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Schlagwort: Martin Walser

Tod eines Kritikers

Tod eines Kritikers

Thematisch brisant – Literarisch unbedeutend

Der populäre Literaturkritiker André Ehrl-König verreißt in seiner TV SPRECHSTUNDE Hans Lachs neuestes Buch. Auf der anschließend stattfindenden Party im Hause des Verlegers, zu der er entgegen den Regeln eingeladen war, stößt Hans Lach Morddrohungen gegen Ehrl-König aus. Am nächsten Morgen ist der berühmte Kritiker verschwunden, nur sein blutdurchtränkter Cashmere-Pullover wird im Schnee gefunden. Hans Lach steht unter Mordverdacht und wird – trotz fehlender Leiche – festgenommen. Sein Freund und Schriftstellerkollege Michael Landolf ist wild entschlossen, Hans Lachs Unschuld zu beweisen.

Was jetzt folgt, ist Walsers ganz persönliche Abrechnung mit dem Literaturbetrieb und mit Erzfeind Marcel Reich-Ranicki. Inhaltlich wäre der Text bedeutungslos zu nennen, wenn nicht der Vorwurf des Antisemitismus im Raum stünde. In der Tat kann man sich fragen, warum Walser Hans Lach seine Morddrohung mit den Worten: „Die Zeit des Hinnehmens ist vorbei. (…) Ab heute Nacht Null Uhr wird zurückgeschlagen“ aussprechen lässt und damit eindeutig auf Hitler referiert und warum nicht ein einfaches „Ich bring dich um!“ (oder Ähnliches) genügt hätte.

Allerdings taucht Ehrl-König am Ende wieder ganz lebendig und sehr medienwirksam auf und die ganze Erzählung entpuppt sich als „Intervallschachtelung“, als Geschichte in der Geschichte.

Nun kennt aber Walser den deutschen Kulturbetrieb nur zu gut und greift die vor der Publikation in den Feuilletons stattgefundene Debatte bereits im Werk selbst auf. Umso fragwürdiger wird vor diesem Hintergrund Walsers eigenes Handeln, nämlich die bewußte Lancierung des noch mit Korrekturfahnen bestückten Manuskriptes an die F.A.Z. Er hat sich damit selbst sehr bewußt und gekonnt der Mechanismen bedient, der er u.a. in „Tod eines Kritikers“ kritisiert.

Das alles mag man verachtenswert, unmoralisch und/oder provokativ finden, aber ist es auch antisemitisch?

Tatsächlich skizziert bzw. karikiert Walser Marcel Reich-Ranicki sehr rachsüchtig und sehr pointiert – Sowohl als Person als auch in seiner Funktion als der mächtigste deutsche Literaturkritiker. Das allerdings ist für mein Empfinden weder sprachlich noch stilistisch noch inhaltlich besonders spannend oder in nennenswerter Qualität geschrieben. Hier schreibt sich Walser vielmehr seinen Frust von der Seele, aber daran teilhaben muss man eigentlich nicht unbedingt. Die literarische Qualität des Buches ist meiner Ansicht nach eher vernachlässigenswert.

Erzählt wird überwiegend in indirekter Rede, so dass sich der Text nicht sehr flüssig liest – Zumal die Sätze ineinander verschachtelt sind und durch etliche Kommata unterbrochen werden: „Daß der Mächtigste dein Feind ist, ist nicht das Schlimmste, sondern daß er jedesmal wenn er dich erledigt, bevor er dich erledigt, wieder mit zum Himmel gedrehten Augen seufzt, wie ungern er sage, was er jetzt über Hans Lachs neuestes Buch sagen müsse, daß es nämlich von Grund auf mißglückt sei, das über den Fereund Hans Lach zu sagen, den er trotz dieses wieder mißglückten Buches für einen unserer interessantesten, zurechnungsfähigsten Scheriftsteller halte, das schaffe er nur, weil er sich stets der höheren Weisung bewußt sei, daß er zu dienen habe dem Wohl und Gedeihen der deutschen Literatür.“

Überhaupt wirkt der Sprachstil „angestaubt“, altertümlich und gekünstelt: „Da man von mir, was zu schreiben ich mich jetzt veranlasst fühle, nicht erwartet muss ich wohl mitteilen, warum ich mich einmische in ein Geschehen, das auch ohne meine Einmischung schon öffentlich genug geworden zu sein scheint.“ Natürlich liest sich anders. Aber all das ist ja bewußte Attitüde und muss nicht jedem gefallen.

Bleiben einzig und allein Thematik und Inhalt, die das Buch an die Spitzenposition der Bestseller-Liste katapultierten. Zu Recht?

Folgt Walsers – sicherlich stark überzogene – Darstellung des Literaturkritikers tatsächlich einem „geradezu klassichen Muster der Diskriminierung“ wie Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger es entdeckt hat (Spiegel online, 27.06.02)? Karikiert Walser nicht viel mehr Reich-Ranickis signifikante Gestik, Mimik und Aussprache, und zwar weil es Reich-Ranickis Eigenschaften sind, nicht jedoch weil es „jüdische“ Charakteristika sind? Oder leistet die offensichtlich verzerrte Karikatur alten Klischees, Vorurteilen und Diskriminierungsmustern doch Vorschub, weil sie zur häßlichen – gar unmenschlichen – Fratze gerät und weil Walser das „antisemitische Stereotyp (…) vom geilen Juden, der Macht ausübt, die zu haben er nicht legitimiert ist (…)“ bedient (Jan Philipp Reemtsma, Spiegel online 27.06.02)?

Das sind letztlich Fragen, die jeder für sich durch eigene Lektüre und im Austausch mit anderen an Literatur Interessierten beantworten muss. Von großer Bedeutung für die deutsche Literatur wie andere Werke ist „Tod eines Kritikers“ aber sicherlich nicht, denn auch als Schilderung der Machtverhältnisse im Literaturbetrieb und der Mechanismen, die ihn zusammenhalten, liest sich das Buch nur für Insider spannend und amüsant. Der „lediglich“ an der Literatur interessierte und nicht mit allen Intimitäten des Literaturbetriebes bekannte Leser dürfte dabei nicht auf seine Kosten kommen.

Martin Walser
Tod eines Kritikers
Thematisch brisant – Literarisch unbedeutend
ISBN:3518413783
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