Adriana Altaras: Titos Brille

Adriana Altaras: Titos Brille

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Leben nach dem Holocaust in Deutschland, Jugoslawien und in aller Welt.

Mit vielseitigem Witz und wohltuendem Humor beginnt Adriana Altaras ihre biographischen Aufzeichnungen über ihre verrückte, amüsante und nach dem Krieg weit verstreute Familie.

Sie ist Jüdin, wurde in Zagreb geboren, wo ihr Vater bei den Partisanen um Tito mitmischte. Über sein Leben und das ihrer Mutter erfährt sie aber vieles erst, als die Eltern kurz nacheinander sterben, und sie in der seit vierzig Jahren nicht mehr aufgeräumten Wohnung in Giessen an die Hinterlassenschaft der Eltern gerät. Alte Fotos, Briefe und Aufzeichnungen öffnen ihr die Tür zu ihrer Familiengeschichte, in der es ernsthafte Geheimnisse gab.

Ihr Vater flüchtete aus Jugoslawien, als er 1964 im Rahmen der Säuberungen als Jude aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen werden sollte. Über die Schweiz ging er nach Deutschland, wo er in Giessen als Arzt und Professor am Universitätsklinikum eine Lebensstellung erhielt.

Beim Durchforsten der Hinterlassenschaft gelangen zahlreiche Familiengeheimnisse zutage. Mit jüdischem Scharfblick und aufmerksamer Beobachtung entwickelt die Autorin ein filigranes Familienbild. Von kleineren und größeren Liebschaften des Vaters und über mögliche Geschwister aus diesen Verbindungen ist die Rede, und es wird klar, dass es die Familie mit den jüdischen Riten nicht mehr gar so genau nahm. Dennoch wird die Beerdigung des Vaters natürlich nach jüdischem Ritus begangen. Der Kantor lehnt zum allgemeinen Erstaunen seine Alditüte an den Sarg und begeistert später alle mit seinem Gesang. Die Stimme „erhebt sich über Religion, Politik, über den Schnee, die Neustadt und das Klinikum in Gießen hinweg“, und alle hängen an „dieser Stimme mit Alditüte“.

In munterem Ton, der den Ernst nicht auslässt, erzählt Adriana Altaras lakonisch und frech ihre Familiengeschichte, die bis in die Gegenwart zu ihrem westfälischen Mann und den beiden kleinen Söhnen reicht.
Der Bogen ist weit gespannt und lässt uns teilhaben an der besonderen, zugleich distanzierten und doch warmherzigen Erzählkunst, wie wir sie aus vielen jüdischen Beiträgen in der Literatur kennen. Von Jugoslawien und seinen schönen Städten und Stränden, von Tanten, Cousinen und Cousins ist die Rede, die nach dem Holocaust, sofern sie denn überlebt haben, in aller Welt verstreut leben. Man findet sich und freut sich über ein Wiedersehen. Kuriose, dumme Aussagen alter und neuer Nazis mischen die Geschichte auf.

Israel, Anlaufstelle für hunderte von Flüchtlingen, ist nicht das ersehnte Ziel aller Geflohenen. Alles in allem geht es in dieser Geschichte um Freiheit und Bindung, um Konventionen, Traditionen und wie weit man seine Vergangenheit hinter sich lassen kann. Als die Bar – Mizwa des Sohnes David naht, wird das Fest mit allen erreichbaren Verwandten so gefeiert, wie sich das nach jüdischem Brauch gehört.

Mit ihren Streifzügen durch die Gegenwart und Vergangenheit ist Adriana Altaras eine scharfzüngige und ehrliche Analyse gelungen, wie es sich als Jüdin mit dem Ballast einer Vergangenheit lebt, in der die Welt und das Judentum unterzugehen drohte. Sie bleibt sich treu und ist in ihrer Identität Jüdin geblieben, ohne das als aufdringliche Wahrheit zu verkünden.
Auch in ernsten Lagen spart Adriana Altaras die Komik nicht aus, und das Buch gewinnt die Aufmerksamkeit seiner Leser, die sich der klugen und beredt erzählenden Autorin ganz überlassen können.

Adriana Altaras
Titos Brille
272 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2011
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3462042971
ISBN-13: 978-3462042979
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5 Gedanken zu „Adriana Altaras: Titos Brille

  1. Ich bin 1947 im Osten Deutschlands geboren und lebe noch immer in dieser Kleinstadt. Zur Zeit habe ich die reichliche Hälfte des Buches gelesen und bin unzufrieden. Ich habe gehofft, mehr über jüdische Kultur zu erfahren. Uber Brauchtum und deren Herkunft, was ich sehr vermisse ist auch der Humor z.B. eines Ephraim Kishon, wenigstens im Ansatz. Ich habe immer gern Bücher über andere Kulturen gelesen, wahrscheinlich weil wir aus unserem Land nicht in die weite Welt konnten. Dieses Buch aber macht mich nur nachdenklich über den Generationen übergreifenden pflegenden Schmerz der nachkommenden Generation. Ich bin immer aufgeschlossen gegenüber anders aussehend und d e n k e n d e n Menschen die den Anderen achten. Aber von der Sichtweise der Autorin bin ich enttäuscht.

  2. Das tut mir leid für Sie! Ich habe das Buch sehr genossen; leider, zu allem Übel, finde ich es nicht mehr in meinem Bücherschrank, um nochmals einiges nachzulesen.

    Ich glaube,wer als Nachfahrin jüdische Mitbürger den Holocaust erlebt hat, der kann nur mit ausreichendem Humor überhaupt über eigene Familiengeschichten schreiben.

    Sie sagt ja, dass sie nicht mehr gläubig ist und feiert doch mit ihrer Familie jüdische Feste.

  3. habe das buch gerade gelesen und stimme christa zeinert kommentar zu.die autorin spuckt kräftig in alle töpfe aus dem sie sich ernährt.

  4. Ich habe kaum je mit derartiger Klarhait das Chaos der Postmoderne dargestellt gelesen. Klabe zwar nicht am Christentum, verstehe es aber doch, dass es schwieriger ist, sich vom Judentum loszureisen. Aber irgendwann ist es doch für alle fällig die Lederkoffer aus dem Keller zum Müll zu werfen. Erziehen wir David und Sammy dazu?

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