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Kategorie: Biografie

Tilmann Lahme: Thomas Mann – Ein Leben

Tilmann Lahme: Thomas Mann – Ein Leben

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In dieser opulenten Biographie über Tomas Mann lernen wir ihn von einer
Seite kennen, die bisher öffentlich wenig diskutiert wurde.

Er gilt als DAS literarische Genie des 20. Jahrhunderts. Früh schon mit dem Literaturnobelpreis (1929) ausgezeichnet, zeugen seine Romane und Erzählungen von ausgesprochener Formulierkunst und beeindruckendem Ideenreichtum. Psychologisch ausgefeilt und tiefschürfend spielen in fast allen seinen Werken Familienbeziehungen und die Liebe eine zentrale Rolle. Politik und gesellschaftliche Strömungen bieten das Zeitcolorit.

Angefangen von der Schulzeit über den Weg nach München und sein Werben um Katia Pringsheim erzählt Tilmann Lahme über Manns Leben.
Dass T. Mann ein schlechter Schüler war und nie studiert hat, lassen den Leser umso mehr über sein meisterhaftes Lebenswerk staunen.

Was unterscheidet diese Biographie von all den anderen, die zuvor schon erschienen sind?
Lahme sucht in seinem Werk Parallelen zwischen T. Manns Schriften und den schwierigen und belastenden Aspekten seines Lebens.
Zum ersten Mal wird hier detailliert auf einen lebenslangen Kampf hingewiesen, mit dem T. Mann gegen seine homoerotischen Neigungen angegangen ist. In aller Ausführlichkeit geht Lahme auf die Männer ein, zu denen er sich hingezogen fühlte.

Der Autor muss sich sehr intensiv in die Tagebuchaufzeichnungen T. Manns eingelesen haben. Darin hat Mann seine Qualen beschrieben, mit denen er sich der unbezwingbaren fleischlichen Begierden zu seinen männlichen Liebesobjekten zu erwehren trachtete. Hier offenbart sich ein leidender Mensch, der nach außen ein bürgerliches Ideal lebt, das seiner inneren Zerrissenheit nicht entsprach. Strikte Tageseinteilung und konsequente Arbeitszeiten boten ihm Halt.

Sein einziger wirklicher Freund bleibt lebenslänglich Katia, seine Frau. Sie war ihm sein nächster und wichtigster Gesprächspartner und hat sich seinem Wohl verschrieben, ohne die eigenen seelischen Defizite zu beachten. Häufige psychosomatisch bedingte Aufenthalte in den damals gängigen Sanatorien sind die Folge. Aus den Besuchen bei ihr zieht T. Mann neuen Stoff für seine Romane (z.B. Zauberberg).

Katia hat wie gewünscht eine große Familie bekommen, ohne jedoch sexuelle Erfüllung zu erfahren. Ihr Mann war den Kindern nicht nah außer seinem Lieblingskind Elisabeth, der jüngsten Tochter. Zahlreiche Fotoaufnahmen zeigen Familien- und Freundesbilder.

Thomas Mann war ein ernster Mann. Man kann ihn sich schwer vorstellen als einen heiteren und unbeschwerten Gesprächspartner.

Mit dieser Biographie im Gedenken am Thomas Manns 150. Geburtstag rundet sich das Bild über den genialen Schriftsteller.

Tilmann Lahme ist Literaturhistoriker und hat bereits zahlreiche Biographien über die Familie Mann und einzelne Familienmitglieder geschrieben.

Tilmann Lahme
Thomas Mann – Ein Leben
dtv Verlagsgesellschaft, 4. Auflage Mai 2025
592 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3423284455
ISBN-13: 978-3423284455
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Henning Sussebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt

Henning Sussebach: Anna oder: Was von einem Leben bleibt

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Henning Sussebach widmet sich in seinem vorliegenden Buch dem Gedanken, was eigentlich von uns Menschen nach dem Tod bleibt.

Vorrausschickend beschreibt er, wie es herkömmlich ist: zuerst trauern nahestehende Menschen, vielleicht erstreckt ich das Interesse noch auf die nächste Generation; doch bald ist es vorbei. Dann mögen sich nur noch Menschen mit historischen oder besonderen familiären Interessen der Verstorbenen erinnern.

Am Beispiel seiner Urgroßmutter Anna zeigt er auf, wie deren Leben im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts ausgesehen habe könnte. In eine arme kinderreiche Familie hineingeboren wird sie 1878 auf dem Weg nach Cobberode gesichtet. Sie war nach dem frühen Tod des Vaters mit vielen anderen Katholiken in die Niederlande geschickt worden, wo sie ihre Jugendjahre in einem Kloster verbrachte. Ihr Schicksal führt sie später in das Dorf
Cobbenrode in Westfalen. Dort wird sie als Lehrerin arbeiten.

Punktuell erzählt der Autor, wie man als Frau überhaupt zu der Zeit mit einem Beruf leben konnte. Erziehungsmethoden werden ebenso gestreift wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft.

Anhand jeweiliger Jahreszahlen erzählt Sussebach, was wann wo geschah: Kriege, Gesetze, Entwicklung von Telefon und Autoindustrie, der Beginn der Frauenbewegung, Wahlrecht, gesellschaftlicher Wandel und die Vergabe eines Nobelpreises an Berta von Suttner 1905 spielen dabei eine Rolle. Über das Schicksal der Urgroßmutter entwickelt sich eine Sozialstudie über eine Zeit, in der bekanntermaßen Frauen wenig Rechte hatten und nur untergeordnet leben konnten.

Diese Urgroßmutter hatte allerdings ein besonderes Leben, das keinesfalls den damaligen Normen entsprach. Erst mit 37 Jahren heiratete sie 1903 ihren vier Jahre jüngeren Mann Clemens. 15 Jahre hatten sie heimlich aufeinander gewartet. Clemens‘ Vater wollte die unvermögende Frau nicht akzeptieren. Nach seinem Tod wurde die Heirat möglich.

Clemens starb bei einem Unglück nur 90 Tage nach der Hochzeit. Sechs Monate später bekam Anna einen Sohn, den sie Clemens nannte.
Als Alleinerbin wird sie Großunternehmerin. Sie schmeißt den Gasthof mit Bauernwirtschaft und zahlreichen Angestellten und Arbeitern. Zugleich leitet sie die Postagentur.

Sussebach sucht sich aus Zeitzeugnissen ein Bild zu machen, wie das praktische Leben der Urgroßmutter ausgesehen haben könnte. Er findet schriftliche Spuren in Form von Poesiealben, seltenen Kartengrüßen, Kirchenbucheintragungen etc. Wenige Fotos geben Aufschluss, dass Anna eine selbstbewusste Frau geworden sein muss.
So selbstbewusst, dass sie sechs Jahre nach der ersten Eheschließung noch einmal vor den Traualtar schreitet: niemand anderes als der neue Junglehrer, 19 Jahre jünger als sie, wird ihr zweiter Ehemann. Unerwartet wird sie mit 45 Jahren noch einmal Mutter. Eine Tochter Maria erblickt das Licht der Welt. Der Erste Weltkrieg beginnt, und weiter geht das Leben in den gewohnten Bahnen.

Annas Krankheit und Tod im Jahr 1932 wird ebenfalls genau recherchiert. Der medizinische Standard lag weit unter dem heutigen, so dass Anna sehr leiden musste.

Die Mischung aus sachlicher Information und dazu gedachten Beschreibungen des realen Lebens, geben diesem Buch einen besonderen Status: Zeitgeschichte ist hier vereint mit authentischer Biographie.

Ein sehr zu empfehlender ernsthafter Versuch, Vergangenheit zum Leben zu erwecken.

Henning Sussebach
Anna oder: was von einem Leben bleibt
C.H.Beck, 10. Juli 2025
205 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3406836267
ISBN-13: 978-3406836268
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Kerstin Holzer: Thomas Mann macht Ferien

Kerstin Holzer: Thomas Mann macht Ferien

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Unter der Vielzahl der Neuerscheinungen, Dokumentationen und Kommentare zu Thomas Mann und seiner Familie in diesem Jubiläumsjahr ragt Kerstin Holzer mit ihrem Buch „Thomas Mann macht Ferien“ in besonderer Weise hervor. Versteht sie doch, das Familienleben so bildhaft und authentisch zu gestalten, dass man fast meint, dabei zu sein.

Die Familie zieht im Sommer 1918 in den Sommerferien von München an den Tegernsee. Dass das ein größerer Umzug wird, sieht man gleich. Fünf Kinder, ein Hund und Hauspersonal müssen per Bahn und Schiff in die gemietete Villa transportiert werden. Die 14 jährige Erika wird samt Hauspersonal und Gepäck als Vorhut in die gemieteten Villa geschickt.

Als alle dann versammelt sind, hält die Routine der Ferien Einzug. Wie immer gibt der Pater Familias den Ton an. Spaziergänge, Mahlzeiten, Geselligkeit und Arbeit strukturieren den Tag. Man bekommt als Leser einen spürbaren Eindruck, wie das Leben dort abläuft.

Während Katia im letzten Kriegsjahr 1918 häufig auf der Suche nach Lebensmitteln ist, setzen die Kinder, insbesondere die ältesten Erika und Klaus, ihre eigenen Akzente. Regentage häufen sich. Die Kinder sind voller Aktivität und Kreativität und tragen zur Unterhaltung und zum Amüsement der Eltern bei. Draußen treiben sie ihre eigenen Spiele. Man lässt ihnen volle Freiheit und setzt keine strengen Grenzen. Hier kommt das Künstlerpaar zur Geltung, das ihre Kinder in ihrer Entfaltung nicht einschränken will.

Thomas Mann liebt lange Spaziergänge mit seinem Hund, was die Autorin zu hinreißenden Landschaftsbeschreibungen bewegt. Der Tegernsee übt allgemein einen besonderen Reiz auf Feriengäste aus. Der eine oder andere Freund aus München erscheint zu Besuch. Geselligkeit und Ruhe wechseln sich ab.

Das Verhältnis der Eheleute ist liebe- und respektvoll. Man achtet einander und führt gerne einvernehmliche und anspruchsvolle Gespräche. Ohne auf die Schwierigkeiten dieser Ehe einzugehen, bietet uns die Autorin einen lebhaften Eindruck der Familie zwischen Bürgerlichkeit und Boheme. Sie sind wahrlich nicht unter einer Rubrik einzuordnen.

Die Erzählung strahlt eine große Friedlichkeit, ja fast Heiterkeit, aus, und man ist geneigt, einer heilen Welt zu begegnen. Dass dem nicht so ist, kann man in vielen Dokumentationen und literarischen Biographien über einzelne der Familienmitglieder nachlesen. Hier finden wir einen Ausschnitt unter vielen aus dem Leben der Familie Mann.

Kerstin Holzers Geschichte ist einfach nur zu genießen! Detaillierter und tiefschürfender sind die Ausführungen von Tilmann Lahme mit seiner auch jetzt erschienenen Biographie „Thomas Mann“ ein Leben.

Kerstin Holzer
Thomas Mann macht Ferien
208 Seiten
Kiepenheuer & Witsch, April 2025, 4. Auflage
ISBN-10: 3462006711
ISBN-13: 978-3462006711
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Alex Schulman: Vergiss mich

Alex Schulman: Vergiss mich

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„Vergiss mich“ ist ein autobiografischer Roman, der zu Herzen geht. Alex Schulman geht noch einmal zurück in die Vergangenheit. Er hofft, dass sich seine Mutter in eine Entzugsklinik einweisen lässt, dass alles besser wird, denn er möchte ihr noch einmal nah sein. So wie früher. Doch wann war das eigentlich? Und wann hat sie aufgehört, eine liebevolle Mutter zu sein?

Und so sinnt der Autor nach, versucht sich an seine früheste Kindheit zu erinnern. Schöne Erinnerungen werden lebendig, was außergewöhnlich ist für so ein kleines Kind. Doch dann, als die Mutter anfängt zu trinken, wird alles anders. Er und seine zwei Brüder wachsen auf mit einer alkoholkranken Mutter und passen sich so gut es geht an, um nicht darunter zu leiden, um nicht ihre unkontrollierbare Wut auf sich zu ziehen. Auch der Vater kann seine Frau nicht vom Trinken abhalten. Er spricht nicht einmal darüber. Dabei ist so offensichtlich, dass etwas nicht stimmt. Lisette Schulman kann ihre Krankheit nach außen hin lange verstecken, aber nicht zu Hause.

Aus ihrer Liebe zu den Kindern wird Verachtung und der Vater kann die fehlende Liebe nicht ausgleichen. Der Autor, er beschreibt im Buch seine Sichtweise und Gedanken sehr emotional, leidet unter ihrer Ignoranz spürbar, nicht selten ist er für seine Mutter einfach unsichtbar. Die Vergangenheit beeinflusst die Gegenwart. Vielleicht wird ja alles anderes, wenn sie einen Entzug gemacht hat. Vielleicht ist dann wieder eine normale Beziehung möglich und sein innerer Konflikt löst sich auf. Er hat so viele Fragen und glaubt, wenn er Antworten hat, die Vergangenheit aufarbeiten und verstehen zu können, auch sich selbst besser verstehen zu können und seine Emotionen.

Dass Axel Schulmann die Vergangenheit selbstkritisch in autobiografischer Form aufarbeitet, statt einen Roman mit fiktiven Personen daraus zu machen, verleiht dem Buch eine ungeheure Tiefe und ist sehr berührend. Das muss man ertragen können. Aber so ist das Leben, es schreibt nicht nur schöne Geschichten.

Rezension von Heike Rau

Alex Schulman
Vergiss mich
Aus dem Schwedischen von Hanna Granz
256 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, 15. Mai 2025
ISBN-10: 3423284803
ISBN-13: 978-3423284806
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Matteo B. Bianchi: Von dem, der bleibt

Matteo B. Bianchi: Von dem, der bleibt

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Eine Trennung mit traumatischen Folgen

Der Icherzähler verarbeitet den Tod seines Freundes, der lange Jahre auch Lebenspartner war.Er hat mit A. sieben Jahre zusammengelebt, bevor sie sich getrennt haben.

Nun hat A. sich das Leben genommen.
Der Überlebende ist nach dem Suizid geschockt. Es wechseln gute Erinnerungen mit Gefühlen der Ohnmacht, der Trauer, der Verzweiflung, Resignation und Wut.

Mit der Schuld, dem Verlust und der Trauer kann der betroffene Überlebende kaum fertig werden. Wie soll man auch verstehen, dass ein geliebter Mensch sich das Leben nimmt, weil er sich in einer ausweglosen Lage befindet? Beruflich am Ende und ohne den Geliebten scheint er sich im Leben nicht mehr zurechtgefunden zu haben.

Sehr lange hat der Autor gewartet, bevor er sich die Geschichte von der Seele schreiben konnte.

Geht man in Gedanken zurück mit dem Erzähler in sein früheres Dasein, so erlebt man ihn umgeben von guten Freunden und Glück in der Liebe an der Seite von A.

Jetzt öffnet sich eine Welt des Schmerzes und der Anstrengung, selber weiter zu leben. Zahlreiche Freunde, Angehörige und Kollegen möchten helfen, sind jedoch in ihren Bemühungen eher ungeschickt oder auch verunsichert. Es hängt vom Befinden des einzelnen ab und von der Fähigkeit, Empathie zu empfinden, ohne sich in den Abgrund ziehen zu lassen. Selbst einer Therapeutin gelingt das nicht.

Erst ein Schriftstellerkollege findet Worte, die einen Anstoß geben, sich der Vergangenheit und den seelischen Nöten zu stellen. Notizen sollen es sein, die über Jahre gesammelt zum Buch befähigen werden!

Das alles beschreibt Bianchi mit empfindsamen Worten und feinem Gespür für das, was in ihm vor sich geht. Wie die Umwelt reagiert, das registriert er genau, denn die eigene Verunsicherung hat seine Sinne geschärft.

Der Leser wird konfrontiert mit schmerzhaften Prozessen. Niemand kann wirklich ermessen, wie es einem Menschen ergeht, der sich mit dem ungewollten Tod eines einst sehr geliebten Menschen auseinandersetzen muss.

Die Hilflosigkeit, seltener auch verständnisvolle Trostversuche, werden als solche registriert Es entsteht ein tiefer Einblick in das Leid jener, die von einem derartigen Schicksalsschlag betroffen sind.

Ergreifend sind die seismographischen Wahrnehmungen, die sich zwischen Liebenden entwickeln können. Hier sind es Männerlieben, die beschrieben werden, tief, ehrlich und innig.

Ein wahrlich lesenswerter Bericht für sensible Leser!

Matteo B. Bianchi
Von dem, der bleibt
dtv Verlagsgesellschaft, Oktober 2024
304 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3423284196
ISBN-13: 978-3423284196
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Benedict Wells: Die Geschichten in uns

Benedict Wells: Die Geschichten in uns

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Benedict Wells ist ein faszinierender Erzähler!

In seinem neu vorliegenden Werk offenbart er seine tiefsten Einsichten und Erfahrungen auf dem Weg zum Erwachsenwerden und zum Schriftsteller.
Mit rückhaltloser Offenheit berichtet er von seiner Kindheit und Jugend, seinen Irrwegen auf der Suche nach sich selbst und nach dem richtigen Ort für sich.

Seine Eltern waren chaotisch, die Mutter psychisch krank, der Vater ein erfolgloser Glückssucher. Benedict wandert von einem Internat zum nächsten, denn ein Heim konnten seine Eltern ihm nicht bieten. War er einmal mit ihnen in einer Wohnung vereint, schliefen sie auf Matratzen am Boden. Man stelle sich die Umgebung als schmuddelig und unwirtlich vor. In diesem Durcheinander konnte man wahrlich schlecht mit einem Kind hausen.
Benedict wurschtelt sich so durch und sucht einen Weg für sich. Er ist empfindsam, sensibel und feinfühlig.

Seine Eltern, besonders der Vater, führten ihn an Literatur heran, da bei ihm viele Bücher herumlagen. So liest man bei Wells “ihre Liebe trotz aller Probleme und der Zugang zu Literatur gehören zu den größten Privilegien meines Lebens…“ (S.29) und weiter „…trotz traumatischer Momente, Brüche und Probleme gab es in meinem Leben immer auch Liebe, Versöhnung und Gespräche…“ (S. 101)

Enge Bindungen gibt es nicht, auch keine großen Vorbilder außer vielleicht Autoren wie John Irving oder Astrid Lindgren, die zu seinen frühen literarischen Eroberungen gehörten.
In wechselnden Gefühlsphasen wünscht Benedict Wells selber, Schriftsteller zu werden.

Als er von der Nazivergangenheit seiner Familie und besonders der des Großvaters Baldur von Schirach hört, ist er zutiefst beschämt und ändert seinen Nachnamen in „Wells“.

Ein Suchender, oft zweifelnder und auch verzweifelter Benedict Wells führt uns durch die langen Jahre seiner Versuche, einen Roman oder auch nur Geschichten zu schreiben.

Die Ehrlichkeit, mit der Wells über sich und seinen Werdegang berichtet, geht ans Herz. Er lässt nichts aus: die Selbstzweifel und die Vergeblichkeit seiner Bemühungen, seine seelischen Abstürze, das Aufstehen und Weitermachen: das alles macht die Lektüre zu einem Erlebnis, das in keinem Moment Aufrichtigkeit vermissen lässt.

Wir Leser dürfen Zeugen werden, als nach Jahren vergeblicher Versuche von seinem bevorzugten Verlag Diogenes der erste Roman angenommen wird! Man muss dieses Buch lesen, um zu verstehen, wie unendlich mühsam es ist, einen Verlag für ein erstes Buch zu gewinnen!
In diesem Teil des Buches kommen wir dem Autor sehr nah.

In einem zweiten Teil spricht Wells davon, wie man als Schriftsteller an seine Figuren und an sein Werk herangeht. Perspektiven, Wortwahl, Gefühlsebenen und Überlegungen, womit der Leser Interesse am Sujet gewinnen könnte, sind Themen, die viel Zeit und Raum einnehmen. Wie überhaupt kommen die Romanfiguren zum Schriftsteller? Erklärungen dazu klingen fast, als hätten sie ein Eigenleben, mit dem sie zur richtigen Zeit wie aus dem Nichts beim Schriftsteller ankommen.

Differenziert und detailreich fallen dem Autor immer neue Aspekte ein, mit denen er über das „Schreiben“ spricht. Man spürt auch hier, wie leidenschaftlich Wells sich zu seinem Schriftstellerdasein vorgearbeitet hat.
Fast möchte man sich vorstellen, dass eine Vorlesung für angehende Schriftsteller in diesen Ausführungen stecken könnte.

Dieses Buch ist lesenswert und teilweise mitreißend.

Im Anhang gibt es eine beeindruckende Zahl von Danksagungen und eine umfassende Leseliste.

Benedict Wells
Die Geschichten in uns
Diogenes, Juli 2024
400 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3257073143
ISBN-13: 978-3257073140
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Daniel Schreiber: Die Zeit der Verluste

Daniel Schreiber: Die Zeit der Verluste

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Daniel Schreiber ist ein sensibler, feinfühliger Autor. Das hat er in allen seinen Büchern bewiesen.

Hier schreibt er über die Zeit der Verluste, die unser Leben begleiten.
Ob Menschen, Orte oder Dinge, die wir lieben: alles ist vergänglich! Wir müssen uns mit dem Schmerz der Verluste auseinandersetzen und sie bewältigen.

Schreiber ist in Venedig, einer Stadt, die ihm mit ihren Geräuschen, den Plätzen und der Kunst zutiefst berührt. Er ist hingerissen von seinen Kunstbetrachtungen, von menschlichen Begegnungen und den Gesprächen, die er dort bei Gelegenheit führt.

Rückblickend erinnert er sich an Heidelberg, wo er einen Anruf seiner Mutter erhielt. Er weiß, dass ihn eine sehr schmerzliche Nachricht erwartete: der Tod seines Vaters! Da er jedoch eine Bühne für eine Lesung betrat, rief er die Mutter erst am Morgen zurück. Es kommt ihm so vor, als sei er vor der Nachricht geflohen. Nun ist das Erwartete eingetreten.

Daniel Schreiber ist ein sehr gefühlvoller Mensch, der innige Beziehungen pflegt zu Menschen, die ihm nahestehen. Dazu gehörte sein Vater.
Wie er seinem Schmerz Ausdruck verleiht, das ist anrührend.

Hier in Venedig, gibt er sich seinen Erinnerungen an den Vater, die Mutter und den Beziehungen zu ihnen hin. Den Alterungsprozess seines Vaters hat er genau reflektiert und mit Erschrecken die Monate des Wiedersehens beschrieben, wenn er nach längerer Abwesenheit nach Hause kam. Er ist ganz elegisch bei den Erinnerungen, die auch zahlreiche andere Verluste seines Lebens einschließen. Hinzu kommen der Klimawandel, die Pandemie und der Ukrainekrieg, die eine vermeintlich stabile Welt ins Wanken gebracht haben. In Gesprächen mit einer Freundin haben sie sehr krass diese so genannten „Zeitenwende“ realisiert.

Das Büchlein regt auch den Leser an, sich der eigenen Vergänglichkeit und der erlittenen Verluste zuzuwenden. Zuweilen vergehen Geschehnisse einfach; man verliert Freunde, weil sich die Lebenswege trennen. Eltern und Geschwister treten ein wenig in den Hintergrund. Was bleibt, sind Erinnerungen und die Spuren, die eine jede Zeit hinterlässt.

Insgesamt ist das Erzählte von Trauer durchzogen. Insofern ist die Erzählung besonders geeignet für Leser, die ähnlich traurige Erlebnisse zu verschmerzen haben.

In einem ausführlichen Anhang wird auf Literatur verwiesen, die Schreiber herangezogen hat, um seine Ideen und Vorstellungen über Trauer und Verlust zu belegen.

Daniel Schreiber
Die Zeit der Verluste
Hanser Berlin, 3. Auflage, November 2023
144 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446278001
ISBN-13: 978-3446278004
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Maarten Asscher: Das Haus meiner Kindheit

Maarten Asscher: Das Haus meiner Kindheit

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Das Haus der Kindheit: das ist das Haus der Großeltern von Maarten Asscher.

Dieses Haus stand in England, in Kew, nicht weit von London.
Detailliert berichtet der Autor über die Räumlichkeiten und über die Lebensgewohnheiten der Großeltern.
Man spürt, wie heimelig er sich fühlte und wie froh ihn das Zusammensein mit dem Oa, wie er genannte wurde, und Oma Roosje stimmte.

Fast Proust gleich geht es um die Gerüche und Geräusche im Hause. An Oma Roosje wurde mit den liebevollsten Gedanken erinnert. Sie war klug, lebendig und voller Tatendrang.

Die Erzählung ist ganz auf die Großeltern fokussiert. Wenig nur hört man von seinem Elternhaus in Holland. Es gab aber etwas, was den Jungen in späteren Jahren neugierig machte. Die Großeltern sind jüdisch, und im Krieg gab es Verfolgungen. Von Tanten und Onkeln ist die Rede, die in die KZs in Deutschland deportiert wurden und nie zurückkehrten. Wo waren die Großeltern, wie verlief ihr Schicksal?

In langen Passagen und Monologen kommt Maarten Asscher der Geschichte der Familie auf die Spur.
Oa, der Großvater, besaß neben der holländischen auch die englische Staatsbürgerschaft.
Es hat ihm bei seinen Bemühungen,1940 mit der Familie nach England zu fliehen, nicht geholfen.
Er war bei einem internationalen Shell Konzern angestellt. Da glaubte er sich als Halbjude sicher.
Doch beide Großeltern wurden 1942 nach den Haag und noch später ins Lager in Westerborg verschick. Die Repressionen wurden immer schärfer. Die Flucht gelang ihnen nicht.

Durch seine Nachforschungen gelingt dem Autor, zu rekapitulieren, wie seine Großeltern später nach England kamen.
Ein abenteuerlich fingierter „Arisierungsprozess“ brachte den Großvater mit seiner Familie aus der Zwangsevakuierung wieder in sein Haus zurück. Gleich nach dem Krieg zog es ihn in seine Heimat nach England.

Einmal mehr erfährt die Nachwelt, wie schrecklich die Nazizeit auch für Juden in dem besetzten Holland war. Der Großvater strich die Erinnerungen an 1940 – 1945 aus seinem Gedächtnis, so dass seine Enkel nur die schönsten Seiten der Kindheit mit den Großeltern erinnerten.

Wie so viele Geschichte aus der Nazizeit reiht sich auch diese Erzählung dazu!

Maarten Asscher
Das Haus meiner Kindheit
Luchterhand Literaturverlag, Oktober 2023
256 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3630876536
ISBN-13: 978-3630876535
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Volker Weidermann: Mann vom Meer

Volker Weidermann: Mann vom Meer

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Es gibt zahlreiche Bücher über das Leben der Familie Mann und einzelner Familienmitglieder.
Volker Weidermann hat uns mit seinem Buch über Thomas Mann und seine Liebe zum Meer noch einmal einen weiteren Blick auf die Person dieses ungewöhnlichen Schriftstellers eröffnet.

Mit Weidermanns feinfühliger Beobachtungsgabe sehen wir zunächst auf das Schicksal von Thomas Manns Mutter. Die Schilderung ihrer exotischen Herkunft aus dem fernen Brasilien mit allen möglichen Freiheiten und herrlichen Schilderungen ihrer Kinderjahre in bunter Natur sind berückend.

Durch den Tod ihrer Mutter wurde das Leben von Julia da Silva-Bruhns schon in frühen Kinderjahren aus der Bahn geworfen. Nach Deutschland versetzt beginnt ein nicht sehr glückliches Leben für sie. Sie wird genötigt, einen ungeliebten Mann zu heiraten, eben jenen Konsul Mann, der als Vorbild für Th. Manns berühmtesten Roman „Buddenbrooks“ gilt.

Die harte, als konservativ geltende und im 19. Jahrhundert verhaftete bürgerliche Haltung in allen Lebensfragen wird durch die Erzählungen von Thomas Mann sehr drastisch spürbar. Erziehung, Auftreten, Umgang mit den Menschen und folgsame Erfüllung der gestellten Aufgaben: es herrscht ein strenges Regiment! Eltern wie Kinder hatten sich danach zu richten.

Volker Weidermann kann sich in die inneren Gefühlswelten der Protagonisten gut hineinversetzen. Die Mutter hat sich eine harte Schale zugelegt, wenn sie auch die Kinder mit ihren Erzählungen in ferne Traumwelten zu entführen trachtete. Die Kinder widersetzen sich den strengen Regeln. Hier ist zumeist von den beiden Erstgeborenen Heinrich und Thomas Mann die Rede.

Die Liebe zum Meer ist ein Aspekt, der Manns ganzes Werk durchzieht, aber in dieser Weise noch nie in den Fokus gerückt worden ist.
Sie bot an vielen Stellen Glücksmomente für ihn! Bei zahlreichen Gelegenheiten rund um die Meere empfand Thomas Mann Liebesgefühle für schöne Jünglinge, die in seinen Erzählungen ihren Niederschlag fanden. Volker Weidermann ist ein vorzüglicher Kenner von Thomas Manns Werken und Wirken. Er stellt gekonnt Bezüge zwischen Leben und Werk her.

Insgesamt sollte man beim Lesen tunlichst ein guter Kenner der Romane und Erzählungen von Thomas Manns Werken sein. Der Autor weiß in seiner Charakteristik des Schriftstellers die passenden Passagen zur rechten Zeit zu zitieren. Manns sexuelle Vorliebe für Männer ist bekannt. Doch werden hier die inneren Konflikte, die diese Neigung für ihn bedeutete, noch einmal herausgehoben.
Sein weitblickendes Genie und die Tiefe seiner Beobachtungen ließen ihn seine eigene Zerrissenheit nie vergessen.

Vieles wird dem Leser bekannt sein, anderes bietet ganz neue Blickwinkel.
Mit strenger Kontrolle und Disziplin hat der Schriftsteller sein Leben gemeistert, um am Ende glücklich zu sein.

Mann vom Meer versetzt einen auf vielerlei Weise zurück in die Jahre seit 1900, in die Krisen, politischen Verwerfungen und die Folgen, mit denen Menschen aus der Lebensbahn geworfen und zu immer neuen Anfängen gezwungen wurden.

Volker Weidermann hat Thomas Mann als den beschrieben, der sein Leben durch alle Zeiten im Griff behielt und das Lebensende gerühmt und zufrieden erleben konnte.

Es gibt ein Glossar und geordnete Kapitel, mit denen der Autor seiner Linie folgt: TM als Mann vom Meer.

Volker Weidermann
Mann vom Meer
Kiepenheuer&Witsch, Juni 2023
240 Seiten, gebunden
ISBN-10: ‏ 3462002317
ISBN-13: 978-3462002317‏
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Edvard Hoem: Die Hebamme

Edvard Hoem: Die Hebamme

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Der Autor hat sich mit diesem Buch der Lebensgeschichte seiner Ururgroßmutter Marta Kristine Andersdatter Nesje angenommen, geboren 1793. Er hat Dokumente ausfindig gemacht, aus Kirchenbüchern Details übernommen, die Aussagen über sie und ihr Umfeld machen, und die geschichtlichen Hintergründe und damaligen Traditionen recherchiert, um daraus eine Geschichte zu konstruieren, die ich als sehr gelungen und einfühlsam empfinde.

Marta Kristine ist die älteste Tochter des Schuhmachers Anders Knudsen und seiner Frau Karen. Sie ist an vielen Dingen interessiert und hinterfragt selbstbewusst, was sie nicht versteht.

Schon in der Schule begegnet sie Hans und es scheint, als haben beide eine gemeinsame Zukunft vor sich. Tatsächlich werden die beiden ein Paar, doch es sollen viele Jahre ins Land gehen, bis Hans ein Häuschen am Fjord baut und sie es beziehen. Den Wunsch, Hebamme zu werden, hat Marta Kristine frühzeitig, aber ihn durchzusetzen ist eine andere Sache. Pastor Stubbe ist es, der ihr einen Weg eröffnet. Allerdings wird diese doch sehr kurze Ausbildung nicht von allen werdenden Müttern anerkannt. Sie setzen lieber auf Frauen aus ihrem Umfeld, die bei der Geburt unterstützen.

Wieder vergehen Jahre und es eröffnet sich die Möglichkeit, im von der Westküste Norwegens weit entfernten Christiana, eine umfassende Weiterbildung zu absolvieren. Nur hat sie zu diesem Zeitpunkt schon eine Familie. Dennoch entschließt sie sich dafür und lässt Mann und Kinder zurück. Es ist ihr wichtig und auch unbedingt notwendig, etwas zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen zu können. Doch die Mütter haben kaum das Geld, sie zu bezahlen. Es sind schwere Zeiten und Hans wird immer schwermütiger, hat er im Krieg seine Kameraden sterben sehen.

Das Buch schließt ab mit dem Tod von Marta Kristine, die mit ihrer Familie in ärmlichen Verhältnissen leben musste und viele Schicksalsschläge zu verkraften hatte. Der Autor beschreibt den Alltag, das Dorfleben und bezieht hier die Jahreszeiten mit ein.

Die Geschichte der Hebamme ist sehr eindrucksvoll, tiefgreifend und detailreich geschrieben, durchwoben von Melancholie. Man wird gefangen genommen von Marta Kristines Lebensweg, den sie sich erkämpft hat, und der sehr zu Herzen geht. Sie war eine fortschrittliche Frau und offen für neue medizinische Kenntnisse, die sie als Hebamme nutzen konnte. Diese längst vergangene Zeit lebt mit diesem Buch noch einmal auf und ich habe mich beim Lesen ein bisschen wie eine Zeitreisende gefühlt.

Rezension von Heike Rau

Edvard Hoem
Die Hebamme
Aus dem Norwegischen von Antje Subey-Cramer
352 Seiten, broschiert
Unionsverlag, März 2023
ISBN-10: 3293209726
ISBN-13: 978-3293209725
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