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Kategorie: Belletristik

T. Coraghessan Boyle: San Miguel

T. Coraghessan Boyle: San Miguel

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San Miguel, vor der Küste Kaliforniens gelegen, ist das, was man eine einsame Insel nennt. Überredet von ihrem Ehemann, beginnt Marantha hier im Jahre 1888 mit ihm und ihrer Stieftochter ein neues Leben, in der Hoffnung, es möge ihrer Gesundheit zuträglich sein. Ab und an bessern sich die Symptome der Schwindsucht tatsächlich, aber bald wird klar, dass es auch auf der Insel keine Heilung geben wird. Die Arbeit auf der Farm mit den Schafen ist hart. Das Wetter ist unberechenbar. Es gibt keinerlei Komfort. Die Sehnsucht nach dem Leben in der Stadt wächst ins Unermessliche. Die alltägliche Monotonie und vor allem auch die Einsamkeit machen ihr zu schaffen. Sie erträgt das Leben hier nicht und ihrer Adoptivtochter Edith, die 14 Jahre alt ist, geht es genauso. Doch sie wird viel mehr Zeit auf der Insel verbringen, als ihre Stiefmutter, weil der Stiefvater sie dazu zwingt.

Jahrzehnte später kommt wieder eine Frau auf die Insel. Elise Lester begleitet ihren Mann hierher. Die beiden behalten ihre Liebe und ihr Glück und lassen sich von der schweren Arbeit nicht unterkriegen. Sie genießen die einsamen Momente, die Natur und die Geborgenheit, die sie sich schaffen. Zwei Kinder werden geboren und wachsen auf der Farm auf. Sogar die Presse wird aufmerksam auf die einsam lebende Familie und das mitten in der Weltwirtschaftskrise. Was nach außen hin so idyllisch wirkt, ist das Ergebnis harter Arbeit und der Bereitschaft, Entbehrungen hinzunehmen. Die Jahre kommen und gehen und es wird immer schwerer, das Glück festzuhalten.

Drei Geschichten werden erzählt. Marantha, Edith und Elise stehen jeweils im Mittelpunkt. Für jede bedeutet San Miguel etwas anderes. Für die eine ist es die Hölle, für die andere ein steiniger Weg in ein selbstbestimmte Leben und für die Dritte das wahre Glück. Diese Unterschiede zu sehen, diese verschiedenen Lebensentwürfe, ist sehr spannend. Man nimmt teil am Leben der Frauen, das der Autor auf eine sehr ruhige und melancholische Art schildert. Immer wieder scheint es, als versuche die Insel, ihnen die Hauptrolle streitig zu machen. Glück, selbst wenn man glaubt, es für immer zu haben, scheint doch vergänglich zu sein. Es gibt so vieles, das als gegeben hingenommen werden muss.

Historische Fakten liegen dem Buch zugrunde. Diese hat der Autor aneinander gewoben und mit seiner Fantasie zu einer lebendigen Erzählung aufgefüllt, die berührt.

Rezension von Heike Rau

T. Coraghessan Boyle
San Miguel
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
448 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN-10: 3446243232
ISBN-13: 978-3446243231
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Nina George: Die Mondspielerin

Nina George: Die Mondspielerin

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Dieser Roman der inzwischen zu einigen schriftstellerischen Ehren gelangten Nina George ist bereits 2011 erschienen. In ihm lässt die Autorin bereits die sanften und sinnlichen Töne anklingen, durch die sie im Roman „Das Lavendelzimmer“ berühmt geworden ist. Er besticht durch seine gefühlvolle und besinnliche Art, Dinge und Geschehnisse zu beschreiben, als würde man in die Protagonistin hinein schauen.

Wir befinden uns in Paris an der Seine, in die sich Marianne hineinstürzt, um aus dem Leben zu scheiden. Sie hat es satt, an der Seite ihres Mannes weiterhin das graue Mäuschen zu spielen, sie hat es satt, nicht mehr zu wissen, wo sie im Leben steht, sie mag einfach nicht mehr und will einen Schlussstrich unter ihr Leben ziehen. Doch so leicht wird es der Deutschen nicht gemacht. Sie wird aus dem Fluss gerettet. Enttäuscht darüber dass ihr der gewählte Weg versagt bleibt, schlägt sie einen neuen Weg ein. Ihr Mann zeigt nach wie vor kein großes Interesse an ihr. Er begreift einfach nicht, wie sie sich fühlt. Mariannes neuer Weg führt in die Bretagne. Hier, in einem kleinen Ort, lernt sie viele nette Menschen kennen, die ihr eine zweite Chance zum Leben geben. Marianne lernt französisch sprechen und sie bekommt einen Job in der Küche eines kleinen Restaurants. Sie wird mit viel Wärme und Liebe in die kleine Gemeinschaft der Bretonen aufgenommen. Doch Marianne bleibt hin- und hergerissen zwischen ihrem alten Leben an der Seite ihres Ehemannes und dem neuen, freien Leben an der Seite eines Malers, in den sie sich verliebt, so wie sie bislang noch nie verliebt gewesen war.

Mariannes Gefühle fahren auf der Achterbahn und Nina George lässt den Leser ganz tief eintauchen in die Gefühlswelt der Protagonistin. Das Schwanken zwischen dem alten und dem neuen Leben wird unheimlich nachvollziehbar und authentisch. George hat einerseits einen Blick und ein Ohr für das feinsinnige in den Beziehungen der Menschen untereinander, andererseits ist sie dank ihres handwerklichen Könnens in der Lage, diese Feinsinnigkeit so akkurat in ihre niedergeschriebenen Worte zu legen, dass dem Leser nichts anderes übrig bleibt, als mit allen Sinnen das Geschehen mitzuerleben und die Gefühlswelt der Menschen nachzuempfinden.

Angenehm ist auch der Ausklang des Buches, in welchem in kurzen Abschnitten die Bretagne von A bis Z erläutert wird. Dem einen oder anderen mag dies eine Hilfe sein, im Nachhinein so manche Kleinigkeit im Roman mit anderen Augen zu sehen.

„Die Mondspielerin“ ist ein Entwicklungsroman, bei der eine von Lethargie und Gram gebeugte Frau jenseits der 50 den aufrechten Gang lernt und sich von ihrem bisherigen Leben lossagt und vom Ehemann emanzipiert. Es ist ein großartiger Roman für alle, die Frankreich lieben, die die Bretagne lieben, und die, die nicht auf actionreiche Szenen aus sind, sondern vielmehr auf das Kopfkino, welches sich bei feinfühligen Sätzen, wie die von George, etabliert. Ich komme nicht umhin und muss diesem Roman, genauso wie zuvor schon seinem Nachfolger, die volle Punktzahl geben.

George, Nina
Die Mondspielerin
Taschenbuch
Knaur, München
ISBN-10: 342650135X
ISBN-13: 978-3426501351

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013

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Elizabeth Strout: Das Leben, natürlich

Elizabeth Strout: Das Leben, natürlich

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Familienleben mit krassen Auswüchsen.

Nach ihrem wunderbaren Roman „Mit Blick aufs Meer“, in dem sie ein Kleinstadtmilieu beschrieben hat, liegt endlich der neue Roman von Elizabeth Strout vor.

Sie berichtet dieses Mal über eine Familie in Maine. Im Prolog kündigt die Autorin an über die Burgess-Kinder schreiben zu wollen. Diese sind wie sie selbst aus Maine, und die Geschwister umgibt ein Schleier aus Unglück und Versagen. Shirley Falls ist die kleine Stadt, in der sie leben, in der jeder jeden kennt und in der nichts unbeobachtet bleibt. Bob, Jim und Susan Burgess haben in Maine die Schulbank gedrückt. Die Brüder sind später nach New York gegangen und Anwälte geworden. Jim ist erfolgreich und lebt mit seiner Frau Helen ein äußerlich zufriedenes Leben. Er hat drei wohl geratene Kinder, die alle aus dem Haus sind. Jims Frau versucht ihr gutes Leben vor den Unbilden der beiden anderen Geschwister zu schützen, denn Bob hat es nicht so weit gebracht. Susan, seine Zwillingsschwester, ist wie Bob geschieden und lebt weiterhin in Maine. Ihr einziger Sohn bereitet ihr Kummer und Sorgen.

Elizabeth Strout zeigt ihre gerühmte Kunst, Milieuschilderungen und Einzelschicksale zu verknüpfen. Sie lässt die Geschichte allmählich erst zu einem Ganzen zusammenwachsen, so dass man über weite Strecken nicht sicher weiß, worauf die Geschichte hinausläuft. Rassismus spielt eine hervorstechende Rolle, und Neid und Missgunst säumen den Weg der drei Geschwister unter einander.

Doch schließlich überschlagen sich die Ereignisse, und die Spannung steigt. Familiengeheimnisse werden erkennbar, bei deren Eröffnung der kluge und erfolgreiche Jim an Glanz verliert und der schüchterne und eher gutmütige Bob an Ansehen gewinnt. Als es Jim unerwartet ganz schlecht geht, und er am Leben, an seiner Familie und an seinen eigenen Fehlern zu verzweifeln droht, sagt ihm sein Bruder Bob: „Doch, Du hast eine Familie. Deine Kinder sind wütend auf Dich, Deine Frau hasst Dich, Deine Geschwister machen Dich wahnsinnig und Dein Neffe ist ein Trottel. Das nennt man Familie.“ Zitat WDR: „Treffender und ironischer kann man die vierhundert Seiten dieses großartigen Buches nicht zusammenfassen.“

Bei allen verzweigten Geschichten und Nebengeschichten sind es doch die Burgess-Kinder, die den Fokus der Geschichte ausmachen. Da ist der deutsche Titel zum Roman nicht ganz verständlich, und die direkte Übernahme aus dem Englischen Titel wäre passender gewesen.

Sprachgewandt und vielseitig mit ihren Sujets, in diesem Fall jedoch fast überfrachtet, gehört Elizabeth Strout nach meinem Dafürhalten dennoch zur Elite amerikanischer Erzähltalente.

Elizabeth Strout
Das Leben, natürlich
400 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, September 2013
ISBN-10: 3630873448
ISBN-13: 978-3630873442
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Stefan Moster: Die Frau des Botschafters

Stefan Moster: Die Frau des Botschafters

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Er hat Oda von seinem Boot aus gesehen. Beim ihrem ersten Versuch zu angeln. Und wirft ihr dann einen Fisch auf den Bootssteg. Die Frau des Botschafters nimmt das Geschenk an. Weil der Fischer sie immer wieder mit einem Fang versorgt, passt sie ihn ab und lädt ihn, um sich zu revanchieren, zu einem Empfang ein. Dafür lädt er Oda wiederum zu einer Bootstour ein. Sie bekommt heraus, wo Klaus Koskinen wohnt und ist fasziniert von dem gelb gestrichenen Holzhaus und seinem einfachen und doch zufriedenen Leben. Eine Freundschaft beginnt, sich zu entwickeln.

2000 km muss Oda überwinden, um zu ihrem Sohn nach Deutschland zu kommen, seit sie mit ihrem Mann in der Botschaft in Helsinki wohnt. Felix lebt in einem Heim. Ihn zu Hause zu pflegen, lässt seine Behinderung nicht zu. Als der Junge dann auch noch zu erblinden droht, beschließt sie, ihm noch etwas zu zeigen. In Klaus findet sie jemanden, der sie unterstützt.

Der Autor lässt die Geschichte von einem Bibliothekar erzählen. Er fungiert als Bindeglied zwischen den Figuren. Insbesondere Oda liegt ihm am Herzen, auch wenn seine Gefühle nicht erwidert werden. Vielleicht ist er dadurch voreingenommen, vielleicht auch nicht.

Oda hat ihren Job aufgegeben, um an der Seite ihres Mannes zu sein. Er entwickelt sich weiter, während sie auf der Stelle tritt. Sie erfüllt die Aufgaben, die sich für sie als Frau des Botschafters ergeben. Doch immer mehr wird sie von Langeweile erfüllt. Es ist sicher kein Ausbruchsversuch, den sie startet. Dazu ist Oda nicht spontan genug, aber ein bisschen eigenes Leben, versucht sie sich zurückzuerobern und das wieder in den Vordergrund zu rücken, was ihr persönlich wichtig ist. Und hier bindet sie ihren Sohn und den neu gewonnenen Freund mit ein.

Es ist ein Buch, das nachdenklich stimmt, weil es sehr gekonnt vielen Fragen nachgeht, die bewegen. Es geht um Werte im Leben, um die Entwicklung der Persönlichkeit, um die Bedeutung von Freundschaft und Liebe.

Rezension von Heike Rau

Stefan Moster
Die Frau des Botschafters
320 Seiten, gebunden
Mareverlag, Hamburg
ISBN-10: 3866481705
ISBN-13: 978-3866481701
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John Williams: Stoner

John Williams: Stoner

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Die Geschichte von einem einsamen Mann.

Stoner ist der eigenwillige Sohn eines armen Farmerehepaars aus Missouri.
Arm geboren und aufgewachsen und gewöhnt an harte Arbeit verschlägt es den aufgeweckten Jungen an die Columbia Universität Missouri.
Er kam mit dem Anliegen, Agrarwissenschaften zu studieren, doch erlebt er in der Literatur seine eigentliche Offenbarung. Geschätzt und gefördert von einem seiner Professoren bringt er es nach vier Jahren zum Literaturdozenten und folgt seiner eigentlichen Berufung. Im Klappentext heißt es: der Roman handelt „von der Liebe und von der Liebe zur Poesie und zur Literatur“.

In der Tat ist Stoner ein begeisterter Literaturprofessor, dessen ganze Leidenschaft seiner Wissenschaft gehört. Doch sein Leben wird auch von zahlreichen Missgeschicken mit bestimmt.
Da ist zum einen seine Ehe mit Edith, die sich als kalt, oberflächlich und lieblos entpuppt. Später sind es die Missgunst und Intrigen an der Universität, die ihm das Leben versauern. Gute Freunde aber hat er auch.

Die Handlung schreitet flott voran. Zielstrebig und knapp erzählt John Williams die Geschichte vom Leben seines Helden, das sich über fast fünfzig Jahre erstreckt.

1914 melden sich Freunde von ihm zum Militär und zur Teilnahme am ersten Weltkrieg, wo er einen seiner guten Freunde verliert.

Die Erzählung wirkt in ihrer Diktion klar und entschlossen, so wie der Held der Geschichte entschlossen ist, sein Glück zu machen  Er fällt gar nicht besonders auf oder besitzt etwa ein besonderes Charisma. Allzu schnell hält er um die Hand der hübschen Edith an.
Dass sie nicht die Richtige für ihn ist, wird mit kurzen und unumstößlichen Sätzen deutlich. Edith wünscht sich ein Kind, für das sie sich dann aber wenig zu interessieren scheint. Der Tochter Grace gilt die ganze Liebe ihres Vaters, bis Edith neben zahlreichen anderen Gemeinheiten auch diese Beziehung zu unterlaufen versteht.

Das Leben von Stoner, der so zuversichtlich Karriere als Literaturprofessor macht, bleibt auf lange Strecken ein Fiasko. Er ist ein Mensch, mit dem man intensiv mit fühlt. Es sind die Konkurrenten an der Universität, denen er ebenso hilflos ausgesetzt ist wie den Widrigkeiten mit seiner eigenen Frau. Dass man so intensiv an seinem Geschick und seinen Niederlagen teilnimmt, lässt darauf schließen, dass in jedem Leben zuweilen Mißerfolge und Kränkungen zu verkraften sind. Hierzu nochmals ein Zitat aus dem Klappentext: “Es ist ein Roman darüber, was es heißt, ein Mensch zu sein“.

Man kann sich dem Sog dieser Geschichte kaum entziehen und folgt atemlos ihrem Fortgang.

John Williams ist erst heute wieder entdeckt worden, nachdem sein 1967 erstmals veröffentlichter Roman lange Jahre in Vergessenheit geraten war. Ein wahres Glück für den Leser!

John Williams
Stoner
352 Seiten, gebunden
Deutscher Taschenbuch Verlag, September 2013
ISBN-10: 3423280158
ISBN-13: 978-3423280150
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Thomas C. Boyle: San Miguel

Thomas C. Boyle: San Miguel

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Der amerikanische Bestsellerautor T. C. Boyle hat sich mit diesem Roman der Geschichte zweier Familien angenommen, die auf der kleinen Pazifikinsel San Miguel vor der kalifornischen Küste lebten. Aufmerksam geworden auf diese Geschichte ist er während seiner Recherchen zu dem vorhergehenden Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“. Mit den beiden nacherzählten Familiengeschichten, die in unterschiedlichen Epochen spielen, die erste im 19. Jahrhundert und die zweite 50 Jahre später im 20. Jahrhundert, nimmt sich Boyle dem Phänomen des immer weiter nach Westen strebenden Pioniers an. Wir finden den über 400 Seiten starken Roman in drei Teile untergliedert vor. Die ersten beiden Teile, die um 1880 spielen, sind der Familie Waters gewidmet. Der dritte Teil rückt dann in die Zeit ab 1930 vor, ragt bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein und erzählt die Geschichte der Familie Lester. Die kleine Kanalinsel, auf die die beiden Familien ziehen, ist geprägt von kargem Land. Kaum Vegetation ist lediglich Schafzucht in diesem minimalistischen Lebensraum möglich. Der Autor stellt zu Recht die Frage, was bewegte diese Menschen, auf diese Insel zu ziehen. Während Marantha Waters und ihre Tochter Edith nur dem Ruf von Maranthas Ehemann folgen und das Gefühl haben, auf der Insel wie in einem Gefängnis zu leben, geht Elise Lester mit ihrem Mann aus freien Stücken auf die Insel und lebt sehr gerne auf dieser Insel.

Beide Familien haben tatsächlich existiert und es liegen Dokumente über deren Leben auf der Insel vor. Das besondere Verdienst Boyles ist es, die real existierenden Familien in eine fiktive Handlung eingebettet zu haben, um sie plastischer vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen zu lassen. Erst durch die Handlungen und Dialoge, wie sie nur in einem fiktiven Roman, zudem von einem wortgewandten Schriftsteller wie T. C. Boyle und seinem präzise und ebenso wortgewandten Übersetzer Dirk van Gunsteren machen die Verhältnisse und das Leben auf dieser Insel spürbar. Auch die Herausarbeitung von Figuren, wie sie vom Schriftsteller bezeichnet werden, sind nur in einer fiktiven Geschichte möglich. Dies macht die Charakterstudien der beiden Familien äußerst lesenswert.

Wer mit dem Roman jedoch ein spannendes Abenteuer wie „Drop City“ oder „Amerika“ erwartet, der wird enttäuscht werden. Harte Auseinandersetzungen und Konflikte zwischen zwei Menschengruppen stehen nicht im Vordergrund. Wohl aber eben solch harte Konflikte zwischen den Bewohnern dieser Insel und den Naturgewalten. Diese brechen herein in Form von Stürmen, in Form des Zweiten Weltkrieges, in Form von Krankheiten. Mit San Miguel kann man sich einlassen auf einen eine historische Fiktion. Es besticht durch die vom Autor gewohnten präzisen Charakterstudien und detailreichen Beschreibungen der Landschaft, die Heimat des Inselfuchses ist, der nur auf dieser und fünf anderen kleinen Kanalinsel lebt.

Obwohl das Leben auf dieser Insel einem Abenteuer gleicht, ist der Roman kein Abenteuerbuch und man muss sich auf den Inhalt einlassen. Nichtsdestotrotz ist es hervorragend geschrieben und hat meine volle Punktzahl verdient. Ich freue mich auf ein Treffen mit dem Autor, wenn er in den nächsten Wochen durch Deutschland lesetourt.

Boyle, Thomas Coraghessan
San Miguel
Hanser, München
ISBN 9783446243231

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013
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Uwe Timm: Vogelweide

Uwe Timm: Vogelweide

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Von Liebe, Begehren und ihrem Vergehen.

Auf einer einsamen Insel in der Elbmündung lebt für einige Monate der Vogelkundler Eschenbach. Was hat ihn hier her getrieben? Nur seltene Besucher kreuzen zuweilen auf, darunter Freunde und Freundinnen aus seinem vergangenen Berufs- und Gesellschaftsleben in Berlin. In assoziativen Motiven hält der Erzähler Rückschau auf sein Leben, das von zahlreichen Höhen und Tiefen gekennzeichnet war. Da findet man sich bei Galeristen, auf Partys und in Restaurants wieder, wo man zu seinen „besseren“ Zeit ein- und ausging. Er hatte zusammen mit seinem Freund Fred ein gut gehendes Unternehmen, das den Zeitläufen am Ende nicht standhalten konnte und Pleite ging. Es blieb auch nicht aus, dass sich in ihren Kreisen Amouren entwickelten, Ehen zerbrachen und zusammen mit diesen Hoffnungs- und Zukunftsträume zerfielen. Der ehemalige IT Fachmann Eschenbach, das schöne Ehepaar Ewald und Anna und Eschenbachs ehemalige Freundin Selma sind die Protagonisten, deren Geschicke hier abgehandelt werden. In langen und teilweise schwerblütigen Betrachtungen ergeht sich Eschenbach in seinen Erinnerungen. Er ist nun alt, und Leidenschaften und die Liebe sind Geschichte. Doch die Geister der Vergangenheit holen ihn ab und zu mit allen damit verbundenen Gefühlen ein, um dann langsam zu verlöschen.

Melancholisch und versonnen ist auch der Abschiedsbesuch von Anna auf der einsamen Insel bei Eschenbach. Jugendliches Begehren brachte früher ihre Lebensläufe durcheinander. Heute ist das vorbei, und die beiden können gelöst über ihr vergangenes Leben sinnieren. Man geht den Stimmungen der Natur nach, spürt den Wind und hört das Vogelgezwitscher. Uwe Timm gibt den sich wandelnden Gefühlen mit seiner Stimme einen eigenen Klang zwischen Trauer, Resignation und Versöhnung.

Uwe Timm ist der Meister der leisen Töne, die er auch in seinem neuen Roman anklingen lässt. Mit Reflexionen ganz eigener Art geht er den Lebensspuren seiner Hauptfiguren nach. Zuweilen wirken die Geschichten verträumt, abgeklärt und schon fast verarbeitet in ihrer jeweiligen Problematik.

Unnachahmlich fein und sensibel ist die Sprache, mit der Uwe Timm uns am Wandel der Zeiten teilnehmen lässt. Er ist einer der großen deutschen Erzähler, auf dessen neue Romane man neugierig wartet.

Uwe Timm
Vogelweide
336 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, August 2013
ISBN-10: 3462045717
ISBN-13: 978-3462045710
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Peter Stamm: Nacht ist der Tag

Peter Stamm: Nacht ist der Tag

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Spuren der Erschütterung und des Neubeginns.

Gillian erwacht auf einer Krankenstation und hat nur vage Vorstellungen davon, was mit ihr passiert ist. Nach und nach erst kehren die Ereignisse zurück, die sie hier her geführt haben.

Sie ist eine schöne und erfolgreiche Fernsehmoderatorin. Matthias, ihr Mann, ist ebenfalls im Kulturwesen tätig.

Was hat zu dem Autounfall geführt, der Matthias das Leben kostete und Gillian die Schönheit?

In langen Phasen der Erinnerungen bildet sich das Leben eines Paares heraus, das nach einigen Ehejahren in gegenseitigem Missverstehen und kleinlichen Streitereien lebte. Eifersucht und Überdruss haben sie einander entfremdet. So blieb es nicht aus, das Gillian ganz neugierig auf den Malerfotografen Hubert blickt. Dieser pflegt Aktporträts nach Fotografien zu fertigen. Auch Gillian konnte der Versuchung nicht widerstehen, seinen künstlerischen Bestrebungen mit Fotos ihrer Person zu dienen, die zu den Irritationen in ihrer Ehe beitrugen.

Peter Stamm erzählt subtil und nähert sich seinem Sujet still und schleichend. Neugierig folgt der Leser den Andeutungen, aus denen sich das Schicksal der beiden Hauptprotagonisten heraus kristallisiert. Er sucht gleichsam Spuren, mit denen er die Lebenswege seiner Protagonisten erforscht.

Auf diese Weise entsteht gewissermaßen eine Symbiose zwischen dem Autor und seinem Werk, die auch den Leser mit einschließt. Wenn auch jedes Schicksal seine eigene Dynamik aufweist, so erkennt man gelegentlich in groben Zügen wieder, was sich alltäglich im Leben von Paaren, die langsam in die Jahre kommen, abspielt. Ewige Harmonie und Dauerglück gibt es nicht. Dass Lebensschicksale aber plötzlich aus dem Ruder laufen, und der eine von zweien ohne Klärung von Missverständnissen zurück bleibt, ist nicht die Regel. Endet eine Beziehung auf diese Weise, hat es der übrig Geblieben besonders schwer. Gillian trägt ihr Schicksal und versucht, wieder in die Bahn zu kommen. Es ist ein langer Weg, den sie beschreiten muss!

Der erste Teil der Erzählung scheint mir gelungen. Im zweiten Teil zeigen sich für meine Begriffe Ermüdungserscheinungen, die auf lange Sicht der Geschichte die Stringens raubt, die den Beginn der Erzählung auszeichnet.

Der neue Roman von Peter Stamm ist dennoch eine interessante Lektüre.

Peter Stamm
Nacht ist der Tag
256 Seiten, gebunden
S. FISCHER, Juli 2013
ISBN-10: 3100751345
ISBN-13: 978-3100751348
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Hans Pleschinski: Königsallee

Hans Pleschinski: Königsallee

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Lebensbilder aus einer fernen Vergangenheit.

Mit prickelnder Eleganz beschreibt Hans Pleschinski das Wiedersehen alter Freunde  in dem großbürgerlichen Hotel Breidenbacher Hof in Düsseldorf. Hier treffen die Künstler Thomas Mann und Hans Heuser im Jahr 1954 zusammen. Das Leben in Deutschland beginnt sich gerade neu zu konstituieren, denn überall sind die Überreste des verheerenden Zweiten Weltkriegs noch zu sehen.

Das erste Zusammentreffen der beiden Künstler datiert aus dem Jahr 1927, als Thomas Mann hingerissen von dem schönen jungen Mann seine Augen nicht von ihm lassen konnte. In dem  Roman „Der junge Joseph“ hat Thomas Mann ihm ein Denkmal gesetzt. Doch wie wird das heutige Treffen verlaufen?

Klaus und Erika Mann, Katia und die berühmte Familie bestimmen den Erzählteil, in dem es auch um die Nachkriegsjahre geht und das Leben der Menschen, die einen Neuanfang wagen. Erika ist eifrig bemüht, das Zusammentreffen des ehemaligen Jünglings Klaus Heuser mit ihrem Vater zu verhindern.

In einem recht trockenen Stil wird hier das Nachkriegsleben noch einmal herbei gezaubert. Golo Mann, der Dichter George und zahlreiche Zeitgenossen spielen eine Rolle beim Eintauchen in die Atmosphäre des Jahres 1954.

Hans Pleschinski bevorzugt eine Erzählweise, die zwischen Traum und Wirklichkeit und zwischen Fiktion und realen Begebenheiten pendelt. Man muss sich einlesen, um zu begreifen, dass hier ein berühmter Dichter, Nobelpreiträger dazu, in das Deutschland heimkehrt, aus dem er einst verjagt wurde. Er will aus seinem Roman „Felix Krull“ lesen, doch der betagte Schriftsteller hat Stimmprobleme. Erika wundert sich über die zeitgleiche Anwesenheit des ehemaligen Liebesobjekts ihres Vaters Heuser im selben Hotel hier und heute. Was will er hier in Deutschland? Heuser ist mit seinem farbigen Freund, Anwar, einem Indonesier, unterwegs. Als Erika ihn begrüßt, meint man ihre rauchige, heisere Stimme zu hören. Sie spielt auf die Vergangenheit an: ihren Aufbruch mit Bruder Klaus nach Amerika. Klaus ist ja längst tot, gestorben an Lebensüberdruss und einer Sucht, von der er nicht lassen konnte. So begegnen einem Streiflichter aus dem Leben aller Protagonisten, teils dem echten Leben entlehnt, und teils der phantasievollen Ausmalung des Autors zu verdanken.

Man liest das Buch mit Vergnügen und Interesse.

Hans Pleschinski
Königsallee
393 Seiten, gebunden
Beck, Juli 2013
ISBN-10: 3406653871
ISBN-13: 978-3406653872
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Johanna Marthens: London Calling – Der lange Weg zum Ruhm

Johanna Marthens: London Calling – Der lange Weg zum Ruhm

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Susanne Pagels, genannt Suzie, hatte bereits als Kind den Bolzplatz geliebt. Sie wollte nie etwas anderes machen, als Fußball zu spielen. Da wundert es nicht, dass sie nach wie vor engagiert im Frauenfußball ist. Sie spielt beim 2. FFC Turbine Potsdam. Die Fußballwelt, besonders die des Frauenfußballs, ist ihr Leben. Ihr größter Wunsch ist es, in der Frauenfußballnationalmannschaft zu spielen. Sie kennt bereits viele Spielerinnen aus der Nationalmannschaft, weil sie mit diesen gelegentlich zusammen trainiert und sozusagen als Sparringspartner mit ihnen Fußball spielt. Doch dann passiert ein Unglück. Die Nationalspielerin Tanja Klemme fällt wegen Krankheit aus. Es sind nur noch wenige Wochen bis zu den Olympischen Spielen. Tanja Klemme wird bis dahin nicht wieder fit sein. Doch es ist genau diese Fußballerin, die Suzie als Ersatz für sich bei der Fußballbundestrainerin Silvana Gier empfiehlt. Die Bundestrainerin macht sich schlau, spricht mit Suzies Trainer bei Turbine Potsdam und schaut sich einige Videos zum spielerischen Können von Suzie an. Suzie erhält tatsächlich die einmalige Chance, bei den Olympischen Spielen in Großbritannien im Team der Frauenfußballnationalmannschaft dabei zu sein. Suzie kann es nicht glauben, dass ihr so viel Glück widerfährt. Obwohl es auf den Unglück einer anderen Spielerin passiert. Aber die Olympischen Spiele werden alles andere als ein schönes Urlaubserlebnis für Suzie. Ihr spielerisches Können steht außer Frage, doch lastet ein ungemeiner Druck auf ihr. Sie möchte es allen beweisen. War sie bei Turbine Potsdam der Star, so ist sie in der Nationalmannschaft ein unbeschriebenes Blatt, selbst wenn einige Spielerinnen sie bereits kennen.

Der Autorin ist es hervorragend gelungen, den Weg in die Nationalmannschaft auf spannende und unterhaltsame Weise zu beschreiben. Im Roman wird mit vielen Höhepunkten und Rückschlägen gearbeitet, so wie es einer Nationalmannschaft bei einem solch großen Wettbewerb passieren kann. Bei einer Weltmeisterschaft oder bei den Olympischen Spielen ist das erringen der Meisterschaft nicht einfach ein bequemer Durchgang. Der Weg ist steinig und eine Mannschaft muss mit vielen Unwägbarkeiten rechnen. Diese Unwägbarkeiten wurden hervorragend als Spannungsmomente in die Handlung eingearbeitet. Der Leser fiebert nicht nur mit Suzie mit, sondern er fiebert auch mit der Mannschaft um den Titel des Olympiasiegers mit. Höchst emotional werden von Johanna Marthens viele Momente auf dem Weg in die vollwertige Mitgliedschaft der Nationalmannschaft beschrieben. Sehr authentisch werden Spielstrategien, Taktiken, Presseinterviews und Pressestatements an den Leser überbracht. Der hat zwangsläufig den Eindruck, die Autorin dieses Romans wisse ganz genau, wovon sie erzählt. Ein kleines Schmunzeln kann sich über das Gesicht des Lesers ausbreiten, wenn er den einen oder anderen Namen, der im Roman handelnden Figuren, liest. Ob es sich dabei nun um die fiktive Topspielerin Birgit Prinzen oder den fiktiven Fernsehmoderator Josef Clay Gerner handelt, der Leser weiß, wer gemeint ist.

Ein Roman, der definitiv für Fußballfans gemacht wurde, aufgrund seiner spannenden Unterhaltung aber nicht nur für diese Zielgruppe. Vielleicht mögen sich viele weibliche Leserinnen besonders angesprochen fühlen, aber dem muss nicht unbedingt so sein. Die passende Sommerlektüre, zumal unsere Damen momentan doch wieder spielen. Mir hat die Lektüre außerordentlich viel Spaß gemacht. Ich vergebe dafür fast alle Punkte.

Marthens, Johanna
London Calling – Der lange Weg zum Ruhm
Ebook
Netnovela Verlag
ASIN: B00BXP5W6I

© Detlef Knut, Düsseldorf 2013

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