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Autor: jon

Alf Stiegler: WetGrave

Alf Stiegler: WetGrave

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WetGrave ist die völlig überarbeitete Neuveröffentlichung eines älteren 80-Seiten-Buches von Alf Stiegler. Ob man die Story wirklich als 224-Seiten-Variante (der Rest im Buch ist Werbung für das weitere Werk des Autors) nochmal rausbringen musste, weiß wohl nur der Autor; immerhin bekam ich sie so in die Hand. Und: Die Idee, der Grundplot gefällt mir.

Aber: Das Buch gefällt mir nicht, nicht richtig jedenfalls. Und das liegt weniger daran, dass ich so gar keinen Nerv für Horror und Grusel habe und das Buch zu zwei Dritteln aus genau sowas besteht – und zwar fast in Reinform. Schon eher daran, dass ich auf einen Lesemodus umstellen musste, bei dem nicht ständig mein Lektoratsradar ansprang. Zum Beispiel ertappte ich mich am Anfang immer öfter bei dem Gedanken, wann es denn nun endlich losgeht; vor allem die Redundanzen machten das erste Viertel recht behäbig. Dazu kamen zwei in Sachen Erzählerstandpunkt unpassende Kapitel, das zweite davon war zudem ausgesprochen überflüssig.

Im ersten Drittel des Buches erfährt man als Leser von den Bases, einem umfangreichen System vom Raumstationen, die um die völlig verschmutzte und ausgelaugte Erde kreisen und die der Oberschicht und dem Mittelstand Heimstatt bieten. Die Menschen, die auf der Erde dahinvegetieren, werden Bürger genannt. Hauptreisemittel ist ein System vom Sprungtoren, die unter Ausnutzung von Dimensionswechseln funktionieren. Das alles – die Bases samt der Tore – wird als Basenet bezeichnet, dieses wiederum wird von einer Mega-Firma namens HypCon kontrolliert. Gegen diese Firma hat der Protagonist namens Pressure offenbar etwas; wie das kam, bleibt weitgehend offen. Wie die Sprungtore funktionieren, erklärt Pressure einem jungen Sicherheitsmann. Die Methode, Infodump in Dialogen zu tarnen, ist weit verbreitet und in dem Fall nur durch einen dabei fallenden Schlüsselsatz zu entschuldigen, der später im Buch noch von Bedeutung sein wird.

Auch eine zweite Information wird über diesen Dialog an den Leser gebracht; weniger glaubwürdig diesmal, was mir die Infodump-Tarnung unangenehmer machte. Der Leser erfährt darin von einer Legende, die – aus nur sehr unzureichend nachvollziehbaren Gründen – als WetGrave in die Folklore der Bases eingegangen ist. Pressures Äußerungen legen nahe, dass er die Legende durchaus nicht als reines Schauermärchen versteht. Mittels eines speziellen Codes der Art, wie sie für die Dimensionsreisen nötig sind, macht er sich daran, das große Geheimnis zu lüften.

Und was dann kommt, ist in allererster Linie ein Schwelgen in Grusel- und Horrormotiven: Stoffgewordene Schwärze, eklige Oberflächen, „ungute Gefühle“, Glibber, im Unsichtbaren bleibende aber spürbar werdende Wesen mit Totenkopf-ähnlichen Schädeln und gespenstigen Körpern, üble Gerüche, gifte Gase, Erbrochenes, Wände rohen Fleisches, Feuchte an allen Ecken und Enden, unsägliche körperliche Verstümmelungen, schreckliche Schreie und qualvolles Quieken … sogar das Motiv des Geisterhauses findet sich und auch der Typ, der einen Blick auf die andere Seite wirft und als seelisches Wrack zurückkommt, fehlt nicht. All das ist recht süffig runtererzählt und dank des oben erwähnten Lesemodus kam ich ohne größere Stolperer gut voran. Nur dass ich, wie ebenfalls schon erwähnt, so gar keinen Nerv für sowas habe und es eher als Ausbremsen des Plottes empfand. Die Frage „Was ist da los?“ wird in dieser gesamten Zeit in der Schwebe gehalten und zwar so sehr, dass sie dabei erstarrt. Es gibt nichts, was man als Annäherung an die Antwort oder als ein Vertiefen der Frage hätte lesen können – alles ist irgendwie nur Kulisse.

Im hinteren Viertel zieht die Handlung dann aber wieder an und zum reinen Ekel- und Horror-Gemenge kommt nun auch echte, plotbedingte Spannung hinzu. Diese steigert sich in dramaturgisch geschickter Weise und mündet in einen gut konstruierten Höhepunkt mit Auflösung und passendem Ausklang. Das versöhnte mich mit dem langen Anlauf.

Fazit: Fans des fantastischen Horrors sind mit dem Buch gut bedient. SF-Fans brauchen die Bereitschaft, sich in die Grusel-Ecke zu begeben, da der SF-Faktor doch über weite Passagen in den Hintergrund rutscht. Für Freunde richtig gut gemachter Erzählungen ist das Buch wohl eher ein Pausenfüller. Trotzdem: Ideen und Plot sind gut und auch lesen lässt sich das Ganze recht süffig – das reicht für dreieinhalb Sterne.

Alf Stiegler
WetGrave
ASIN: B01HOE5XI8
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Peggy Weber (Herausgeber): Im Licht von Orion: 2015 Collection of Science Fiction Stories

Peggy Weber (Herausgeber): Im Licht von Orion: 2015 Collection of Science Fiction Stories

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Ich habe nicht viel Zeit und Muse, außerhalb des Jobs noch etwas zu lesen. Eine Geschichtensammlung kam mir da gerade recht. Science Fiction aus deutscher Feder verspricht „Im Licht von Orion“ aus dem Verlag für Moderne Phantastik. Warum der Untertitel („2015’ Collection of Science Fiction Storys“) englisch sein musste, wissen wohl nur der Verleger und die Herausgeberin Peggy Weber-Gehrke. Dass das Cover-Motiv sehr Fantasy-artig wirkt, störte mich hingegen überhaupt nicht. Außerdem kann man durchaus einen Bezug zum Inhalt herstellen – aber dazu später.

Zur Sammlung also …

Die Güte der Texte spannt sich über fast die gesamte Qualitätsbreite. Ganz dicht an „Das geht gar nicht“ bewegte sich zum Beispiel „Das Symbol“ von F. Anderson. Die eher krude Wüsten-Abenteuer-Story ohne nennenswerten Spannungsbogen, dafür mit emotionsloser, aber kitschig formulierter Love-Episode und wie abgehackt wirkendem Ausgang, der eine Weiterführung fürchten lässt, ist in einem Stil erzählt, wie ich ihn eigentlich nur von Erst-Schreibern (und welchen, die in dem Stadium steckenbleiben) kenne. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Es gibt noch eine zweite Story von F. Anderson in der Anthologie und diese ist zwar auch nicht perfekt – insbesondere die sehr unoriginelle Idee enttäuscht – aber doch um Längen besser erzählt.

Das betrifft auch die anderen Storys, die ich eher an der Nicht-so-überzeugend-Seite ansiedeln würde. Mal erreichte mich die offenbar beabsichtigte Stimmung nicht, mal fehlte mir bei aller Technikerklärung die Story, mal waren die Dialoge unglaubhafte Infodump-Vehikel. Einmal ärgerte ich mich über die verpatzte Pointe, die eine an sich witzige Wendung ins Kitschig-Alberne überdehnte. Dazu kommt, dass vor allem am Anfang so viel Setz- und Korrektoratsfehler enthalten sind, dass der Einstiegseindruck nicht eben überzeugend war.

Und jetzt das Aber: Das alles ist nur ein Teil der Anthologie – ein Sechstel oder Fünftel vielleicht. Der „Rest“ der Geschichten ist gut bis sehr gut. Also sprechen wir lieber über einige dieser Geschichten …

Cliff Allisters Story rund um Wells’ Zeitmaschine ist stimmig gemacht, kam mir aber sehr vertraut vor. Sicher, dass der Text 2015 das erste Mal veröffentlicht wurde?

Die „Flitterwochen“ von Matthias Falke hatten eine ausgesprochen nette Idee in Sachen „fremde Gebräuche“, spielen erzählerisch aber nicht ganz oben mit.

„NNT 275“ von Galax Acheronian bot beides: eindrucksvolle Ideen, die mich voll und ganz ansprachen, und Erzählkunst. Auch „Harmonice mundi“ von Regine Bott überzeugte mich in dieser Hinsicht. An beiden Texten gefällt mir vor allem, dass Themen aufs Tapet kommen, die in allen Zeiten zu den eher problematischen oder zwiespältigen Aspekten des Menschseins gehör(t)en. In gewissem Sinne gehört auch „Reha 2.0“ von Michael Stappert dazu, wobei hier der Bogen zu den Niederungen wirtschafts-politischer Entscheidungen schon sehr deutlich geschlagen wird. In „Der Gebühreneinzugbevollmächtigte“ von B. C. Bolt geht es ebenfalls ums Finanzielle, allerdings wird hier ein richtig schön schwarzhumoriger Tonfall angeschlagen.

An der Stelle ein kleiner Rückgriff in die Schublade der grenzwertigen Story: „Spätes Erwachen“ ist die Geschichte, die den oben erwähnten Bezug zum Cover-Motiv herstellt. Michael Thiele erzählt in einem durchaus süffigen Ton von einem Amazonen-Abenteuer. Leider sind einige Erotik-Elemente eher albern (Lieber Herr Thiele: Soooo groß ist das weibliche Interesse an der männlichen Brust nicht, vor allem nicht, wenn da was anderes ist der Gegend rumsteht.) und die eigentliche Geschichte (Was ist das für ein Typ, was macht er da und was bedeutet dieses Erlebnis für ihn?) wird nicht hier erzählt.

In „Zilie“ führt Christopher Dröge andererseits vor, dass dieses „Worum geht es eigentlich“ gar nicht immer in eine Geschichte hineingepresst werden muss. Er entfaltet im Hauptteil der Story ein farbiges Bild von einem unter wirtschaftlicher Knute Chinas stehenden Afrika, kombiniert es mit einer glaubhaften Außenseiter-Story und einem spannenden Seltsame-Ereignisse-Plot. Das war richtig, richtig gut geschrieben. Leider konnte er sich nicht verkneifen, im Ausklang noch ein Haufen Hintergrundinfos für diese Ereignisse zu liefern – das ist zwar auch süffig gemacht, zerdehnt aber den Spannungsbogen nach hinten raus etwas zu sehr.

Die Highlights der Anthologie sind für mich „Fehler im System“ von Oliver Koch und „Die Verführung der Mona Lisa“.

In ersterer Story überraschte mich zuerst die sehr schlicht gehaltene Sprache: Es „hörte“ sich an, als erzähle ein Kind. Dann wurde klar, dass es um einen erwachsenen Mann ging. Geistig zurückgeblieben vielleicht. Dazu passten – so merkwürdig das auch klingen mag – die wunderschönen, hochkreativen Formulierungen, wenn es um tiefe Gefühle des Protagonisten geht. Da hat jemand mal so ganz und gar nicht auf Standards zurückgegriffen – vielleicht der Held aus Unwissen um diese Konventionen, der Autor vermutlich, um sehr wirksame Akzente zu setzen. Dass sich diese so spezifisch eingeschränkte Sprachfähigkeit auch ganz anders erklären lässt, wird erst am Ende klar. Ich neige beim Lesen wirklich nicht zu Gänsehaut – hier hatte ich so einen Moment.

Ganz anders die Wirkung von „Die Verführung der Mona Lisa“ von Rico Gehrke. Hier herrscht von Anfang an eine sehr gekonnte und dabei völlig natürlich wirkende Sprache vor. Der Mann, der da von seiner irritierenden, ihm aber durchaus angenehmen Begegnung mit einer bildschönen jungen Frau spricht, ist bis in die Haarspitzen hinein glaubhaft. Beide Figuren sind ausgesprochen sympathisch, obwohl sie Dinge tun und denken, die in anderer Verpackung wohl eher Naserümpfen auslösen würden. Man versteht aber, warum sie es tun, und dass es in gewissem Sinne die natürlichsten, die menschlichsten Reaktionen der Welt sind. Die Story kommt ohne Effekthascherei aus und entwickelt sich doch nach allen Regeln der Kunst zu einer schönen Überraschung.

Nun könnte ich sicher noch über die anderen Geschichten sprechen – hier und da reizt es mich sogar –, aber für einen Eindruck soll das hier mal genügen. Alles in allem: „Im Licht von Orion“ ist nicht die perfekte SF-Story-Sammlung, aber eine durchaus lesenswerte mit richtig schönen Perlen. Kaufempfehlung!

Peggy Weber (Herausgeber)
Im Licht von Orion: 2015 Collection of Science Fiction Stories
Verlag für Moderne Phantastik, 2016
ISBN-10: 3981692985
ISBN-13: 978-3981692983
528 Seiten
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Mara Winter: Verblüht

Mara Winter: Verblüht

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Spannend. Verwirrend. Anstrengend. Unbefriedigend. Interessant. – Das sind in etwa die Schlagworte, die mir nach dem Lesen von „Verblüht“ von Mara Winter in den Sinn gekommen sind. Aber der Reihe nach:

Ich hatte von der Autorin eine PDF-Version ihres 72-Seiters „Verblüht“ bekommen und wahrscheinlich eine Vorab-Version des Episoden-Krimis erwischt. Es gab massenhaft Satzfehler: Sinnfreie Leerzeilen bzw. Abschnittsbildung zerrupften den Lesefluss, es gab halbe und sogar ganze Leerseiten und am Ende auch noch ein Einzugswirrwarr. Wahrscheinlich – hoffentlich – sind diese Dinge vor dem Druck bzw. der Veröffentlichung als E-Book noch behoben worden, also schieben wir das mal beiseite.

Schon am Anfang gefiel mir der Klang des Textes: konzentriert, mit Drive und unverschnörkelt. Da entstand ein Sog, der mich in die Erlebenswelt von Ich-Erzähler Mira reinzog, auch wenn sie diese eher respektlos-ironisch und damit von ihrem Inneren ablenkend darbot. Dass man mit Schlafstörungen mitnichten zu einem Psychiater geht und auch sonst nicht alles gänzlich glaubhaft bei mir ankam, spielte da kaum eine Rolle. Der plötzliche Tempuswechsel von Vergangenheit zu Gegenwart tat es allerdings schon – ich sehe bis jetzt nicht, was der bedeuten soll. Auch an den anderen Stellen, wo er auftrat, wirkt er deplatziert. Ich habe eine ungefähre Vorstellung, was der Wechsel soll, tatsächlich aber geht das in dem immer selben Tonfall und den Satz-Problemen sang- und klanglos unter. Über die Sinnhaftigkeit dieser Konstruktion könnte man auch streiten.

Die nächste Episode ist wieder von einer Ich-Erzählerin. Ich war verwirrt, denn Mira scheint am Ende des vorigen Kapitels gestorben zu sein. Tatsächlich ist es auch jemand anderes, jemand offenbar Uraltes, denn meines Wissens ist es schon um die 100 Jahre her, dass Rosa die Jungenfarbe war. Irritierend fand ich deshalb, dass plötzlich das Kind Sven hier auftaucht, jener Sven, wegen dem Mira so viele Probleme hatte. Erzählt wird – wie eigentlich in allen Episoden – eine Liebes- bzw. Beziehungsgeschichte, die zunehmend seltsam wirkt und schließlich tödlich endet. Vermutlich jedenfalls.

Neue Episode, neuer Ich-Erzähler. Männlich diesmal. Sven. Eine verstörende Story. Viele Morde. Wie viele? Die Andeutungen lassen einen Interpretationsspielraum.

Nächste Episode: Weibliche Ich-Erzählerin; Stiefmutter von Sven. Auch keine „normale Geschichte“. Dann erzählt Svens Schwester. Dann ihre Mutter … Kurz: Nahezu alle Episoden erzählen die gleiche Familiengeschichte, die durch die verschiedenen Blickwinkel immer völlig anders wirkt. Oft dauert es ein wenig zu lange, ehe der Text offenbart, wer gerade „dran“ ist – auch, weil alle Figuren im haargenau selben Stil erzählen, als seien sie eigentlich nur Varianten einer einzigen Person. Und: Das Einpuzzeln ins detailreich durchkonstruierte Gesamtbild erfordert durchaus erhöhte Aufmerksamkeit, unter anderem wegen der Personenfülle, weil die Episoden sich zeitlich in unterschiedlichem Rhythmus überlappen und weil der konzentrierte, essenzartige Tonfall dem Leser keinen Raum zum Durchatmen und Sortieren lässt.

Dieser Tonfall – ich erwähnte es schon – erzeugt andererseits einen Sog, der mich durch das Buch zog. Außerdem wollte ich wissen, worauf das alles hinaus läuft. Nun: Das habe ich nicht erfahren. Es bleibt ein Kaleidoskop. Zwar verändert sich das Bild immer wieder, aber es gibt – außer dass es immer die gleiche Geschichte ist – keine tiefer gehenden Verknüpfungen. Keine Episode verändert eine der vorhergehenden in ihrer Bedeutung, nur die Fakten nehmen Bezug aufeinander. Es ist zum Beispiel schnurz, warum Christine Gerd heiratet, für ihre Stiefkinder scheint das keine Auswirkungen gehabt zu haben.

Alles im allem ist das ein interessantes Buch. Die Idee, die selbe Story aus verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen, wird hier konsequent auf die Spitze getrieben und spiegelt damit eindrucksvoll, wie wirkmächtig diese Diskrepanz zwischen Realität und Wahrnehmung sein kann. Das passende Zitat dazu aus dem Buch: „Der eine denkt sich etwas aus und projiziert etwas in sein Gegenüber. Der andere greift ein Wort auf und spinnt daraus seinen eigenen Film. Weil wir alle die gleichen Wörter benutzen, glauben wir, uns zu verstehen, aber du hast nicht den Funken einer Ahnung, was im Kopf deines Liebsten wirklich vorgeht.“ Beim Aufdröseln dieser Diskrepanz werden die Grenzen der Plausibilität mitunter aus- oder vielleicht sogar überreizt, was allerdings durch die Verwendung des Ich-Erzähler-Modus inhaltlich durchaus abgedeckt ist.

Leider rundet sich die Geschichte zwar zeitlich und faktisch, aber sowas wie eine durchgehende Kausalität über die personelle Verknüpfung hinaus stellt sich nicht ein. Das ist im Leben zwar auch eher die Regel, aber von Literatur erhoffe ich mir ein bisschen mehr. So ausgeklügelt das sich am Ende präsentierende Bild auch ist: Es scheint rein zufällig entstanden zu sein. Fast alle Ereignisse könnte man ohne Weiteres mit anderen Ich-Storys unterfüttern, eine Art „innere Gesetzmäßigkeit“ wird – für mich zumindest – nicht sichtbar. Wie Leben „funktioniert“, warum Menschen tun, was sie tun, wird höchstens angedeutet.

Übrigens: Natürlich ist das Ganze trotz eindeutig vollzogener und zu vermutender Morde kein Krimi – niemand „registriert“ diese Morde und keiner ermittelt. Und: Mir ist die Rolle von Frau Dr. Körbchen nicht klar und auch für die Episoden-Titel, die alle mit Blüten zu tun haben, habe ich keine Erklärung. Ist aber nicht schlimm – ich habe das Büchlein trotzdem sehr gern gelesen.

Mara Winter
Verblüht
CreateSpace Independent Publishing, November 2015
Taschenbuch, 72 Seiten, E-Book
ISBN-13: 978-1519293176
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Peter Simon Fenkart: Wurzeln im Sein – Wir sind zur Erfüllung berufen

Peter Simon Fenkart: Wurzeln im Sein – Wir sind zur Erfüllung berufen

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Peter Simon Fenkart schreibt am Anfang seines Buches, er wolle mit „Wurzeln im Sein“ keinen Ratgeber vorlegen, er wolle nur erzählen, wie man seiner Erfahrung nach Erfüllung findet. Fünf Jahre habe er an dem Thema herumgedacht und darüber gelesen und mit anderen darüber gesprochen und sich – wie man so sagt – damit auseinandergesetzt. Und nun …

… hat man als Leser einen Ratgeber in der Hand, einen, der sehr gute Tipps dafür gibt, wie man den Zustand Erfüllung (oder wenigstens Zufriedenheit) erreichen kann. Ich zumindest fand genau die „Handlungsanweisungen“, die meiner Erfahrung nach zum Erfolg führen. Dabei geht es nicht um Atemübungen, Meditationsformeln oder Vorschriften der Art „Lebe vegan!“, „Zieh aufs Land!“, „Tritt einer Hilfsorganisation bei!“ oder dergleichen. Nein, es läuft auf eine tiefgreifende innere Veränderung hinaus, die nicht unbedingt den Charakter eines revolutionären Umbruchs haben muss, sondern eher evolutionär abläuft.

Aber fangen wir von vorn an, mit der Frage, was „Erfüllung“ eigentlich ist. Für Fenkart ist dieser Zustand nicht dasselbe wie „Glück“, denn dieses sei nur ein vorübergehender Zustand, ein relativ rasch erlöschendes Hochgefühl. Ein Rausch gewissermaßen. Wie bei anderen Räuschen ist man geneigt, nach dessen Abklingen einen neuen Rauschschub zu suchen, und in der Regel braucht man dafür einen noch ein stärkeren Stimulus und einen noch stärkeren und einen noch stärken … und ehe man sich versieht, ist man die meiste Zeit damit beschäftigt, dem Rausch nachzujagen. Dabei fühlt man sich zunehmend unzufrieden, weil es immer schwerer wird, „Glück“ zu empfinden und dieses Gefühl, wenn man es doch erreicht, immer weniger hoch brandet. Erfüllung hingegen brandet nicht hoch – auch wenn sie durchaus Glücksmomente bringt – und geht zugleich doch über ruhige Zufriedenheit hinaus. Sie ist mit dem Gefühl verbunden, Teil von etwas Größerem zu sein, den Blick auf oder in etwas Größeres werfen zu können. Das kann etwas Spirituelles oder Religiöses sein, wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich zu einem intuitiven Verstehen des Ganzen weiten, das Finden von haargenau dem Platz im Leben, für den man sich berufen fühlt, der einem als Sinn seines Lebens fühlbar wird.

Peter Simon Fenkart betrachtet in dieser Anfangsphase des Buches diesen Unterschied zwischen Glück und Erfüllung, schaut auf das Phänomen Berufung, entwirft ein Etagenmodell, in dem die Befriedigung elementarer Bedürfnisse als Kellergeschoss, die „übliche“ Zufriedenheit mit Glücksmomenten als Erdgeschoss und der Zustand der Erfüllung als oberste Etage formuliert sind. Daran macht er klar, dass zum einen die oberen Geschosse ohne die unteren keinen Halt hätten, zum anderen aber eine Durchlässigkeit nötig ist: Man lebt nicht ständig ganz oben, manchmal muss man profane Kellerjobs machen – wichtig ist, dass man den Weg nach oben kennt und so oft wie möglich auch geht.

Schon in diesen Abschnitten des Buches betont Fenkart immer wieder, dass Erfüllung einem nicht zufällt. Der Weg dahin beginnt mit dem Beschluss, Erfüllung finden zu wollen. Das klingt trivial, ist es aber nicht. Fenkart erklärt in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen Wünschen und Wollen. Das tut er – wie fast immer im Buch – wortreich und mithilfe verschiedener Bilder. Das mag redundant wirken und wahrscheinlich ist es das auch. Aber das ist bei diesen Projekt auch nötig, denn es geht in dem Buch nicht darum, eine Abhakliste zu erstellen, sondern das Innere des Suchenden so zu formen, dass er erfolgreich bei seiner Suche sein kann. Es geht um nichts Geringeres als eine psychische Umschulung, ein Ändern von Automatismen, von Denk- und Verhaltensmustern. Es geht um eine Modifizierung des Unbewussten und – und das vor allem – einen neuen Zugang zum Unbewussten. Und das braucht Zeit, braucht übende Wiederholung.

Das alles bringt Peter Simon Fenkart allerdings in viel bodenständigeren Worten an den Leser als ich es hier zusammenfassen kann. Deshalb ist das Projekt ja auch ein etwa 200 Seiten dickes Buch und nicht nur ein Artikel, der die Schlüsselworte nennt und kurz erläutert. Vor allem aber lässt es sich deutlich besser lesen.

Im Buch geht es nach der Beschlussfassung … nein nicht mit dem „Umkrempeln der Lage“ weiter, sondern mit der Beschäftigung mit dem Ist-Zustand. Unmittelbar damit verbunden ist das Erlernen von „Achtsamkeit“, wie es neuerdings genannt wird, wenn man wahrnimmt, was um einen herum passiert und – und das ist das Wichtigere – was das in einem auslöst. Erst danach geht es darum, sich, sein Verhalten und – wenn nötig – sein Umfeld so zu verändern, dass das, was man da wahrnimmt, sich richtig anfühlt. Richtig in Bezug auf das Ziel, auf die Erfüllung, die Berufung, den Sinn – Fenkart zäumt da das Pferd von verschiedenen Seiten her auf.

Während er zu „Erfüllung“ und „Berufung“ bereits die Methode unterfütternde Betrachtungen angestellt hat, widmet sich Fenkart im Mittelteil des Buches der Sinnfrage. Aus meiner Sicht nicht sehr glücklich, auch wenn man den Bereich nicht ganz weglassen kann. Immerhin ist „Was für einen Sinn hat mein Leben denn?“ die häufigste Formulierung in diesem Themenkreis. Fenkart spricht dazu von einem Sinn, der angeblich jedem Menschen eigen ist, und den jener finden muss, um Erfüllung zu erlangen. So, als sei es haargenau dieser eine Diamant, ohne den alles unfertig bliebe. Und wie bei einer Schaufel, die sich ja auch ihren Sinn nicht selbst geben könne, würde es auch für den Menschen einen externen Sinnstifter geben. Dieser habe vernünftigerweise den Menschen mit allem ausgestattet, was nötig ist, um diesen Sinn zu finden, und er würde ihn mittels „Leitplanken“ – gemeint sind schmerzliche Ereignissen – unterstützen, auf dem richtigen Weg zu bleiben. Dass man da berechtigterweise fragen kann, wieso dieser Stifter den Menschen nicht einfach so den Sinn erfüllen lässt, sondern sogar in Kauf nimmt, dass viele, sehr viele Menschen diesen Sinn nie finden, nie Erfüllung finden, zwingt den Autor zu einer nicht ganz handfesten Abhandlung über den freien Willen. Hier klingt das Wortreiche dann auch eher schwaflig, wie man es oft findet, wenn jemand gedanklich noch nicht zum Punkt gekommen ist oder der Punkt nicht wirklich in das Gesamtkonstrukt passt, sondern mühsam hineingeredet werden muss.

Wer dieses Buch liest – und ich empfehle das durchaus – sollte also in diesem mittleren Bereich Vorsicht walten lassen. Anders als Fenkart am Anfang des Buches behauptet, ist es nämlich nicht unerheblich, welches Modell man einer Methode zugrunde legt. Das Motto „Hauptsache, es funktioniert“ gilt nur in dem auf die eine Sache begrenzten Maß. Nehmen wir das Beispiel Barbara Pachl-Eberhart. Diese Frau hat innerhalb kurzer Zeit erst ihren Mann dann ihre beiden kleinen Töchter an den Tod verloren. Sie schrieb ein Buch über die Zeit danach („Warum gerade du?“), das vielen Menschen half. Nach Fenkarts These war es also nicht ihre Bestimmung, nicht ihr Sinn, diesem Mann und diesen Kindern Frau bzw. Mutter zu sein. Was sie in jenen Tagen an Erfüllung fühlte, war demzufolge Selbstbetrug. Schlimmer noch: Was war dann der Sinn des Mannes und der Kinder?

Stellen wir die Sache mal auf die Füße: Es gibt keinen „objektiven“ Sinn. So wie die Schaufel an sich keinen Sinn hat, sondern der Sinn sich erst im Einsatz der Schaufel – zum Schippen, zum Dekorieren, zum Morden oder als provisorischer Ersatzzaunspfahl – ergibt, so ergibt Sinn erst im Handeln des Menschen. Und so, wie der Schaufelbenutzer den momentanen Sinn der Schaufel bestimmt, so bestimmt der handelnde Mensch den Sinn seines Handeln (Nachdenken, Planen etc. eingeschlossen). Noch ein Haken bei Fenkarts Ansatz: Wenn der Mensch nur Erfüllung spürt, wenn er seine ihm aufgetragene Aufgabe erfüllt, wie kann es dann sein, dass er schon mit Erfüllung „belohnt“ wird, wenn er die Aufgabe nicht erfüllt, sondern nur daran arbeitet? Selbst Fenkart betont aber – völlig zu Recht aus meiner Sicht – dass Erfüllung eben nicht vom Abschließen einer Arbeit abhängt.

Nachträglich wundere ich mich, dass Peter Simon Fenkart in der Unterüberschrift des Buches schon einen Schlüsselsatz sagt, den er im Buch selbst jedoch nicht aufgreift. „Wir sind zur Erfüllung berufen“ steht vorn drauf – drinnen wird aber von allen möglichen Berufungen geredet, außer eben der, nach Erfüllung zu streben. Dabei wäre das der am besten handhabbare Ansatz. Die Verbindung zur Sinn-Frage, wie sie in der Regel gemeint ist, stellt Fenkart in seinem Buch selbst her: Am besten dienen wir der Gemeinschaft oder eine Sache, wenn wir nicht mit uns um möglichst viele Glücksmomente kämpfen. Es ist in jeder Sichtweise – egal ob mit Sinnstifter oder ohne – sinnvoll, Erfüllung zu fühlen und mit der daraus erwachsene Kraft und Ausstrahlung eine wie immer geartete Aufgabe zu erfüllen.

Und sogar die „Methode“, die Fenkart de facto vermittelt, ist völlig unabhängig davon, ob man an einen Sinnstifter glaubt oder Naturgesetze als das nimmt, was sie sind (sie haben keinen Sinn, denn sie sind ziellos, sie beschreiben nur Zusammenhänge). Am Ende geht es „nur“ darum, zu lernen. Zu lernen, äußere An/Forderungen als solche zu erkennen. Zu lernen, innere An/Forderungen wahrzunehmen, also der ureigenen Bedürfnisse gewahr werden, die sich im Unbewussten manifestieren und sich per Emotion oder unerwarteter Handlung – „Keine Ahnung, warum ich das eben gemacht habe.“ – ins Bewusstsein spiegeln. Und zu lernen, im Handeln (Denken und Planen inklusive) dieses Innere zu seinem „Recht“ kommen zu lassen, es nicht zu ignorieren, zu übertönen oder dauerhaft zu unterdrücken. Dieser „Achtsamkeit“ widmet Fenkart im Kapitel, in dem er die „Säulen“ für den „Berufungsweg“ zusammenfasst, dann auch die meisten Seiten.

Dann kommt das Buch auf die „Schlussgerade“. Hier ist dies und das erwähnt, was als Ergänzung dienen kann, insbesondere die Berufung rückt noch einmal in den Mittelpunkt. Vor allem der Aspekt, den Fenkart schon am Anfang in seiner erfrischenden Art so beschrieb: „Ich bin davon überzeugt, dass es Berufungen in allen Kollektionsgrößen gibt. Dabei müssen wir nichts ,von der Stange‘ nehmen …“

Fazit: Denkt man sich die mittleren Passagen des Buches vereinfachend in „es gibt einen Sinn (egal, wer den bestimmt)“ um, dann hat man mit diesem Buch einen recht universellen Schlüssel auf dem Weg zu Erfüllung oder wenigstens zur Zufriedenheit in der Hand. Wie man das konkret anstellt mit der Achtsamkeit und dem Loslassen und all dem, muss man selbst erkunden – Fenkarts Entspannungstipps zum Beispiel taugen für mich überhaupt nicht –, aber das ist ja immer so bei einem guten Coaching. Auch, dass es Zeit braucht und stetes Tätigsein, vor allem im Geiste. Zu diesem Zweck kann man gut und gerne öfter in „Wurzeln im Sein“ reinschauen – Fenkarts Vorschlag, das Buch nach der Lektüre weiterzugeben, ist also nicht sein bester Rat.

Peter Simon Fenkart
Wurzeln im Sein – Wir sind zur Erfüllung berufen
BOOKSun limited, Februar 2015
ISBN-13: 978-3941527188
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Jonathan Turner: Schatzsuche wider Willen – Band 1 – Das Küken markiert den Punkt

Jonathan Turner: Schatzsuche wider Willen – Band 1 – Das Küken markiert den Punkt

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Aberwitz im Comic-Stil

„Schatzsuche wider Willen – Das Küken markiert den Punkt“ – wie sowas passieren kann, erfährt man im gleichnamigen Buch von Jonathan Turner. Diese Science-Fiction-Comedy bewegt sich nach Aussage des Autors irgendwo zwischen „Per Anhalter durch die Galaxis“ und „Futurama“, was ich bezüglich des Inhalts des Buches auch unterschreiben kann.

Stilistisch bewegt sich der Text deutlich näher an „Futurama“ mit seinem Detailwitz und der eher flächigen Darstellung, die sich auf das Zeichnen der wesentlichen Handlungsmomente beschränkt. Das bedeutet, dass man keine atmosphärischen Gemälde erwarten darf, kein ausgefeiltes Mienen- und Gestenspiel der Darsteller bekommt und der Textrhythmus nicht mit eingängig-eindrucksvollen Meisterwerken der Filmkunst mithalten kann. Aber die Story selbst, die Figuren … das ist schon echt unterhaltsam.

Die Geschichte

Es beginnt alles mit Hank Johnson, einem – vorsichtig ausgedrückt – weltfremden Einsiedler. Dem geht eines Tages seine Digitaluhr kaputt und weil das so ziemlich das Schlimmste ist, was er sich in diesem Moment vorstellen kann, macht er sich auf den Weg in die Stadt, die er wegen des wirren Gewusels aus Menschen und Aliens eigentlich nie wieder hatte aufsuchen wollen. Er stolpert dabei Old Bob vor den Bus, der in seiner Gutmütigkeit keine Chance hat, Hank nicht mitzunehmen. Das Dumme daran: Auch in der Stadt wird er Hank nicht los, denn als Hank erfährt, dass man auf der Erde so altmodische Digitaluhren nicht mehr reparieren kann, geht er ganz selbstverständlich davon aus, dass Old Bob – der einen Shuttle-Pendel-Service Erde-Mond betreibt – ihn zu einem passenden Uhrmacher bringt. Noch dümmer: Als Old Bob und Hank in Bobs Shuttle steigen, ist dieses bereits von Johnny, dem Weltraumpiraten, als Transportmittel für seine Schatzsuche auserkoren – Old Bob wird einfach als Chauffeur „verpflichtet“ und Hank mangels Alternative mitgenommen.

Wer denkt, dass die dummen Zufälle nun enden, der irrt. Und zwar gewaltig. Da ist zum Beispiel der Umstand, dass Johnny sich die Birne mit einem Drink zukippt, der nach dem ersten halluzinogenen Rausch zeitverzögert weitere Halluzinationsepisoden auslöst. Oder dass die Schatzkarte, die Johnny benutzt, ein kleines aufmüpfiges Computer-Kücken ist, das in einem Metallkästchen hockt. Es versorgt den Schatzsucher mit Koordinaten, an denen jener einen weiteren Hinweis bekommt, den das Kücken in Koordinaten umwandelt, die den Schatzsucher an einen Ort führen, an dem er einen Hinweis bekommt, den das Kücken … und so weiter und so weiter. Kurios sind dabei nicht nur die Wesen und Orte, die das Trio auf diese Weise „abarbeitet“, auch dass jeder neue Tippgeber für den Schatz zugleich auch Uhrmacher ist, fällt auf.

Zu den irren Dingen und Leuten, denen Hank, Old Bob und Johnny begegnen, gehören sprechende Papageien, die Menschen als Haustiere haben, durchgeknallte Schiffscomputer, Steuerfahnder im Kampfpanzer, Rieseninsekten und ortsveränderliche Häuser … Und dann ist da auch noch Carl, der Weltraumbandit, der seinerseits das Trio unter seine Fuchtel bringt und dessen Ziele noch düsterer sind als die von Johnny.

Auch wenn das Buch beim Einstieg ein wenig Geduld erfordert, weil Hank doch etwas länger braucht, um sich auf den Weg zu machen, wird spätestens ab der Ankunft in der Stadt Schlag auf Schlag erzählt. Alle die Verwicklungen und kruden Aktionen von Hank lassen nicht nur keine Langeweile aufkommen, sie erzeugen stellenweise richtig Tempo. „Leere“ Überbrückungsszenen, wie sie sich bei einer Odyssee wie dieser zwischen den Stationen schon mal einschleichen können, gibt es hier praktisch gar nicht, und auch das gelegentliche Teilen des Plots – wenn die Figuren getrennte Wege gehen – zeigt durchaus ein sehr gesundes Grundgespür des Autors für Spannungsbögen und Handlungsrhythmik. Dass die Sprache nicht wirklich routiniert wirkt, ist schade, schränkt aber den Leserkreis hoffentlich nicht zu sehr ein. Wer so abgefahren-irre Figuren, Sets und Handlungen mag, dem liegt aber dieser Stil vielleicht sogar.

Zusatzinfos

Das Buch ist als E-Book für nur 2,99 Euro erhältlich. Da macht es nichts, dass es nur der erste Teil dieser Schatzsuche ist; der zweite hockt schon in den Startlöchern und – so viel kann ich verraten – steht dem ersten in Sachen Wahnsinn in nichts nach und kostet sicher dann auch kein Vermögen.

Fazit

„Schatzsuche wider Willen“ ist sicher nichts für Literaten und Text-Ästheten. Wohl aber was für Fans kunterbunter Ideen, schrägen Humors und rasanter Unterhaltung. In diesem Sinne: Empfehlenswert!

Jonathan Turner
Schatzsuche wider Willen – Band 1: Das Küken markiert den Punkt“
eBook, etwa 221 Seiten
neobooks Self-Publishing, Januar 2014
ISBN-10: 3-8476-6804-8
ISBN-13:9783847668046
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Helmut Exner: Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord

Helmut Exner: Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord

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Opfer, Täter und Ermittler – alle tot

Es ist das vierte Buch mit Lilly Höschen, der streitbaren alten Dame, die nicht nach kleinen Hosen benannt ist, sondern „Hö-schen“ heißt. Mit kurzem ö. Man kann „Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord“ aber auch gut als Einzelbuch lesen, sagt der Verlag. Man kann auch Pappe essen. Sie sättigt und ein Teil der Inhaltsstoffe wird bestimmt auch verdaut, Spaß macht es aber nicht.

Ich weiß nicht, ob die ersten Bücher Spaß machen, dieses hier krankt an fast allen Fehlern, die ein (noch) nicht so guter Autor machen kann. Zwar halten sich Tipp- und Semantikfehler in engen Grenzen und die in sich abgeschlossene Geschichte ist auf den Ablauf bezogen rund, wartet mit ein paar hübschen Ideen auf und hat sogar ein, zwei Überraschungsmomente zu bieten. Die Ausführung der Geschichte allerdings ist – literarisch gesehen – stümperhaft. Ein richtiges Lektorat hätte sicher nicht geschadet. Im Gegenteil, meine Erfahrung mit „sowas“ spricht dafür, dass man mit ein paar gezielten Hinweisen der Sache Leben hätte einhauchen können.

Erstmal zum brauchbaren Teil des Buches, dem Plot: Die Handlung beginnt damit, dass eine Frau ihren Ex-Mann vergiftet, weil der ihrer Meinung nach Schuld am Tod ihres Sohnes ist. Dann geht die Handlung bei der frischbackenen Hauptkommissarin Gisela Weniger weiter, die einen neuen Kollegen bekommt. Der war damals in den Fall jenes Sohnes involviert und steht – so vermuten die Kriminalisten – auch auf der Todesliste. Er zieht in Giselas Nachbarschaft, kurz danach kommt in der Straße mit Sabine ein weiterer Neuzugang hinzu, Tante Lilly – genau, die mit dem kurzen ö – reist an und „kriminalisiert“ ein bisschen herum. Der junge Kollege verschwindet, wird dank Lilly befreit und die Dame Höschen findet schließlich in Australien die wichtigsten Bausteine für das Puzzle aus Rache, Mord und kaputten Leben.

Das alles könnte trotz eines kleinen G’schmäckles nach „krampfhaft konstruiert“ durchaus spannend zu lesen sein. Wenn es spannend erzählt worden wäre. Dazu hätte nicht nur gehört, nicht anscheinend wahllos zwischen den grammatischen Zeiten hin und her zu springen, einen flüssigen Text statt so ein Gehüpfe zu bauen – ab der Hälfte gelingt das seltsamerweise sogar – und sich in Sachen Dialoge an eine sinnige Absatzgestaltung zu halten.

Vor allem und in erster Linie hätte sich Autor Helmut Exner um seine Figuren kümmern sollen, die angeblich den Charme der Reihe ausmachen. Was ich in diesem Buch vorfand, waren allenfalls Pappkameraden, die der Autor in den Plot presste. Platte Irgendwers, deren behauptetes Gefühls- und Beziehungsleben im Text nicht stattfand. Die statt dessen unglaubhafte bis alberne Dialoge führten und auf bizarr überdrehte Weise auf selten mehr, meist weniger Komisches und entsetzlich oft sogar auf lediglich als komisch Behauptetes reagierten. Wackelnde Bäuche, brüllendes Lachen und Hände, die vors Gesicht geschlagen werden – und das ständig und ohne Rücksicht darauf, um was für Personen und Situationen es geht. Über diese nicht nachzuvollziehenden, zum Teil blödsinnigen Heiterkeitsausbrüche und hin und wieder nicht weniger unglaubhafte Rührungsszenen haben die Figuren nichts an Leben zu bieten. Hier und da konstruiert Exner etwas in die Story hinein, an dem er „beweisen“ kann, dass Lilly Leute noch immer so fies runtermachen kann wie eh und je, aber das war es dann auch schon.

Dass der Autor auch anders kann, deutet sich ab der zweiten Hälfte des Buches an. Hier entwickelt er eine Neben-Figur vom Grunde an und da fließt dann auch der Text ordentlich und zumindest ansatzweise ist diese Frau zu „spüren“. Dass diese Ausführlichkeit wie Füllmaterial wirkt – ein Schicksal, das diese Frau mit anderen Figuren teilt – ist ein Symptom für das Dilemma des Autors: Der Ablaufplan des Plots ist runtergespult worden und weil das mangels echter Handlung zu wenige Seiten geworden wären, hat er halt aufgefüllt.

Besser wäre gewesen, die Figuren handeln zu lassen. Leben zu lassen. Dass Gisela Mutter eines Säuglings ist, wird zwar ab und zu erwähnt, findet aber de facto nicht statt. Die Kennenlernphase mit dem neuen Kollegen findet nicht statt. Diesem wird ein erwachsener Sohn samt Freundin offeriert – auch dieses Kennenlernen findet nicht statt. Selbst Lillys Gespür findet nicht statt, es beschränkt sich darauf, dass mitgeteilt wird, etwas käme ihr – warum auch immer – seltsam vor, woraufhin sie irgendwas tut. Diese Liste könnte man endlos weiterführen. Exner hatte wahrscheinlich sehr wohl vor Augen, was konkret die Figuren so tun, wie sie sich fühlen und wie sich das in Gesten, Blicken oder spontanen Handlungen äußert – nur aufgeschrieben hat er all das nicht. Das Buch hätte dadurch wenigstens doppelt so dick und sicher zehnmal so unterhaltsam und interessant werden können.

„Lesen ist wie Kino im Kopf.“ Nicht bei diesem Buch. Darin entwickelt sich kein Film, das ist nur der Ablaufplan für einen. Schade.

Helmut Exner
Lilly Höschen und ihr Gespür für Mord
212 Seiten, broschiert
EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft, Edition Nordlicht, September 2012
ISBN-10: 3943403173
ISBN-13: 978-3-943403-17-6
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Rober Rückel (Hrsg.): DDR-Führer – Reise in einen vergangenen Staat

Rober Rückel (Hrsg.): DDR-Führer – Reise in einen vergangenen Staat

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Schnelleinstieg in die DDR

Die ständige Ausstellung im „DDR Museum“ in Berlin gilt nach eigenen Aussagen als die interaktivste Ausstellung Europas. Für mich kein Pluspunkt. Die Behauptung, man betrachte die DDR als Ganzes, reduziere das Spektrum nicht auf Stasi & Co, machte mich schon eher neugierig. Als Vorgeschmackgeber stöberte ich aber erstmal im „DDR-Führer“, dem Buch zur Dauerausstellung des Museums. Das sollte, so das Versprechen, auch losgelöst von der Ausstellung eine interessante, breitgefächert informative Lektüre sein.

Herausgeber Robert Rückel, seines Zeichens Museumsdirektor, ist es in der Tat gelungen, ein breitgefächertes Spektrum des DDR-Lebens abzubilden. Stasi „findet“ darin auch statt, aber eben nicht als das ständig präsente Monster, als das man sie in den vergangenen Jahren so oft verkauft hat. Ganz sicher haben Menschen – und zwar mehr, zum Teil sehr viel mehr, als dem DDR-Normal-Bürger bewusst gewesen war – Probleme unmittelbar mit der Staatssicherheit gehabt, aber die allermeisten Menschen hatten mit anderen Dingen zu kämpfen. Und so beginnt das Buch zwar auch mit Stasi & Co, gleitet dann aber zu ganz alltäglichen Dingen wie Jugend in der DDR, Schrebergärten, Plattenbau, Urlaubsreisen, Ehe und so weiter.

Das passiert in sehr kurzen, sehr zusammengefassten und damit (mir mitunter etwas zu) verallgemeinerten bzw. einseitigen, immer reich illustrierten und zum Teil mit Statistiken untermalten Artikeln. Abgesehen vom Anfang, wo von „Schubladen in der Mauer“ und anderen museumsspezifischen Dingen gesprochen wird, kann man das Buch tatsächlich auch ohne Besuch der Ausstellung gut durchschmökern. Dass es ein Museumsführer ist, bleibt dennoch spürbar, denn wie in solchen thematisch umfassenden Ausstellungen kommt man in so kurzen Beiträgen eben nicht ohne Verallgemeinerungen und festgelegten Blickrichtungen aus. Und obwohl ich, die ich in der DDR aufgewachsen bin, zwar manchmal das Gefühl hatte, dass „meine Seite“ fehlt, empfand ich es im Großen und Ganzen als realistische Darstellung, die ohne die üblichen massiven Übertreibungen auskommt.

Der grundlegende Unterschied zwischen meiner Erinnerung und dem Buch: In dem Buch bekommt man gelegentlich den Eindruck, als hätten die DDR-Bürger quasi alle bewusst und gezielt nach vorhandenen Nischen gesucht und sich welche geschaffen, die ihnen das System nicht bot. Als wären sie alle irgendwie in Opposition gewesen, nicht direkt offen politisch, aber irgendwie eben doch. Dabei lief vieles eher instinktiv ab, man ging halt die Wege, die gangbar waren. Man kann das Buch auch in dieser Weise lesen – der Stil gibt das durchaus her – und die Bezüge zu „Ursachen“ als psychologische Hintergrundanalyse für dieses „halt diese Wege gehen“ sehen. Man sollte es sogar so lesen, nicht nur, weil es eben genauso gedacht ist.

Alles in allem empfand ich das Buch als informativ, auch wenn es für mich natürlich eher ein Auffrischen von Wissen war. Der Stil, der ohne Pathos, Geifer und die üblichen „DDR-Anekdoten“ auskommt, ist erfrischend sachlich. In seiner Verallgemeinerung wirkt er mitunter museal-lebensarm, was umgekehrt aber eben auch zur Objektivität des Gesagten beiträgt. Nein, ein Thriller ist das Büchlein nicht, aber ein sehr empfehlenswerter Einstieg für alle, die wissen (oder sich erinnern) wollen, wie es wirklich war …

Robert Rückel (Hrgs.)
DDR-Führer – Reise in einen vergangenen Staat
Das Buch zur Dauerausstellung des „DDR Museum“;
154 Seiten, gebunden
DDR Museum Verlag; 2. Auflage, Mai 2012
ISBN-10: 393980116X
ISBN-13: 978-3939801160
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Gerhard Josten (Hrsg.): Ein All ohne Knall

Gerhard Josten (Hrsg.): Ein All ohne Knall

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Kein Knall(er)

Gerhard Josten gefällt „die moderne These des Urknalls nicht, weil sie das All scheinbar der Unendlichkeit beraubt“, für welche er eine virulente Zuneigung hat. Das teilt der Klappentext des Buches „Ein All ohne Knall“ mit. Das an sich ist schon seltsam, warum Josten aber das Thema nicht nur aus naturwissenschaftlicher Sicht betrachten lässt, sondern es auch noch mit Spiritualität und menschlichem Forscherdrang in ein Buch presst, bleibt bis zum Schluss unklar.

Das Buch besteht aus drei Teilen. Im ersten verspricht Gerhard Josten, der sich, sich hinter anderen versteckend, als Herausgeber betiteln lässt, einen Überblick über den Stand der Forschungen zum Thema Urknall zu geben. Das ist übertrieben. Er doziert über den Durchsetzungskampf des heliozentrischen Weltbildes, erklärt, was die Rotverschiebung mit der Urknall-Theorie zu tun hat und dass es auch mindestens eine andere wissenschaftliche Idee dafür gibt, wie diese Verschiebung zu stande kommt. Das habe mit der Dualität des Lichtes zu tun und würde unser Wissen über das Licht ein besseres, würde wohl die Urknallthese ins Wanken geraten. Warum, verrät er nicht. Ich nehme an, das weiß er selbst nicht.

Ich nehme generell an, dass Josten nur vage Vorstellungen von den Dingen hat, über die er da redet, und sehr vage und verschwommene Vorstellungen davon, wie diese Dinge miteinander und mit anderen Dingen verknüpft sind. Die einzige Alternative: Er weiß das alles genau, hat aber nicht die geringste Ahnung davon, wie man sowas logisch, klar und nachvollziehbar strukturiert darbietet. Der Gipfel dieser verwirrenden Abhandlung ist beispielsweise das Einsprengsel über die mutmaßliche Darstellung des Sonnensystem auf einer alten sumerischen Siegelrolle. Was das mit dem Urknall oder dem Wissen um die Natur des Lichtes zu tun haben soll, bleibt gänzlich offen.

Um nicht missverstanden zu werden: Das mit den Sumerern ist interessant, andere Passagen dieser Ausführungen auch – nur hat sich bei all dem der rote Faden verheddert, manchmal ins Unsichtbare verkrochen oder ist stellenweise sogar gerissen. Wahrscheinlich sind zudem auch noch Sachfehler im Text, die ich mangels Fachausbildung nicht sehe – die Aussage, der Regenbogen zerlege das Licht ähnlich wie ein Prisma, fiel mir massiv auf und lässt mich Schlimmes vermuten. (Lieber Herr Josten, „zerlegen“ tun die Wassertropfen, der Regenbogen ist das Ergebnis).

Worin das Problem besteht, dem Thema Struktur zu geben, weiß ich nicht. Mit „Die gängige Theorie geht so. An diesen Stellen gibt es Kritik und das sind die entsprechend anderen Thesen.“ wäre es ganz simpel gewesen. Bei Bedarf hätte man in einem zweiten Teil darüber reden können, warum die so „offensichtlich“ angreifbare These so hartnäckig vertreten wird. Aber auch das hat nichts mit dem Themenkreis „Warum erforscht der Mensch das All?“ und nur ganz, ganz am Rande mit Spiritualität zu tun. Das alles irgendwie zu einem Brei verrühren zu wollen, kann nur schiefgehen. Wahrscheinlich hat Josten ja auch selbst gespürt, dass ihm die Sache nicht griffig gelingen wird, und deshalb nicht alles selbst geschrieben, sondern Fachleute und „Fachleute“ direkt zu Wort kommen lassen.

Das geschieht nun im zweiten Teil des Buches, wo Gerhard Josten Artikel, Interviews und ähnliche Texte zusammenstellt, in denen sich Menschen mit und ohne wissenschaftliche Titel zu verschiedensten Themen äußern. Irritierenderweise taucht hier auch eine Bibel-Passage auf – dem Eindruck eines seriösen, wissenschaftlich sinnreichen Buches ist das nicht wirklich förderlich. Also wovon wird im zweiten Teil gesprochen? Es gibt Texte über Spiritualität, über Gott und Wissenschaft, über Licht, Urknall- und andere Thesen, Weltraumforschung, Aliens … Manches klingt logisch, anderes eher nicht, manches klingt hochwissenschaftlich, an anderen Stellen wird mit „fühlt sich falsch an“ argumentiert, manches klingt nach Missionierung, manches ist irgendwie nur verquer diskutiert, mancher Vorwurf der Verdrehung beruht auf der Verdrehung des Kritisierten … Da stehen Bibeltext, schlecht gemachte Sience Fiction, ausführliche wissenschaftliche Abhandlung und laienwissenschaftliches Pamphlet kommentarlos nebeneinander. Kurz: Jeder einzelne Text ist in sich mehr oder weniger stimmig (dabei aber von sehr unterschiedlicher inhaltlicher Qualität), insgesamt entsteht jedoch ein ähnliches Wirrwarr wie im ersten Teil. Immerhin kann man einen Teil als Urknall-Thesen-(Gegen)Texte erkennen, anderes hat damit überhaupt nichts zu tun.

Der dritte Teil schließlich ist die Wiedergabe eines angeblichen Dreiergespräches – es klingt eher, als habe einer dem anderen schriftlich in Abhandlungsform „geantwortet“ – des Autors mit einem Psychologen und einem Philosophen zum Thema „Warum befassen sich Menschen mit dem Universum?“ Was das mit dem Urknall zu tun hat? Keine Ahnung. Zumindest kann Josten hier sein Steckenpferd „Unendlichkeit“ reiten und sich in der Folge noch als kunstinteressiert, Schriftsteller, 6fach Opa etc. präsentieren. Die „Gesprächsbeiträge“ selbst sind weitgehend unspannend. Wen das Thema interessiert, der hat sowas schon tausendmal prägnanter oder richtiger lesen können; wen es nicht interessiert, der wird es trotz so mancher launiger Stammtischparole womöglich als reines Geschwafel empfinden. Im besten Fall könnte man die Aussagen der einzelnen Beiträge zur Diskussionsgrundlage nehmen und diverse Behauptungen vom Kopf, aus der Schieflage oder aus dem Verrenkt-Aufgehängt-Sein erstmal auf den Boden der Realität stellen. Da reden Leute – vielleicht nicht immer, aber in weiten Passagen – von Sachen, von denen sie nur eine vage bzw. eindimensional stammtischtaugliche Ahnung haben. Andererseits: Vielleicht haben ja auch diese „Fachleute“ einfach nur ein Problem damit, sinnvoll, strukturiert und verständlich zu schreiben.

Gerhard Josten (Hrsg.)
Ein All ohne Knall
269 Seiten, broschiert
Shaker Media GmbH, Aachen
ISBN-10: 386858787X
ISBN-13: 978-3868587876
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Dawn Tripp: Das Liebesspiel

Dawn Tripp: Das Liebesspiel

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Endlich mal wieder ein Buch über Menschen! Leider nur über eine bestimmte Sorte: über diffus leidende in sich Verstrickte. Alles beginnt 1957 damit, dass Ada Varick und Luce Weld ein Verhältnis haben. Beide sind verheiratet, Adas Mann offenbar jähzornig. Dann springt das Buch ins Jahr 2004 und man erfährt, dass irgendwann damals Luce erschossen worden war. Adas Mann gilt unter der Hand als der Täter, offiziell ist das aber nicht. Luce Tochter Jane hat inzwischen Familie und ausgerechnet ihre Tochter Marne verliebt sich in Ray, den jüngsten Sohn von Ada. Jane selbst hat – warum und wann auch immer – eine gewisse Freundschaft mit Ada geschlossen, sie treffen sich jeden Freitag zu Scrabble-Spielen.

Nun wird es bruchstückhaft: Die Autorin Dawn Tripp erzählt aus verschiedenen Blickwinkeln Episoden aus verschiedenen Jahren. Janes Passagen spielen im Jahr 2004, Marnes Erleben mit Ray ebenfalls. Erinnerungen sind eingewoben. Eine andere Erzählebene entfaltet sich 1962 aus der Sicht von Huck, einem Sohn Adas, der damals 14 ist. Brockenweise erfährt man von gestorbenen Kindern, irgendeinem Ingenieur, von schwierigen Mutter-Kind-Beziehungen, von alten Verbindungen, von Lebensweisen, Wohnverhältnissen, Gefühlslagen… Alles ist sorgsam konstruiert, angemessen komplex gebaut und in sich weitgehend logisch. Aber es wird nicht erzählt. Es fühlt sich an wie ein Detailgerüst, um dessen Streben irgendwas literarisch klingen Sollendes gepappt wurde, um die Infos mitteilen zu können. Dass es dabei manchmal schwierig ist, die Übersicht über die Personen zu behalten, ist ein unangenehmer Nebeneffekt. Nur die Ereignisse zwischen Marne und Ray – es „Geschichte“ zu nennen wäre angesichts der spärlichen Handlung übertrieben – folgen einem gewissen Fluss, bilden so etwas wie einen Plot.

Die Konstruktion der Welt, in der diese Figuren existieren (von leben kann kaum die Rede sein), ist durchaus gekonnt und spannungsreich. Nur die Darstellung ist quälend. Einmal quälend, weil über allem so eine dicke Decke aus Bedeutungsschwere und aus diffusem Leiden liegt; jede maßgebliche Figur scheint gefangen, gebrochen, abrundtief traurig – irgendwie kaputt eben. Und überall wabern Geheimnisse, unaussprechbare Dinge und nur vage erahnbare Fettnäpfchen. Immer, wenn etwas Schönes gezeigt wird – irgendwas aus der Natur zumeist –, dann dient selbst das scheinbar nur zum Erzeugen einer herzabdrückenden Wehmut. Quälend empfand ich auch die Sprache an sich. Massenhaft lyrische Bilder von Traurigkeiten oder voller vorgeblicher Bedeutungshaftigkeit haben daran ihren inhaltlichen Anteil; Sätze, deren Überladung, Bezugsunsauberkeiten und Flussbrüche in jeder Schreibwerkstatt moniert würden, verlangen deutlich mehr guten Willen ab, als sie zum Ausgleich an Sprach- oder Inhaltsentdeckungen bieten. Zum Glück ist es kein unlesbares Kauderwelsch.

Trotzdem: Abraten würde ich von dem Buch nicht. Man muss einen gewissen Hang mitbringen, sich in bitter-schmerzhafter Melancholie zu suhlen, nicht viel Wert auf Handlung legen und mit einer „dekorierten Auflistung“ von mehr oder (meist) weniger überraschenden Wendungen zufrieden sein. Auch sollte man sich nicht daran stören, dass an manchem ganz schön kaugummiartig herumgeheimnist wird, während anderes substanzlos in der Luft gehalten wird, um dieses gewisse, oben schon erwähnte Wabern aufrecht zu erhalten. Wenn man diese Voraussetzungen also mitbringt, dann erhascht man einen Blick auf eine nicht ganz gewöhnliche Konstruktion aus Verstrickungen von Menschen untereinander und in sich selbst, man kann die darin liegende Spannung spüren und deren Nicht-Lösen erleben. Facetten- und detailreich ist zwar auch anders, aber dafür kann man sich im Deuten von allerlei Symbolen und Neben-Botschaften üben.

Das Buch endet mit einer wirklich überraschenden, literarisch feigen und nicht ganz logischen Wendung in Bezug auf Janes und Adas Scrabble-Spiel. Und mit einer Versöhnung. Ach ja: Wer Luce Weld erschossen hat, das erfährt man natürlich auch.

Dawn Tripp
Das Liebesspiel
313 Seiten, gebunden
Arche Verlag
ISBN-10: 3716026638
ISBN-13: 978-3-7160-2663-2
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Klaus-Peter Wolf: Todesbrut

Klaus-Peter Wolf: Todesbrut

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Ein Bekannter empfahl mir, „Todesbrut“ zu lesen. Dieser Thriller von Klaus-Peter Wolf sei wunderbar filmisch geschrieben und trotz der Figurenmenge und Seitenfülle gut „runterzuschmökern“. Und obwohl ich die Euphorie meines Bekannten nicht ganz teile, muss ich ihm im Großen und Ganzen recht geben.

„Todesbrut“ erzählt auf 480 Seiten, was mit Menschen passiert, wenn sie in eine Ausnahmesituation geraten. In diesem Fall entsteht jene Situation durch den Ausbruch einer von der Vogelgrippe abstammenden Seuche. Die betreffenden Grippeviren sind durch die Luft übertragbar und lösen eine rasch zum Tod führende Erkrankung aus. Klaus-Peter Wolf erwähnt, dass die Epidemie in den USA und vielen Teilen Deutschlands grassiert und dass sie auch anderswo ausgebrochen ist, aber das Buch konzentriert sich ganz auf wenige Spielorte in Ostfriesland.

Einer der Spielorte ist eine Fähre. Sie hat von Emden abgelegt und befindet sich bereits kurz vor dem Ziel Borkum, als über Radio bekannt gegeben wird, dass sich die bisherigen Grippefälle als tödliche Vogelgrippe herausgestellt haben. Die Menschen auf Borkum – Bewohner und Touristen – hindern daraufhin die Fähre am Anlegen, um den Virus „draußen“ zu halten. Dummerweise kann die Fähre aber auch nicht zurück, denn Emden ist inzwischen unter Quarantäne gestellt und abgeriegelt worden.

Ausgehend von einigen Figuren an Bord und aus der Menge, die das Anlegen der Fähre verhindert haben, führt Wolf den Leser nach Borkum und nach Emden, wo weitere Figuren auftauchen. Ein weiterer zentraler Spielort ist eine große, gut abgeschottete Hühnerfarm, die Figuren dort sind der Besitzer, dessen Sohn und später hinzukommenden Personen.

Und hier wird es nun schwer: Wolf lässt so viel Figuren auftreten, dass es Wahnsinn wäre, auch nur die wichtigsten der jeweils wichtigsten Erzählstränge aufzuzählen. An Bord beispielweise gibt es nicht nur die kaputte Familie Rose und Benjamin, der eigentlich zu seiner geliebten Chris nach Borkum wollte, es gibt auch meuternde Fahrgäste, die zahlenmäßig unterlegene Schiffscrew und etliche weitere Passagiere, die ihren eigenen Weg suchen. Auf Borkum gibt es neben Chris als eine Rote-Faden-Figur zum Beispiel zwei Polizisten, deren sehr unterschiedlicher Weg verfolgt wird. Im Emden wird ab und zu ins Krankenhaus zu Dr. Maiwald, dem selbst erkrankten Seuchenexperten, geblickt. In Emden begleitet Wolf auch Bettina, eine junge Sängerin, die eigentlich nur bei einem Piratenfest für Kinder auftreten sollte. In der Hühnerfarm schwelt der Konflikt zwischen Vater Jansen und seinem Sohn, dem Tierschützer Tim, zu denen sich Tierschützerin Josy gesellt und die sich allesamt bald einer Meute brandschatzender und um sich schießender Leute gegenübersieht, die Panik vor der Geflügelansammlung haben. Dass Jansen weniger Brathähnchen als vielmehr Eier produziert, die von der Pharmaindustrie zum Herstellen von Impfstoffen gebraucht werden, kann er niemandem so richtig mitteilen. Ob es das Desaster verhindert hätte, wäre ohnehin fraglich gewesen.

Was – abgesehen von der Figurenfülle – dieses Buch anders als andere macht, ist die sachliche Brutalität des Geschilderten. Gleich am Anfang wird ein Mann, der ins Wasser fällt, zwischen Fähre und Kaimauer zerquetscht. Menschen beschimpfen sich, schlagen sich, verletzen sich. Schießen aufeinander. Töten sich. Und immer wieder sterben Menschen. Jeder ist sich selbst der Nächste. Oder auch nicht, je nach Charakter. Wolf schreibt all das so runter, führt eher eine Chronik als das er wirklich versucht, nachempfindbar zu erzählen.

Auch die Charaktere handhabt Wolf anders als andere Thriller-Autoren. Es scheint fast so, als ob jede einzelne Figur, die auch nur ansatzweise aus der Masse heraustritt, mit ihrem Namen auch unbedingt eine Biografie und ganz eigene Probleme bekommen hätte. Selbst dann, wenn sie nur ein, zwei Szenen lang mitspielt und am Ende stirbt. Da ist zum Beispiel ein altes Ehepaar auf der Fähre, über die Wolf nicht nur eine kurze Skizze der anscheinenden Beziehung zeichnet, nein er muss diesen Schein auch noch aufbrechen und den beiden jeweils einen „aus dem Versteck aufbrausenden“ Charakter zuschreiben. Dabei nehmen die beiden nur eine Statistenrolle für eine andere Figur ein, die wiederum auch eher Rand- als wichtige Figur ist.

An sich ist das gut und schön; dieses „den wahren Menschen in den Figuren hervorholen“ ist Sinn von Literatur und zwingt sich bei so einem Stoff geradezu auf. Aber Wolf tut das bei jedem und jeder. Die Beweggründe und seelischen Tiefen quasi jeder einzelnen Figur werden genannt. Sicher: In so einer Lage haben alle Menschen ihre ganz eigenen Ängste. Jeder hat seine eigenen Verstrickungen, in denen er gefangen ist und bleibt oder nicht bleibt. Aber Literatur ist eben keine Abschrift des wahren Lebens, sondern eine Verarbeitung des selben, ein selektiver Spiegel. Es ist – gelinde gesagt – nervig, wenn man fast jede mitspielende Nase als quasi gebrochenen (oder doch zu mindest ziemlich belasteten) Charakter vorgeführt bekommt. Dadurch wird jede einzelne Figur so aufmerksamkeitsfordernd, so „schwer“, dass man sich abgewöhnt, sich wirklich darauf einzulassen. Es überfordert einfach.

Dazu kommt, dass Klaus-Peter Wolf, laut SWF „einer der besten Drehbuchautoren deutscher Sprache“, extrem filmisch schreibt. Als Drehbuchautor zeichnet er dabei weniger an Kulisse und Stimmung, sondern konzentriert sich auf die Figuren und die Handlung. Das gibt dem Ganzen Tempo. Nur: Wolf schneidet auch noch kurze, zum Teil sogar extrem kurze Szenen, die ohne lange Umschweife in die Handlung reinbrechen und wieder rausbrechen. Ein strukturierender Spannungsbogen ergibt sich zwar in der Summe gesehen über das ganze Buch bzw. über die Handlungen an den verschiedenen Spielorten hinweg, aber kaum innerhalb der Szenen.

Der Effekt auf mich war folgender: Wolf warf mich mitten in eine Figur und zwar ganz tief rein (man bekommt sehr persönliche Dinge gezeigt). Dann warf er mich genauso tief in eine andere Figur. Und zwei, drei Absätze später in eine weitere Figur und so weiter und so weiter. Gerade, wenn ich ein Gefühl für eine Figur zu entwickeln begann, kam die nächste, ebenso fordernd. Mit der Zeit lernt man zwar die wiederkehrenden Personen kennen, aber eine Verbindung entsteht nicht. Ganz ähnlich funktioniert das auch mit den Szenen: Gerade hat man sich in die spezielle Stimmung versetzt und sich die Kulisse wieder vor Augen geführt (für beides bietet Wolf ja ohnehin nicht viel Futter), wird man schon wieder in die nächste Szene mit anderer Stimmung und Kulisse geworfen.

Das erzeugt zweifellos einen erhebliche Drive, macht das Lesen aber zur Schwerstarbeit. Weil der Text mich nicht im Buch hielt (fehlende Verbindung!), ich musste mich selbst immer wieder in das Buch hineinzwingen. Es interessierte mich einfach nicht. Weder interessierten mich die Figuren, die sich zu schnell an mir vorbeibewegten, als dass ich herzliches Interesse an ihnen hätte entwickeln können, noch erzeugte die Handlung Neugier, weil der Spannungsbogen einfach nicht ausreichte. Meist zumindest; nur im Hühnerfarm-Teil war ich öfter mal „in der Story“. Sogar das Ende interessierte mich nur mäßig, vielleicht, weil ich durch all die unspektakulären Lösungen (deren Hollywood-Ferne sicher etwas für sich hat) inneren Spannungsbögen nicht wirklich etwas Tolles erwartet habe.

Nun räume ich ein, dass jemand, der beruflich anders beansprucht wird als ich (Konzentration auf Text), vielleicht die hohe Plotdichte und die harte, ganz unsentimentale Sprache nicht als (zusätzliche) Belastung empfindet, und jemand, der das Buch zeitbedingt auf einen Rutsch (oder zwei) lesen kann, alle Figuren irgendwie solange im Kopf behalten kann, bis sie auch eine gefühlsmäßige Resonanz erzeugen. Ich räume ein, dass Sprache und Konstruktion nicht schlecht sind, dass Wolf insbesondere die dramatischen Seiten in und zwischen Menschen sehr (in dieser Menge fast zu) eindrücklich darzustellen versteht. Ich räume also ein, dass man das Buch lesen kann und wohl auch durchaus mit Vergnügen. Ich für meinen Teil bin froh, dass ich durch bin und das Buch meinen Bekannten zurückgeben kann.

Klaus-Peter Wolf
Todesbrut
479 Seiten, Klappenbroschur
script5 im Loewe Verlag, September 2010
ISBN-10:383900117X
ISBN-13:978-3839001172
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