Browsed by
Kategorie: Biografie

Yasmin Tabatabai: Rosenjahre

Yasmin Tabatabai: Rosenjahre

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Leben zwischen Orient und Okzident.
In ihrer leichten, freimütigen und humorvollen Sprache schildert Yasmin Tabatabai das Leben ihrer Familie zwischen Deutschland und Persien.

Ihre Mutter Rose hatte Mitte der fünfziger Jahre ihren zehn Jahre älteren späteren Mann, den Iraner Taba Tabatabai, in München auf dem Oktoberfest kennen gelernt. Sie war damals erst knapp zwanzig Jahre alt. Allen Warnungen ihrer Kollegen und Freundinnen zum Trotz folgte sie 1957 seiner Einladung nach Teheran.
Die Familie Tabatabai zählte zu den begüterten, gebildeten und säkular ausgerichteten Kreisen im Iran.
Doch selbstverständlich herrschen dort orientalische Sitten und Umgangsformen. Erste Eindrücke und die traditionellen Formen höflichen Verhaltens müssen erlernt und verstanden werden. Rose spürt bald, dass sie hier in eine fremdartige Kultur eintaucht. Sie bemüht sich, alles schnell zu lernen, um den Ansprüchen der freundlichen Familie zu genügen.

Neugierig und überwältigt von den Ereignissen erlebt sie fasziniert die herzliche Aufnahme in den großen Kreis der Familie.
Die Heirat wird von den Brüdern und der Familie schon bald gefordert und vollzogen.

Mit offenem Interesse erfreut sich Rose an den Kunstschätzen und der landschaftlichen Schönheit mit allen ihren Reizen, Gerüchen und exotischen Farben.

Über viele Jahre ihres Ehelebens hat Rose noch die Herrschaft des letzten Shahs miterlebt, bis 1979 mit der islamischen Revolution alle Ansätze für eine mögliche demokratische Wende zunichte gemacht wurden.

Bunt und spannend ist der Bericht von Yasmin Tabatabai.
Sie kleidet die Atmosphäre, die Gastfreundschaft und das lebhafte Treiben der Familie mit ihren ausgedehnten Mahlzeiten in passende Worte.
In fantasievoller und leicht naiver Ausrucksweise nimmt sie uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit, in der es ungewöhnliche Erfahrungen und ein reiches Leben zu bestaunen gibt. Mit wacher Intensität leitet die Autorin von der Biographie der Mutter zu ihren eigenen Kindheitserlebnissen über. Die islamische Revolution bildet den Schlusspunkt eines eindrucksvollen und der Stimmung angemessenen Erlebnisberichts, der mit Spannung ausgeführt wird.

Herzenswärme und tiefe emotionale Anteile belegen das Engagement dieser mitreißend geschriebenen Biographie.

Yasmin Tabatabai
Rosenjahre
288 Seiten, gebunden
Ullstein, September 2010
ISBN-10: 355008837X
ISBN-13: 978-3550088377
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Francine Marie David: Bei den Grabräubern

Francine Marie David: Bei den Grabräubern

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Sie reist nach Ägypten. Träumt davon, den für Touristen geschlossenen Tempel von Amenophis III, den „Sonnenkönig vom Nil“ zu sehen. Das Hotel Marsam liegt hinter dem Totentempel. Hier nimmt sie ein Zimmer. Als ihr später vom Hotelbesitzer Taya vorgestellt wird, ist sie von ihm sofort fasziniert. Er, Taya, macht das Unmögliche möglich und begleitet sie in den Tempel. Für den Abend lädt er Francine in ein Restaurant am Nil ein. Als er erfährt, dass sie unverheiratet ist, macht er ihr einen etwas ungewöhnlichen Heiratsantrag. Er sagt einfach „Ich heirate dich.“ Und sie widerspricht nicht. Sie spürt, dass sie an diesem Mann nicht vorbei kommt.

Wie es Brauch in Ägypten ist, erhält Francine einen neuen Vornamen: Jasmin. Die Hochzeit geht in einem Anwaltsbüro über die Bühne. Hier wird der Vertrag aufgesetzt, der Voraussetzung für die Heiratsurkunde ist. Das Fest findet im Kreise von Tayas männlichen Verwandten statt. Die Schweizer Fotografin hat nun ein Zuhause in Ägypten, am Westufer von Luxor, ganz nah am Tal der Könige.

Als sie erfährt, dass Scheich Hussein Abd el-Rassul der Großvater Tayas ist, ist sie über alle Maßen überrascht. Der Großvater und auch der Vater Tayas, der damals noch ein Kind war, waren dabei als der britische Archäologe Howard Carter 1922 im Tal der Könige Tutanchamuns Grab fand. Taya musste also der letzte direkte Nachkomme der berühmt-berüchtigten Grabräuberfamilie sein.

Wer eine romantische Liebegeschichte erwartet, wird enttäuscht sein. Die Autorin hält sich hier sehr bedeckt. Man liest nichts Persönliches über die Beziehung. Man erfährt nicht, was die Anziehungskraft zwischen den beiden ausmachte.

Vielmehr geht es der Autorin darum, der Geschichte der Vorfahren Tayas nachzuspüren und den Mythen und Legenden um die berüchtigten Grabräuber von Ägypten, die Wahrheit zu entlocken. Was könnte es Spannenderes geben? Francine Marie David rollt die Geschichte neu auf. Als Familienmitglied sitzt sie direkt an der Quelle, erhält Informationen die spektakulär sind.
So ist ein überaus faszinierendes Buch entstanden. Die Begeisterung der Autorin überträgt sich auf den Leser.

Rezension von Heike Rau

Francine Marie David
Bei den Grabräubern
Meine Zeit im Tal der Könige
240 Seiten, gebunden
Unionsverlag, Zürich
ISBN-10: 3293004261
ISBN-13: 978-3293004269
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Michael Degen: Familienbande

Michael Degen: Familienbande

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Unglücklich und einsam erlebte der jüngste Sohn von Thomas Mann und seiner Frau Katja seine Kindheitsjahre. Er muss ein unausstehliches Kind gewesen sein. Schon als Säugling greinte er unablässig und quälte Vater, Mutter und die Amme mit seiner Unruhe. 1919 wurde er als jüngstes Kind von sechs Geschwistern geboren. Nichts und niemandem konnte Bibi, wie er genannt wurde, etwas recht machen, und früh schon zeigte Thomas Mann eine tiefe Abneigung gegen das unerwünschte sechste Kind in seiner Familie. Bibi legte sich mit Schülern und Lehrern an, flog immer wieder von Schulen und war klug genug, mit seinen Argumenten die Erwachsenen in die Enge zu treiben. Sein liebster Bruder war Klaus Mann, genannten Aissi. Von dem 13 Jahre Älteren lernte er, was es mit Drogen und deren Folgen auf sich hat.

Da aber lebte die Familie schon in der Schweiz auf der Flucht vor den Nazis.

Bibi war hellwach und mit seinen Augen und Ohren überall. Er lernte Bratsche und Violine spielen, ist aber nach den Aussagen des Biographen Michael Degen nie wirklich fleißig und strebsam gewesen. Er störte gerne und scheint insgesamt ein fast schwer erziehbarer Junge gewesen zu sein. Verwunderlich war das nicht, denn Eiseskälte und Ablehnung erfuhr er von seinem Vater zeitlebens.

Michael Degen entwirft ein Bild der Familie Mann, das sehr wirklichkeitsgetreu die Lage schildert, in der man sich seit der Machtübernahme Hitlers befand. Die Schweiz bot vorübergehend Unterkunft, bis Thomas Mann mit seiner Familie nach Amerika ins Exil ging. Der Schriftsteller war ein alles beherrschender Familienmensch, zu dem Katja in treuer Anhänglichkeit hielt. Sie musste einen Balanceakt aufführen, um ihrem Mann die nötige Ruhe zu verschaffen und den Kindern eine behütende und lenkende Erziehung angedeihen zu lassen. Die Kinder waren jedoch allesamt eigenwillige, begabte und aufsässige Zeitgenossen, deren Erziehung unter den gegebenen Bedingungen kaum zu leisten war.

Über den Lebenslauf der ältesten Geschwister Klaus und Erika gibt es zahlreiche Zeugnisse, von Golo Mann gibt es Biographien, doch Michael Mann erfährt erst jetzt in der Biographie von Michael Degen seine Würdigung.
Man bekommt neue Einblicke in eine Familie, die außergewöhnlich war und in ihrem inneren Zustand Anlass zu immer neuen Interpretationen bot.
Erstmals wird mit aller Deutlichkeit klar, dass die frühe Ablehnung des Sohnes durch den Vater verheerende Folgen zeigte. Besonders die Söhne hatten unter der Übermacht und Gleichgültigkeit seitens ihres Vaters zu leiden. Die Teilnahmslosigkeit zeigt sich bei der Bestattung des Sohnes Klaus, bei der nur Bibi tief unglücklich anwesend war. Einmal mehr zeigt sich, dass ein Mann, der sich mit Familientragödien auskannte, wie er sie in den „Buddenbrooks“ beschrieben hat, in seiner eigenen Familie die Not der Familienmitglieder weder sah noch bei Schwierigkeiten abhelfen konnte.

Insofern rundet sich das Bild der Familie Mann zu einem komplexen Drama. Nur die jüngste Tochter Medi wurde wirklich glücklich in ihrem Leben, alle anderen Kinder sind am Ende psychisch gescheitert.
Michael Degen kommt das Verdienst zu, hier eine letzte Wissenslücke über das Leben im Haus Mann zu schließen. Er hat die Aufgabe sinnvoll gemeistert.

Michael Degen
Familienbande
480 Seiten, gebunden
Rowohlt Berlin, März 2011
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3871346330
ISBN-13: 978-3871346330
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Lena Gorelik: Lieber Mischa

Lena Gorelik: Lieber Mischa

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Jüdisches Leben und die ach so feine deutsche Freundlichkeit zu ihren jüdischen Mitbürgern!

In einem langen Monolog erzählt Lena Gorelik ihrem kleinen Sohn, was es mit dem Judentum auf sich hat.
Sie, die sich in ihren vorherigen Romanen vielfach mit dem Leben als Jüdin und mit Identitätsfragen beschäftigt hat, kann es auch jetzt nicht lassen! Wer Romane von Lena Gorelik kennt, weiß, dass sie mit Heiterkeit, Humor und Lachen ihr Leben und das ihrer jüdischen Mitbürger zu zeichnen versteht.

Verwandte mit ihren Eigenarten kommen zur Sprache, Mütter und Kinder und L. Gorelik erzählt von ihrem Leben in der Sowjetunion. Sie beschreibt jüdische Feste und setzt sie in Verbindung zu den Traditionen der jüdischen Geschichte.

Mit feiner Selbstironie nimmt sie das Judentum auf die Schippe und bleibt zugleich bei ihren jüdischen Wurzeln, die sie als Kind mit elf Jahren vermittelt bekam. So sagt sie ihrem gerade erst geborenen Sohn: „Lieber Mischa, der Du fast Schlomo Adolf Grinblum geheißen hättest, es tut mir so leid, dass ich Dir das nicht ersparen konnte: Du bist ein Jude….“
Wenngleich ihre Kritik am Judentum in feine Ironie getaucht ist, spürt man doch einen nicht geringen Stolz, zu dem „auserwählten“ Volk zu gehören. Witzig, geistreich, amüsant, sprudelnd vor Fantasie und niemals bösartig, liebenswert bis spöttisch sind ihre Schilderungen über das jüdische Leben, dem sie eine gewisse Lebensfreude zuspricht. Mit Intelligenz und Scharfsinn findet sie die Schwachstellen in der Gesellschaft der Nichtjuden und gibt dabei heitere Begebenheiten zum Besten. Umwerfend äußert sie sich über Philosemiten und Konvertiten, und so manch’ einer wird sich wie in einem Spiegel hier wieder erkennen können.

Man liest den Brief an ihren Sohn Mischa mit der gleichen Freude wie ihre früheren Romane und freut sich über den Humor, den gelegentlichen Ernst und die Weisheit, die aus ihren Worten spricht. Mit ihnen preist sie ihre jüdische Lebensart, und insgeheim kämpft sie für eine gerechte Sache: den Juden zu lassen, was zu ihnen gehört und das Leben der anderen bitte nicht mit dem jüdischen Leben zu vermengen.

Lena Gorelik gehört zu den so genannten „Kontingentjuden“, denen die Ausreise aus Russland nach Deutschland ermöglich wurde. Heute lebt sie mit Mann, Kind und Hund in München.

Lena Gorelik
Lieber Mischa
192 Seiten, gebunden
Graf Verlag, März 2011
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3862200124
ISBN-13: 978-3862200122
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Paul Guest: Noch eine Theorie über das Glück

Paul Guest: Noch eine Theorie über das Glück

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Mit zwölf Jahren hat Paul Guest einen Unfall mit dem Fahrrad. Er spürt sofort, dass es etwas Schlimmes ist. Bewegungslos beobachtet er, was mit ihm geschieht, wie man sich um ihn bemüht. Die Diagnose ist niederschmetternd. Paul Guest ist querschnittgelähmt.

Auf einer Intensivstation wird er stabilisiert. Es braucht seine Zeit, bis er im Rollstuhl sitzen kann. Dann kommt er in ein Rehabilitationszentrum. Er ist dort der jüngste Patient. Seine Prognose ist nicht gut. Und doch kehren erste Empfindungen zurück.

Nach sechs Monaten ist Paul Guest wieder zu Hause. Mit dem Rollstuhl geht es zur Schule. Eine Betreuerin tut, was er nicht kann.
Immer geht es weiter. Pauls Ziel ist ein unabhängiges Leben. Doch er weiß, dass er immer von anderen abhängig sein wird.

Was Glück ist, würde wohl jeder ein wenig anders beschreiben. Auf der Suche danach sind wir wohl alle. Paul Guest ebenfalls. Auch wenn es ihn verlassen zu haben scheint. Und der Unfall ihm seine Selbstständigkeit nimmt. So dass er abhängig von anderen ist und von dem, was seine körperliche Verfassung noch zulässt. Ein selbstbestimmtes Leben scheint so nicht mehr möglich. Und doch findet Paul Guest einen Weg halbwegs zurechtzukommen.

Seine Geschichte berührt. Sein Mut beeindruckt. Denn er holt sich Stück für Stück sein Leben zurück. Trotz Selbstzweifeln verzweifelt er nicht, nimmt Rückschläge als Herausforderung. Das Buch, das so hoffnungslos beginnt, beweist es. Paul Guest gelingt es, sich seinen Humor zu bewahren. Das hilft ihm über eigentlich Unerträgliches hinwegzukommen. Nur so kann er wieder beginnen von der Zukunft zu träumen, sich Herzenswünsche erfüllen.

Paul Guest erzählt im Rückblick. Zeit ist vergangen. Aus dem Geschriebenen spricht trotz des Erlebten die Lebensfreude, die er sich bewahrt hat. Und das macht Hoffnung, gerade auch, wenn man selbst von sich glaubt, vom Glück übergangen worden zu sein.

Rezension von Heike Rau

Paul Guest
Noch eine Theorie über das Glück
Aus dem Englischen von Malte Krutzsch
192 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN-10: 3888977061
ISBN-13: 978-3888977060
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Adriana Altaras: Titos Brille

Adriana Altaras: Titos Brille

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Leben nach dem Holocaust in Deutschland, Jugoslawien und in aller Welt.

Mit vielseitigem Witz und wohltuendem Humor beginnt Adriana Altaras ihre biographischen Aufzeichnungen über ihre verrückte, amüsante und nach dem Krieg weit verstreute Familie.

Sie ist Jüdin, wurde in Zagreb geboren, wo ihr Vater bei den Partisanen um Tito mitmischte. Über sein Leben und das ihrer Mutter erfährt sie aber vieles erst, als die Eltern kurz nacheinander sterben, und sie in der seit vierzig Jahren nicht mehr aufgeräumten Wohnung in Giessen an die Hinterlassenschaft der Eltern gerät. Alte Fotos, Briefe und Aufzeichnungen öffnen ihr die Tür zu ihrer Familiengeschichte, in der es ernsthafte Geheimnisse gab.

Ihr Vater flüchtete aus Jugoslawien, als er 1964 im Rahmen der Säuberungen als Jude aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen werden sollte. Über die Schweiz ging er nach Deutschland, wo er in Giessen als Arzt und Professor am Universitätsklinikum eine Lebensstellung erhielt.

Beim Durchforsten der Hinterlassenschaft gelangen zahlreiche Familiengeheimnisse zutage. Mit jüdischem Scharfblick und aufmerksamer Beobachtung entwickelt die Autorin ein filigranes Familienbild. Von kleineren und größeren Liebschaften des Vaters und über mögliche Geschwister aus diesen Verbindungen ist die Rede, und es wird klar, dass es die Familie mit den jüdischen Riten nicht mehr gar so genau nahm. Dennoch wird die Beerdigung des Vaters natürlich nach jüdischem Ritus begangen. Der Kantor lehnt zum allgemeinen Erstaunen seine Alditüte an den Sarg und begeistert später alle mit seinem Gesang. Die Stimme „erhebt sich über Religion, Politik, über den Schnee, die Neustadt und das Klinikum in Gießen hinweg“, und alle hängen an „dieser Stimme mit Alditüte“.

In munterem Ton, der den Ernst nicht auslässt, erzählt Adriana Altaras lakonisch und frech ihre Familiengeschichte, die bis in die Gegenwart zu ihrem westfälischen Mann und den beiden kleinen Söhnen reicht.
Der Bogen ist weit gespannt und lässt uns teilhaben an der besonderen, zugleich distanzierten und doch warmherzigen Erzählkunst, wie wir sie aus vielen jüdischen Beiträgen in der Literatur kennen. Von Jugoslawien und seinen schönen Städten und Stränden, von Tanten, Cousinen und Cousins ist die Rede, die nach dem Holocaust, sofern sie denn überlebt haben, in aller Welt verstreut leben. Man findet sich und freut sich über ein Wiedersehen. Kuriose, dumme Aussagen alter und neuer Nazis mischen die Geschichte auf.

Israel, Anlaufstelle für hunderte von Flüchtlingen, ist nicht das ersehnte Ziel aller Geflohenen. Alles in allem geht es in dieser Geschichte um Freiheit und Bindung, um Konventionen, Traditionen und wie weit man seine Vergangenheit hinter sich lassen kann. Als die Bar – Mizwa des Sohnes David naht, wird das Fest mit allen erreichbaren Verwandten so gefeiert, wie sich das nach jüdischem Brauch gehört.

Mit ihren Streifzügen durch die Gegenwart und Vergangenheit ist Adriana Altaras eine scharfzüngige und ehrliche Analyse gelungen, wie es sich als Jüdin mit dem Ballast einer Vergangenheit lebt, in der die Welt und das Judentum unterzugehen drohte. Sie bleibt sich treu und ist in ihrer Identität Jüdin geblieben, ohne das als aufdringliche Wahrheit zu verkünden.
Auch in ernsten Lagen spart Adriana Altaras die Komik nicht aus, und das Buch gewinnt die Aufmerksamkeit seiner Leser, die sich der klugen und beredt erzählenden Autorin ganz überlassen können.

Adriana Altaras
Titos Brille
272 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2011
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3462042971
ISBN-13: 978-3462042979
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Irmgard Hochreither: Schöner Mist

Irmgard Hochreither: Schöner Mist

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Begeisterung für ein anderes Leben!

Äußerst flott und schmissig geschrieben ist dieser Bericht der Sternredakteurin Irmgard Hochreither über ihre Erfahrungen mit dem Landleben.

Sie ist ein eingefleischter Stadtmensch, als der Mann an ihrer Seite sie mit dem Vorhaben überrascht, für die Wochenenden ein Haus auf dem Lande zu mieten. Empört weist sie das Ansinnen zurück, kann sich aber seinen Verführungskünsten nicht entziehen, als sie das Dörfchen Polkefitz im Wendland besuchen. Ein uriges Haus, freundliche Dorfbewohner und das beschaulich in der Landschaft ruhende Dorf haben es ihr alsbald angetan. Plötzlich empfindet sie eine Ruhe abseits der Hektik und dem Glamour der Großstadt, die sie nicht fassen kann! Freudig willigt sie in das  Abenteuer vorübergehenden „Aussteigens“ aus dem Hamburger Alltag ein.

Rundum unterhaltsam beschrieben, malerisch und treffend skizziert erscheint vor uns eine Landidylle, die man in den Bereich der Märchen verweisen möchte. Doch alles ist wahr: freundliche Nachbarn, der Duft von Brot, Wein und Käse und die wild und bunt beschriebene Natur lassen keinen Zweifel aufkommen, dass sich alles genauso zugetragen hat, wie hier beschrieben. Es gibt sie also noch: die Idylle der Natur, die liebenswerten Kauze, die so ganz im Kontrast zu den gestylten Stadtmenschen leben. Diese schauen natürlich neugierig einmal im Dorf vorbei, und man spürt die Unvereinbarkeit zwischen jenen und den Hiesigen!

I. Hochreither richtet unsere Blicke auf die zwei Welten „Stadt“ und „Dorf in ländlicher Abgeschiedenheit“, die nicht mit einander kompatibel zu sein scheinen. Wer jedoch diese Idylle für sich entdeckt und Sinn für sie hat, der kann von ihr offensichtlich nicht mehr lassen. Die Autorin macht nicht etwa Reklame nach dem Motto „Zurück zur Natur“. Sie lässt uns einfach teilhaben an der Freude, dem Reiz, den Überraschungen und den fröhlich zufriedenen Stunden, die sie hier verlebt. Auch die Menschen in diesen abgelegenen ehemaligen Zonenrandgebieten sind von einer so freundlichen Zugewandtheit und Selbstverständlichkeit im Umgang, dass man sich dort einfach wohlfühlen muss!

Hochreither beschreibt eine Welt, die fast am Rande steht, gäbe es da nicht Gorleben mit seinen Atommüllproblemen in der Nähe.

Leicht und locker geschrieben und amüsant zu lesen bietet der muntere Bericht angenehme und fröhliche Unterhaltung!

Irmgard Hochreither
Schöner Mist
208 Seiten, broschiert
Ullstein Tb, Februar 2011
ISBN-10: 3548373739
ISBN-13: 978-3548373737
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Walter Kohl: Leben und gelebt werden

Walter Kohl: Leben und gelebt werden

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Kanzlersohn, was nun?

Beeindruckend und erschütternd sind die Erfahrungen und Erinnerungen, mit denen Walter Kohl eine Art Lebensbilanz über sein bisheriges Leben als Kanzlersohn zieht.

Der Satz seines Sohnes auf dem Weg zum Kindergarten: “Papa, ist das Leben schön?“ kann als Initialzündung angesehen werden, nach der Walter Kohl sich seiner Kindheit und seinem bisherigen Leben stellt.

Um es vorweg zu nehmen: es war keine glückliche Kindheit, die Walter mit seinem Bruder in dem immer dichter werdenden Netz von Fremdbestimmung, Bewachung und Isolation als Prominentenkind zugebracht hat.

Zeitlebens und bis heute wird er als „der Sohn vom Kohl“ angesehen. Doch nach einem langen und beschwerlichen Weg der Besinnung und inneren Einkehr, der Reflexion und der Suche nach Lösungen für einen ersehnten inneren Frieden ist es Walter Kohl gelungen, sich auf einen eigenen Weg zu machen. Bis dahin aber gab es seelische Verletzungen und schwerste Erfahrungen, die ihn lange Jahre seines Lebens von seiner frühesten Kindheit an wie eine Gefangenschaft erleben ließen.

Dem alles beherrschenden Politikervater waren die Karriere und Partei immer wichtiger als die heimische Familie.

Walter Kohl findet die richtigen Worte, seinen Werdegang unter den o.g. Bedingungen zu beschreiben.

1963 geboren fühlte er sich früh alleine gelassen und musste harte Prüfungen durch Hänseleien, Ablehnungen und Attacken von Menschen aller Couleur hinnehmen lernen. Die Folge ist eine totale Vereinsamung und ein Rätselraten, wie das alles zusammenhängen mag: sein Aufwachsen unter Festungsbedingungen, seine Isolation unter Mitschülern  und die Unmöglichkeit, über seine inneren Zustände weder mit dem Vater noch mit der Mutter reden zu können.

In diesem Buch beschreibt er seinen langen Weg aus der Einsamkeit, der von wechselnden Stimmungen und einer steten Unsicherheit gekennzeichnet war.

Nach einem Studium in Harvard und einem längeren  beruflichen Amerikaaufenthalt fühlte er sich fast befreit. Doch als seine erste Ehe scheitert, seine Mutter stirbt und der Vater wieder heiratet und den Bruch mit ihm vollzieht, erlebt er hohe Anforderungen an sein „Stehvermögen“, einem beliebten Ausdruck der Eltern, um an diesen Erlebnissen nicht zu zerbrechen.

Bemerkenswert sind die klaren, sachlichen und doch von tiefster Not zeugenden Ausführungen, in denen Walter Kohl sich beinahe selbst analysiert. Die  außergewöhnliche Lebenssituation als Kanzlersohn ist die eine Seite seines Berichtes; die andere beschäftigt sich mit den Charakterstrukturen der Eltern, die er mit kenntnisreichem und verständnisvollem Blick zeichnet.

Dieser Lebensbericht ist ungewöhnlich in der Intention, die nicht auf eine Abrechnung zielt, sondern zu einer Klärung der Lebensverhältnisse und der Erziehungsbedingungen beiträgt, denen Walter mit seinem Bruder Peter ausgesetzt war. Wohl selten hat man so anrührend und zugleich um Wahrhaftigkeit bemüht Erinnerungen eines Politikersohnes gelesen. Walter Kohl zeigt eine Versöhnlichkeit, der man höchsten Respekt zollt.

Walter Kohl
Leben oder gelebt werden
274 Seiten, gebunden
Integral, Januar 2011
ISBN-10: 3778792040
ISBN-13: 978-3778792049
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Andreas Maier: Das Zimmer

Andreas Maier: Das Zimmer

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Modernes Leben und Erinnerungen an eine versunkene Zeit.

Andreas Maier beschreibt in einem eigentümlich lakonischen Stil ausführlich ein Familienleben, das skurril, zuweilen witzig, sicher aber zu einem guten Teil nostalgisch zu nennen ist.

Onkel J. ist das Faktotum der Familie Boll, einer Steinmetzfamilie in der Wetterau, genauer gesagt in Friedberg. Um ihn wird sich die Geschichte drehen und damit die anderen Familienmitglieder in Erinnerung um sich scharen.

Der arme Onkel J. ist mit einer Behinderung geboren worden und wird ständig, immer und überall geärgert.  Zu Ende des 2. Weltkrieges war er gerade einmal 14 Jahre alt. Schon immer und bis zu ihrem Tod lebt er bei seiner Mutter. Er bastelt gerne, erledigt kleine Botengänge und Besorgungen für die Steinbruchfirma der Familie, bis ihm sein Schwager später eine Lohnarbeit bei der Post verschafft. Wir schreiben das Jahr 1969.

Der Autor nutzt die Geschichte seines Onkels für einen eindrucksvollen Bericht über die Wetterau und die eigenwilligen Charaktere seiner Familie in den sechziger Jahren. Friedberg, Bad Nauheim und die bewaldete Umgebung sind Orte der Handlung.

Da wird dem Bier schon in den frühen Morgenstunden zugesprochen, das Butterbrot in der Dose, Kino, der Kiosk an der Ecke und das Wirtshaus sind häufig erwähnte Elemente, die sowohl Stimmungen als auch das Wohlbefinden der Bürger gewährleisten. Das letzte Lebensjahr des Onkels bietet den Anlass, um sich einer Zeit zu nähern, die Gemächlichkeit verbreitet und Zufriedenheit signalisiert. Der Onkel ist ein tumber Tor, ein Behinderter, der durch sein Verhalten zur Belustigung seiner Mitmenschen beiträgt. Immerhin durfte er noch Auto fahren lernen und konnte seine einfache Arbeit bei der Post verrichten. Betäubend ist sein Körpergeruch, den der kleine Andreas als ekelerregend und zum Fürchten empfindet.

Sein Auto und seine Polohemden besitzen die gleiche Farbe, die an militärische Tarnfarbe denken lässt. Frauen spielen für Onkel J. eine gewichtige aber schamhafte Rolle, doch traut er sich kaum über Pornohefte und das Frankfurter Bahnhofsviertel hinaus. Andreas Maier schildert diesen Onkel als Unikum, abstoßend und faszinierend zugleich. Er ist die zentrale Figur des Romans, um die sich die Familie und die ganz und gar durchschnittlichen Bürger des  Städtchens scharen.

Das schlichte Leben und die simplen Freuden werden atmosphärisch dicht und genau beschrieben. Man spürt das gemütliche und einfache Dasein am besten in den Worten und Taten der Protagonisten. Die Vorboten des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts lassen Befürchtungen aufkommen, dass es mit der Idylle in der Wetterau bald vorbei sein könnte.

Hinreißende Naturbetrachtungen komplettieren den Eindruck einer verhältnismäßig heilen Welt. Das Rotkehlchen oder ein unvergleichlicher Sonnenuntergang, „den einem niemand nehmen kann, für das ganze Leben nicht“ führen immer wieder zur Atmosphäre des Ländlichen und Beschaulichen.

Der Autor Andreas Maier hat mit diesem Roman eine Familiengeschichte begonnen, in der man unschwer biographische Züge entdeckt, und von der man hofft, dass sie noch fortzuspinnen sein wird.

Andreas Maier
Das Zimmer
203 Seiten, gebunden
Suhrkamp Verlag, 6. September 2010
ISBN-10: 3518421743
ISBN-13: 978-3518421741
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

Tim Parks: Die Kunst stillzusitzen

Tim Parks: Die Kunst stillzusitzen

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Gesundheit und Heilung erfahren durch Stillsitzen? Auf den ersten Blick scheint das sehr unwahrscheinlich. Dennoch weckt das Buch Interesse. Um was es wohl geht?
Tim Park verlässt die gewohnten Bahnen und schreibt nun über sich selbst. Seit Jahren geht es ihm schon nicht gut. Er hat Schmerzen im Bauch, kann nicht gut sitzen, muss zu oft aufs Klo, vor allem nachts. Das könnte an einer vergrößerten Prostata liegen. Die Sache muss behandelt werden, damit er dann wieder leben kann wie zuvor, so sein Wunsch.
Eine Zeit komplizierter Tests beginnt. Und auch selbst versucht der Autor den Schmerzen etwas entgegen zu setzen. Er lebt gesünder, will sich mehr bewegen. Doch Sport zu machen, hilft genauso wenig, wie keinen Sport zu machen. Auch die Ernährung umzustellen, bringt nichts. Die Krankheit muss etwas Schwerwiegendes sein. Nur eine OP wird helfen können. Doch die medizinischen Tests, die Laboruntersuchungen zeigen, dass alles in Ordnung ist. Die Spezialisten entdecken nichts, was die Schmerzen erklären könnte. Dabei wird es stetig schlechter. Alles Einbildung? Ist es psychosomatisch?

Tim Parks kommt an einen Punkt, an dem er sich nicht länger mit den Ärzten und der Schulmedizin auseinandersetzen will. Er muss andere Wege gehen. Doch was die alternativen Heilmethoden betrifft, ist er ein Skeptiker.
Ausgerechnet ein Selbsthilfebuch ist es, dass ihn endlich auf die Spur bringt, Ursachen für seine Beschwerden auszumachen. Seine Symptome werden hier genau beschrieben. Sollte er selbst mit seinem Verhalten und seiner Art zu leben die Schmerzen auslösen? Er ist ein Mensch, der immer grübelt, der immer in Gedanken ist, der nicht locker lassen und entspannen kann. In verkrümmter Sitzhaltung hängt er auf dem Stuhl und schreibt seine Bücher. Er ist verspannt, bis in die Tiefen seines Bauches. Kein Wunder, dass es schmerzt. Schon manchmal hat er einen Hinweis darauf bekommen, was für ein Typ Mensch er ist, aber nie einen Zusammenhang hergestellt. Dabei geben sogar einige seine anderen Bücher Hinweise darauf.
Und nun muss er lernen loszulassen, muss Geist und Körper wieder zusammenbringen. Das ausgerechnet das Meditieren die Heilung bringt, damit hätte Tim Parks nie gerechnet.

Es ist ein offenes, ehrliches und auch schonungsloses Buch. Immer mehr Menschen werden von Krankheiten geplagt, die sich nicht erklären lassen. Man verschweigt es eher, doch Tim Parks spricht darüber. Anfangs kommt man sich fehl am Platze vor, wenn man eingeweiht wird in die intimsten Probleme eines anderen Menschen, doch das gibt sich. Schließlich hat man selbst auch das eine oder andere wegzudrücken, gerade auch wenn man älter ist.
Tim Parks Buch kann dann weiterhelfen. Man kann von seinen Erfahrungen und Erkenntnisse profitieren. Intensiv hat er über das Leben nachgedacht. Produktiv nachgedacht. Es hat sich als nicht gerade einfach erwiesen, sich nicht mit sinnlosen und belastenden Grübelein, die nur für neue Spannungen im Körper sorgen, ablenken zu lassen. Seine Sichtweise über das Leben und sich selbst zu ändern, ist ein langer Weg. Aber eben auch ein Weg zu Gesundheit und neuem Selbstvertrauen, wie sich für Tim Parks gezeigt hat.

Rezension von Heike Rau

Tim Parks
Die Kunst stillzusitzen
Ein Skeptiker auf der Suche nach Gesundheit und Heilung
400 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN-10: 3888976804
ISBN-13: 978-3888976803
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen