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Schlagwort: Istanbul

Goodbye Istanbul

Goodbye Istanbul

Esmahan Aykol Goodbye Istanbul
Diogenes ISBN 3257065698

Die junge Türkin Ece hat eines Tages genug von ihrem Leben in Istanbul!
Sie verlässt die Stadt und fährt nach London.

Hinter sich lässt sie einen Vater, der nach einem Unfall und Verlust eines Armes die ganze Familie tyrannisiert und eine unzufriedene Mutter, die nicht glauben kann, dass die Tochter ein Studium ins Auge fasst.
Tamer, den sie liebt und mit dem sie eine Liaison hat, bleibt allen Beteuerungen zuwider verheiratet, so dass sie keine Zukunftsaussichten mit ihm sieht.
Am schwersten aber wiegt der Verlust des Großvaters: mit ihm fühlte sie sich eng verbunden. Er hinterließ ihr, ohne dass die übrige Verwandtschaft davon wusste, ein beträchtliches Vermögen, mit dem sie einst ihr Leben selbständig in die Hand nehmen soll.

Esmahan Aykol entwirft das Bild einer modernen Stadt Istanbul, in der Frauen studieren und ein freizügiges Leben im Geheimen leben konnten.

In London aber sieht die Welt nicht besonders rosig für Ece aus. Nun lernt sie die Tücken des Andersseins kennen.
Als Türkin hat sie geringe Chancen, in eine gehobene Berufsanstellung zu kommen.
So wird sie erstmal Tellerwäscherin in einem coffee-shop.
Ece trifft eine Reihe von Landsleuten, die aus den verschiedensten Gründen ihr Land verlassen haben. Dabei offenbaren sich ihre Nöte und Armut, die sie bedenklich stimmen. Was ist aus den rosigen Vorstellungen geworden, mit denen sie in den Westen aufgebrochen war?

Die Autorin bringt mit dieser Erzählung eine interessante Gegenüberstellung des Lebens in der Türkei und der großen, in demokratischen und konservativen Traditionen verhafteten Metropole Londons ins Spiel. In dieser Stadt bleiben Fremde fast immer Fremde ohne besondere soziale Aufstiegschancen.

Wenn es zu schlimm kommt, dann erinnert sich Ece des Großvaters, und da wird ihr warm ums Herz.
Sie weiß ihrer Cousine Aylin viele schöne Geschichten zu erzählen, die ihr der Großvater, ein angesehener Silberschmied, überliefert hat.

Die Legende von Vostan scheint direkt der biblischen Geschichte von Jakob und Rahel zu entsprechen. Man vernimmt mit Erstaunen, dass die uralten Geschichten unterschiedlicher Völker und Religionen Ähnlichkeiten aufweisen.
Mit den Erzählungen Eces wird die Türkei als ein orientalisches Land ins Bild gerückt, das im krassen Gegensatz zu dem modernen London steht.

Wie Aykol ihre Themen angeht, das geht zu Herzen. Die eigenwillige und trotzige, zugleich liebevolle Heldin wirkt sehr präsent. Man stellt sich eine starke Persönlichkeit vor, die ihr Glück und das Vergessen in der Fremde sucht. Die Bemühungen, Erinnerung und Vergessen in ein adäquates Verhältnis zu bringen, zeigt die Willenskraft und Intelligenz der Protagonistin. Reflektiert und klug sucht sie ihren Weg.
Die Gegenwart wird von der Vergangenheit und einer innerlich erwärmenden Beziehung zwischen Großvater und Enkelin überblendet.

Der Bogen ist weit gespannt: von Istanbul, seiner Geschichte und dem Leben dort nach London, wo die Integration von Fremden schier unmöglich erscheint. Ausländer bleiben unter sich und bilden einen eigenen Kosmos in der Stadt.
Europa und der Orient sind im Format dieser Erzählung lebhaft als Gegensätze auszumachen

Aykol präsentiert eine starke Erzählung, in der die Charaktere mit markanten Eigenschaften in Erscheinung treten.
Schicksale dieser Art bilden nicht die Ausnahme in unserer Zeit. Man sollte das Buch lesen!

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Der Bastard von Istanbul

Der Bastard von Istanbul

Nicht zu wissen, wo man hingehört und wo die eigenen Wurzeln liegen, das kann bedrückend und niederschmetternd sein!

Zwei junge Frauen, weitläufig mit einander verwandt, in ganz verschiedenen Welten zu Hause, die eine in Istanbul, die andere in Amerika, leiden beide an diesem Identitätssyndrom.

Asya ist das uneheliche Kind ihrer Mutter. Sie lebt in Istanbul unter verschwisterten Tanten, Mutter, einer Großmutter und einer Urgrußmutter in einem reinen Frauenhaushalt.
Die Familie gehört zur oberen Mittelschicht, ist akademisch gebildet und teilweise berufstätig.
Den Männern der Familie haftet das Gerücht an, dass sie nie lange leben, weil fast alle Ehemänner, Brüder und der Vater früh verstorben sind.
Um das einzige männliche Familienmitglied vor diesem Schicksal zu bewahren, wurde Mustafa nach Amerika geschickt.

Hier knüpft die amerikanische Geschichte an:
Rose, gebürtig aus Arizona, hatte einen Amerikaner armenischer Herkunft geheiratet, von dem sie geschieden ist. Die gemeinsame Tochter Armanoush aus dieser kurzen Ehe lebt bei ihr. Aus Rache an der großen armenischen Sippe und aus Liebe heiratet Rose in zweiter Ehe den Türken Mustafa, eben jenen Bruder der Sippe der Kazanci aus Istanbul.

Warum die Rache?
Es ist eine bekannte Geschichte, dass Armenier und Türken in Jahre langer Fehde zu einander standen, seit nach dem Ende des Osmanischen Reichs Mitglieder einer jungtürkischen Bewegung die armenischen Intellektuellen rücksichtslos verfolgten, aus Istanbul deportierten und damit den Völkermord an den Armeniern eingeleitet haben.

Neben der Identitätssuche der beiden Mädchen ist dieser Konflikt das ganz große Thema dieses Romans.

Während Mustafa sich aus allen Familienbanden entfernt hat und Amerikaner geworden ist, hat die in San Francisco ansässige armenische Familie ihren starken Zusammenhalt beibehalten und ist von erdrückender Fürsorge für fast alle ihre Familienangehörigen.

Asya und Armanoush sind jede in eine Welt und in Familien hineingeboren worden, in denen es unmöglich ist, Klarheit über ihre Zugehörigkeit sowohl zu einer Nation als auch zu einer Familie zu gewinnen. Auf der Suche nach ihrer wahren Identität begegnen sich die beiden Mädchen in der Familie von Armanoushs Stiefvater in Istanbul.
Hier beginnt die eigentliche Geschichte. Die beiden Mädchen kommen sich näher, teilen abenteuerliche Erlebnisse und Begegnungen und führen viele wunderbare literarische und philosophische Gespräche.
Der ganze Roman ist von einem ungewöhnlichen Zauber verschiedener Welten, Kulturen und dem Zusammenprall unterschiedlicher Völker und Charaktere.

Elif Shafak gelingt es, in einem groß angelegten Zeitgemälde zwei verschiedene Familienszenarien zu zeichnen.

Alle Figuren werden mit ihren Eigenheiten, Sonderbarkeiten, teilweise Verrücktheiten und Aufsässigkeiten und in ihrem ganz gewöhnlich Alltagsverhalten sehr persönlich charakterisiert.
Man bekommt Einblick in innerfamiliäre Familienstrukturen und Lebensgewohnheiten in der Türkei, von denen man hier nur wenig weiß.

Kaum ist je so klar geworden, dass es auch in der Türkei feizügige und liberal eingestellte Stadtbewohner und ein hinterwäldlerisches Völkergemisch gibt, das zu explosiven Spannungen innerhalb des Landes führen kann.

Geschichte und kulturelles Anderssein wird leichter begreiflich, wenn man Eindrücke durch personifizierte Handlungen vermittelt.
Elif Shafak ist das mit diesem Roman gut gelungen.
Sie ist eine angesehene Autorin, vielfach ausgezeichnet und gleichzeitig in der Türkei für diesen Roman verfolgt, angeklagt und frei gesprochen worden, da sie das Tabu des armenischen Völkermordes hier thematisiert hat.
Dieses Buch ist lesenswert und hoch aktuell.

Elif Shafak
Der Bastard von Istanbul
Auf Spurensuche nach Istanbul
ISBN:3821857994
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