Navid Kermani: Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen

Navid Kermani: Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen

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Gedanken an Gott und die Auslegung religiöser Sprachen.

Im Zwiegespräch mit seiner zwölfjährigen Tochter versucht Navid Kermani, die Welt und die Religionen, vorwiegend den Islam, zu erklären.
Die Frage nach dem „Woher“ und „Wohin“ ist eine Menschheitsfrage von allgemeiner Bedeutung.
Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was war vor uns und was wird nach uns sein: das sind die Kernfragen unseres menschlichen Daseins. Zahlreiche weitere Fragen schließen sich an. Wie entstand das Universum? Wo fängt es an und wo endet es? Gab es einen Anfang und wird es ein Ende geben?

Kermani versteht es hervorragend, Religionen in ihren unterschiedlichen Ausrichtungen zu beschreiben.
Ob Hinduismus, Buddhismus, die christliche Religion, der Islam oder das Judentum: eine jegliche Religion hat eigene Gesetze und Normen. Und doch ist nach Kermanis Auslegung allen gemeinsam, dass es sich um „Beziehungen“ handelt. Ob zu Gott, der Unendlichkeit oder dem Menschen in seiner Kleinheit der Unendlichkeit gegenüber: Menschen suchen einen Anhaltspunkt, der ihnen die Welt und das Sein zu begreifen hilft. Dass dabei viele Fragen nicht zu beantworten sind, räumt Kermani in seinen Gesprächen ein.

Navid Kermanis Antworten auf die Fragen seiner Tochter sind so ausgeprägt und beispielhaft, dass auch der erwachsene Leser anhand seiner Erklärungen einen Wissensgewinn erfahren wird. Allerdings ist die Fülle der Beispiele an historischem Wissen und den Ergebnissen religionswissenschaftlicher Forschungen überwältigend.

In wortreichen Beispielen überzeugt Kermani mit seinen detailreichen Kenntnissen, mit denen er den Gott im Islam und den in anderen monotheistischen Religionen zu erklären trachtet. Dabei steht Gott für ihn für vieles, ja für alles, was menschliche Beziehungen ausmachen. Die zitierten Suren des Islam könnten nach Inhalt und in ihrer Bedeutung christliche Bibelverse sein.
Man merkt an den Fragen der Tochter, dass Physik, Quantenmechanik und die Erforschung der Natur als Ganzes in viele Antworten mit einfließen muss.
Zahlreich sind die Beispiele, mit denen der Autor alleine die „Sprache“ in ihrer vielschichtigen Verwendung und Bedeutung beispielhaft erklärt.

Alles in allem ist dieses Buch eine umfassende Geschichte der Religionen und ihrer Bedeutung für den Menschen.
Dass Navid Kermani die Erzählung gelegentlich auflockert, indem er auf die Tochter mit ihren alltäglichen Wünschen eingeht, gibt der ganzen Geschichte immer wieder einen bodenständigen Grundton.
Alles in allem kann man das Buch jedem empfehlen, der sich mit Religionen im Allgemeinen und dem Islam im Besonderen auseinandersetzen will. Eine Anleitung zum Glauben kann es nicht sein!

Navid Kermani
Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen
Carl Hanser Verlag, Januar 2022
240 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446271449
ISBN-13: 978-3446271449
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Deborah Levy: Was das Leben kostet

Deborah Levy: Was das Leben kostet

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Deborah Levy ist eine gefeierte Schriftstellerin.
In ihrem schon 2019 erschienenen hier vorliegenden Selbstbild beschreibt sie ihren Neuanfang nach dem Ende ihrer Ehe.
Es ist ein nachdenklich stimmendes kleines Werk.
Sie hat zwei erwachsene Töchter, von denen eine schon studiert.

Der Neuanfang beginnt mit dem Umzug in ein kleines Holzhaus, das eher schon einem Schuppen gleicht.
Hier richtet sie sich spartanisch ein. Das Haus ist alt, Spinnweben überall und die Kälte der veralteten Heizung kriecht in alle Knochen.
Sie nimmt am Schreibtisch Platz. Hier ist sie ganz bei sich. Sie beschreibt das „Schreiben“ als einen mühevollen Prozess, in dem sich Erfahrung mit Fantasie und Wirklichkeiten mischen.
Nach ihrer Auffassung ist der Reiz des Schreibens “die Aufforderung, hinter die augenscheinliche Wirklichkeit aller Wesen und Dinge vorzudringen“. (S49)

Sie mischt in ihrer Erzählung Eindrücke ihres momentanen Lebens mit den äußeren Bedingungen und mit Erinnerungen an die frühe Zeit ihrer Ehe. Zu gleicher Zeit stirbt ihre Mutter, und sie entdeckt erst spät deren Qualitäten als Mensch und Mutter.

Die Erzählung bietet einen Reichtum an Assoziationen, der ihre Freundesbeziehungen, die Wahrnehmung von Stimmungen bezüglich des Klimas und der Natur und des Sterbens ihrer Mutter betrifft. Einen roten Faden gibt es nicht.

Sie zitiert Beauvoir, Baldwin und Duras bei ihren Einfällen zu Emanzipation, Freiheit und Männerherrschaft. Was ist Freiheit? Und wie lebt sie sich nach zwanzig Jahren Ehe?
Eine Antwort gibt es nicht. Vielleicht gelegentliche Melancholie und Bedauern, dass so vieles nicht gelungen ist.
Mit ihrer Freiheit muss sie sich noch einrichten, das schimmert bei allen Reflexionen durch.

Die Stille, die Vögel im Garten und das Alleinsein zu ertragen will eingeübt werden. Das alles fällt ja zusammen mit dem Älterwerden, auch dieses ein Prozess, der innerlich und äußerlich bewältigt werden muss.

Die richtigen Worte zu finden, um einzelne sie bewegende Begegnungen und Zustände zu beschreiben, das ist die Kunst von Deborah Levy. Dafür mag man sie loben.
Insgesamt aber fehlt ein Schwung, der die Gescshichte erst anziehend machen könnte.

Deborah Levy
Was das Leben kostet
HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH, Mai 2020
160 Seiten, broschiert
ISBN-10: 3455008925
ISBN-13: 978-3455008920
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Jennifer Lynn Barnes: The Inheritance Games, Band 1

Jennifer Lynn Barnes: The Inheritance Games, Band 1

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Die 17-jährige Avery Kylie Grambs kann es gar nicht glauben. Der Multimilliardär Tobias Hawthorne soll ihr fast sein gesamtes Vermögen hinterlassen haben. Sie kennt den Mann nicht. Aber ausschlagen will sie das Erbe deswegen natürlich auch nicht. Jedoch sind daran einige Bedingungen geknüpft. Sie muss ein Jahr lang im Hawthorne House wohnen, zusammen mit einer Familie, die nicht begeistert darüber ist, enterbt worden zu sein. Auch die Enkelsöhne Grayson, Jameson und Alexander geben sich mehr als überrascht. Nur der Älteste, Nash, scheint sich nicht vor den Kopf gestoßen zu fühlen.

Avery will herausfinden, warum ausgerechnet sie die Erbin ist. Genau zu diesem Zweck scheint Tobias Hawthorne ein mysteriöses Spiel ersonnen zu haben. Es bringt sie mit den Enkelsöhnen zusammen, die sich an dem Spiel beteiligen müssen. Es ist nicht das erste Mal, dass sie versuchen, ein schwieriges Rätsel zu lösen. Tobias Hawthorne hat stets versuch, sie dafür begeistern. Auch Avery kennt sich aus und ist ebenfalls in der Lage, nicht offensichtliche Zusammenhänge zu erkennen. Jedoch taucht nach jeder gemeisterten Herausforderung eine neue auf. Viele Spielzüge sind erforderlich.

Von Anfang an ausgesprochen spannend! Das Buch ist aus der Sicht Averys geschrieben. Sie ist sympathisch, schlagfertig und klug, muss aber in ihre neue Rolle erst hineinwachsen. Die vier Enkelsöhne sind ebenso geheimnisvoll wie das Rätsel. Zwei von ihnen empfindet Avery als besonders charismatisch und ihre Gefühle fahren Achterbahn. Aber natürlich gibt es auch Gegner, sie weiß also nicht, wem in der Familie sie trauen kann und wer sie um jeden Preis aus dem Weg haben möchte.

Spannend wird das gut geschriebene und detailreich ausgeschmückte Buch durch die vielen Überraschungsmomente. Dass das letzte Rätsel von Tobias Hawthorne nicht einfach zu lösen sein wird, ist klar. Es sind so viele kleine Puzzleteile. Auch Familiengeheimnisse gibt es, die den Verlauf der Geschichte beeinflussen. Manches ist vorauszusehen, wieder anderes ist verblüffend. So auch die Auflösung des Rätsels. Oder ist es noch gar nicht das Ende? Einige Fragen sind noch offen. Man darf also gespannt sein auf die Fortsetzung.

Rezension von Heike Rau

Jennifer Lynn Barnes
The Inheritance Games, Band 1
Aus dem Amerikanischen von Ivana Marinovic
400 Seiten, broschiert
ab 14 Jahren
cbj München, Januar 2022
ISBN-10: 3570314324
ISBN-13: 978-3570314326
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Mary Lawson: Im letzten Licht des Herbstes

Mary Lawson: Im letzten Licht des Herbstes

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Eine höchst verwickelte Kleinstadtgeschichte bildet den Rahmen zu dem vorliegenden Roman von Mary Lawson.

Clara lebt mit ihren Eltern in Solace, einem kleinen Städtchen in Kanadas Norden.
Sie steht am Fenster und hält nach ihrer Schwester Ausschau. Rosa hat nach einem Streit mit der Mutter das Haus verlassen und ist seit Tagen verschwunden.
Mittlerweile zieht in das Nachbarhaus ein Fremder ein, denn die Besitzerin Mrs. Orchard ist verstorben. Sie hatte schon lange mit ihrem Mann in Solace gewohnt.

So beginnt Mary Lawson ihren Roman, in der es um Liebe, Vertrauen und drei Personen geht, die das Geschehen bestimmen werden.
Es sind die siebenjährige Clara, Mrs. Orchard und Liam, der eine bestimmende Rolle spielt.
In gewisser Weise sind alle miteinander verknüpft in ihren Beziehungen.

Mrs. Orchard glaubte in ihrer vor langer Zeit neu zugezogenen Nachbarin Annette eine Freundin zu finden. Während Mrs.Orchard keine Kinder bekommen konnte, hatte Annette gleich drei Kinder. Mrs. Orchard merkte bald, dass sich Annette von den Kindern überfordert fühlte und nahm ihr immer häufiger den Sohn Liam ab. Sachte und vorsichtig zog sie Liam in ihr Haus und entwickelt eine innige Beziehung zu ihm.

Liam will dann plötzlich nicht mehr nach Hause, und sein Verhalten führt zu einem großen Eklat, deren Folgen auch Mrs. Orchard zu spüren bekommt. Annette zieht kurz darauf mit ihren inzwischen fünf Kindern und Ehemann fort.

Als Liam schon über dreißig Jahre alt ist, erbt er unerwartet nach dem Tod von Mrs. Orchard ihr Haus. Er wird der Nachbar von Clara und ihrer Familie. An Mrs. Orchard kann er sich nur schwer erinnern, da er vier Jahre alt war, als es zu dem Eklat und Wegzug seiner Familie kam. Sein Leben ist in diesem Moment nach seiner kürzlich erfolgten letzten Scheidung aus den Fugen geraten. Das geerbte Haus will er möglichst bald verkaufen.

Alle diese Alltäglichkeiten werden in belebten Gesprächen und Erinnerungen geschildert.
Mary Lawson spürt den einzelnen Schicksalen nach. Die versteht es vorzüglich, die Verwicklungen kompliziert zu gestalten. Gelegentlich führt das zur Ermüdung beim Lesen. Man muss sich mächtig anstrengen, um auch den Zeitsprüngen in der Erzählung zu folgen. Insgesamt aber hat sie eine psychologisch nachfühlbare Geschichte ersonnen. Der in seiner Kindheit ungeliebte Liam bleibt nach den Aussagen seiner Ehefrau beziehungs-und liebesunfähig. Mrs. Orchard ist als warmherzige Frau der Verführung einer kindlichen Liebe ausgeliefert, so dass sie schließlich selber Liam als ihr Kind ansieht.

Clara ist später das Verbindungsglied in diesem Beziehungschaos, und ihre verschwundene Schwester bildet den kriminellen Hintergrund, der die Spannung steigern soll. Vielleicht ein bisschen viel der Zufälle!

Ob Mary Lawson ihrer Schriftstellerkollegin Elizabeth Strout nacheifern will? Das ist ihr nicht ganz gelungen.
Der Roman bietet dennoch anregende Unterhaltung!

Mary Lawson lebt in Kanada und gilt als angesehene Autorin.

Mary Lawson
Im letzten Licht des Herbstes
Heyne Verlag, August 2021
352 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3453273575
ISBN-13: 978-3453273573
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Das Linienmalbuch

Das Linienmalbuch

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In diesem Malbuch sind die Farben schon da, die Linien fehlen jedoch. Vorgegeben sind verschiedene Aquarellzeichnungen, die oftmals durch die verlaufende Farben keine klaren bzw. kontrastreichen Begrenzungen aufweisen. Es sind Landschaftsbilder darunter und viele Blumenbilder. Auch eine Seite mit Farbklecksen und eine mit Schmetterlingen gibt es. Mit einem frei wählbaren Stift, das kann beispielsweise ein schwarzer Fineliner sein oder ein goldener Lackstift, sollen nun die Linien nachträglich eingefügt werden. Ich kann mir auch gut den Einsatz von Glitzerstiften vorstellen. Wer Anregung braucht, kann sich von den Beispielen im Buch ein wenig inspirieren lassen.

47 Bilder stehen zur Auswahl. Sie stammen aus einer Bildagentur und damit nicht von einer Künstlerin oder einem Künstler, sondern von vielen. Es ist also kein einheitlicher Stil erkennbar. Die Bilder sind völlig unterschiedlich. Das bringt Vielfalt ins Buch und weckt die Kreativität. Bei manchen Bildern möchte ich den Stift nicht ansetzen, um die Wirkung nicht zu zerstören. Aber einige Bilder verlangen direkt nach einer Nachbearbeitung. Auch wer nicht malen kann, wird hier kreativ werden können. Begrenzungslinien einzufügen, da und dort ein bisschen zu kritzeln, Farbflächen mit Mustern aufzufüllen oder eine Form herauszuarbeiten und damit einem Kunstwerk eine eigene Note zu verleihen und es individuell zu gestalten, macht Spaß! Und natürlich hat das Rückwärtsmalen auch etwas sehr Entspannendes.

Das Papier im DIN-A4-Format ist von guter Qualität und einseitig bedruckt. Die Bilder lassen sich mühelos an der Perforationslinie heraustrennen, sodass sie gerahmt oder zur Umsetzung anderer kreativer Ideen genutzt werden können. Man könnte Grußkarten gestalten oder Geschenktüten bekleben. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, das bemalte Papier weiter zu verarbeiten.

Rezension von Heike Rau

Das Linienmalbuch
‎Adrian & Wimmelbuchverlag, Januar 2022
96 Seiten, broschiert
ISBN-10: 398585064X
ISBN-13: 978-3985850648
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Otto de Kat: Freetown

Otto de Kat: Freetown

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Der Roman von Otto de Kat spielt in den Niederlanden.

Eines Tages erscheint Ishmael bei Maria. Er ist Zeitungsjunge, und sie interessiert sich von Beginn an für den schmalen, schwarzen Jungen. Er ist scheu fasst aber Zutrauen zu ihr.
Sie versucht ihm zu helfen, wenn er der Hilfe bedarf. Maria mag sich ihn gar nicht mehr wegdenken und entwickelt mütterliche Gefühle für ihn. Auf ihre Frage hin erfährt sie, dass er aus Sierra Leone und dort aus der Hauptstadt Freetown kommt.

Sieben Jahre hat sie Kontakt zu ihm. Dann ist er von einem Tag zum anderen verschwunden, und sie vermisst ihn sehr. In einer aufwendigen Suche möchte sie herausfinden, wo er geblieben ist.
Bei ihrem alten Freund Vincent, einem Psychotherapeuten, sucht sie Hilfe.
Nun bekommt der Roman von Otto de Kat eine ganz neue Wendung.

Der Leser*in wird damit konfrontiert, dass Maria und Vincent über längere Zeit eine intensive Liaison pflegten. Da waren sie beide verheiratet und hatten schon fast erwachsene Kinder.
Auch diese Beziehung endete sehr plötzlich. Beide konnten sich nie vergessen!
Der Leser*in wird auf eine Reise in die Vergangenheit der beiden hineingezogen.

Otto de Kat versteht es trefflich, seine Figuren in ihren jeweils unterschiedlichen Charakteren zu zeichnen. Im Hintergrund leben die Ehepartner der beiden, die wohl wenig bis gar nichts von Vincents und Marias Beziehung wissen. In kurzen Szenen kann man sich auch von ihnen ein Bild machen.

Es ist ein langes Versteckspiel, das sich ursprünglich um die Suche nach Ishmael drehte nun aber die Liebe von Maria und Vincent umkreist. Hoffnung, Verlust und Verzicht sind die Merkmale dieser Beziehung.

So geheimnisvoll sich Beziehungen zeigen: das Leben und die Liebe sind zuweilen unergründlich. Der Verlust einer Liebe prägt gelegentlich über Jahre das Leben zweier Menschen, die in ihren langjährigen Ehebeziehungen verhaftet sind.

In einer schönen Sentenz spricht Vincent davon, dass alle die Menschen, die zu ihm in Therapie kamen, sich letztlich nur eines wünschten:“ irgendwo zu Hause zu sein.“ ( S.117) So fühlten sich auch Maria und Vincent beieinander zu Hause!

Das Büchlein liest sich leicht. Es sind nur 166 Seiten, die aber inhaltsreich daherkommen.
Das überraschende Ende passt schlüssig in die ganze Erzählung.
Man kann den Roman uneingeschränkt empfehlen, weil sich hier wieder einmal zeigt, wohin die Wege des Menschen führen!

Otto de Kat
Freetown
168 Seiten, gebunden
Schoeffling, Februar 2019
ISBN-10: 3895615331
ISBN-13: 978-3895615337
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Michela Murgia: Chirú

Michela Murgia: Chirú

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Eleonore ist 38 Jahre alt, als sie dem Drängen des 18jährigen Musikstudenten Chirú nachgibt, seine Lehrerin zu werden.
Zwischen den beiden entsteht eine erotische, unterschwellige Spannung. In Sardinien, wo die Geschichte zunächst spielt, führt Eleonore den Studenten Chirú in einschlägige Künstlerkreise ein, und der Leser*in erfährt selber, wie es in diesen Kreisen zugeht.

Eleonore hat Freunde und ehemalige Geliebte, die sie auf ihrem Lebensweg begleiten, und mit denen sie in regem Austausch steht, auch in Fragen ihres eigenen Lebens.
Fabrizio, einer von ihnen, warnt sie vor den Folgen, sich mit so einem jungen Studenten abzugeben. Aber sie kann es nicht lassen.
In langen Passagen geht es um Begegnungen aller Art, immer wieder aber auch um die stete Annäherung Chirús an Eleonore. Beide sind voneinander fasziniert.
Sie nimmt ihn mit auf eine Reise nach Rom, wo sie ein Engagement hat. In Museen und beim Essen sehen sie sich und tauschen Gedanken aus. Der Zauber der wunderbaren Stadt lässt Nähe und Sehnsüchte bei den beiden aufkommen. Oh Jugendzeit, Du schöne Zeit! Eleonore spürt erste Zeichen des Älterwerdens, wenn sie auch eine schöne Frau zu sein scheint.

Chirú und Eleonore werden als Antipoden dargestellt. Jeder sucht etwas beim anderen, das man selber nicht hat. Zwei verlorene Seelen, die sich unter dem Deckmantel der Lehre begegnen und in Wahrheit Liebe und Anerkennung suchen. Eleonore bewegt sich wissend durch ihre Kreise und zeigt Chirú, wie man sich gut darstellt.

Richtig spannend wird die Geschichte, als Eleonore ein Engagement in Stockholm erhält. Chirú will nachkommen. Unerwartet trifft Eleonore einen schwedischen Dirigenten wieder, den sie schon in Cagliari einst getroffen hat. Nun wendet sich das Blatt, und die Geschichte endet geheimnisvoll.

Murgia versteht es wunderbar, einzelne Charaktere hervorzuheben. Es geht ihr dabei auch um Treue, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Liebe kommt und vergeht und Dinge geschehen, die man nicht ändern kann. Die Frage nach Unrecht und Wahrhaftigkeit wird zuletzt zur Kernfrage der Geschichte. Ist der Mensch gut oder schlecht? Welche Folgen hat das Glück oder Unglück? Die Antwort bleibt die Autorin schuldig, denn Gefühle und Bedürfnisse wechseln, und die reine Wahrheit gibt es nicht. Aber schuldig wird der Mensch da, wo er Verletzungen auslöst, die nicht vermeidbar sind, wenn man seinen eigenen Weg gehen will. Ambivalenzen zeichnen zwischenmenschliche Beziehungen aus, so dass es immer wieder zu Missverstehen kommen kann. Das alles macht sie Erzählung zu einer faszinierenden Geschichte, die gut und schlüssig erzählt wird!

Michela Murgia
Chirú
Verlag Klaus Wagenbach, März 2017
206 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3803132878
ISBN-13: 978-3803132871
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Nicci French: Eine bittere Wahrheit

Nicci French: Eine bittere Wahrheit

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Tabitha ist zurückgekehrt nach Okeham. Sie hat hier ein Haus gekauft, dass sie sanieren möchte. Dass ihr ehemaliger Lehrer Stuart Rees in unmittelbarer Nachbarschaft wohnt, stört sie nicht, obwohl er ihr, als sie 15 Jahre alt war, etwas Schlimmes angetan hat. Wichtig für sie sind die Ruhe hier und die Nähe zum Meer, in dem sie bei jedem Wetter schwimmt. Doch eben dieser Lehrer wird nun in ihrem Schuppen tot aufgefunden. Wer hat ihn ermordet? Alle Indizien weisen auf Tabitha, die ein Motiv hat. Und so kommt die junge Frau in Untersuchungshaft.

Bei den Befragungen erwähnt Tabitha nicht, dass sie unter Depressionen leidet. Auch was ihr der Lehrer angetan hat, verschweigt sie. Was spielt es für eine Rolle? Sie war es nicht oder glaubt zumindest, nicht dazu fähig zu sein. Sie hatte eine schlimme depressive Phase an diesem Tag und kann sich kaum erinnern. Das alle wird gegen sie ausgelegt. Ihre Anwältin möchte, dass sie sich schuldig bekennt, also beschließt Tabitha, sich selbst zu verteidigen.

Im Buch geht es hauptsächlich um den Prozess und natürlich die Vorbereitung darauf. Tabitha rekonstruiert den Tag des Mordes mit einer Liste. Die chronologische Aufstellung der Vorkommnisse ist zunächst sehr kurz und umfasst nur wenige Punkte und Bemerkungen. Ich fand es ausgesprochen spannend zu sehen, wie sie sich hier vorarbeitet und wie die Liste mit der Zeit immer ausführlicher wird.

Tabitha ist keine angenehme Person. Sie vernachlässigt sich selbst, lässt sich gehen. Und doch kämpft sie auch für ihre Rechte. Immer wieder schafft sie es, sich zu motivieren. Das ist widersprüchlich, aber doch glaubhaft dargestellt. In entscheidenden Momenten vor Gericht gelingt es ihr, sich zu konzentrieren und Zweifel an ihrer Schuld zu säen. Doch was soll ihr das helfen? Das ganze Dorf hat sich gegen sie verschworen. Man mag sie nicht.

Mir hat die ausführliche Art, diesen Thriller aufzurollen, sehr gut gefallen. Es ist interessant zu verfolgen, wie Tabitha sich schlägt und wie kleinste Details helfen, den Tag zu rekonstruieren. Mit dem Ende kann ich mich nicht anfreunden. Ich möchte natürlich im Rahmen dieser Rezension nicht zu viel verraten. Aber es gibt einen extremen Wendepunkt.

Rezension von Heike Rau

Nicci French
Eine bittere Wahrheit
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller
512 Seiten, Klappenbroschur
C. Bertelsmann Verlag, November 2020
ISBN-10: 3570103781
ISBN-13: 978-3570103784
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Daniel Schreiber: Allein

Daniel Schreiber: Allein

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Eine Philosophische Abhandlung über das Leben mit seinen zahlreichen Facetten im Zusammen- und Alleinleben.

In den Schriften von Daniel Schreiber geht es darum, wie wir in der Welt verortet sind.
Schon in dem Buch „Zuhause“ ging es um sehr persönliche Fragen dieser Denkrichtung.
In dem jetzt erschienenen Buch „Allein“ stellt der Autor die gleichen Fragen nun aber bezogen auf sein Dasein als Schriftsteller.
Er bezieht Stellung zu seinem Alleinsein und sucht die Gründe für das Leben ohne Liebe oder eine Zweisamkeit. Wie und auf welche Weise lebt man überhaupt in den Beziehungen zu anderen Menschen?

Dass die Liebe und die Gemeinschaft mit anderen unser soziales Leben bestimmen, ist unleugbar.
Nicht jedem aber ist es vergönnt, eine anhaltend gute Beziehung in der Zweisamkeit zu finden.

Für uns Menschen können Freundschaften einen großen Teil sozialer Einsamkeit abdecken. Für seine Freundschaften ist D. Schreiber ausdrücklich dankbar und definiert genau, wo Freundschaften anfangen, und wie es um Bekanntschaften steht, und wie verschieden Beziehungen sein können. Unwillkürlich denkt man an den jungen Pianisten Igor Levit, der in allen Gesprächen betont, wie wichtig ihm Menschen, gute Freunde und Freundinnen sind, auch und gerade in schwierigen Zeiten, wichtiger sogar als die Musik!

Daniel Schreiber entwickelt seine Ideen, in dem er u.a. auf die Aussagen bekannter Schriftsteller und Philosophen zurückgreift. Er bleibt in der Erzählung jedoch bei sich, denn die Reflexion eigener Erfahrungen werden zur Grundlage für seine Theorien über das Alleinsein.

Die Natur als Entdeckung und Horizonterweiterung wird von ihm unglaublich einfühlsam beschrieben. Er war zu einem Literaturaufenthalt in der Schweiz eingeladen. Sehr lustlos hat er die Reise angetreten, um dann in Schnee, Kälte und einsamen Wanderungen die Befreiung seiner Seele zu erleben. Das ist hinreißend geschildert.

In weiten Teilen greift Schreiber die Wochen und Monate der Pandemie auf, um anhand der Lebensformen, die uns alle betreffen, über Isolation und Einsamkeit nachzudenken.

Zwischen den Reflexionen über sein Leben zitiert Schreiber unzählige Autoren und Philosophen, die ihm bei seinen Einsichten Stützpfeiler zur Selbsterkenntnis waren.

Das Buch mit seinen Essays regt zum Nachdenken an. Die Abhandlungen sind intensiv und einprägsam.

Die Denkschrift von Daniel Schreiber ist nicht unterhaltsam. Sie enthält eine Analyse wichtiger Stadien menschlichen Seins im Sozialgefüge menschlichen Zusammenlebens am Beispiel seines eigenen Lebens. Dabei eröffnet sich auch für uns Lesende der Horizont in Richtung Kontemplation und Begreifen. Eine sehr empfehlenswerte und erhellende Studie ist Daniel Schreiber mit seiner Schrift gelungen.

Im Anhang findet man eine lange Liste zitierter Schriften und Autoren.

Daniel Schreiber
Allein
Hanser Berlin, 6. Auflage September 2021
160 Seiten, gebunden
ISBN-10: 3446267921
ISBN-13: 978-3446267923
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Dr. med. Marianne Koch: Unser erstaunliches Immunsystem

Dr. med. Marianne Koch: Unser erstaunliches Immunsystem

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Unser Immunsystem schützt uns vor Viren und Bakterien, die uns krank machen können. Gerade jetzt in der Corona-Pandemie kommt ihm eine besondere Bedeutung zu. Allgemeines Wissen zur Körperabwehr und auch seine Schwächen ist von großer Bedeutung für die Gesundheit. Viele Themen, das ist zu sagen, werden eher nur kurz angerissen, aber eben so, dass sich ein rundes Bild ergibt und alles für den Laien verständlich bleibt.

Dr. med. Marianne Koch erklärt im Buch, wie das Immunsystem funktioniert. Sie geht dabei auf das angeborene und das erworbene Immunsystem ein und zeigt auf, was die Abwehr leistet, wenn der Körper mit Krankheitserregern in Kontakt kommt.

Vorbeugung ist hier ein bedeutender Aspekt. Die wichtigsten Tipps, wir haben sie mittlerweile alle drauf, werden genannt und begründet. Aber es geht noch weiter, denn auch eine gesunde Lebensweise kann helfen, das Immunsystem zu stärken und Krankheiten zu vermeiden. Und natürlich Impfungen. Darüber gibt es ebenfalls viel zu erfahren. Als das Buch erschien, gab es jedoch noch keine gegen Corona. Das hat sich mittlerweile geändert.

Dass sich das Immunsystem auch mal irren kann, wird im nächsten Kapitel aufgezeigt. Hier ist beispielsweise von allergischen Erkrankungen wie Heuschnupfen, allergischen Kontaktekzemen oder Allergien gegen Medikamente und Insektengift die Rede. Therapiemöglichkeiten werden aufgezeigt. Weiter geht es mit den Autoimmunkrankheiten und was die medizinische Forschung darüber mittlerweile weiß.

Doch nicht immer ist ein starkes Immunsystem erstrebenswert. Bei Organtransplantationen beispielsweise muss es sogar heruntergefahren bzw. unterdrückt werden. Und auch um den Fortschritt neuer Immuntherapien bei Krebs geht es im Buch.

Sehr spannend! Der Autorin gelingt es gut, die Funktionsweise des Immunsystems im Wesentlichen zu erklären und auch etwas komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen. Sie bedient sich dabei einer bildhaften Sprache und entsprechenden Vergleichen, was mir sehr gut gefallen hat. Immer wieder greift sie Fragen auf, die der Leser haben könnte und tritt auf diese Weise gefühlt in direkten Kontakt. Es lassen sich viele wertvolle Tipps für die Gesundheit entnehmen.

Rezension von Heike Rau

Dr. med. Marianne Koch
Unser erstaunliches Immunsystem
Wie es uns schützt, wie es uns heilt – und wie wir es jeden Tag stärken können
208 Seiten, gebunden
dtv Verlagsgesellschaft, September 2020
ISBN-10: 3423282274
ISBN-13: 978-3423282277
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