tod seines einstigen Rivalen und Freundes Dan Sandow. Sie waren beide erfolgreiche Journalisten.
Man bittet ihn dringend, an der Beerdigung teilzunehmen, die in Mailand stattfinden soll, wo Dan an der Seite seiner Freundin Vittoria beigesetzt werden wollte.
Amerikanische Freunde werden es nicht bis nach Mailand schaffen in so kurzer Zeit.

Frank ist schon alt und lebt ein zurückgezogenes Leben in London. Die Reise bietet eine willkommene Abwechslung.
Er ist aufgewühlt. Wird er Connie, seine Exfrau, die auch Dans Geliebte war, dort wiedersehen?
Er ist in seinen Gedanken immer wieder bei ihr, mit der er schon lange nicht mehr zusammenlebt.
Ben, Franks Sohn, warnt seinen Vater eindringlich vor der Reise. Eine schreckliche Epidemie kündigt sich gerade an.

Im Hotel Milano in Mailand findet sich Frank wieder. Das komfortable Leben eines Gentlemans auf Reisen gefällt ihm. Die vielen Annehmlichkeiten genießt er sehr. Er registriert nicht, dass eine tödliche Epidemie das Leben bald lahmlegen wird.

Langsam entsteht ein Stimmungsbild, das Einblicke in die unaufhaltsame Veränderung des Lebens bietet. Frank knüpft Kontakte zu den anderen Gästen und hört deren Lebensgeschichten.

Man erfährt von ungewöhnlichen Schicksalen. Unentdeckte Flüchtlinge haben sich versteckt. Frank wird zum unfreiwilligen Helfer. Er scheint nicht zu begreifen, welche Gefahren auf ihn und jeden anderen zukommen. Strenge Ausgangsregeln und Hygienemaßnahmen bestimmen das weitere Leben.

Er lebt wie ein Traumtänzer im Angesicht des Untergangs und denkt an seine baldige Abreise.
Wird er überhaupt je wieder nach Hause können?

Der Autor fängt eine Atmosphäre ein, in der in aufwühlender Weise Einschränkungen und Maßregeln das tägliche Leben bestimmen. Die ersten Anzeichen der sich steigernden Verbote vermitteln eine fast archaische Zeitenwende, in der nichts mehr ist wie gewohnt.

Tim Parks hat die unvergleichliche Fähigkeit, Menschen in ihrem Zusammenspiel zu beobachten und zu charakterisieren. Er kann Abgründe beschreiben und spürt Schicksalen nach. Es gibt unerwartete Nähe und Hilfsbereitschaft, die genauso schnell wieder vergehen. In Franks Gedanken entstehen Fantasien, die bald von der Wirklichkeit eingeholt werden. Die Zustände bleiben skizziert und der Leser hat Spielraum, sich ein eigenes Bild über die jeweiligen Begebenheiten zu machen.

Obwohl die Lage düster ist, wirkt die Erzählung nicht bedrückend. Das Stimmungsbild vermittelt eine gewisse Distanz, die uns zum Zuschauer macht. Doch auch der Leser wird sich erinnern, wie tragisch sich die Welt seither verändert hat!

Tim Parks ist ein hoch sangesehener Schriftsteller. Er lebt in Mailand. Seine Werke sind mit unzähligen Preisen ausgezeichnet.

Tim Parks
Hotel Milano
Kunstmann, September 2023
240 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3956145631
ISBN-13: 978-3956145636
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