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Kategorie: Belletristik

Rachel Joyce: Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry

Rachel Joyce: Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry

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Liebesgeschichte aus besonderer Perspektive…

Der vorliegende Roman lässt keine Wünsche offen, was Unterhaltung und stilvolles Ambiente zu bieten hat. Worum geht es? Queenie Hennessy ist krank, so krank, dass sie bald sterben wird.

Sie begibt sich in ein Hospiz, wo sie ihre letzten Tage verbringen will. Da erreicht sie ein Brief von ihrem ehemaligen Kollegen Harold Fry, in dem er sie dringend auffordert, auf ihn zu warten! Doch er tritt seine Reise in den äußersten Norden Englands vom Süden her zu Fuss an. Wer weiß, ob er noch rechtzeitig bei Queenie eintreffen wird? Und warum will er sie unbedingt noch lebend sehen?

Queenie macht sich inzwischen an die Arbeit. Sie schreibt ihrer geheimen Liebe Harold einen langen Brief, in dem sie ihm verborgene Wahrheiten über sich selbst erzählen wird.

Queenie und Harold haben gemeinsam in einer Brauerei gearbeitet. Dabei sind sie sich näher gekommen. Doch Queenie ist die treibende Kraft der Liebe, die sie ihm nie offenbart hat. Harold ist verheiratet und hat einen Sohn, der keine ganz unbedeutende Rolle in dieser Geschichte spielt. Wie nicht anders zu erwarten breitet Queenie in ihrem Brief ihre Gedanken und Gefühle weit vor uns aus.

Begleitet von melancholischen und gelegentlich witzigen Beobachtungen berichtet sie über ihren Hospizalltag und über die Menschen, die dort, wie sie selbst, auf ihren Tod warten. Schließlich folgen in zahlreichen Einschüben Erinnerungen an das Verhältnis zwischen ihr und Harold. In ihren Aufzeichnungen holt sie alles hervor, was so lange in ihr geschlummert hat. Da ist von Schuld und Sühne ebenso die Rede wie von der gemeinsam verbrachten Arbeitszeit und ihrer stillen Zuneigung zu Harold.

Entstanden ist auf diese Weise ein Liebesroman ganz eigener Prägung. Unerwiderte Liebe, geheime Beobachtung des anderen und Zeiten des Glücks allein durch das Beisammensein machen den Roman zu einer stillen und zarten Liebesgeschichte. Rachel Joyce versteht es vorbildlich, Atmosphäre und Stimmungen auf leichte und poetische Weise einzufangen. Die Liebesgeschichte nimmt einen in ihrer rührenden Selbstlosigkeit und Verhaltenheit gefangen.

Rachel Joyce bietet keine harten Schnitte. Sie behält einen ruhigen und gemäßigten Gesprächsfluss bei. Der anheimelnde und gemütlich zu lesende Roman bietet Gelegenheit, sich bei der Lektüre entspannt zurückzulehnen und sich ganz den Bildern aus Natur, Träumerei und stiller Hoffnung und nicht zuletzt des Abschieds hinzugeben.

Rachel Joyce
Der nie abgeschickte Liebesbrief an Harold Fry
400 Seiten, gebunden
FISCHER Krüger, Oktober 2014
ISBN-10: 3810521981
ISBN-13: 978-3810521989
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Walter Bauer: Die Stimme

Walter Bauer: Die Stimme

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Die Geschichte „Die Stimme“ ist eine, die von Abschied, Heimatlosigkeit, Neubeginn und vielem mehr handelt.

Die Stimme aus dem off klingt einsam, melancholisch und betrüblich. Sie handelt von Vergänglichkeit und wirkt ein wenig hoffnungslos, so als sei alle Mühe auf Erden vergeblich, das Glück zu finden.

Ein Professor aus Toronto erzählt einem imaginären Gegenüber hier seine eigene Geschichte. Aufgewachsen ist er in Deutschland. Gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg und der Gefangenschaft in Russland kehrt er 1952 Deutschland den Rücken und wandert nach Kanada aus. Seine erste Station ist Toronto.

Seine zweite Ehe ist gerade gescheitert. Die Eltern sind tot, so dass es keine tiefen Bindungen mehr zum Land der eigenen Herkunft gibt.

Das Gefühl des „Fremdseins“ ist unüberhörbar. Der Erzähler verdingt sich zunächst als Packer und Lagerarbeiter. Er wohnt in einer kargen Gegend in einem einzelnen Zimmer. Jeder Anflug von Geborgenheit erstickt hier in seinen Anfängen im fremden Land mit fremder Sprache. Und doch ist die Geschichte, wie sie hier erzählt wird, von eigenartigem Reiz und poetischer Schönheit. Wie wohl alles ein wenig trostlos wirken könnte, spürt man doch die Wärme des Erzählers, mit der er das, was fehlt im Leben, als stille Hoffnung in sich trägt.

In einer Kaskade schönster, tiefsinnigster und poetischer Sprachgewandtheit erzählt Walter Bauer in Gestalt des Icherzählers von der Landschaft, von seinen Stimmungen, Erinnerungen und Erfahrungen des Augenblicks. Das Herbstlaub im Indian Summer wirkt so präsent wie die Schilderung der Lebensumstände und die fast resignierend beschworene Suche nach dem Glück. Dieses Glück begegnet dem Icherzähler in Gestalt der Schauspielerin Diana. Durch ihre Stimme, die sie für Lesungen zur Verfügung stellt, findet Richard einen Weg zur neuen, fremden Sprache im freiwillig gewähltem Exil.

Fortan wird in der Erzählung die Begegnung der beiden Menschen in einer Art zarter Annäherung beschrieben. Werden sie das Glück bei einander finden?

Der Lilienfeld Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, kleine literarische Kostbarkeiten aus dem Beginn und Verlauf des 20. Jahrhunderts aufzufinden und neu herauszugeben. Man arbeitet sorgfältig in dem Verlag, in dem man in einem Nachwort von Jürgen Jankofsky sowohl über den Lebensweg von Walter Bauer berichtet als auch in einer Tabelle die wichtigsten Lebensdaten aufführt.

Walter Bauer lebte von 1904 bis 1976. Seine Erzählung trägt durchaus biographische Züge. In der Aufmachung ist das Buch „Die Stimme“ ein kleines bibliophiles Meisterwerk, das sich bestens für Mußestunden oder als kleines Geschenk eignet.

Walter Bauer

Die Stimme
128 Seiten, gebunden
Lilienfeld Verlag, Oktober 2014
ISBN-10: 394035743X
ISBN-13: 978-3940357434
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James Salter: Jäger

James Salter: Jäger

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Krieg und Frieden…

Der Autor James Salter hat 12 Jahre lang in der amerikanischen Armee als Kampflieger gedient. 1957 beendete er seine Karriere beim Militär und legte seinen ersten Roman vor. „Jäger“ ist der Abgesang auf ein Leben, dass ihn in unterschiedlichen Formationen zu seinen Flügen im Koreakrieg (1950-1958) gezwungen hatte.

Nord und Südkorea waren in einen verlustreichen Stellungskrieg verstrickt. Chinesen halfen dem Norden, Amerika dem Süden bei der kriegerischen Auseinandersetzung um die Grenzfestlegung. Bis heute gibt es die strengen Grenzen, die Korea in zwei unterschiedliche Staaten in Nord und Süd aufteilt.

James Salter hat seine Erlebnisse in diesem Krieg zu seinem ersten Roman verarbeitet. Es ist ein Kriegsroman, in dem es vorwiegend um die Gemeinschaft, den Sieg und die Niederlage im Luftkrieg geht.

Kameradschaft, Kampfgeist und die Abschussrate bieten die eine Seite seiner Erfahrungen. Das Nachdenken und die Einsamkeit der Krieger die andere.

Man startet in Gruppenflügen, um den Gegner zur Strecke zu bringen. Zu Helden werden jene, die am häufigsten gegnerische
Kampflieger abschießen. Man bangt mit den gemeinsamen Kameraden, denn natürlich gab es zahlreiche Verluste in der Mannschaft zu beklagen.

Wer James Salter aus anderen Büchern bereits kennt, ist nicht erstaunt darüber, wie detailliert er hier über den Krieg, die Kampfeinsätze, den Ehrgeiz, das Lob und die Abneigung unter einander berichtet. Es müssen einschneidende Erfahrungen gewesen sein, denen die Flieger bei ihren Einsätzen ausgeliefert waren.

Angst und Mut, Treue und Entsetzen: von allem findet man hier etwas. Gelegentlich bieten einzelne Kämpfer mit ihren Sorgen und Nöten den Erzählstoff. Das Leben im Krieg und im Kampf an vorderster Front ist entbehrungsreich und zuweilen sehr einsam. Die Pflicht, sich um den Kameraden zu kümmern und daneben zahlreiche Abschüsse zu erreichen, kann den einzelnen zermürben.

Einfühlsam wie immer berichtet James Salter über die Empfindungen, die jeden nach seiner Art ereilen. Traurig ist jeder Verlust unter den Freunden. Man wächst zusammen unter den dramatischen Bedingungen, die der Krieg mit sich bringt. Die Trauer und gelegentliche Melancholie neben den Draufgängern und Abenteurern machen den Roman zu einem besonderen. Charaktere verändern sich und fast jeder sehnt zuletzt das Ende der Dienstzeit herbei. Krieg ist kein lustvolles Erleben. Das wird so manchem schon nach den ersten Einsätzen klar. Der Sieg wird schal im Angesicht so vieler Verluste von liebenswerten Menschen und Kriegsteilnehmern. James Salter hat in sensibler und eindringlicher Form über den Krieg geschrieben.

Nicht für jeden mag die Lektüre geeignet sein. Krieg ist nie gut. Aber Menschen in Extremsituationen reagieren überall unterschiedlich. Dafür ist Salter der beste Zeuge.

James Salter

Jäger
304 Seiten, gebunden
Berlin Verlag, Oktober 2014
ISBN-10: 382701235X
ISBN-13: 978-3827012357
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Hugo Hamilton: Jede einzelne Minute

Hugo Hamilton: Jede einzelne Minute

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Reise in die Vergangenheit…

Eine alternde und kranke irische Schriftstellerin begibt sich mit ihrem viel jüngeren Freund auf eine Abschiedsreise. Sie möchte nach Berlin, um die ihr lieben Orte noch einmal zu sehen und sich von guten Freunden zu verabschieden. Zu den Orten gehört der Botanische Garten, das Pergamonmuseum, die Staatsoper Berlin, Café Einstein, die Paris Bar, alles bekannte und dem Berlinbesucher vertraute Plätze.

Sie wohnt mit ihrem Freund im Adlon unter den Linden. Mehr noch als die Besichtigungen liebt sie die Gespräche mit ihrem Freund, hier Liam genannt. Alte Erinnerungen heraufzubeschwören genießt sie fast ebenso wie die Stadt Berlin, in der sie gute und schöne Augenblicke erlebt hat.

Unter dem Pseudonym Úna verbirgt sich die irische Schriftstellerin Nuala O’Faolein und Liam ist Hugo Hamilton persönlich!

Wie geht es einem, wenn man vor dem kurz bevorstehenden Tod noch einmal eine Reise in die Vergangenheit unternimmt?

Da fließen gute und schlechte Erinnerungen ein, doch überwiegend ist es eine Art Lebensbilanz, die man hier vorfindet.

Über Kindheit, das Menschsein, über Geben und Nehmen, über Geheimnisse und Gewalt in Familien, über Selbstverwirklichung in der Rolle als Frau oder Mutter reflektiert Úna unermüdlich, ja, ihre Überlegungen gipfeln in dem Gedanken, dass Menschsein Geschichten an sich bedeuten. Über nichts als das, was das eigene Erleben an Erkenntnissen schafft, kann man erzählen, egal, in welcher Verkleidung man seine Impressionen und Erfahrungen des Lebens wieder gibt.

Der große Altersunterschied zwischen den Protagonisten lässt an eine Mutter-Kind-Beziehung denken; doch eigene Kinder waren der Autorin versagt. So bleibt die Erzählung in sporadischen Erinnerungsaugenblicken stecken. Das ganze Leben ist eine Geschichte; so wird es von Úna empfunden, und so gibt es Hugo Hamilton weiter.

Zitat aus einer Schrift von Nuala O’Faolain aus dem Nachwort von Elke Heidenreich: „Das Beste, das ich von meiner Kindheit mitbekam, ist das Lesen“ und “Wenn es auch sonst nichts gäbe — für das Lesen lohnte sich das Leben schon“. Ein schöneres Plädoyer für die Literatur lässt sich nicht denken!

Dieses Buch ist beschaulich und bei aller Endzeitstimmung eine ruhige und freundliche Rekapitulation eines langen Lebens. Ein wenig Nostalgie und Melancholie verleihen der Geschichte Glanz und Farbe.

Man liest den Roman mit Anteilnahme und lässt sich auf die sporadischen Erinnerungsgeschichten gerne ein.

Hugo Hamilton
Jede einzelne Minute
352 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, September 2014
ISBN-10: 3630874258
ISBN-13: 978-3630874258
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Thomas Hettche: Pfaueninsel

Thomas Hettche: Pfaueninsel

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Ausflug in die Geschichte einer längst vergangenen Welt…

Wer dieses Buch zur Hand nimmt, wird entzückt sein von der feinen Aufmachung und dem auf edlem Papier geschriebenen Roman. Schon bei den ersten Seiten überkommen einen Erinnerungen an Fontane mit seinen herrlichen Beschreibungen der Mark Brandenburg. Die Pfaueninsel liegt inmitten einer naturnahen Havellandschaft umgeben vom Wasser der Havel. Fauna und Flora nehmen breiten Raum in der Schilderung ein, denn es raschelt vom Schilf, das tief in den See hineinzuwachsen scheint, vom Gezwitscher der Vögel, dem Rauschen der Blätter und dem Wechsel der Jahreszeiten.

Man ahnt die Pracht und Herrlichkeit einer zu Beginn des 19.Jahrhunderts noch wundersamen Beschaulichkeit.

In diesem Gelände blühen neben den realen geschichtlichen Ereignissen mythische Figuren und Erlebnisse.

Preußenkönige haben sich hier einen Landsitz geschaffen, zu dem entsprechendes Personal gehört. Gärtner haben das Gelände urbanisiert und pflegen und hegen die königlichen Gebäude und Gärten. Marie und ihr Bruder Christian sind die hervorgehobenen Figuren, die sich in dieser Landschaft mit ihren bäuerlichen Gewohnheiten wohlfühlen. Beide sind zwergwüchsig und in ihrer Anomalie anziehend für die Leute des Personals und schockierend für die Königin Louise, die Marie als Monster bezeichnet. Gustav verliebt sich in das Schlossfräulein Marie, und sie schaut scheu auf ihn, den groß gewachsenen Gärtnersohn. Sie beherrscht mit ihrem Charme, ihrer besonderen Beobachtungsgabe und teils heiterer und teils melancholischer Gelassenheit das weitere Geschehen.

Die Insel entwickelte sich zu einem Zoo exzotischer Tiere und Planzen, zu denen die kleinwüchsiger Menschen oder Riesen ihren Beitrag leisteten

Mit den Figuren umspielt Th. Hettche seinen Roman über die Geschichte der Pfaueninsel, die uns weit in den Beginn des 19.Jahrhunderts zurückführt. Zwischen Befreiungskriegen und damit einhergehend politischen Umbrüchen aller Art, Gartenkunst und Schlossherrlichkeit erfährt man allerlei Wissenswertes über die Geschichte der Insel und ihrer Herrschaft. Bekannte Namen der Gartenkunst und der Architektur von Schinkel bis zu Lenné tauchen auf und zeigen uns die Baukunst und die Denkmalpflege in ihrer damaligen Pracht. Die Nähe zur Natur und die Verwirrung um die Protagonisten vermitteln uns den Eindruck einer entrückten Welt. Th. Hettche findet jedoch immer wieder auf den Boden der realen Geschichte zurück. Die wahre Geschichte der Pfaueninsel mit ihrer Entstehung und Verwendung bis zu ihrem Untergang wird uns in ästhetischen Bildern nahe gebracht. Poetische Ausflüge in die Naturgegebenheiten sind es, die uns mitreißen!

Diesen wunderschönen Roman kann man uneingeschränkt empfehlen!

Thomas Hettche
Pfauensinsel
352 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, August 2014
ISBN-10: 3462045997
ISBN-13: 978-3462045994
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Olga Grjasnowa: Die juristische Unschärfe einer Ehe

Olga Grjasnowa: Die juristische Unschärfe einer Ehe

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Liebe auf Abwegen…

Drei verlorene Gestalten bieten den Plot zu der vorliegenden Geschichte, in der die Liebe einmal auf ungewöhnliche Weise abgehandelt wird.

Altay, Leyla und Jonoun treffen Mitte der neunziger Jahre in Berlin zusammen. Hierher hat sie ihr Schicksal geführt. Sie sind Mitte zwanzig und kommen aus unterschiedlichen Sphären: Leyla und Altay stammen aus Baku/Aserbaidschan und Jonoun kommt aus Amerika und zuletzt Israel. Ihr Großvater und ihr Urgroßvater waren Rabbiner. Die exzentrischen Eltern boten ihr keine Sicherheit. Der Vater war Israeli, die Mutter führte ein Nomadenleben. Die ersten Jahre verbrachte die kleine Jonoun in einem Kibbuz im Norden Israels. Später wuchs sie bei ihren Großeltern auf. Sie hat zur Zeit der Begegnung mit Leyla und Altay ein Kunststudium und eine Ehe hinter sich. Leyla war Tänzerin am Bolschoi Ballett und hatte hoch fliegende Pläne. Ein Unfall beendete ihre Träume. Altay ist Psychiater. Alle drei jagen der Liebe nach, die sich ihnen nur schwer erschließt. Leyla und Altay leben mit der stillschweigenden Übereinkunft, den Verwandten eine intakte Ehe vorzuführen. In Wirklichkeit geht jeder eigene Wege.

Altay liebt Männer, und Leyla kann sich nur für Frauen erwärmen. Jonoun ist die Neue, die erste Erfahrungen auf dem Gebiet der gleichgeschlechtlichen Liebe sucht.

Wie soll diese Ménage à trois funktionieren?

Olga Grjasnowa spielt mit dem Thema „Liebe“, in dem sie die unterschiedlichsten Menschen zusammenführt. In Berlin trifft man sich in Kneipen und Restaurants. In Baku erlebt man die dortige Gesellschaft mit den Nachfahren der ehemals Regierenden, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in neuer Formation und großem Reichtum zusammengefunden haben. Altay, Leyla und Jonoun befassen sich mit ihren jeweiligen Liebespartnern und lassen sich durch Zeit und Länder treiben. Mental sind sich Leyla und Altay treu ergeben und helfen sich, wenn sie in Not sind. Im übrigen lassen sie sich jede Freiheit.

Die „juristische Unschärfe einer Ehe“ besteht in diesem einerseits und andererseits. Freiheit und Geborgenheit: hier scheint der Widerspruch aufgehoben. Das Paar weiß, dass man sich auf einander verlassen kann, ist sich herzlich zugetan und respektiert sich in Fragen der Liebe. Jonoun bemerkt die Doppelbödigkeit ihrer Beziehung zu Leyla.

Baku, der Kaukasus, Berlin und das Künstlermilieu in diesen Städten und Ländern mit einer morbiden akademisch gebildeten Schicht von Unangepassten bestimmen das Klima in der Geschichte.

Der Roman bietet tiefe Einblicke in das Homosexuellenmilieu in Deutschland und Russland. Wie man einander erkennt, wie man zu einander findet, wie sehr die Sexualität das Leben bestimmt: so haben wir es noch nicht beschrieben gesehen. Exotisch treten die kulturellen Unterschiede zwischen Russen und Deutschen zu Tage. In Baku ist die Sinnenfreude beim Essen, Trinken und Feiern auffällig; die Landschaft mit ihren Reizen, die bunten Einrichtungen und die Gastfreundschaft treten aus dem Schatten der ratlos suchenden Figuren und bieten einen atmosphärisch passenden Rahmen zur Handlung. Ehen und Beziehungen sind hier wie dort nie sehr sicher. In der Erzählung geht es vorwiegend um die jeweilige Befindlichkeit der handelnden Personen und um ihre Orientierungssuche. Der Leser bleibt etwas ratlos zurück, denn das Ende kommt überraschend und lässt viele Fragen offen.

Olga Grjasnowa ist 1984 in Baku/Aserbeidschan geboren und lebt seit 1996 in Deutschland.

Olga Grjasnowa
Die juristische Unschärfe einer Ehe
272 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, August 2014
ISBN-10: 3446245987
ISBN-13: 978-3446245983
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Daniel Glattauer: Geschenkt

Daniel Glattauer: Geschenkt

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Gerold Plassek arbeitet für die Werbezeitung einer Supermarktkette. Er lebt in den Tag hinein und hat Mühe damit, nach außen hin so zu tun, als hätte er kein Alkoholproblem. Zu dieser Zeit erfährt er, dass er einen Sohn hat, denn seine Mutter, die aus beruflichen Gründen ins Ausland muss, bringt ihn bei einer Freundin unter und auch bei ihm soll der Junge ein paar Stunden täglich bleiben.

Der 14-jährige Manuel weiß allerdings nicht, dass Gerold sein Vater ist. Er hält ihn für einen Freund seiner Mutter. So antriebslos weitermachen wie bisher, kann Gerold nun nicht. Aber es steht ohnehin eine Wende in seinem Leben an. Ein Artikelüber von ihm über eine Obdachlosenschlafstätte in der Gratiszeitung hat eine anonyme Spende zur Folge. Im Umschlag mit dem Geld befindet sich auch Gerolds Artikel. Ein Zusammenhang ist also offensichtlich.

Es bleibt nicht bei dieser einen Spende. Gerold und Manuel schreiben zusammen weitere Sozialreportagen. Der anonyme Spender lässt sich nicht lumpen und reagiert auf die folgenden Artikel wieder mit Spenden. Keiner weiß, wer der Wohltäter ist. Doch bald hat man die Vermutung, dass zumindest Gerold es wissen muss. Was dieser natürlich abstreitet.

Ein Krimi läuft immer nach demselben Schema ab. Es gibt einen Täter, ein Opfer oder eine Straftat, ein Motiv, Ermittlungsarbeiten usw. Und hier haben wir es nun mit einem Wohltäter zu tun, der anonym agiert. Der Gutes tut und dennoch nicht will, dass man ihm auf die Spur kommt. Es eröffnet sich also ein ganz anderer Blickwinkel, der aber ebenso spannend ist, als handle es sich bei dem Buch um einen Krimi.

Mitten drin im Geschehen ist der erfolglose und von Alkoholproblemen gezeichnete Gerold Plassek, dessen Leben sich durch die Wohltat, das plötzliche Auftauchen seines Sohnes und die Instandsetzung seiner maroden Zähne durch die hübsche Zahnärztin Manuels grundlegend ändert.

Die Geschichte geht auf eine wahre Begebenheit zurück, eine ebenfalls anonyme Spende. Der Autor hat das Thema aufgegriffen und seine eigene Vorstellung vom Verlauf entwickelt. Er sieht auf die Menschen und die Hintergründe. Er zeigt, was die Spende bewirkt, aber nicht da, wo sie abgegeben wurde, sondern an der Quelle. Denn Auslöser sind ja die Sozialreportagen.
Von Anfang an ist man als Leser gespannt darauf, zu erfahren, wer der anonyme Spender ist und natürlich auch darauf, ob Gerald Plassek die Kurve bekommt.

Rezension von Heike Rau

Daniel Glattauer
Geschenkt
336 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag
ISBN-10: 3552062572
ISBN-13: 978-3552062573
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Johan Bargum: Septembernovelle

Johan Bargum: Septembernovelle

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Harald und Olof waren beide nacheinander mit der gleichen Frau zusammen. Zuerst Harald dann Olof bis zu Elins Tod. Beide Männer hatten kaum Kontakt miteinander, haben aber kürzlich eine Segeltour zusammen unternommen. Nach Haralds Verschwinden sieht sich Olof nun mit den Fragen der Polizei konfrontiert. Wer hat den anderen zur Segeltour überredet und wieso? Ging es um Rache? Wenn man es genau nimmt, hatten sicher beide ein Motiv, sich am anderen zu rächen. Doch warum hätte Olof Harald etwas antun sollen, der bereits von seiner Krebserkrankung gekennzeichnet war. Und was Harald selbst geplant hatte, der schließlich eine Waffe mit an Bord brachte, ist ebenfalls unklar. Vielleicht hat er an Selbstmord gedacht und gar nicht den anderen im Visier gehabt?

Olof erzählt der Polizei seine Geschichte. Er erzählt, was er über Harald weiß, und warum Harald ihn angerufen hat, um eine letzte Segeltour zu unternehmen. Er berichtet von seiner Beziehung zu Elin und ihrem plötzlichen Unfalltod, der auch mit Absicht herbeigeführt worden sein könnte. Sagt er die Wahrheit? Vielleicht. Vielleicht auch nicht, denn es gibt noch eine andere Wahrheit, die von Harald, der einen Brief hinterlassen hat, mit dem er einen doch etwas anderen Blick auf die Dinge möglich macht.

Dem Leser werden also beide Sichtweisen der Männer offenbart. Im ersten Buchteil wird die Vernehmung Olofs bei der Polizei dargestellt. Im zweiten Teil darf der Leser Harald über die Schulter schauen, wie er den Brief schreibt. Glück und Unglück sind nah beieinander. Wahrheit und Lüge ebenfalls. Schlüsselfigur ist Elin, eine geheimnisvolle, aber auch sehr sensible Frau.

Die Geschichte wird auf eine sehr raffinierte Weise dargestellt. Beide Männer sind glaubwürdig. Doch die Fassade beginnt zu wackeln, allein deswegen, weil nur eine Geschichte wahr sein kann oder eben Teile davon. Die Vergangenheit spielt immer in die Gegenwart hinein und vermischt sich mit ihr. Das wird sehr gut gezeigt. Das macht nachdenklich. Der Autor überlässt das Spekulieren dem Leser und davon ist nach der Lektüre des Buches lange nicht loszukommen.

Rezension von Heike Rau

Johan Bargum
Septembernovelle
Aus dem Schwedischen von Karl-Ludwig Wetzig
112 Seiten, gebunden
Mareverlag
ISBN-10: 3866481934
ISBN-13: 978-3866481930
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Dave Eggers: Der Circle

Dave Eggers: Der Circle

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Schreckliche Neue Welt!

Die zahlreichen Besprechungen zu dem neuen Roman von Dave Eggers wecken allerlei Fantasien: man meint Szenen von der schönen neuen Welt bei Huxley über George Orwell darin wieder zu erkennen. So habe ich lange mit mir gerungen, ob ich das Buch nun lesen soll oder nicht. Wider Erwarten zeigt Eggers erneut sein Talent, reale Gegenwartsbefindlichkeiten zu einer entsprechenden Geschichte zu verarbeiten. Wir alle kennen Amazon, Microsoft, Google und andere Netzentwickler, um uns vorstellen zu können, was uns in der Zukunft blüht. Auch die neuen Krankenkassenkarten lassen alles erkennen, was über die Gesundheit des einzelnen wissenswert ist.

Amazon berechnet mit schwer zu durchschauenden Algorithmen, welche Bücher aufgrund der bisher gelesenen für uns auch noch in Frage kämen. Man fordert die Rezensenten durch ebenfalls schwer zu durchschauende Methoden zu einem Kampf um das beste Ranking heraus. Bei Google muss man sehr darum kämpfen, auffindbare Details aus dem eigenen Leben löschen zu lassen. Und die NSA tut ihr Übriges, uns den Glauben an die Wahrung von Individualität und Geheimnis zu nehmen.

Alles das erlebt Mae Holland, die Hauptprotagonistin in diesem Thriller, in ihrer neuen Stelle bei dem „Circle“, einer Firma mit Werbeeffekten und Rankingstrukturen. Man bringt Leistungen, die unentwegt nach ihrem „Ranking“ bewertet werden. Das eigene Leben wird transparent, bis rein gar nichts mehr verborgen bleibt. Das lässt sich an Hand weitverbreiteter Kleinstkameras, elektronischer Fingerabdrücke, der unentwegten Überwachung jeder Bewegung und Regung und Ähnlichem erforschen.

Mae ist von naiver Gläubigkeit diesen neuen Technologien gegenüber. Das macht sie verletzlich und angreifbar.
In einer überwältigenden Szene erlebt Mae den Kontrast zu ihrem neuen Leben, als sie eine Kajakfahrt unternimmt und die Schönheiten des Meeres und der Natur um sich herum wahrnimmt. Ihr kommen Zweifel, ob sie wirklich jetzt das richtige Leben lebt. Doch unverdrossen gerät sie in die perfiden Fänge dieser sektenähnlichen Organisation mit Namen „Circle“. Alle Details ihres Lebens müssen zu jeder Stunde und jeder Minute offengelegt werden – und das zahlreicher anderer Menschen dazu! Rundum versorgt doch total den Verpflichtungen dieses „Circle“ unterworfen, gieren die eingeweihten Mitglieder nach Anerkennung und Zustimmung im Internet, dem Medium, dem sich keiner mehr entziehen kann. Da gibt es keine Geheimnisse in den entsprechenden Institutionen mehr und wirtschaftliche Vorhaben so wie militärische Planungen können weitestgehend voraus gesagt werden.

Denkt man beim Lesen zunächst noch an science fiction wird doch bald schon klar, dass wir mitten drin leben in diesen Kontrollmechanismen von allgegenwärtiger körperlicher und geistiger Durchschaubarkeit.

Voller Spannung und mit Gruseln folgt man diesem Bild einer vollkommenen Durchdringung unseres Lebens durch Medien, Behörden, Datenräubern und anderer Erfolgs -und Verkaufstrebern. Wahrlich: man könnte paranoid werden!

Insofern lohnt es sich, mit Mae Holland den Weg zur Erkenntnis zu durchschreiten und möglicherweise Vorkehrungen für sich selber zu treffen, um diesem Zirkus zu entgehen!

Ich war zuletzt gebannt wie selten und bereue nicht, den Roman gelesen zu haben!

Dave Eggers kann schreiben! Und er bleibt wie in allen seinen Büchern immer nahe an der Realität.

Dave Eggers
Der Circle
560 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, August 2014
ISBN-10: 3462046756
ISBN-13: 978-3462046755
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Hila Blum: Der Besuch

Hila Blum: Der Besuch

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Familiengeschichten…

Geschichten israelischer Autoren gehören zu den sensibelsten und geheimnisvollsten, die wir kennen. Hila Blum ist neu im israelischen Literaturgeschehen. Der hier vorliegende Debütroman dürfte für zahlreiche Leser eine willkommene Neuentdeckung sein.

Jerusalem in einem sehr heißen Sommer.

Ein Junge wird vermisst, und Nati und Nili streiten sich über ihre unterschiedlichen Auffassungen, wie und ob man ihn finden wird. Nati ist nüchtern und arrogant, Nili betont optimistisch.

Es sind eingefleischte Verhaltensmuster, mit denen sich die beiden schon lange auf die Nerven gehen. Ihre Töchter sind für eine Woche verreist, und sie sind ganz auf sich selbst bezogen.

Frei assoziiert erlebt man die beiden in ihrem Alltag.

Nati und Nili wohnen schön und scheinen zufrieden. Doch stimmt das so?

Eines späten Abends meldet sich Duclos bei ihnen. Sie haben den französischer Millionäre vor vielen Jahren in Paris bei einer delikaten Begegnung kennengelernt. Überraschende Einblicke in seine Persönlichkeit geben der Geschichte Feuer und Spannung.

Durch den Roman ziehen sich Impressionen und Szenen aus dem Leben der Protagonisten, die sie in verschiedenen Facetten erscheinen lassen, ganz so wie im richtigen Leben. Niemals verlaufen Leben ohne Hochs und Tiefs und ohne Verstimmungen und Erfahrungen, die den einen oder anderen in unterschiedlichem Licht zeigen. Vergangenes vermischt sich mit der Gegenwart.

Frühere Beziehungen und zwei Töchter geben der Familiengeschichte Vielfarbigkeit.

Die Sprache ist feinsinnig, poetisch und Hila Blum beschreibt Situationen treffsicher. Vieles bleibt vage und unausgesprochen.

Man muss hinter die Worte schauen, um zu begreifen, was im Inneren der Protagonisten vor sich geht.

Wir werden zu Betrachtern von Ereignissen, die voller überraschender Wendungen, Geheimnisse, Missverstehen und erneuten Annäherungen sind.

„Ein großer Familienroman aus Israel, eine Autorin, deren Stilgefühl und klarer, kluger Blick verblüffen“ steht im Klappentext. Und in der Tat: es lohnt sich sehr, diese Autorin kennen zu lernen. Sie zeigt das Talent so großartiger israelischer Autoren wie Amos Oz, David Grossman und vieler anderer mehr.

Die erfolgreiche Übersetzerin Mirjam Pressler tut ein Übriges, um den Roman zu einem ausgewiesenen Lesevergnügen zu machen.

Hila Blum
Der Besuch
416 Seiten, gebunden
Berlin Verlag, August 2014
ISBN-10: 3827011949
ISBN-13: 978-3827011947
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