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Kategorie: Krimi und Thriller

Anne Enquist: Die Betäubung

Anne Enquist: Die Betäubung

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Familie und Beruf: ein Konfliktfeld der besonderen Art.

Der Psychoanalytiker Drik de Jong hat lange Zeit nicht gearbeitet. Er ist um die fünfzig Jahre alt und seine Frau Hanna ist nach langem Leiden kürzlich verstorben. Seine Schwester Suzan und ihr Mann Peter stehen ihm zur Seite. Wir haben es mit einem ausgedehnten Ärztemilieu zu tun, denn Suzan ist Anästhesistin und Peter Psychiater. Roos, die Tochter von Suzan und Peter, hat ihre kinderlose Tante Hanna sehr geliebt, wohl mehr als ihre eigenen Eltern.

Nach langer Trauerzeit beginnt Drik wieder mit seiner Arbeit. Sein erster Patient Allard Schuurman ist kompliziert zu behandeln, und Drik weiß nicht so recht, wie er an den Patienten herankommen soll. Dieser will ebenfalls Analytiker werden und macht eine so genannte Lehranalyse, die für den Beruf des Psychoanalytikers obligatorisch ist.

Die Familiengeschichte der de Jongs mischt sich mit den ärztlichen Verpflichtungen in der Anästhesiologie und dem Fachwissen der Psychoanalyse. Da Anne Enquist selber Psychoanalytikerin ist, kennt sie sich gut aus mit den Mechanismen der Abwehr, der Verdrängung, mit Übertragung, Projektionen und Idealisierungen. In ihrem gut konzipierten Roman stellt sie die „Betäubung“ im medizinischen Alltag der Anästhesiologie der Aufdeckung der Gefühlswelten in der Psychoanalyse gegenüber.

Spannend und aufreibend beschreibt sie den Klinikalltag mit Fachwissen, Konkurrenzen, Intrigen und Teamgeist.
In dem Berufsalltag verschwindet fast das Familienleben, das doch allen, besonders der Tochter Roos, so viel bedeutet.
Zu allem Übel spielt Allard Schuurman eine zwielichtige Rolle, die zuletzt das feine Netz der Zuneigung zwischen den Familienmitgliedern beschädigt.

Tief steigt man in das verborgene Seelenleben der einzelnen ein und lernt, sich mit den anspruchsvollen und konfliktreichen Gegebenheiten des Ärzteberufs aus verschiedenen Fachrichtungen zu befassen. Wohl niemand ahnt, wie nüchtern und praktisch  Operationen verlaufen. Das Mitgefühl wechselt mit der Distanz, ohne die man den Beruf des Arztes wohl kaum aushalten könnte.

Anregend, inhaltsreich und faszinierend versteht uns Anne Enquist in den Berufsalltag und in die menschlichen Verstrickungen ihrer Geschichte mit zu nehmen. Dass ganze Familien unter der Regie eines Psychopathen zerbrechen können, ist nicht neu. Doch wie sie ihre Figuren agieren lässt, welches Fachwissen sie mit ihren Protagonisten verbindet, das ist wohl einmalig unter den Literaten.

Ein Ärztekrimi der besonderen Sorte ist Anne Enquist gelungen.

Sehr lesenswert!

Anne Enquist
Die Betäubung
320 Seiten, gebunden
Luchterhand Literaturverlag, September 2012
ISBN-10: 3630874002
ISBN-13: 978-3630874005
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Ingrid Noll: Über Bord

Ingrid Noll: Über Bord

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Zunächst zum Inhalt dieses kleinen Büchleins: Ellen lebt in einer renovierungsbedürftigen Villa im Odenwald zusammen mit ihrer Mutter und einer ihrer beiden Töchter. Sie ist geschieden, hat eine wenig herausfordernde Stelle im Einwohnermeldeamt und sie hat Geldsorgen. Die Villa ist in der Gegend als das „Nonnenhaus“ bekannt, weil keine der Bewohnerinnen, abgesehen von der 24 Jahre jungen Tochter Amalia, Wert auf Männerbekanntschaften legt. Rosig sieht Ellen ihre Zukunft nicht gerade.

Da taucht plötzlich ein gut aussehender Mann auf. Ellen und Amalia sind erschüttert, als er ihnen offenbart, Ellens Halbbruder zu sein. Damit Oma Hildegard nicht der Schlag trifft, denn diese Tatsache würde bedeuten, dass deren Mann, also der bereits verstorbene Opa, etwas mit einer anderen Frau gehabt hatte, verschweigen sie ihr zunächst das Auftauchen des Fremden mit seiner Behauptung. Ellen verweigert sich rigoros einem DNA-Test, doch deren Tochter Amalia schickt dem neuen Onkel eine Speichelprobe in der festen Überzeugung, ihn nach dem Test ein für alle Mal los zu sein, weil sich seine Behauptung als unhaltbar erweist. Derweil erzählt Ellen den vier Geschwistern von dem neuen Halbbruder. Der älteste Bruder Matthias sucht den Fremden auf. Als beide zufällig vor einer Spiegeltür stehen, bleibt ihnen ihre Ähnlichkeit nicht verborgen. Matthias lässt sich von den Fotos und Schriftstücken überzeugen, dass der Fremde sein Halbbruder ist. Er willigt sofort in einen DNA-Test ein. Doch das Ergebnis aller drei Proben ist erschreckend. Das Chaos nimmt seinen Lauf …

Wortgewandt, gespickt mit vielen Bildern, erzählt Ingrid Noll eine Geschichte, die sich in einer x-beliebigen Familie so abspielen könnte. Der Leser taucht ab in das etwas chaotisch wirkende Leben der Tunkels, die nach außen den Anschein einer ehrbaren Familie erwecken. Doch bald wird klar, dass vieles in der Familie tabu war und nie an- geschweige denn ausgesprochen wurde. Lange muss der Leser allerdings warten, bis aus der Geschichte ein Krimi wird. Es wird dann auch kein Krimi im klassischen Sinne, nach dem üblichem Strickmuster „Ermittler jagt den Täter“. Der hier geschilderte Kriminalfall wirkt viel subtiler und überrascht am Ende umso mehr. Mit viel Spaß blättert man von einer Seite zur nächsten und genießt zusammen mit den Figuren eine Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer.

Ein sehr unterhaltsamer Roman, humorvoll und spannend, der die verschlungenen Wege im Leben und in den Lieben einer im Hier und Heute angekommenen Unternehmerfamilie aufzeigt.

Ingrid Noll
Über Bord
331 Seiten, gebunden
Diogenes, Zürich
ISBN-10:3257068328
ISBN-13: 978-3257068320

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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Olga A. Krouk: Im Visier des Todes

Olga A. Krouk: Im Visier des Todes

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Am Tag der Trauerfeier bringt der Postbote eine Sendung mit Fotos, die zutiefst verstörend wirken. Es sind Fotos von Leahs ermordeter Schwester Céline. Leah ist einer Ohnmacht nahe, doch ein Fremder fängt sie auf. Kay Gordon scheint etwas über die Bilder zu wissen, doch helfen will er nicht. Leahs Fragen bleiben unbeantwortet.

Überraschenderweise hat Céline nicht allein in ihrer Wohnung gelebt, wie von Leah angenommen. Es gibt zwei Untermieter, Nathalie und Thessa. Leah erfährt, dass Céline einen Freund hatte. Es ist nicht Poul, wie sie dachte, sondern ein Fotograf. Offenbar wollte Céline mit seiner Hilfe ihre Karriere als Model vorantreiben.

Leah will mehr wissen über das Fotostudio Dream Impressions und den Fremden, der etwas über die Bilder wusste. Tatsächlich arbeitet er hier, nachdem ein anderer gehen musste.

Leah wird gewarnt. Es würde Konsequenzen haben, wenn sie weiter nach dem Mörder ihrer Schwester sucht. Doch sie denkt nicht daran aufzugeben und wird von Kay erwischt, wie sie vertrauliche Infos stielt. Dennoch ist es der Beginn einer leidenschaftlichen Liebe. Doch ganz vertrauen kann sie ihm nicht.

Das Buch ist sehr spannend und das von Anfang an. Es ist diese unheimliche Stimmung, die neugierig macht. Der Mord an Céline gibt Rätsel auf. Es muss etwas mit ihrer Arbeit als Model zu tun haben, viel mehr weiß man nicht. Der Mörder könnte jeder sein. Das Motiv ist völlig unklar. Selbst der charismatische Fotograf Kay Gordon könnte in die Geschehnisse verwickelt sein. Doch Leah will ihm vertrauen.

Leah geht auf eigene Faust den Spuren nach. Sie wirkt relativ unerschrocken und mutig, aber dennoch vernünftig. Sie riskiert nicht alles und um jeden Preis. So kommt sie als Figur sympathisch rüber und vor allem glaubhaft.

Der Spannungsbogen ist perfekt aufgezogen. Als Leser wird man immer wieder auf die falsche Fährte gelockt. Agierende Personen haben ihre Geheimnisse. Es ist die Undurchsichtigkeit, die fasziniert. Das Ende überrascht. Man wird mit einem Täter konfrontiert, mit dem man nicht gerechnet hätte. Obwohl die Szenen, die aus der Sicht des geheimnisvollen Mörders, ein Hinweis sein könnten. Aber das erkennt man erst zum Schluss.

Rezension von Heike Rau

Olga A. Krouk
Im Visier des Todes
340 Seiten, Klappenbroschur
Egmont Lyx
ISBN-10: 3802586409
ISBN-13: 978-3802586408
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Rita Falk: Grießnockerlaffäre

Rita Falk: Grießnockerlaffäre

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Eigentlich wollte der Barschl ja den Eberhofer umbringen. Angedroht hat er es jedenfalls und das in vollem Ernst. Aber es kommt alles ganz anders. Die letzte Begegnung des Dorfpolizisten aus Niederkaltenkirchen und seinem Landshuter Vorgesetzten gibt es auf der Hochzeit eines Kollegen.

Am nächsten Tag steht das SEK auf dem Hof der Eberhofers und lässt sich auch nicht von der Oma, die beherzt einen Schrubber schwingt, vertreiben.
Gekommen sind die Männer um den Eberhofer zu verhaften. Wegen Mordes. Man hat den Barschl mit durchgeschnittener Kehle auf dem Polizeihof gefunden. Ermordet mit einem Hirschfänger, der auf der Hochzeit die Runde gemacht hat, weil das Fleisch ein bisschen zäh war. Kurz und gut, es ist Eberhofers Messer, auch wenn der nicht weiß, wo das mittlerweile geblieben ist. Es ist, wie es ist, der Eberhofer ist der Letzte, der den Barschel lebend gesehen hat.

Zum Glück legt der Bürgermeister seine Hand für den Eberhofer ins Feuer, so dass der nach der peinlichen Verhaftung schnell wieder nach Hause kommt.
Und weil die Landshuter Polizei sich völlig unfähig zeigt bei den Ermittlungsarbeiten, versucht der Eberhofer selbst, den wahren Mörder zu finden. Keine leichte Arbeit, wenn seine Hauptverdächtige die hübsche Witwe ist. Er fühlt ihr ein bisschen zu sehr auf den Zahn und kommt dadurch in eine noch misslichere Lage.

„Grießnockerlaffäre“ ist der vierte Fall um den Dorfpolizisten Franz Eberhofer. Und wieder ist der Autorin ein sehr guter und unterhaltsamer Krimi gelungen. Diesmal steht der Eberhofer selbst unter Verdacht, einen Mord begangen zu haben, wenn ihm auch keiner wirklich so eine Gewalttat zutraut. Zwar sitz ihm seine Dienstwaffe immer ein wenig zu locker und er hat ein loses Maul, aber wirklich gefährlich ist der Eberhofer ja nun nicht, meistens jedenfalls. Manchmal ist er sogar recht empfindlich und dann schnell beleidigt. Er kann eben gut austeilen, aber schlecht einstecken.

Mit eingebunden ist wieder das halbe Dorf und Eberhofers Familie mit Oma, Papa, seinem ungeliebtem Bruder und dessen Familie, seiner Freundin Susi, die wiedermal nichts zu lachen hat, ihrem Franz aber alles verzeiht, und einem neuen Familienmitglied, dem Paul, einer alten Liebe der Oma.

Mit viel Wortwitz und unter Bedienung aller Klischees, die man aber hier unbedingt erwartet, führt Rita Falk durch den spannenden Krimi und einen Mordfall, der es wirklich in sich hat.

Rezensionen von Heike Rau

Rita Falk
Grießnockerlaffäre
Ein Provinzkrimi
240 Seiten, Klappenbroschur
Dtv – Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423249420
ISBN-13: 978-3423249423
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Harry Dolan: Bell ist der Nächste

Harry Dolan: Bell ist der Nächste

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David Loogan entdeckt auf dem Flur vor seinem Büro ein Manuskript. Doch was da „Gray Streets“ angeboten wird, ist kein fiktiver Krimi. Die Rede ist von einer Mordserie. David Loogen kennt die Namen der zwei bisher ermordeten Männer. Der dritte Mord wird angekündigt. „Bell ist der Nächste“. Die Männer sind Bankräuber. Die Tat liegt lange zurück. Nur einer ist entkommen. Der Fahrer des Fluchtautos. Bis heute weiß man nicht, wer er ist.
David Loogans Freundin, der Kommissarin Elizabeth Waishkey, geht es nun darum, den dritten Mord zu verhindern. Wobei dem Täter bisher nur ein Mord nachzuweisen ist, der an Henry Kormoran. Bei Terry Dawtrey wurde ihm die Arbeit abgenommen. Er wurde während eines Fluchtversuchs, den er bei der Beerdigung seines Vaters auf dem Friedhof unternahm, erschossen.

Der Plan wird tatsächlich weitergeführt mit einem Anschlag auf Sutton Bell. Aber weil eine Frau dazukommt, muss der Täter aufgeben. Er bleibt unerkannt.
David und Elisabeth, jeder auf seine Weise, versuchen hinter das Motiv zu kommen, das den Mörder antreibt. Wer könnte es sein und warum?
Möglicherweise sind die Taten politisch motiviert. Bei dem Banküberfall damals wurde ein Polizist angeschossen und schwer verletzt. Seine Tochter Callie Spencer kandidiert nun für den Senat. Ein Skandal, welcher Art auch immer, wäre alles andere als wünschenswert.

Der Krimi ist äußerst spannend. Der Täter bleibt für den Leser kein Unbekannter, sein Motiv wird allerdings nicht offenbart. Man ist dem Ermittlern also einen Schritt voraus, sieht die Gefahr, kennt aber die Zusammenhänge nicht. Das erhöht die Spannung sehr.

David Loogan und Elizabeth Waishkey gehen dem Fall auf unterschiedliche Weise nach. Loogan hat persönliches Interesse, Waishkey natürlich berufliches. Das passt sehr gut zusammen und macht auch den Reiz des Buches aus, denn Loogan muss sich nicht ganz so gesetzestreu verhalten, wie Waishkey. Was wirklich ausgesprochen gut gefällt sind die spitzfindigen Dialoge, bei denen Loogan ein Gesprächspartner ist. Täuschen und getäuscht werden, ist hier das Motto.

Man wird regelrecht durchgezogen durch den Krimi, der durchweg überaus unterhaltsam bleibt. Immer wieder wird man durch spektakuläre Wendungen überrascht. Ein ums andere Mal müssen die Ermittler vermeintliche Erkenntnisse über den Haufen werfen, weil ein neues Detail die Sachlage ändert.
Wer wirklich hinter den Morden steckt und was das Motiv ist, bleibt lange im Dunkeln, auch wenn man zwischendurch glaubt, dem Täter auf den Fersen zu sein. So ist dann das Ende auch wirklich überraschend.

Rezension von Heike Rau

Harry Dolan
Bell ist der Nächste
480 Seiten, broschiert
Dtv – Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423213981
ISBN-13: 978-3423213981
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Helmut Exner: Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord

Helmut Exner: Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord

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Opfer, Täter und Ermittler – alle tot

Es ist das vierte Buch mit Lilly Höschen, der streitbaren alten Dame, die nicht nach kleinen Hosen benannt ist, sondern „Hö-schen“ heißt. Mit kurzem ö. Man kann „Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord“ aber auch gut als Einzelbuch lesen, sagt der Verlag. Man kann auch Pappe essen. Sie sättigt und ein Teil der Inhaltsstoffe wird bestimmt auch verdaut, Spaß macht es aber nicht.

Ich weiß nicht, ob die ersten Bücher Spaß machen, dieses hier krankt an fast allen Fehlern, die ein (noch) nicht so guter Autor machen kann. Zwar halten sich Tipp- und Semantikfehler in engen Grenzen und die in sich abgeschlossene Geschichte ist auf den Ablauf bezogen rund, wartet mit ein paar hübschen Ideen auf und hat sogar ein, zwei Überraschungsmomente zu bieten. Die Ausführung der Geschichte allerdings ist – literarisch gesehen – stümperhaft. Ein richtiges Lektorat hätte sicher nicht geschadet. Im Gegenteil, meine Erfahrung mit „sowas“ spricht dafür, dass man mit ein paar gezielten Hinweisen der Sache Leben hätte einhauchen können.

Erstmal zum brauchbaren Teil des Buches, dem Plot: Die Handlung beginnt damit, dass eine Frau ihren Ex-Mann vergiftet, weil der ihrer Meinung nach Schuld am Tod ihres Sohnes ist. Dann geht die Handlung bei der frischbackenen Hauptkommissarin Gisela Weniger weiter, die einen neuen Kollegen bekommt. Der war damals in den Fall jenes Sohnes involviert und steht – so vermuten die Kriminalisten – auch auf der Todesliste. Er zieht in Giselas Nachbarschaft, kurz danach kommt in der Straße mit Sabine ein weiterer Neuzugang hinzu, Tante Lilly – genau, die mit dem kurzen ö – reist an und „kriminalisiert“ ein bisschen herum. Der junge Kollege verschwindet, wird dank Lilly befreit und die Dame Höschen findet schließlich in Australien die wichtigsten Bausteine für das Puzzle aus Rache, Mord und kaputten Leben.

Das alles könnte trotz eines kleinen G’schmäckles nach „krampfhaft konstruiert“ durchaus spannend zu lesen sein. Wenn es spannend erzählt worden wäre. Dazu hätte nicht nur gehört, nicht anscheinend wahllos zwischen den grammatischen Zeiten hin und her zu springen, einen flüssigen Text statt so ein Gehüpfe zu bauen – ab der Hälfte gelingt das seltsamerweise sogar – und sich in Sachen Dialoge an eine sinnige Absatzgestaltung zu halten.

Vor allem und in erster Linie hätte sich Autor Helmut Exner um seine Figuren kümmern sollen, die angeblich den Charme der Reihe ausmachen. Was ich in diesem Buch vorfand, waren allenfalls Pappkameraden, die der Autor in den Plot presste. Platte Irgendwers, deren behauptetes Gefühls- und Beziehungsleben im Text nicht stattfand. Die statt dessen unglaubhafte bis alberne Dialoge führten und auf bizarr überdrehte Weise auf selten mehr, meist weniger Komisches und entsetzlich oft sogar auf lediglich als komisch Behauptetes reagierten. Wackelnde Bäuche, brüllendes Lachen und Hände, die vors Gesicht geschlagen werden – und das ständig und ohne Rücksicht darauf, um was für Personen und Situationen es geht. Über diese nicht nachzuvollziehenden, zum Teil blödsinnigen Heiterkeitsausbrüche und hin und wieder nicht weniger unglaubhafte Rührungsszenen haben die Figuren nichts an Leben zu bieten. Hier und da konstruiert Exner etwas in die Story hinein, an dem er „beweisen“ kann, dass Lilly Leute noch immer so fies runtermachen kann wie eh und je, aber das war es dann auch schon.

Dass der Autor auch anders kann, deutet sich ab der zweiten Hälfte des Buches an. Hier entwickelt er eine Neben-Figur vom Grunde an und da fließt dann auch der Text ordentlich und zumindest ansatzweise ist diese Frau zu „spüren“. Dass diese Ausführlichkeit wie Füllmaterial wirkt – ein Schicksal, das diese Frau mit anderen Figuren teilt – ist ein Symptom für das Dilemma des Autors: Der Ablaufplan des Plots ist runtergespult worden und weil das mangels echter Handlung zu wenige Seiten geworden wären, hat er halt aufgefüllt.

Besser wäre gewesen, die Figuren handeln zu lassen. Leben zu lassen. Dass Gisela Mutter eines Säuglings ist, wird zwar ab und zu erwähnt, findet aber de facto nicht statt. Die Kennenlernphase mit dem neuen Kollegen findet nicht statt. Diesem wird ein erwachsener Sohn samt Freundin offeriert – auch dieses Kennenlernen findet nicht statt. Selbst Lillys Gespür findet nicht statt, es beschränkt sich darauf, dass mitgeteilt wird, etwas käme ihr – warum auch immer – seltsam vor, woraufhin sie irgendwas tut. Diese Liste könnte man endlos weiterführen. Exner hatte wahrscheinlich sehr wohl vor Augen, was konkret die Figuren so tun, wie sie sich fühlen und wie sich das in Gesten, Blicken oder spontanen Handlungen äußert – nur aufgeschrieben hat er all das nicht. Das Buch hätte dadurch wenigstens doppelt so dick und sicher zehnmal so unterhaltsam und interessant werden können.

„Lesen ist wie Kino im Kopf.“ Nicht bei diesem Buch. Darin entwickelt sich kein Film, das ist nur der Ablaufplan für einen. Schade.

Helmut Exner
Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord
212 Seiten, broschiert
EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft, Edition Nordlicht, September 2012
ISBN-10: 3943403173
ISBN-13: 978-3-943403-17-6
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Jacques Berndorf: Die Eifel-Connection

Jacques Berndorf: Die Eifel-Connection

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Von diesem Buch habe ich mir die Hörbuchvariante genehmigt. Das hat seinen Grund: Ich mag die sonore Stimme des Schriftstellers Jacques Berndorf, sein dunkles Brummen in das Mikrofon hinein. Berndorf liest seine Bücher so, wie sie auch von mir leise gelesen bei mir im Kopf ankommen. Vielleicht kann ich es auch nicht mehr auseinanderhalten. Bei jedem Lesen höre ich Berndorf in mir. Warum sollte ich ihm dann nicht von vornherein zuhören.

Mit dem vorliegenden Hörbuch bekommt der Hörer ganze zehn Stunden voller Spannung, Intrigen, Rüpeleien, Spaß und Ermittlungen geboten. Mafiöse Strukturen in den ländlichen Gegenden der Eifel, die man so nicht vermuten würde. Wenn man noch dazu weiß, dass Berndorf sein Leben lang Journalist war, ist man geneigt, die geschilderte Kriminalität für bare Münze zu halten. Doch da muss man betonen: „Die Eifel-Connection“ ist sehr gut gemachte Fiktion.

In der Eifel wird abseits von öffentlichen Wegen ein Toter gefunden. Es handelt sich um den Angehörigen einer Bergbaubehörde. Kein Mensch kann sich erklären, was er an diesem Ort zu suchen hatte. Kein Mensch weiß, wen er zum Feind hätte haben können. Der Journalist Sigi Baumeister wird zum Fall hinzugezogen, weil Kommissar Kischkewitz, der eigentlich hätte ermitteln sollen, die Gefährtin seines Vorgängers Rodenstocks, Emma, um Vertretung gebeten hatte. Eigentlich ist Emma keine Polizistin mehr. Sie war es in den Niederlanden vor langer Zeit, aber sie ist bei den Kollegen von Rodenstock und Kischkewitz sehr gut bekannt und wird gelegentlich als Beraterin angeheuert. Und wenn Emma schließlich dann Sigi Baumeister an ihrer Seite hat, dann wundert das keinen mehr, und der Privatermittler hat freie Bahn. Die Ermittlungen führen die beiden in das Kölner Rotlichtmilieu. Doch bevor sie der Sache näher kommen, wird ein weiterer Toter in der Eifel gefunden. Sein Name ist Norbert Bleckmann und er war seines Zeichens Geschäftsmann. Als solcher hatte er einige Geschäftspartner. Deren Verstrickungen untereinander haben es in sich.

Nahezu plaudernd wird dem Hörer die Geschichte dieser beiden Morde und der mafiösen Verflechtungen erzählt. Dabei kommen die beliebten Gespräche zwischen Baumeister und seinem Kater Satchmo nicht zu kurz.
Das Hörbuch ist immer mal wieder eine längere Autobahnstrecke oder eine Extrarunde Jogging wert. Einfach nur spannender Hörgenuss.

Berndorf, Jacques
Die Eifel-Connection
Hörbuch
KBV, Hillesheim
ISBN-10: 3942446162
ISBN-13: 978-3942446167

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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Brian Deleeuw: Der Andere

Brian Deleeuw: Der Andere

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Um es gleich vorweg zu sagen: Der Klappentext ist das spannendste an dem ganzen Buch. Und er hielt immerhin bis Seite 100 bei mir. Dann ging es nicht mehr, was bei mir schon etwas heißen will. Doch worum geht es in dem Roman?

Der sechsjährige Luke erfindet sich im Geiste einen Freund. Die Scheidung seiner Eltern und die Depressionen seiner Mutter sind nicht ganz unschuldig an der Entstehung dieses Freundes Daniel. Der Leser erfährt das Wachsen einer gespaltenen Persönlichkeit. Als Luke ist er ein braver Junge, wie ihn die Eltern lieben. Als Daniel hingegen wird er zum Fiesling. Das soll laut Klappentext schrecklich sein. Im Roman stachelt Daniel Luke etwa an, seinen Hund zu töten. Aber dieses wirklich Böse geschieht erst jenseits von 75 Seiten. Bis dahin herrschten jede Menge Verwirrung und immer wieder die Fragen: Was soll hier geschehen? Worauf soll der Roman hinauslaufen? Welches Ziel hat der „gute“ Luke? Will er seinen Insider wieder loswerden? Will er ihn pflegen?

Der Erzähler, den der Autor gewählt hat, ist ein Wagnis, ein Experiment. Es hat nicht funktioniert. Die Geschichte wird aus der Sicht der gespaltenen Person Daniel erzählt. Es wirkt eigenartig, wenn Daniel von Luke erzählt, den er dabei beobachtet, wie er etwas macht. Schließlich steckt Daniel in demselben Körper wie Luke. Das klingt dann etwa so: „Ich stieß mit dem Fuß unverhofft gegen das Sofa. Das tat sehr weh. Als Luke auf mich zukam, sah ich, dass er einen geschwollenen, dunkelroten Zeh hatte.“ Das ist sehr ermüdend. Außerdem passiert während alledem nicht viel, sodass auch die Handlung keine Spannung hergibt. Auf Seite 92 beginnt der zweite Teil des Buches, zwölf Jahre später, den ich in der Hoffnung zu lesen begann, dass es jetzt spannend würde. Aber meine Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Schade.

Thriller ist etwas anderes.

Deleeuw, Brian
Der Andere
Übersetzt von Ulrike Clewing
352 Seiten, broschiert
Knaur, München
ISBN-10: 3426503875
ISBN-13: 978-3426503874

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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A. D. Milier: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

A. D. Milier: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

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Mütterchen Russland ist gar nicht so lieb, wie es sich anhört!

Rasant, flott und äußerst spannend kommt ein Roman daher, dessen Handlung in Moskau im nachkommunistischen Russland angesiedelt ist.

Nick, ein englischer Anwalt, arbeitet in einer Dependance seiner Kanzlei in Moskau. Diese beschäftigt sich mit internationalen Geldgeschäften.
Er ist schon etwas älter, und ihn haben die Abenteuerlust und der Heimatfrust in die Fremde verschlagen.
Hier in der aufstrebenden russischen Gesellschaft mit ihren zahlreichen mafiösen Strukturen hat ihn die Liebe erwischt. Doch kann man den beiden Schwestern Mascha, seiner vermeintlich großen Liebe, und Katja trauen?

Unheimlich ist der Kosak, ein verschlagener und windiger Typ, der immer zur rechten Zeit auftaucht, um Nick aus der Patsche zu helfen oder den Eintritt in einen besonderen Nachtclub zu ermöglichen. Er führt nichts Gutes im Schilde!

Nick gerät unschuldig und naiv in ein Verbrechen, das nur in diesem Land und in dieser Stadt so vorstellbar ist. Mascha und Katja mit einer Tante, die keine ist, sind die Drahtzieherinnen in einem dubiosen Korruptionsdrama.

Anhand der Geschichte von Nick wird einmal mehr erfahrbar, wohin Korruption, Machthunger, Armut und materielle Gier ohne staatliche und gesetzliche Kotrollen führen können. Russland mit all’ seinem Charme, seinen anarchistischen Lebenswelten und dem Leben als Glücksspiel mit Wodka, Mord und Totschlag erfährt in dieser Geschichte eine adäquate Darstellung.
Fast könnte man Mitleid bekommen mit Nick, der so naiv wie einfältig ist und nicht ahnt, welchen Intrigen er aufsitzt in dieser undurchsichtigen und rücksichtslosen Gesellschaft.

Mit eindringlichen Bildern beschreibt Milier das Klima, die Wohnungen, die Begegnungen und die äußeren Charaktere seiner Figuren. Man meint den eisigen Winter und das prickelnde Feuer kalter Luft auf der Haut zu spüren. Die Dunkelheit und die verstaubten Reste ärmlicher Wohnunterbringungen tun ein Übriges, um den Leser ganz in die Atmosphäre des russischen Winters eintauchen zu lassen.

Millier schreibt packend, einfühlsam, drastisch und warmherzig, wie es einem Ausländer in Russland ergehen kann, einem Land, in dem so ganz andere Regeln herrschen als in dem vergleichsweise biederen London oder dem verhältnismäßig angepassten Bürgertum der westlichen Welt.

Großartig gelungen ist das Debüt des jungen englischen Schriftstellers A.D. Milier, der für verschiedene angesehene Buchpreise, u.a. Booker-Preis, vorgeschlagen war.

A.D.Milier
Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
288 Seiten, gebunden
S. Fischer Verlag, August 2012
ISBN-10: 3100490193
ISBN-13: 978-3100490193
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John Harvey: Schrei aus der Ferne

John Harvey: Schrei aus der Ferne

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Ruth lebt, nach dem sie sich von Simon getrennt hat, mit Andrew zusammen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Beatrice ist zehn Jahre alt. Um ihre Tochter Heather trauert Ruth immer noch. Sie verschwand während eines Campingausfluges, den sie mit ihrer Freundin und deren Familie unternommen hatte. Heather wurde später tot in einem alten Minenschacht gefunden, während die Freundin von einem in der Nähe lebenden Einsiedler gerettet werden konnte. Was genau passiert war, konnte nie zweifelsfrei nachvollzogen werden. Ihre Ehe mit Simon ist daran zerbrochen.

Dennoch ist Ruth glücklich in ihrer zweiten Beziehung, soweit man das sagen kann. Sie versucht ihr Leben zu leben, auch wenn die Gespenster der Vergangenheit ihr auch nach fünfzehn Jahren oft bedenklich naherücken.

Als Beatrice nach ihrem Flötenunterricht verschwindet, beginnt der Albtraum neu. Die Kleine sollte von ihrem Vater abgeholt werden, stand aber nicht wie erwartet vor dem Haus des Lehrers. Da Andrew sich verspätet hatte, ist es möglich, dass Beatrice sich alleine auf den Weg gemacht hat. Doch sie taucht nicht wieder auf.

Detective Inspector Will Grayson und seine Kollegin Helen Walker werden mit dem Fall betraut. Dass zwei Mädchen einer Mutter, wenn auch mit großem zeitlichem Abstand verschwinden, kann kein Zufall sein. Also wird auch Trevor Gordon, der Ermittler von damals, hinzugezogen.

Für Will Grayson sind noch andere Entführungsfälle von Mädchen relevant. Er hat einen ganz bestimmten Verdacht. Ohne Beweise kann er allerdings nichts tun. Er hält die Augen offen und übt Druck auf die betreffende Person aus. Damit handelt er sich aber im Gegenzug eine Bedrohung seiner Familie gegenüber ein. Nach und nach verschärft sich die Lage bis sich dann die Ereignisse überschlagen.

Der Krimi überzeugt durch einen guten Aufbau. Vergangenheit und Gegenwart werden parallel beleuchtet. Ob ein Zusammenhang zwischen dem damaligen und dem heutigen Fall besteht, wird dem Leser aber nicht offenbart. Man kann, wie zunächst auch die Ermittler, nur Vermutungen anstellen. Das macht die Sache spannend. Mit der Zeit kommen Puzzleteile zusammen. Manche erweisen sich als hilfreich, andere Hinweise enden in einer Sackgasse. Einiges ist nicht greifbar, obwohl augenscheinlich.

An Dramatik ist der Krimi kaum zu überbieten. Fesselnd und routiniert schreibt der der Autor die Geschehnisse fort. Den handelnden Personen kommt dabei sehr viel Aufmerksamkeit zu. Das Privatleben der beiden Ermittler spielt eine große Rolle. Besonders Will hat es irgendwann nicht mehr in der Hand, seine Familie herauszuhalten. So bleibt das Buch bis zum Schluss ausgesprochen spannend.

Rezension von Heike Rau

John Harvey
Schrei aus der Ferne
Deutsch von Sophie Kreutzfeldt
544 Seiten, broschiert
Dtv – Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423213922
ISBN-13: 978-3423213929
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