René Freund: Niemand weiß, wie spät es ist

René Freund: Niemand weiß, wie spät es ist

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Nora kann nichts anfangen mit dem letzen Willen ihres Vaters. Sie weiß nicht, was sie davon halten soll. Mit seiner Urne im Gepäck, soll sie sich auf Wanderschaft begeben. Ein ganz bestimmter Ort ist das Ziel. Hier will ihr Vater seine letzte Ruhe finden. Allein muss Nora dieses Unterfangen nicht bewältigen. Ein Notariatsgehilfe wird ihr zur Seite gestellt. Von diesem befremdlich wirkenden jungen Mann hält sie rein gar nicht. Sie selbst ist chaotisch und Bernhard ein Mensch, der Ordnung hält in allen Lebenslagen. Ihr Erbe möchte Nora dann aber doch antreten und so will sie die Bedingung erfüllen und wandern. Sie beginnt die Reise, im Gegensatz zu Bernhard, völlig unvorbereitet. Das Ziel ist anfangs nicht genau bekannt. Nora wird mit immer neuen Botschaften, die ihr Vater vor seinem Tod erstellt hat, versorgt. Und langsam ergibt sich ein Bild seines Planes. Und auch Bernhard erweist sich immer mehr als guter Begleiter.

Da kommen zwei Fremde zusammen, die nicht zusammenpassen, um den geheimnisvollen Wunsch eines alten Mannes zu verwirklichen. Das Durcheinander, dass der Vater in Nora nach seinem Tod anrichtet, wird gut beschrieben. Doch sie ist eine Frau, die anpacken kann, auch wenn das eine oder andere schief geht. Bernhard ist dafür da und auch in der Lage, das Chaos wieder geradezurücken. Es sind insbesondere die frechen und spritzigen Dialoge, die sehr unterhaltsam sind. Und es ist die Art und Weise, wie man sich dem nächsten Etappenziel nähert. Wozu das Ganze gut sein soll, wird erst nach und nach klar. Das sorgt für Spannung. Der Roman ist gut aufgebaut, hintergründig entwickelt, ein bisschen traurig, aber irgendwie auch lustig. Verschiedene Emotionen werden also geweckt. Man kommt gut durch das Buch, das viel Stoff zum Nachdenken und vor allem auch ein überraschendes Ende bietet.

Rezension von Heike Rau

René Freund
Niemand weiß, wie spät es ist
272 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag
ISBN-10: 3552063269
ISBN-13: 978-3552063266
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Birgit Vanderbeke: Ich freue mich, dass ich geboren bin

Birgit Vanderbeke: Ich freue mich, dass ich geboren bin

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Sie hat heute ihren siebten Geburtstag und freut sich auf die Geschenke. Doch es gehen ihr an diesem Tag so viele Gedanken durch den Kopf. Deshalb erzählt sie uns davon. Sie erzählt von ihren Großeltern, von Mutter und Vater, vom Abhauen aus dem Osten in den Westen, von Tante Eka im Flüchtlingslager mit ihren zwei Männern Onkel Grewatsch und Onkel Winkelmann mit seinen vielen Büchern und Geschichten. „Das war das Schöne im Flüchtlingslager gewesen. Weil Onkel Winkelmann mir das alles erzählte und aus seinen Büchern vorlas, konnte ich mich an all die fremden Gewürze in der Gemeinschaftsküche sofort erinnern, obwohl ich sie gar nicht kannte und niemals gerochen hatte, aber Onkel Winkelmann und die aufgefädelten Buchstabengeschichten in seinen Büchern erzählten sie so genau, dass ich sie in der Nase hatte und jedes Mal Lust bekam, einen Löffel davon zu probieren.“ Sie erzählt vom Leben im Flüchtlingslager und von der Arbeitersiedlung, die danach folgte.

Ihr siebter Geburtstag ist irgendwann in den 1960er Jahren. Einen Namen hat sie in dieser Geschichte nicht. Denn schließlich sagt Mutter immer. Kind, was soll ich mit dir bloß machen? Oder: Kind, was soll aus dir bloß werden?
Birgit Vanderbeke hat als Erzählstil den eines siebenjährigen Mädchens, bzw. das, was sich ein Erwachsener darunter vorstellt, gewählt. Das ist im ersten Moment ungewohnt. Doch nach wenigen Seiten gibt sich das. Der Stil wird einem vertraut, man lässt sich darauf ein, dass ein Kind erzählt. Er wirkt sehr authentisch, und der Leser kann feine Ironie und leichten Sarkasmus spüren. Humor wäre jetzt zu weit hergeholt, denn das, was sie in ihrer kurzen Kindheit alles schon erlebt hat, ist alles andere als lustig. In ganz wenigen Momenten erzählt sie alles andere als von einer heilen Welt in den sechziger Jahren. Doch das Mädchen sucht sich ihre Fluchtpunkte. Ob es „solch eine Person wie“ Tante Eka mit ihren zwei Männern, ihre Freundin Gisela, oder ihr italienischer Freund Tassilo sind. Und irgendwann findet sie für sich einen Weg in die ganz große Freiheit. Sie lernt, ihrer Familie zu entfliehen.

Vanderbeke gibt eine genaue Milieustudie der 1960er Jahre wider. Mit der kindlichen Sprache wird die verlogene und bigotte Welt der westlichen Kleinbürger besonders gut akzentuiert. Das Thema Flucht aus dem Osten in den Westen schlägt genauso einen Bogen in die heutige Zeit wie die Flüchtlingszüge am Ende des Zweiten Weltkriegs in die westlichen Gebiete Deutschlands. Auch wenn sich die Erzählung auf die damalige Zeit bezieht, spiegeln sich im Verhalten der Figuren die aktuellen gesellschaftlichen Probleme wider und es zeigt sich, dass kaum etwas von damals getilgt worden ist.

Der Umstand, dass es über den gesamten Roman hinweg kein klar definiertes Ziel in der Geschichte gibt, macht den Roman nicht weniger lesenswert. Denn er fesselt zweifelsohne aufgrund der spielerischen Erzählweise. Interessierte Leser werden an den Figuren und dem Umfeld kleben bleiben.

Vanderbeke, Birgit
Ich freue mich, dass ich geboren bin
Piper Verlag, München
ISBN 9783492057547

© Detlef Knut, Düsseldorf 2016
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James Lee Burke: Neonregen

James Lee Burke: Neonregen

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Dave Robicheaux, Lieutenant im Ersten Revier des New Orleans Police Departments, wird zu einem zum Tode Verurteilten ins Gefängnis gerufen. Johnny Massina will ihn warnen. Er schließt mit dem Leben ab, ist sich klar darüber, dass er nun für seine Taten büßen muss und seine Stunde gekommen ist. Den Lieutenant hat er als anständigen Menschen kennengelernt, der ihn auch nie festgenommen hatte. Noch im Knast war ihm zu Ohren gekommen, dass Dave Robicheaux umgebracht werden soll. Dave hält das zwar für Gerede und gibt nicht viel darauf, aber dennoch erhält er Informationen aus dem Milieu von New Orleans. Auch sein Bruder Jimmy, der ein gutgehendes Restaurant führt, scheint irgendwie in die Sache verwickelt zu sein. Er wäre nicht Dave, wenn er der Sache nicht nachgehen würde.
Nebenbei informiert er sich über den Fall eines toten Mädchens, die er vor zwei Wochen beim Angeln im Nachbarbezirk gefunden hatte. Dabei muss er feststellen, dass der dortige Sheriff deren Tod als Tod durch Ertrinken zu den Akten gelegt hat. Irgendetwas daran stinkt. Er weiß nur noch nicht was.

„Neonregen“ ist der erste Roman aus der Dave-Robicheaux-Reihe, den James Lee Burke geschaffen hat. Er wurde unter dem Namen „In The Electric Mist“ („Mord in Louisiana“) mit Tommy Lee Jones in der Hauptrolle verfilmt. Mittlerweile umfasst die Reihe zwanzig Romane und der inzwischen 80 Jahre alte Schriftsteller denkt noch nicht an das Aufhören.

Burke hat einen Protagonisten geschaffen, der das Leben ganz unten kennt, alkoholabhängig ist und einige gesellschaftliche Zwänge nicht hinnehmen will und kann. Dieser Protagonist ist einer der wenigen Polizisten, der aus der Ich-Perspektive erzählt, was ansonsten in der Kriminalliteratur häufig nur den Privatdetektiven vorbehalten ist. Die Figur zieht den Leser in seinen Bann. Häufig und oberflächlich agiert sie nach dem Motto: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Doch Burke stattet sie mit so vielen Facetten aus, die den Leser hinter die raue Schale blicken lassen: hart, tödlich, verletzlich, angreifbar, zärtlich, sehnsüchtig nach Liebe, Harmonie und Geborgenheit. Burke findet eine Mischung aus einerseits actionreichen und knallharten Szenen, andererseits aus entschleunigenden Alltagsszenen. Immer wieder kann sich der Protagonist an Landschaften und Sonnenuntergängen erfreuen. Auch findet er Ruhepausen auf einer Parkbank mit einem Kaffee und einem Taschenbuch in der Hand. Obwohl bereits vier Jahre trocken, bekämpft er mit Sport seinen erneuten alkoholischen Absturz. Sein Wille gibt ihm die Kraft. Der Wechsel von ruhigen und energiegeladenen Szenen sorgt für einen angenehmen Ausgleich beim Lesen. Anders als bei Pageturnern muss der Leser nicht von Seite zu Seite rasen, sondern kann sich auf den Inhalt, die Situationen und Figuren einlassen, ohne dass es an Spannung mangelt.

Ein Roman absoluter Spitzenklasse.

Burke, James Lee
Neonregen
aus dem Amerikanischen von Hans H. Harbort
Pendragon Verlag, Bielefeld
ISBN 9783865325488

© Detlef Knut, Düsseldorf 2016
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Anne-Laure Bondoux und Jean-Claude Mourlevat: Lügen Sie, ich werde Ihnen glauben

Anne-Laure Bondoux und Jean-Claude Mourlevat: Lügen Sie, ich werde Ihnen glauben

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Pierre-Marie Sotto mag es nicht, Manuskripte zugeschickt zu bekommen. Er ist Autor, auch wenn er im Moment nicht schreibt, und kein Verleger. Er würde den dicken Umschlag sofort zurückschicken, aber es gibt keinen Absender, nur eine E-Mail-Adresse. Also schreibt er. Zwar erhält er keine Adresse von Adeline Parmelan, aber dennoch eine Antwort. Es ist der Beginn eines Hin und Her an E-Mails. Pierre-Marie und Adeline gehen bald sehr vertraut miteinander um. Sie offenbaren sich einander, teilen ihr Leben. Es besteht keine Notwendigkeit immer bei der Wahrheit zu bleiben, solange man annimmt, sich nie zu begegnen. Doch Pierre-Marie ist ein sehr sensibler Mensch, der von seiner Frau verlassen wurde. Es ist viel Zeit vergangen, doch er ist immer noch auf der Suche nach Vera, die einfach ohne Erklärung und ohne Abschied verschwunden ist. So liest er zwischen den Zeilen und ahnt nach und nach, dass Adeline nicht ohne Grund in sein Leben getreten ist.

Ich bin überrascht von diesem ungewöhnlichen Roman, der sich nur in E-Mails abspielt, die bald immer länger werden. Die Geschichte hat so viel Tiefgang und das auf eine sehr charmante, berührende und auch glaubwürdige Art und Weise. Pierre-Marie und Adeline schlagen sich mit dem normalen Leben herum und mit ihren Schicksalsschlägen. Sie wirken beide enttäuscht, nicht selten in melancholischer Stimmung und versuchen dennoch ihrem Dasein etwas Gutes abzugewinnen. Sie sprechen sich Mut zu, sie trösten sich, sie bringen sich zum Lachen. Manchmal reicht es, die Sichtweise des anderen zu überdenken, um Dinge positiver zu sehen. Aber hinter dieser Korrespondenz steckt mehr. Es läuft auf etwas hinaus, das hier nicht verraten werden soll. Aber das Geheimnis wird erst nach und nach gelüftet, so dass es für den Leser sehr spannend wird. Das Ende wird gut aufgelöst. Ich könnte dennoch ewig weiterlesen.

Rezension von Heike Rau

Anne-Laure Bondoux und Jean-Claude Mourlevat
Lügen Sie, ich werde Ihnen glauben
Aus dem Französischen von Ina Kronberger
288 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag
ISBN-10: 3552063250
ISBN-13: 978-3552063259
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Elizabeth Poliner: Wie der Atem in uns

Elizabeth Poliner: Wie der Atem in uns

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Jüdisches Leben und Schicksalsschläge …

Molly Leibritzky ist die Icherzählerin einer typisch jüdischen Familiengeschichte in Middletown/Connecticut. Die Familie verbringt die Sommer am Meer in Woodmont/Connecticut. Wie so viele Juden sind die Ahnen der Familie ursprünglich vor Jahrzehnten aus dem Osten nach Amerika zugewandert. Mit ihrem Kaufhaus hat sie eine einträgliche Einkommensquelle, so dass sie sich ein gutes Leben leisten kann. Man hilft sich untereinander und steht sich in allen schwierigen Fragen des Lebens zur Seite. Doch wie überall auf der Welt gibt es in der Familie nicht nur eitel Sonnenschein. Schicksalsschläge und Querelen untereinander geben so manchen Anlass zur Sorge und zu Zwietracht.

Der Sommer 1948 prägt sich allen ins Gedächtnis ein, denn es ist der Sommer, in dem Davy, der Jüngste der Familie, zu Tode kommt. Er ist damals erst acht Jahre alt.

Molly, seine Schwester, versucht in ihrem Rückblick nach Jahren Ordnung in die Geschehnisse von damals zu bringen.

Auf diese Weise erfahren wir etwas vom Zusammenleben ihrer Mutter Ada mit ihren Schwestern Vivie und Bec.

Ada ist in Laufe der Jahre mit drei Kindern gesegnet worden und hat ihre unbefangene frühere Lebensfröhlichkeit verloren. Vivie hat ihrer Schwester lange verübelt, dass sie ihr den Mann einst ausgespannt hat. Doch nun ist sie früh zu einem gewissen Gleichmut und einer korrekten Realitätseinschätzung gelangt. Mit Leo und ihrer gemeinsamen Tochter Nina führt sie schließlich eine ruhige und treue Ehe. Bec, die jüngste der Schwestern, hat einen ganz eigenen Weg genommen.

Elizabeth Poliner zeichnet ein lebhaftes Bild der Gemeinschaft in ihrem Sommerdomizil. Man isst zusammen, treibt Sport, geht schwimmen und verlustiert sich auf vielerlei Weise.

Elizabeth Poliner vermittelt das Bild einer jüdischen Familie, wie wir sie aus zahlreichen Familiengeschichten schon kennen. Wichtig ist allen, dass man unter sich bleibt. Die jüdische Familie fordert bedingungslose Achtung bei der Einhaltung ihrer Traditionen und fest gefügten Lebensmuster. Das fällt nicht jedem leicht! Die Liebe erfährt Veränderungen und sprengt den Rahmen dessen, was jeder zu leisten vermag.

Als in Sommer 1948, der Gründung des Staates Israel, Davy tödlich verunglückt, bricht das mühsam konsolidierte Familienleben zusammen.

Die tragischen Ereignisse um Davys Tod berühren jeden tief.

Warum interessiert einen dieser Roman so sehr?

Er sprüht vor Lebendigkeit, erzählt von Klima, Luft und Familiensinn mit feiner Beobachtungsgabe und beinhaltet zudem eine Menge Erkenntnisse zu dem, was das Menschsein ausmacht. Hinzu kommt eine Einsicht, die so oft zum Leben gehört: Zufälle können eine unerwartete Wende bringen, die das Leben aller Beteiligen erschüttert. Keiner bleibt unberührt, wenn ein junges Leben vorzeitig endet. Und die Erwartungen an aneinander sind, wie sich zeigen wird, nicht immer erfüllbar.

Zitat: “Doch so sind Familien: sie sagen uns, was wir sind, und das sind wir dann, und deshalb besteht ein Teil des großen Lebenskampfes darin, sich jenseits der Last der erdrückenden kollektiven Definition selbst kennenzulernen.“(S.88)

So klar ausgesprochene tiefsinnige Betrachtungen findet man selten in diesem Roman. Sie fassen aber zusammen, worum es in der Geschichte geht: Selbstfindung, Identitätssuche und Überlebensstrategien. Am Ende ist die Geschichte schlüssig und man legt das Buch mit dem Wissen aus der Hand, dass hier wieder einmal ein Roman lehrt, wie das Leben so spielt und wie viele Variablen es beinhaltet.

Elizabeth Poliner
Wie der Atem in uns
428 Seiten, gebunden
DuMont Buchverlag. Juli 2016
ISBN-10: 3832198172
ISBN-13: 978-3832198176
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J. L.Carr: Ein Monat auf dem Land

J. L.Carr: Ein Monat auf dem Land

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In einem abgeschiedenen Örtchen in Nordengland, in Oxgodby in Yorkshire, erscheint eines Tages der Restaurator Tom Birkin, der für zwei Monate in der kleinen örtlichen Kirche ein mittelalterliches Fresko freilegen soll. Wir schreiben das Jahr 1920.

Er ist ärmlich ausgestattet und wohnt im Kirchenschiff höchst ungemütlich und wenig komfortabel.

Man beobachtet ihn bei seiner Ankunft und bei seiner Tätigkeit an der Kirchenwand. Er bleibt der Icherzähler, aus dessen Blickwinkel die dörfliche Gemeinschaft zum Leben erwacht. Denn von Zeit zu Zeit gesellen sich Anwohner zu ihm. Oxgodby ist klein, überschaubar und von wenigen Honoratioren bewohnt.

Einmal gibt es da den Stationsvorsteher des Bahnhofs und dessen Tochter; nebenan in seinem Zelt wohnt Mr. Moon, ein Archäologe, der im Namen einer verstorbenen reichen Mäzenin nach verschollenen Gräbern sucht.

Der Auftraggeber für Mr. Birkin ist ein Pfarrer von mürrischer Wesensart. Als seine Frau eines Tages in der Kirche erscheint, um sich den Fortgang der Arbeit anzusehen, ist Mr. Birkin höchst erstaunt über ihre Jugend und ihre fast überirdische Schönheit. Alice Keach erinnert ihn an das Frauenporträt „Primavera“ von Botticelli.

Zarte Liebesgefühle erwachen in ihm!

So langsam lernt man sich kennen, trinkt hier und da einen Tee zusammen oder es folgt sogar einer Einladung zum Essen.

Unspektakulär und bescheiden bewegen sich die Menschen aufeinander zu und wieder fort. Und doch wird in den Gesprächen deutlich, dass jeder ein Interesse am anderen hat.

Tom Birkin suchte in der Abgeschiedenheit des Landlebens Ruhe und Erholung von schweren Schicksalsschlägen, denn er kämpfte im Ersten Weltkrieg, und seine Frau hat ihn kürzlich verlassen. Hier scheint er die Ruhe zu finden!

J.L.Carr versteht es trefflich, die Atmosphäre der ländlichen Abgeschiedenheit zu vermitteln.

Seine kurze Erzählung ist inhaltsreich und von bestrickender Poesie.

Die Stimmungsbilder zeugen von wunderbarer Ruhe und von der Schönheit der Wälder und Felder, der Luft, dem Duft und dem Vogelgesang. Die Menschen mit ihren Eigenheiten und das ländliche Leben sind Balsam für die Seele eines Helden, der verwundet an Leib und Seele gerade hier auftanken wollte. Der Fortgang der Restaurierungsarbeiten wird fachgerecht beschrieben, und kunstgeschichtlich Betrachtungen runden den Bogen zu der kleinen aber feinen Erzählung ab.

J.L.Carr lebte von 1912 bis 1994 und gilt als moderner englischer Klassiker. Seine ruhige Prosa ist auch Balsam für Seele des Lesers!

J.L.Carr
Ein Monat auf dem Land
144 Seiten, gebunden
DuMont Buchverlag, Juli 2016
ISBN-10: 3832198350
ISBN-13: 978-3832198350
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Lot Vekemans: Ein Brautkleid aus Warschau

Lot Vekemans: Ein Brautkleid aus Warschau

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Lot Vekemans hat ein ergreifendes Romandebüt verfasst.

Jeder weiß, wie schwerwiegend die Folgen der Judenverfolgung auch und gerade in Polen während der Nazizeit waren.

Hier geht es um eine junge Frau, die aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen stammt. Ihre Mutter ist eine harte Frau, die der Tochter nichts durchgehen lassen will.

Auf einer Rückreise aus Warschau in ihr Dorf kommt Marlena mit einen jungen Mann in Kontakt, der ihr zum Abschied seine Telefonnummer zusteckt. Sie ruft ihn an, und schon bald sind sie ein Liebespaar. Natan ist Amerikaner. Er ist Jude und ist nach Polen gereist, um nach den Spuren seiner Vorfahren zu fahnden, die ursprünglich hier beheimatet waren. Seine jüdische Familie ist teilweise im Holocaust umgekommen oder nach Holland und Amerika geflohen.

Die beiden sind sehr verliebt und müssen ihre Liebe verstecken, denn Marlenas Mutter würde diese Beziehung nie dulden.

Auf Vermittlung von Natan beginnt Marlena bei seinem Onkel Szymon in dessen Hotel als Küchenhilfe zu arbeiten. Der Onkel soll später noch eine besondere Rolle im Leben der beiden Liebenden einnehmen.

Kurzfristig wird Natan nach Amerika zurückgerufen. Marlena und Natan geben sich das Versprechen, sobald wie möglich voneinander hören zu lassen. Marlena ahnt nicht, dass sie schwanger ist.

Kurz darauf schlägt sie sich tapfer mit ihrem Sohn Stan durch. Sie hat keine Adresse von Natan und hört nichts mehr von ihm.

In der Folge beginnt eine verzweifelte Lebensgeschichte. Aus vielerlei Versäumnissen heraus muss Marlena einen einsamen Weg gehen, der sie nicht glücklich macht. Enttäuschte Hoffnungen und verzweifelte Überlebensstrategien pflastern ihren Weg, der sie nach Holland führt.

Lot Vekemans erfindet subtile Geschichten, mit denen sie ihre Protagonisten in einzelnen Kapiteln in der Ichform erzählen lässt. Trauer, Täuschung und Enttäuschung paaren sich mit dem Kampf um Liebe und Verstehen. Doch das Schweigen beherrscht das Leben aller Figuren und lässt sogar den kleinen Stan für viele Monate ganz verstummen. In diesem Klima kann Vertrauen kaum wachsen, und jeder bleibt mit seinem Schicksal allein.

Eine gewisse Melancholie liegt über dem Geschehen. Doch ist das Buch nicht bedrückend. Eher erfasst den Leser eine unterschwellige Spannung, wie sich die Beziehungen  entwickeln werden, und wie man aus Dilemma der verworrenen  Zusammenhänge herausfinden könnte.

Zum Ende hin bleiben viele Fragen offen, doch ist man in die Familiengeschichte tief eingetaucht.

Lot Vekemans lebt mit ihrer Familie in New York.

Lot Vekemans
Ein Brautkleid aus Warschau
253 Seiten, gebunden
Wallstein, Februar 2016
ISBN-10: 383531601X
ISBN-13: 978-3835316010
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Lisa Elsässer: Fremdgehen

Lisa Elsässer: Fremdgehen

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Mit einem kurzen Einblick in die Geschichte einer Freundschaft beginnt Lisa Elsässer ihre Erzählung über eine ungewöhnliche Liebe. Einleitend zu ihrem Briefroman zitiert sie Hannah Arendt, die sagt „wenn es nicht so gefährlich wäre, sollte man der Welt doch einmal erzählen, was eine Ehe wirklich ist“. Die weise Philosophin sollte es wissen!

Zuerst zaghaft, dann immer schneller offen, ehrlich und schließlich zärtlich erzählt Elsässer über den Beginn einer großen Liebe, die sich in Briefen und Mails manifestiert.

Lino ist Gastdozent in einer europäischen Metropole, Julia lebt in der Pampa und von Bergen umgeben. Sie lektoriert und schreibt ein wenig. Nur einmal sind sie sich kurz begegnet. Danach fingen sie einen Mail- und Briefwechsel an. Die Mitteilungen zeugen von einer zunächst sehr scheuen Annäherung. Schnell ist man beim Du und bei immer intensiverem Austausch über das, was man erlebt, und wie man sich in der Beziehung zu einander fühlt.

Wie aber soll man diese Beziehung, die sicher auch von der Distanz beflügelt wird, mit den eigenen Bindungen an Ehepartner und Kinder in Einklang bringen?

Zwei Menschen geraten unerwartet in eine Beziehung, die tief und innig wird.

Lisa Elsässer erfasst die Verführung und Sehnsucht zweier Menschen in einer wunderbar klaren Sprache. Die Geschichte wird durch poetische Einschübe über Naturerlebnisse und das Großstadtleben bereichert. Sie beschreibt zwei kluge, diskrete und feinsinnige Menschen, die sich zunehmend in einen Strudel der Gefühle füreinander verlieren. Psychologisch klug und einfühlsam werden die Erwartungen, Träume und Sehnsüchte der beiden Liebenden dem Leser vermittelt.

Lisa Elsässer hat ein feines Gespür dafür, wann eine Beziehung nicht mehr im Gleichgewicht bleibt.

Hier finden sich wie überall auf der Welt unterschiedliche Charaktere zusammen. Konfliktscheu der eine, offen und direkt die andere. Über das alltägliche Leben mit den eigenen langjährigen Partnerbeziehungen gibt es nur Andeutungen.

Phantasien mögen den Adressaten ideell erhöhen, da man den Alltag mit ihm nicht kennt.

Viele Fragen rühren den Leser an: wie ist das mit der ehelichen Treue? Kann man Parallelbeziehungen haben? Sind die auf Distanz und Briefwechsel beschränkten Liebesschwüre aus einer Fiktion geboren? Gelegentliche Treffen der beiden Liebenden werden leidenschaftlich erlebt. Irritationen über den jeweils anderen bleiben jedoch nicht aus. Ist in einer nahen Beziehung die Liebe auf Dauer haltbar?

In diesem kleinen Büchlein, setzt sich Lisa Elsässer mit Fragen von Treue, Sehnsucht, Phantasie und Wirklichkeit auseinander. Da sie eine ästhetische Sprache benutzt, ist die Geschichte nie flach oder gewöhnlich. Man bekommt einen Eindruck davon, wie verwirrend das Zusammenleben unter den Menschen sein kann. Zwei sensible und feinfühlige Menschen suchen einen Ausweg. Wie wird das Ende sein?

Sehr lesenswert!

Lisa Elsässer
Fremdgehen
192 Seiten, gebunden
Rotpunktverlag, Juli 2016
ISBN-10: 3858697141
ISBN-13: 978-3858697141
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Regine Kölpin: Die Lebenspflückerin

Regine Kölpin: Die Lebenspflückerin

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Mit dem Roman bringt Regine Kölpin die Leser in das Ostfriesland des 16. Jahrhunderts. Ein Jahrhundert, das geprägt war vom Kampf der Religionen. Die Reformer bekamen immer mehr Zuspruch, doch die Katholiken versuchten mit allen Mitteln, ihre Machtpositionen auszubauen und zu halten. Am Rande dessen entstanden neue und besondere Religionsgemeinschaften, die ihren eigenen Weg gehen wollten. In Ostfriesland fanden sie Ländereien und Wohlgesinnte, die ihnen ein Leben in ihrem Glauben und Frieden versprachen. Ostfriesland war Zufluchtsort vieler Glaubensflüchtlinge besonders aus Holland.

Der Roman zeigt aber, dass es nicht immer ruhig zuging in diesen Gemeinschaften. Als Hiske Aalken, die in Jever als Hexe vor dem Tribunal stand und in letzter Minute fliehen konnte, in der „Herrlichkeit Gödens“ ankommt, ist gerade ein Mord geschehen. Das Opfer war ein Anführer einer Gruppe von Täufern. Sofort wird klar, dass es um Macht innerhalb der Gemeinschaft geht, und dass Hiske für so manchen eine willkommene Täterin wäre. Aber auch der große Junge, von der Erscheinung her beinahe ein Erwachsener, aber nach Alter ein Kind, wird als Täter ins Spiel gebracht. Nur mit Mühe und dank der Menschen, die erkennen, dass Hiskes Kenntnisse als Hebamme und Heilerin unverzichtbar für die Gemeinschaft sind, kann sich Hiske den Anschuldigungen erwehren. Bis schließlich ein weiterer Mord geschieht …

Kölpin hat in diesem Roman eine bedrückende Atmosphäre um eine Religionsgemeinschaft aufgebaut und bringt das Geschehen der damaligen Zustände in einer spannenden Geschichte näher. Schnell erkennt nicht nur die Protagonistin, sondern auch der Leser, dass eine Gemeinschaft so gut wie jede andere ist, wenn es um die Macht und den Anspruch der Führung darinnen geht. Nach umfangreicher Recherche hat die Autorin mit viel Akribie die Zustände beschrieben und reale Personen mit fiktiven Figuren in eine Handlung verstrickt, bei der man auf das Ende hin miträtselt und darauf neugierig bleibt. Doch als Erzählung angelegt, bleiben viele Aktionen, Handlungen und Dialoge etwas auf der Strecke. Ich hätte mir etwas mehr Lebhaftigkeit gewünscht. Der Spannung haben diese erzählenden Strecken allerdings nicht geschadet.

Der erste Band gibt der Trilogie um die Hebamme Hiske Aalken einen angemessenen Auftakt und erhält eine unbedingte Leseempfehlung. (Zur Info: Band 2 „Der Meerkristall“, Band 3 „Das Signum der Täufer“)

Kölpin, Regine
Die Lebenspflückerin
KBV-Verlag, Hillesheim
ISBN 9783942446396

© Detlef Knut, Düsseldorf 2016
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Schrot&Korn Kochbuch – vegetarisch, vegan, saisonal

Schrot&Korn Kochbuch – vegetarisch, vegan, saisonal

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Wer im Bio-Laden oder im Reformhaus einkauft, kennt die Zeitschrift. Einmal im Monat gibt es Neuigkeiten zu Bio-Produkten und Umweltthemen. Außerdem gibt es spannende vegane und vegetarische Rezepte. Ich habe immer einige Zeitungen, aufgeschlagen auf einer Rezeptseite, in der Küche liegen. In Buchform machen sich die Rezepte natürlich viel besser!

Geordnet ist das Kochbuch nach den Jahreszeiten. Schließlich soll die Küche saisonal sein. Davon abgesehen natürlich auch möglichst regional. Verwendet werden Bio-Lebensmittel. Die Rezepte im Buch sind ebenfalls vegan oder vegetarisch. Es kommen reichlich Gemüse und Obst auf den Tisch.

Den Anfang macht der Frühling. Es gibt „Kartoffel-Brunnenkresse-Suppe“ oder „Karottentarte mit Ziegenkäse“. Für den sommerlichen Genuss stehen „Melonen-Tomaten-Salat“ und „Geeiste Honig-Charlotte mit Beeren“. Im Herbst gibt es „Rote-Beete-Apfelsuppe“ und „Kichererbsen-Eintopf“ und im Winter „Feldsalat mit Granatapfel“ und „Wirsingpäckchen mit Grünkernfüllung“.

Ausprobiert habe ich die Zucchinipuffer mit Joghurt-Gurken-Soße. Das ist ein leichtes und einfaches Gericht für den Sommer. Die Puffer können, wenn man mag, auch kalt gegessen werden. Die Joghurtsoße ist durch die Gurke und die Minze sehr erfrischend passt wunderbar dazu. Es hat sehr gut geschmeckt!

Die Zubereitungsanleitungen sind gut verständlich und schön übersichtlich gemacht. Zu jedem Rezept gibt es ein ansprechendes Foto.
Bei den Zutaten, das sieht man gleich, ist Fantasie im Spiel. Es macht Spaß, Neues zu entdecken. Dazu gehören vielleicht Hafersahne, Agavendicksaft, Buchweizennudeln oder Pastinaken. Gewürzt wird viel mit frischen Kräutern von Bohnenkraut bis Dill.
Es gibt Suppen, Salate, Gebackenes und Desserts. Knapp 80 Rezepte, alle gut sortiert, sind im Buch. Das sorgt für reichlich Abwechslung im Jahresverlauf.

Rezension von Heike Rau

Schrot&Korn Kochbuch – vegetarisch, vegan, saisonal
190 Seiten, gebunden
Verlag Eugen Ulmer
ISBN-10: 3800108267
ISBN-13: 978-3800108268
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