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Kategorie: Belletristik

Mary Hooper: Aschenblüten

Mary Hooper: Aschenblüten

England im Jahre 1666. Hannah und ihre Schwester Sarah haben es aus London heraus geschafft. Bei ihnen ist die kleine Grace, die zu ihrer Tante nach Dorchester gebracht werden soll. Auch Hannah und Sarah hoffen, hier Aufnahme zu finden. Doch Lady Jane Cartmel fürchtet, dass Hannah, Sarah und das Baby sich möglicherweise in London mit der Pest infiziert haben könnten.
Erst nach vier Wochen Quarantäne im Pesthaus kommt Grace in ihr neues Zuhause und auch Hanna und Sarah werden aufgenommen, wenigstens so lange, bis die Pest in London besiegt ist und sie es wagen können, zurückzureisen. Mehrere Monate später ist es endlich sicher genug. Hannah und Sarah machen sich auf den Weg, wollen jedoch unterwegs einen Abstecher nach Chertsey machen, um ihre Familie zu besuchen. Unterwegs treffen sie den ausgeraubten Giles Copperly und bieten ihre Hilfe an. Eine schicksalhafte Begegnung. Sarah verliebt sich und will nun nicht weiter mit nach London reisen, sondern in Chertsey bleiben. So nimmt Hannah ihre Schwester Anne mit, um die kleine Zuckerbäckerei wieder zu eröffnen. Leider muss sie erfahren, dass ihr Liebster Tom der Pest zum Opfer gefallen ist. Eine Zeit der Trauer beginnt. Dennoch leben Sarah und Anne sich nach und nach wieder ein und arbeiten hart, um ihr kleines Geschäft wieder zum Laufen zu bringen. Um sich aufzuheitern, gehen sie ins Theater. Bei einer Vorstellung glaubt Sarah plötzlich, Tom erkannt zu haben. Doch der junge Mann verschwindet durch die Hand des Zauberers auf Nimmerwiedersehen. Kann es sein, dass Tom doch überlebt hat?

Nachdem die Pest überstanden ist, kündigt sich in London schon die nächste Katastrophe an. Am 2. September 1666 bricht ein Großfeuer aus. Etwa 15.000 Häuser sollen abgebrannt sein. Zu den Todesopfern gibt es nur Schätzungen.
Vor dieser Kulisse spielt die Geschichte, die spannend und dramatisch zugleich ist. Wieder spielt die Liebe eine Rolle, diesmal auch für Sarah.
Die Autorin schreibt sehr fesselnd und mit viel Sinn für Details. Interessant in diesem Zusammenhang sind beispielsweise die Schilderungen vom Bartholomäus-Jahrmarkt mit seinen skurrilen Attraktionen. Die Autorin beweist viel Sinn für geschichtliche Details. Auch der Aberglaube der Menschen spielt eine große Rolle. Nicht unerwähnt bleiben sollte die romantische Ausstattung des Buches mit Rosen-Vignetten und sehr schönem Cover.
Im Anhang befinden sich Anmerkungen zum Londoner Feuer und ein hilfreiches Glossar.

Kleiner Tipp: Eine Rezension zu „Die Schwester der Zuckermacherin“ findet sich ebenfalls in unserem Rezensionspool. Zu finden ganz einfach über die Suche oben auf der Seite.

Über die Autorin:
Mary Hooper begann zu schreiben, als ihre Kinder noch klein waren. Seitdem sind zahlreiche Kurzgeschichten und über 30 Kinder- und Jugendbücher erschienen. Mary Hooper gibt auch Kurse in Kreativem Schreiben. 2001 wurde sie für das Jugendbuch „Megan“ mit dem North East Book Award ausgezeichnet. Die Autorin lebt in Hampshire, England.

Rezension von Heike Rau

Mary Hooper
Aschenblüten
Aus dem Englischen von Bettina Bach
286 Seiten, gebunden
Bloomsbury Kinder & Jugendbücher
ISBN: 3-8270-5045-6
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Tim Parks: Weißes Wasser

Tim Parks: Weißes Wasser

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Mehrere Leute, Jugendliche und Erwachsene, treffen sich in den italienischen Alpen. Die Kajakfahrer wollen unter Anleitung von Clive und seiner Freundin Michaela, die gerade zurück sind von einer Antiglobalisierungs-Demo in Mailand, neue Erfahrungen sammeln und aufregende Abenteuer erleben. Doch jeder der Teilnehmer schleppt auch seine persönlichen Probleme mit an den Fluss. Zum Beispiel Vince, Bankdirektor, dessen Leben nach dem Tod seiner Frau durcheinander geraten ist. Er ist im Moment eigentlich gar nicht gemeinschaftstauglich. Doch mit der zu erwartenden körperlichen Anstrengung will er Kummer und Schmerz vertreiben. Auftretende Probleme zwingen ihn, sich mit den anderen Kajakfahrern auseinanderzusetzen.
Clive hat es sich zur Aufgabe gemacht, seinen Kursteilnehmern, Respekt vor der Natur zu vermitteln. Doch was wirklich in seinem Kopf vorgeht, was er vorhat, und vor allem, wie weit er für seine Überzeugung gehen würde, durchschaut niemand.

Sechs Erwachsene und neun Jugendliche, die muss man erst mal auseinanderhalten. Doch kristallisieren sich als Hauptpersonen bald Clive, Vince und Michaela heraus. Zusammenhalt ist ein Muss bei diesem Sport. Jeder ist vom anderen anhängig, ob er will oder nicht. Kajakfahren ist gefährlich. Eine Woche Wildwasserfahren scheint gut geeignet, um durch Konzentration aufs Wesentliche, Probleme zu vergessen. Tatsächlich werden aber unter der Oberfläche ruhende Sorgen mit aller Macht hoch getrieben. Und durch den Gruppenzwang werden zusätzlich Konflikte provoziert. Das wirkt beängstigend. Zumal besonders von Clive, dem charismatischen Leiter der Gruppe, eine nicht abzuschätzende Gefahr ausgeht. Es lässt sich schlecht einschätzen, was wirklich in seinem Kopf vorgeht.
Der Autor schreibt sehr rastlos. Lässt sich keine Zeit für Zeichensetzung bei wörtlicher Rede oder bessere Strukturierung durch Absätze. Das Gelesene beunruhigt unterschwellig. Immer hat man das Gefühl, es passiert gleich etwas, gleich kommt es zur Katastrophe.
Das Ende lässt den Leser dann ratlos und nachdenklich, aber mit einer nicht ganz neuen Lebensweisheit zurück. Das Leben ist wie ein Wildwasserfluss – gefährlich und voller Tücken.

Über den Autor:
Tim Parks wurde 1954 in Manchester geboren. Er studierte in Cambridge und Harvard. Der mit seiner Familie in Verona lebende Autor gewann zahlreiche Literaturpreise.

Rezension von Heike Rau

Tim Parks
Weißes Wasser
Aus dem Englischen von Ulrike Becker
271 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann, München
ISBN: 3-88897-382-1

Lukas Hartmann: Die Deutsche im Dorf

Lukas Hartmann: Die Deutsche im Dorf

Es ist das Jahr 1967 als eine Fremde im kleinen Dörfchen Tannwiler im Emmental ankommt. Eine Deutsche, genau wie die Witwe Stucki, bei der sie von nun an wohnen wird. Den drei Jungen Simon, Christian und Otto kommt sie von Anfang an unheimlich vor. Es ist schnell klar, dass diese seltsame Alte irgendetwas zu verbergen hat. Die Kinder ergehen sich in wilden Spekulationen. Ihre Beobachtungen geben ihnen Anlass zu der Vermutung, die Görres sei gar keine Frau, sondern ein verkleideter Mann. Christian glaubt gar in Görres Hitler wiedererkannt zu haben, über den die Jungen gerade einen Dokumentarfilm gesehen haben. Der Gedanke lässt sie nicht wieder los. Simon, Christian und Otto wollen die wahre Identität der Görres um jeden Preis aufklären. Ihr Jagdeifer lässt sich nicht mehr bremsen, ihre Wahrnehmung verschiebt sich. Mit unglaublichen Mitteln treiben die Jungen die alte Frau immer weiter in die Enge, bis es schließlich zur Katastrophe kommt.

Die unglaubliche Geschichte wird aus der Perspektive Simons erzählt. Er erinnert sich als Erwachsener an die Geschehnisse von damals, als er noch ein halbes Kind war. Schon von der ersten Seite an wird der Leser gefesselt. Fasziniert spürt man das Unfassbare nahen, weiß vom Klappentext, dass die Geschichte nicht gut ausgehen wird. Mit Spannung verfolgt man, wie die drei Jungen, zwischen denen eine seltsame Verbundenheit herrscht, immer mehr aus einem Hirngespinst heraus, folgenschwere Fehler begehen. Wie vernagelt halten sie an ihrem Plan fest, blenden aus, was sie nicht hören und sehen wollen. Sie finden keinen Weg zurück in ein normales Alltagsleben. Und aufgehalten werden sie auch nicht. Die Erwachsenen mit ihrer Einstellung schüren eher noch die Neugier der Kinder. Doch niemals würde man diesen bis dahin unauffälligen Kindern so etwas zutrauen. Und auch die Jungen selbst, sind zuletzt überrascht von ihrem Tun, hatten sie sich doch „nur“ ein Abenteuer erhofft und etwas mehr Spannung im Alltag. Helden wollten sie werden.
Der Autor schreibt mit unglaublicher Intensität und großer Ernsthaftigkeit, gewährt tiefe Einblicke in die Psyche der Kinder und ihr Verhalten in der kleinen Gruppe. Er überlässt es jedoch dem Leser, zu urteilen. „Die Deutsche im Dorf“ ist ein Buch, das hängen bleibt, das man nicht einfach nach dem Lesen ins Regal stellen kann, so packend, ergreifend und vor allem beunruhigend ist die Geschichte.

Über den Autor:
Lukas Hartmann ist Jahrgang 1944. Er studierte Germanistik, Psychologie und Musik, ist Schriftsteller, Journalist und Medienberater und wurde für seine Bücher vielfach ausgezeichnet. Lukas Hartmann lebt in der Nähe von Bern.

Rezension von Heike Rau

Lukas Hartmann
Die Deutsche im Dorf
302 Seiten, gebunden
Nagel & Kimche
ISBN: 3-312-00350-4
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Claudia Wolff: Letzte Szenen mit den Eltern

Claudia Wolff: Letzte Szenen mit den Eltern

Das hat man nun vom gesunden Leben, von frisch gepressten Säften und Vollkornbrot. Dazu der Verzicht auf Alkohol und Zigaretten. Das Leben wird endlos und Alterskrankheiten schlagen zu.
Bis vor drei Jahren war das Gedächtnis der Mutter noch in Ordnung. Dann starb der Vater und mit der Mutter ging es bergab.
Die Mutter vergisst so vieles, verliert die Orientierung. Die Mutter ist längst im Heim. Das Haus, das Elterhaus, wird nicht verkauft. Die Tochter kann es nicht, ein Verkauf ist für sie zu entgültig. Noch ist die Hoffnung nicht ganz dahin, dass alles noch mal besser wird. Die Mutter muss nur wollen, sich ein klein wenig anstrengen. Aber es wird nichts besser, im Gegenteil.
Die Wandlung des Vaters vor seinem Tod ist unfassbar für die Tochter. Und nun schlägt die Hilflosigkeit erneut zu, denn auch die Krankheit der Mutter lässt sich nicht aufhalten.

Geschrieben ist das Buch in einer sehr eindringlichen Sprache. So wird die Verzweiflung der Tochter, die selbst alt ist, für den Leser begreifbar und nachvollziehbar. Auch mit Vernunft bekommt die Tochter ihre Gefühle kaum in den Griff. Und dennoch verändert sie während des langsamen Abschiednehmens ihre Einstellung zu ihrer Mutter, zum Leben und zum Tod und sie kommt mit sich selbst so weit es geht in Reine. Sie lernt ein Stück weit hinzunehmen, was sich nicht ändern lässt. Das Buch löst Betroffenheit und Traurigkeit aus. Die durchweg bewegenden Kapitel regen den Leser an über sich selbst und seine Auffassungen und Denkweisen zum Alter nachzudenken.

Über die Autorin:
Claudia Wolff ist Jahrgang 1941. Sie studierte Literaturwissenschaft und Philosophie. Seitdem ist sie freie Autorin und schreibt vorwiegend Radiostücke, wie Features, Essays, Kommentare und Glossen für den WDR und andere Sender der ARD. Die in Heidelberg lebende Autorin ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg.

Rezension von Heike Rau

Claudia Wolff
Letzte Szenen mit den Eltern
142 Seiten, gebunden
Kunstmann Verlag, München
ISBN: 3-88897-352-X
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Mary Hooper: Die Schwester der Zuckermacherin

Mary Hooper: Die Schwester der Zuckermacherin

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Endlich ist der ersehnte Brief da. Hannah, die bisher in einem Dorf gelebt hat, wird von ihrer Schwester, der Zuckerbäckerin, nach London gerufen. Voller Vorfreude und gespannt auf die große Stadt, macht Hannah sich auf die Reise.
Doch in London ist die Pest ausgebrochen. Noch berührt die Seuche Hannah und ihre Schwester Sarah nicht. Zusammen stellen sie köstliches Zuckerwerk her: Miniaturfrüchte aus Marzipan, kandierte Veilchen und Zuckermandeln.
Hannah lernt den Apothekerlehrling Tom kennen und verliebt sich. Das Glück ist trügerisch. Immer mehr Menschen sterben. Noch scheint die Pest in einiger Entfernung zu wüten, doch täglich rückt sie näher. In der Nachbarschaft sterben die ersten Leute. Die Pest ist unaufhaltsam.

Der Leser wird in eine Zeit versetzt, in der in London die Pest wütete und der Tod allgegenwärtig wurde. Hannah ist eine Träumerin, doch sie kommt nicht umhin, die Gefahr zur Kenntnis zu nehmen. Auch sie wird von der Angst erfasst.
Dargestellt wird, wie die Menschen damals lebten, wie sie mit der Pest umgingen, was sie über die Krankheit zu wissen glaubten. Den größten Schrecken brachte eine wöchentliche Liste mit sich. Hier wurde die Zahl der Todesopfer genannt und das wahre Ausmaß deutlich.
Das Buch ist spannend geschrieben und fesselt. Hat man einmal angefangen zu lesen, kann man es nicht mehr aus der Hand legen.
Interessant ist auch das Glossar mit wichtigen Begriffserklärungen. Dazu kommt ein Anmerkungsteil. Hier werden historische Tatsachen der Pest, die im Jahr 1665 in London wütete, zusammengefasst. Es wird auch darüber informiert, was inzwischen über die Pest bekannt ist, beispielsweise wie sie übertragen wurde.
Ein empfehlenswertes Buch für Leser ab 12, die sich für historische Romane interessieren.

Über die Autorin:
Mary Hooper begann zu schreiben, als ihre Kinder noch klein waren. Seitdem sind zahlreiche Kurzgeschichten und über 30 Kinder- und Jugendbücher verfasst. Mary Hooper gibt auch Kurse in Kreativem Schreiben. 2001 wurde sie für das Jugendbuch „Megan 2“ mit dem North East Book Award ausgezeichnet. Die Autorin lebt in Hampshire, England.

Rezension von Heike Rau

Mary Hooper
Die Schwester der Zuckermacherin
256 Seiten, gebunden
ab 12 Jahren
Berlin Verlag
Bloomsbury Kinder- und Jugendbücher
ISBN: 3-8270-5015-4

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Megan Chance: Das Haus der kalten Seelen

Megan Chance: Das Haus der kalten Seelen

New York, 1885. Der reichen Lucy Carleton gelingt es nicht, ihre Rolle als angesehene Ehefrau glaubwürdig zu spielen. Immer wieder plagen sie Angstzustände und Kopfschmerzattacken. Bei gesellschaftlichen Anlässen fällt sie auf. Ihr Ehemann, der Börsenmakler William, scheint überaus besorgt. Er stellt seine Frau den angesehensten Ärzten vor. Lucys Zustand bessert sich jedoch nicht. Dr. Victor Seth, dem ein Ruf als Scharlatan vorauseilt, wird zur letzen Hoffnung für Lucy und William. Dr. Seth behandelt Lucy mit Elektrotherapie und Hypnose.
Die Therapie schlägt an. Doch Lucy und Dr. Seth, der eine geradezu unglaubliche Ausstrahlung hat, kommen sich immer näher und gehen schließlich eine leidenschaftliche Affäre miteinander ein, die Lucy aufleben lässt. Doch William kommt dahinter. Er lässt Lucy in eine Anstalt einweisen. Und dort glaubt Lucy niemand, dass sie keiner Behandlung mehr bedarf, sonder von Dr. Seth längst geheilt wurde.

Erzählt wird die Geschichte aus Lucys Sicht, die kein eigenes, sondern das vorgeschriebene Leben einer reichen Ehefrau spielen muss. Eigene Bedürfnisse treten vollkommen in den Hintergrund. Erst Dr. Seth glaubt zu wissen, was Lucy wirklich fehlt, und dass die gesellschaftlichen Zwänge und die mangelnde Liebe Williams Lucy krank machen. Doch Dr. Seth ist nicht nur Arzt, sondern vor allem Wissenschaftler. Von Hypnose, und wie uneingeschränkt Lucy darauf anspringt, ist er begeistert. Seine Aufzeichnungen verraten seine wahren Gedanken. Es ist schnell abzusehen, dass diese Behandlung außer Kontrolle geraten wird. Lucy wird schnell abhängig von Dr. Seth, der nicht davor zurückschreckt, seine Patientin nach seinen Vorstellungen zu formen und zu manipulieren.

Geschrieben ist das Buch in einer klassisch anmutenden Sprache. Die Geschichte ist spannend und unglaublich. Die Autorin spart nicht mit sehr pikanten und intimen Details der Behandlung, die Dr. Seth seiner Patientin angedeihen lässt und die dem Leser als persönliche und nicht für die Öffentlichkeit gedachten Aufzeichnungen zu lesen bekommt. So löst die Geschichte unterschiedliche Reaktionen aus, angefangen von Unglauben bis hin zu Empörung. Das sich aus dieser Geschichte ein wahrer Krimi entwickelt, ist eine Überraschung. Der Leser wird lange im Unklaren gelassen, wer für das, was passiert, verantwortlich ist, und wie Lucys Gesundheitszustand zu bewerten ist. Die Frage ist: Handelt Lucy aus eigenem Antrieb oder ist die Marionette von Dr. Seth, bereit sogar einen Mord zu begehen?

Über die Autorin:
Megan Chance ist in den USA bekannt für ihre großen historischen Frauenromane. Nach ihrem Studium war sie zunächst beim Fernsehen tätig, bevor sie mit dem Schreiben begann

Rezension von Heike Rau

Megan Chance
Das Haus der kalten Seelen
Aus dem Amerikanischen von Anja Schünemann
446 Seiten, broschiert
Wilhelm Heyne Verlag, München
ISBN: 3-453-87769-1
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Nancy Richler: Dein schöner Mund

Nancy Richler: Dein schöner Mund

Geboren wurde Miriam in einer jüdischen Kleinstadt, einem Schtetl, in den Sümpfen Weißrusslands. Ihre Mutter ist kurz nach ihrer Geburt in den Fluss gegangen. Miriam verbringt die ersten Jahre ihres Lebens bei Lipsa, die schon sechs Kinder hat. Als ihr Vater wieder heiratet, kehrt sie nach Hause zurück. Nun lebt sie bei ihrem Vater, der Schuhmacher ist und ihrer Stiefmutter Tsila, die Kleider näht. Im Schtetl lebt man nach festen Traditionen. Für die kleine Familie ist das Leben äußerst beschwerlich und von Entbehrungen und Ängsten geprägt. Miriam findet schwer Zugang zu anderen Kindern. Doch eines Tages freundet sie sich mit Sara an. Sara will Miriam mitnehmen zu einer Demonstration. Miriam überwindet ihre anfängliche Angst und ihre Vorbehalte, denn es fasziniert sie, dass eine Frau zur Menge sprechen will. Das will sie nicht verpassen. Miriam ist begeistert von Goldas Rede. Dabei sind es nicht einmal die Worte, die gesprochen werden, sondern die kraftvolle und unerschütterliche Ausstrahlung Goldas, die ihre Wirkung auf Miriam nicht verfehlt. Miriam beginnt noch unbewusst, sich der Revolution zu verschreiben.
Der Weg, den sie damit zu beschreiten beginnt, zieht sie immer tiefer in die Strudel der Russischen Revolution und in die Gefahren, die damit verbunden sind. Am Ende ihres Kampfes wird die schwangere Miriam zu lebenslanger Haft in Sibirien verurteilt, weil sie in höchster Not einen Gardisten erschossen hat.

Das Buch ist sehr beeindruckend und ergreifend. Geschildert wird der Lebensweg Miriams, die mehr durch das Zutun anderer in die Wirren der Russischen Revolution gerät. Auch wenn sie oft an ihrem Tun zweifelt, ein Zurück gibt es nicht.
Vater und Stiefmutter erfüllen sich einen Traum, sie wandern nach Argentinien aus, dahin, wo Christen die Juden nicht hassen. Miriam soll nachkommen, doch sie ist fasziniert von Kiew. Hier ist das Leben noch viel mehr vom Aufbegehren geprägt. Obwohl Miriam arbeitet, kann sie sich nur ein Bett in einem Keller leisten. Doch anders als in ihrer kleinen Heimatstadt findet sie hier viel schneller Anschluss. Wieder ist es eine Freundin, die Miriam auf sehr drastische Weise dazu bringt, sich der sozialistischen Bewegung anzuschließen.
Es ist spannend, Miriams Entwicklung zu verfolgen. Die Autorin schreibt sehr eindringlich, schildert die Verhältnisse und Lebensumstände im Russland vor und zur Zeit der Russischen Revolution aus der Sicht Miriams. Das Buch regt damit zu einer intensiveren Beschäftigung mit der Russischen Revolution und der Umstände, die dazu führten, an.

Über die Autorin:
Nancy Richler lebt in Vancouver. Sie veröffentlicht in verschiedenen kanadischen und amerikanischen Literaturzeitschriften. „Dein schöner Mund“ erhielt 2002 den Canadian Jewish Award.

Rezension von Heike Rau

Nancy Richler
Dein schöner Mund
446 Seiten, gebunden
Kindler Verlag, Berlin
ISBN: 3-463-40440-0
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Ursula Fricker: Fliehende Wasser

Ursula Fricker: Fliehende Wasser

Es stimmt, sie hat es sich gewünscht. Nun ist es wahr geworden, der Vater ist tot. Er liegt im Graben neben der Landstraße unter einer Lage frischen Schnees.
Nun blickt Ida zurück, erzählt von ihrer Kindheit und ihrem Vater Simon.

Der Vater weiß selbst, dass etwas mit ihm nicht stimmt. 18jährig beginnt er für den Verlobten einer Freundin zu schwärmen, stiehlt sogar ein Foto von ihm. Doch er will nicht werden wie der Friedli, dieser Perverse, dieser verkommene Mensch. Dem gefallen die Männer auch. Beide Eier hat man ihm abgeschnitten in der Anstalt.
Simon heiratet also, bekommt mit seiner Frau zwei Kinder. Disziplin ist alles in seinem Leben, damit bekommt er seine ruhelosen Gedanken in den Griff, das verlangt er auch von seinen Kindern. Es kommt nicht in Frage, dass sie Dreck essen. Dreck steht für Fleisch, aber auch für Zucker, Schokolade und Eis.

Bald kann er nicht mehr, hält den selbstauferlegten Verzicht nicht mehr aus. Der Magen knurrt auch noch nach zwei Kilo Weintrauben. Es rumort in seinem Bauch, dass er es selbst kaum mit anhören kann. Doch das Abweichen von seinen Regeln käme einem Selbstverrat gleich.

Die Familie muss mitziehen. Ida leidet besonders unter der Quälerei. Sie ist dem Spott ihrer Mitschüler ausgesetzt, fängt an, ihren Vater zu hassen. Sie beginnt sich zu widersetzten, startet einen Ausbruchsversuch aus ihrer Lage und wünscht sich, dass ihr Vater endlich stirbt.

Dieser biedere Familienvater bringt einen zur Raserei und hinterlässt nichts als Empörung. Man möchte ihn durchschütteln und zur Vernunft bringen. Und die Mutter gleich mit, auch wenn ihre Gründe, die „gesunde Ernährung“ durchzuziehen etwas anders liegen. Ihr scheint es tatsächlich um die Gesundheit zu gehen. Nach ihrer Meinung kann jedem Leiden von Krebs bis Verdauungsstörung durch entsprechende Nahrung begegnet werden.
Dass der Vater stirbt, wird gleich am Anfang erzählt. Und je mehr man gelesen hat von diesem Buch, um so klarer wird, dass dies der einzige Ausweg für den verbohrten Vater und die Familie ist.

Es wird abwechselnd aus der Sicht der Tochter und des Vaters vom alltäglichen Familienleben erzählt. Die Autorin lässt sich Zeit dabei, steigert die Beklemmung Schritt für Schritt, die den Leser unweigerlich überfällt. Wirklich ein ungewöhnliches Buch!

Über die Autorin:
Ursula Fricker ist Jahrgang 1965. Sie publizierte verschiedene Anthologiebeiträge und Reportagen u.a. für die SZ am Wochenende und die Aargauer Zeitung. 1997 erhielt sie das Alfred Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin. „Fliehende Wasser“ ist ihr erster Roman. Er wurde mit einem Förderbeitrag von Stadt und Kanton Schaffhausen ausgezeichnet.
Ursula Fricker lebt heute als freie Autorin in der Nähe von Berlin.

Rezension von Heike Rau

Ursula Fricker
Fliehende Wasser
167 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Pendo Verlag
ISBN: 3-85842-575-3
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Joanna Hershon: Mondschwimmen

Joanna Hershon: Mondschwimmen

Als Lila acht war, passierte ein schrecklicher Unfall, bei dem ihr Bruder Jack starb. Lila wurde von ihren Eltern eine Geschichte aufgetischt, die sie jedoch nicht akzeptieren konnte.
Lila wird erwachsen, sie beginnt ein Studium. Die Ungewissheit nimmt ihr immer mehr die Luft zum Atem. Sie muss sich endlich Gewissheit verschaffen. Es gibt Zeugen für den angeblichen Unfall. Ihr Bruder Aaron, doch der ist von Zuhause weggegangen. Keiner weiß, wo er ist. Aarons damalige Freundin Suzanne, die das Wochenende mit der Familie verbrachte, ist ebenfalls verschwunden. Lila beginnt eine akribische Suche nach Hinweisen.
Durch einen Zufall begegnet sie Suzanne tatsächlich. Diese ist mittlerweile verheiratet und an der Aufklärung der alten Geschichte nicht interessiert. Sie erzählt eine weitere Version, doch Lila glaubt auch ihr nicht recht. Doch sie erhält einen entscheidenden Hinweis, nimmt Kontakt zu Pria auf. Pria hatte an diesem schicksalhaften Abend, als Jack starb, eine Party gegeben. Auch sie nimmt eine Schlüsselposition ein. Endlich kommt Lila der Wahrheit näher. Sie setzt Susanne damit massiv unter Druck und endlich gesteht diese, Briefe von Aaron erhalten zu haben. Lila weiß nun, wo sie Aaron suchen kann. Sie muss ihn finden, muss auch seine Version der Ereignisse hören, muss wissen, ob er Jack tatsächlich umgebracht hat, wie sie vermutet, damit sie endlich damit aufhören kann, in der Vergangenheit zu leben.

Der vorliegende Roman ist in drei Teile gegliedert. „1987 – Aaron und Suzanne“, „1997 – Lila“ und Lila und Aaron“.
Im ersten Teil erfährt der Leser, wie es zu dem schrecklichen Unfall kommen konnte und kennt somit die Wahrheit. Lila kennt diese jedoch nicht. Sie muss sich damit zufrieden geben, was ihr die Eltern erzählen. Doch sie glaubt ihnen nicht, wird nicht damit fertig, dass ihr Bruder Jack tot und ihr Bruder Aaron verschwunden ist. Die Spurensuche gestaltet sich jedoch schwierig, nimmt Lilas ganze Kraft in Anspruch. Sie bricht ihr Studium ab. Auch auf die Liebe zu ihrem Freund Ben, kann sie sich nicht recht einlassen. Zu vieles aus ihrer Vergangenheit ist nicht aufgearbeitet.
Suzanne und Pria stellen ihre Version des Geschehens sehr unterschiedlich dar, versuchen sich zu rechtfertigen und selbst zu schützen. Lila glaubt, dass nur Aaron, weil er ihr Bruder ist, die Wahrheit sagen wird.
Die Autorin zeichnet die einzelnen Charaktere dabei sehr glaubhaft. Es sind Menschen mit Fehlern, Schwächen und inneren Widersprüchen. Sie geht sehr genau auf die Gefühle der Akteure ein und ihre Beziehungen zueinander. Besonders Lilas innere Zerrissenheit und ihre Verzweiflung werden sehr deutlich.

Rezension von Heike Rau

Joanna Hershon
Mondschwimmen
Aus dem Amerikanischen von Jörn Ingwersen
301 Seiten, Taschenbuch
Aufbau Taschenbuch Verlag
ISBN: 3-7466-1348-5
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Robert Sonnleitner: Tagebuch eines werdenden Vaters

Robert Sonnleitner: Tagebuch eines werdenden Vaters

Wenn eine Frau ein Tagebuch über ihre Schwangerschaft schreibt, ist das völlig normal. Wenn es ein Mann tut, ist es doch eher ungewöhnlich und wenn dieses Tagebuch dann auch noch veröffentlicht wird, weckt es natürlich Neugier. Eine Schwangerschaft aus der Sicht des Mannes zu erleben, ist in diesem Fall äußert lustig und für „Betroffene“ sehr erbaulich.

Und so geht es, nachdem der erste freudige Schock überwunden ist, auch schon munter los. Auf der Tagesordnung stehen: befremdliche Frauenarztbesuche, unglaubliche Schwangerschaftsgelüste, kreative Namenssuche, seltsamer Aberglaube, kurzweilige Geburtsvorbereitungskurse, erbauliche Männergespräche, sagenhafte Katzenkloprobleme und viel mehr. Zwischenmenschliches wird mit einem Augenzwinkern gnadenlos ausgeleuchtet.

Für Pärchen, die am Anfang einer Schwangerschaft stehen, ist das Buch sehr zu empfehlen. Der Autor hat den einen oder anderen hilfreichen Tipp in Form von leicht ironisch klingenden, aber extrem wichtigen Merksätzen parat, dazu kommen regelmäßige Informationen zum Baby. Aber auch wenn die eigenen Kinder längst größer sind, macht es Spaß, mit diesem Buch mal wieder in Erinnerungen zu schwelgen oder zu vergleichen.

Rezension von Heike Rau

Robert Sonnleitner
Tagebuch eines werdenden Vaters
345 Seiten, broschiert
Wiesenburg Verlag Schweinfurt
ISBN: 3-932497-93-7

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