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Schlagwort: Kalte

Angelika Klüssendorf: Jahre später

Angelika Klüssendorf: Jahre später

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In einer fein ziselierten Sprache, hoch sensibel und gleichzeitig distanziert erzählt A. Klüssendorf von einer Ehe, die auf merkwürdige Weise zustande kam.

April, die Hauptprotagonistin, spricht von sich als Suchende und Einsame. Ludwig, ein Chirurg, interessiert sich brennend für sie und lässt nicht nach in seinem Werben. Sie wird schwanger, und sie heiraten.

Während Ludwig als großes Kind erscheint, der allerdings voller Dynamik immer neue Pläne für sie beide schmiedet, lässt sich April treiben. Sie steht den Dingen mit einer gewissen Ambivalenz gegenüber. Aus einer anderen Beziehung hat sie einen 11jährigen Sohn, Julius, der fest in die neue Gemeinschaft eingegliedert wird.

Nachdem sie von Berlin nach Hamburg gezogen sind, wo Ludwig eine neue Stelle in einem Krankenhaus angetreten hat, wird Samuel geboren.

Hier fühlen sich April und Julius nicht zu Hause. Julius ist in der Pubertät und betrachtet seine Mutter und Ludwig kritisch. Als er zu seinem Vater zieht, bleibt die kleine Familie alleine.

Mehr und mehr gerät Ludwig in den Fokus der Erzählung. Durch die Augen von April finden wir einen Getriebenen, der voller Ideen ist und zwischen Ehrgeiz, Eitelkeit und Selbstverherrlichung schwankt. April tut, was sie kann, um seinem bürgerlichen Anspruch zu genügen. Sie kocht, backt und bewirtet seine Kollegen. Doch das ist nicht ihr Leben.

Mit kleinen spitzbübischen Schabernackaktionen versuchen die beiden, ihrer Gemeinschaft etwas Leben einzuflößen.

Mit fortschreitender Erzählung spürt man jedoch, wie aufgesetzt und brüchig die Beziehung zwischen April und Ludwig ist. Man ahnt, dass diese Ehe kein gutes Ende nehmen kann.

Doch noch quält sich das Paar durchs Leben, er unreflektiert und blind für seine eigenen Schwächen, und sie abwartend und bemüht. Doch eine Kälte macht sich breit, die einen erschauern lässt.

Angelika Klüssendorf hat einen empfindsamen Ausdruck für alles, was zwischen Menschen passiert. Ihre kühle, sezierende Sprache, vermittelt uns einen Einblick in das innerpsychische Geschehen, das sich hier zwischen zwei sehr verschiedenen Menschen abspielt. Es kann nicht gehen, wenn eine Frau auf der ständigen Suche nach dem wahren Leben ist, und ihr Mann nur nach Anerkennung, Aufmerksamkeit und Bestätigung sucht.

Geschickt versucht die Autorin uns zu zeigen, wie bemüht beide sind, an ihrer Ehe festzuhalten. Einer aber schafft es nicht: Ludwig kann seine innere Leere im Zusammensein mit seiner Frau nicht überwinden. Er geht, kommt wieder und geht schließlich für immer. April, die literarische Versuche auf dem Weg zur Schriftstellerin unternimmt, bleibt alleine mit einem Sohn, den sie kaum versteht, und zu dem der Zugang immer mehr verloren geht. Reue über den Verlust ihres ersten Sohnes überkommt sie, und sie weiß, alle ihre intensiven Bemühungen um ein ausgewogenes Leben waren umsonst.

Die Sprache und der Ausdruck von A. Klüssendorf zeigen eindrücklich diese einsame, suchende Frau, deren Verlorenheit einen anrührt. Ludwig löst in seiner Selbstsucht eher Abwehr beim Leser aus. Zweitweise bleibt die Empathie auf der Strecke. Zu kalt und sezierend ist die Darstellung der Beziehung.

Der Eindruck einer misslungenen und tragischen Verstrickung zweier Menschen, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft und Wesenszügen nicht zusammenfinden können, bleibt bis zuletzt bestehen. Die lakonischen und kurzen Sätze vermitteln einen Eindruck von dem innerpsychischen Drama, das Mann und Frau einander entfremdet.

Dass Angelika Klüssendorf mit dem verstorbenen Frank Schirrmacher verheiratet war, sei in einem Nebensatz erwähnt. Autobiographische Züge sind in ihre Erfahrungen eingeflossen. Sie betont aber in Interviews, dass ihre Figuren fiktiv sind.

Angelika Klüssendorf
Jahre später
160 Seiten, gebunden
Kiepenheuer&Witsch, Januar 2018
ISBN-10: 3462047760
ISBN-13: 978-3462047769
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A. D. Milier: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

A. D. Milier: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

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Mütterchen Russland ist gar nicht so lieb, wie es sich anhört!

Rasant, flott und äußerst spannend kommt ein Roman daher, dessen Handlung in Moskau im nachkommunistischen Russland angesiedelt ist.

Nick, ein englischer Anwalt, arbeitet in einer Dependance seiner Kanzlei in Moskau. Diese beschäftigt sich mit internationalen Geldgeschäften.
Er ist schon etwas älter, und ihn haben die Abenteuerlust und der Heimatfrust in die Fremde verschlagen.
Hier in der aufstrebenden russischen Gesellschaft mit ihren zahlreichen mafiösen Strukturen hat ihn die Liebe erwischt. Doch kann man den beiden Schwestern Mascha, seiner vermeintlich großen Liebe, und Katja trauen?

Unheimlich ist der Kosak, ein verschlagener und windiger Typ, der immer zur rechten Zeit auftaucht, um Nick aus der Patsche zu helfen oder den Eintritt in einen besonderen Nachtclub zu ermöglichen. Er führt nichts Gutes im Schilde!

Nick gerät unschuldig und naiv in ein Verbrechen, das nur in diesem Land und in dieser Stadt so vorstellbar ist. Mascha und Katja mit einer Tante, die keine ist, sind die Drahtzieherinnen in einem dubiosen Korruptionsdrama.

Anhand der Geschichte von Nick wird einmal mehr erfahrbar, wohin Korruption, Machthunger, Armut und materielle Gier ohne staatliche und gesetzliche Kotrollen führen können. Russland mit all’ seinem Charme, seinen anarchistischen Lebenswelten und dem Leben als Glücksspiel mit Wodka, Mord und Totschlag erfährt in dieser Geschichte eine adäquate Darstellung.
Fast könnte man Mitleid bekommen mit Nick, der so naiv wie einfältig ist und nicht ahnt, welchen Intrigen er aufsitzt in dieser undurchsichtigen und rücksichtslosen Gesellschaft.

Mit eindringlichen Bildern beschreibt Milier das Klima, die Wohnungen, die Begegnungen und die äußeren Charaktere seiner Figuren. Man meint den eisigen Winter und das prickelnde Feuer kalter Luft auf der Haut zu spüren. Die Dunkelheit und die verstaubten Reste ärmlicher Wohnunterbringungen tun ein Übriges, um den Leser ganz in die Atmosphäre des russischen Winters eintauchen zu lassen.

Millier schreibt packend, einfühlsam, drastisch und warmherzig, wie es einem Ausländer in Russland ergehen kann, einem Land, in dem so ganz andere Regeln herrschen als in dem vergleichsweise biederen London oder dem verhältnismäßig angepassten Bürgertum der westlichen Welt.

Großartig gelungen ist das Debüt des jungen englischen Schriftstellers A.D. Milier, der für verschiedene angesehene Buchpreise, u.a. Booker-Preis, vorgeschlagen war.

A.D.Milier
Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
288 Seiten, gebunden
S. Fischer Verlag, August 2012
ISBN-10: 3100490193
ISBN-13: 978-3100490193
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Kalte Herberge – Bruchstück

Kalte Herberge – Bruchstück

Ein abgewohntes Haus in Wien regt die Fantasie des Autors an. Hier ist der Ort, wo Geschichten entstanden sind und entstehen werden. Hier zwischen den feuchten Mauern am Rande der Existenz.
Dann hat es sich ausgeschrieben. Ein einziger Anruf hat genügt. Schon liegt der Autor im Spital, in Gedanken jedenfalls, der Körper wird nachgeliefert.
Die Krankheit wird ihm die Luft nehmen und den Tod bringen. Was bleibt nun noch? Gedanken, die sich schwer ordnen lassen.

Es ist ein Buch über das unbeeinflussbare Übel, dass jedem im Leben widerfahren kann. Eine erbarmungslose Krankheit schlägt plötzlich zu. Der Körper funktioniert nicht mehr, aber das Gehirn nimmt alles wahr. Die einstürmenden Gedanken sind wie ein Angriff. Da wird nicht nur wegen der Krankheit die Luft knapp. Es gibt Dinge, die noch gesagt werden müssen, doch die Zeit läuft aus. So werden viele Sätze zu aneinandergereihten Bruchstücken, mal sehr selbstbewusst, dann wieder selbstironisch, dann wieder bitterböse oder sagenhaft wütend und abrechnend. Der Leser fühlt sich hilflos. Das ist sicher kein Buch für ein breites Publikum und soll es wohl auch nicht sein.

Über den Autor:
Werner Kofler ist Jahrgang 1947. Seit 1968 lebt er als freier Schriftsteller in Wien. Seine Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen und Anerkennungen ausgezeichnet. Er erhielt beispielsweise 1987 das Elias-Canetti- Stipendium und 1996/97 den Arno-Schmidt-Preis.

Rezension von Heike Rau

Werner Kofler
Kalte Herberge
Bruchstück
88 Seiten, gebunden
Deuticke Verlag, Wien-Frankfurt/Main
ISBN: 3-216-30725-5
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