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Schlagwort: T. C. Boyle

T. C. Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist

T. C. Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist

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Mit dem Lesen des neuen Romans vom amerikanischen Schriftsteller Thomas Coraghessan Boyle schafft man sich einen der ungewöhnlichsten, aber tatsächlich existierenden Konflikte auf den Hals. Das Thema des Buches, das Ökosystem der Erde, ist zugleich der Konfliktstoff, den Boyle hier bearbeitet. Denn es treffen zwei Gruppen aufeinander, die zunächst einmal pauschal als „grün“ bezeichnet werden. Naturschützer vs. Tierschützer. Oder andersherum gefragt: Wie viel Tierschutz ist gestattet, ohne die Natur zu gefährden? Die Frage stellt sich nicht? Und was ist, wenn sich Ziegen auf einer Insel so ungebremst vermehren, dass die einzigarte Fauna und Flora durch den unstillbaren Drang des Fressens und den Exkrementen der Tiere vernichtet wird? Dürfen die Ziegen dann getötet werden, wie vor einigen Jahren auf den Galapagos-Inseln geschehen?

Doch zunächst der Reihe nach. Der Roman ist in zwei Teile untergliedert und spielt an der Südküste Kaliforniens. Die Naturschutzbehörden bemühen sich, die Inseln Anacapa (im ersten Teil) und Santa Cruz (im zweiten Teil) in ihren ursprünglichen Naturzustand zu versetzen. D. h. die dort durch Schiffe vor Jahrhunderten eingeschleppten fremden Tierarten, im ersten Teil sind es Ratten, im zweiten Schweine, müssen beseitigt werden, damit die heimischen Arten wieder zu ursprünglicher Blüte gelangen. Die Naturschutzbehörden werden personifiziert in der Biologin Alma Boyd Takesue, die zwar keinem einzigen Tierchen als Individuum ein Haar krümmen kann, für Ihre Ziele aber das Schlachten tausender Tiere für notwendig erachtet. Ihr Gegenspieler ist Dave LaJoy, ein erfolgreicher Unternehmer mit mehreren Elektronikläden, der eines Tages den Tierschutz für sich entdeckt hat. In dieser Aufgabe geht er auf, wird fanatisch und schreckt selbst nicht vor Verbrechen zurück, nur um ein einziges Tier zu retten. Beide, Alma und Dave, treffen immer wieder aufeinander, in der Natur, auf Veranstaltungen, oder vor Gericht. Erbittert versuchen beide, ihre Standpunkte hart zu verteidigen. Jeder für sich ist eine extrem widersprüchliche Figur. Da wird es z. B. sehr interessant, als Dave, der sich gerade einen neuen Rasen im Garten hat legen lassen mit Waschbären auf seinem neuen Rasen konfrontiert wird. Der mit dem Anlegen des Rasens beauftragte Gärtner ist erst zu einer Ausbesserung des Rasens bereit, wenn LaJoy die Waschbären entfernt. Gute Frage. LaJoy kommt in Nöten. Ist ihm sein Rasen wichtiger als es die Waschbären sind?

Die Geschichten um die beiden und deren Hintergrund wird in verschiedenen Zeitepochen, die beim Leser zunächst Fragen zurücklassen, erzählt. Außer dem Umstand, dass die Geschehnisse in der Vergangenheit darauf hinweisen, wie das „Ungeziefer“ auf die Inseln gelangt ist, gibt es lange Strecken keine Erklärung für diese kleineren Episoden. Aber keine Angst, die Fragen werden geklärt und je weiter der Leser in der Handlung fortfährt, umso erkennbarer werden die Zusammenhänge.

Mich persönlich hat zudem die Erzählweise mit dem ständigen Wechsel in Rückblenden fasziniert. Diese Rückblenden können große Zeiträume bis hin zu mehreren Jahrzehnten genauso umfassen wie das Geschehen in der vorigen Stunde. Während die Handlung in der Gegenwart spielt, wird schon mal eine kleine Zeitspanne von wenigen Stunden übersprungen, um dann anschließend die Lücke erzählerisch in der Vergangenheit zu schließen. Hierfür ist eine sehr filigrane Textarbeit notwendig, an der der Übersetzer Dirk van Gunsteren sicherlich nicht ganz unschuldig ist. Einfach hervorragend.

Für die Erarbeitung dieses Romans bedurfte es eines tiefen Wissens und viel Recherchearbeit durch den Schriftsteller um das ökologische Gleichgewicht der Erde, die Notwendigkeiten der Ressourcenschonung. Allerdings brauchte es auch die überaus gute Erzählweise, um so manche kleine Durststrecke zu überwinden. Denn als Leser klebt man an der Handlung. Boyle jedoch versucht vor allem auf der ersten Hälfte des Buches, all sein Wissen an den Leser weiterzugeben, was für kleine Momente ermüdend wirken kann. Ähnlich auf die Folter gespannt wird der Leser bei der Überwindung zahlreicher Rezepte und man kommt beim Lesen dieser Passagen nicht umhin, eine Wette darauf abzuschließen, ob sich der amerikanische Schriftsteller demnächst in die Reihe der Kochbuchautoren einreihen möchte. Das Interesse an der Geschichte geht dabei aber niemals verloren und so wundert es nicht, dass der Roman schließlich viel zu früh zu Ende ist.
Wer sich bislang noch keine Gedanken um den Erhalt der Erde gemacht hat, sollte mit diesem Roman beginnen.

Boyle, T. C.
Wenn das Schlachten vorbei ist
Übers.: Dirk van Gunsteren
464 Seiten, gebunden
Hanser Verlag, München
ISBN-10: 3446237348
ISBN 13: 978-3446237346

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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T. C. Boyle: Drop City

T. C. Boyle: Drop City

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Wer diesen Roman zur Hand nimmt, was gleich vorneweg sehr zu empfehlen ist, der wird sich zunächst auf zwei Geschichten einlassen müssen, die im ersten Moment nichts miteinander zu tun haben. In den sechs Teilen, in denen das Buch untergliedert ist, wird im Wechsel zunächst die Geschichte von einer Hippie-Kommune irgendwo in Kalifornien berichtet.

Dabei stehen nicht nur die zwei Personen Star und Ronnie (genannt Pan) im Vordergrund, die den Auftakt bilden. Sondern mit einem detailgetreuen Wissen um die Abläufe in solch einem Mikrokosmos, was eine Kommune ursprünglich auch darstellen sollte, gibt der Ex-Hippie Thomas C. Boyle vielen Figuren Raum in dieser Geschichte. Vielleicht ist aber gerade das der Grund, warum die Geschichte so detailliert und authentisch wirkt. So gibt es Norm und seine Frau, dem das Grundstück gehört, auf dem die Kommune lebt, der dadurch in eine Anführerrolle gerutscht ist, die er gar nicht gewollt hat. Es gibt Alfredo, den Möchte-gern-Chef der Gruppe, mit seiner Familie, es gibt die Clique der Schwarzen um Lester, denen unterstellt wird, dass sie zwar von der Kommune leben, ihr aber nichts beisteuern wollen.

Jeder Tag im sonnigen Kalifornien läuft wie der vorhergehende, und wenn die Kleinkinder mal zu lästig werden, dann werden sie mit LSD im Orangensaft ruhig gestellt. Ein Drink, der eigentlich nur für die Erwachsenen gemixt wurde. Aufregendes, abgesehen von den alltäglichen Problemchen sowie den Klagen der Nachbarn über diese verlausten Nichtsnutze oder gar eine Vergewaltigung innerhalb der Kommune, passiert nicht.

In der Parallelhandlung der anderen Teile im Buch geht es um Sess Harder, ein Mann, der für sich herausgefunden hat, dass ein Leben als einsamer Fallensteller in einer Blockhütte in Alaska das Leben ist, was für ihn nur in Frage kommt. Doch er weiß, dass es sich mit einer Frau an der Seite in der Einsamkeit auch sehr gut anfühlen kann und ist umso mehr überrascht, dass sich Pamela für ihn interessiert. Ursprünglich wollte Pamela nicht ihn, sie kannte ihn da noch nicht, sondern Joe Bosky besuchen. Der jedoch nimmt es seinem Nachbarn später übel, Pamela geheiratet zu haben.
Die Liebesgeschichte um Pamela, Sess und Joe könnte sicherlich auch alleine als spannender Roman funktionieren, wenn Norm, der Chef von Drop City, nicht die Schnauze voll von den Behörden und kein Grundstück in Alaska geerbt hätte. Er setzt allen den Floh ins Ohr, dass sie als Kommune in Alaska ein phantastisches Leben vor sich hätten, ein Leben in völliger Freiheit und Natur, unbelästigt von dem ganzen spießigen Kleinbürgertum.

Man ahnt es: an dieser Stelle werden die beiden Handlungsstränge ineinander geführt. Die Wege von Norm, Ronnie, Star und Sess kreuzen sich und das Desaster nimmt seinen Lauf. Die Hippies treffen in Alaska auf ein Umfeld, mit dem sie nicht gerechnet hatten, so hatten sie dieses Land in ihren Vorstellungen und Träumen nicht gesehen. Es kommt zu einer Vermischung mit den Einwohnern und sie werden in deren Probleme hineingezogen. Die Unterschiede zwischen einer Kommune im ewig sonnigen Kalifornien und einer in einem sechs Monate lang bei Temperaturen weit unterhalb von Null liegendem Alaska sind so gravierend, dass das Auseinanderbrechen der Gemeinschaft zwangläufig sein muss.

Dass in der Kommune nicht viel passiert, ist natürlich weit untertrieben. Die detailgenaue Phantasie Boyles schafft genügend spannende Momente, die den Leser die Zeilen verschlingen lassen. Aber in der Phantasie des Autors mag zwar die Handlung in der Natur Alaskas gelegen haben, das detailreiche Wissen darüber verdankt er seinen Recherchen. Außerdem ist Boyle eines seit seiner Hippie-Zeit geblieben: die Liebe zur Natur. Auch heute noch wandert er tagelang durch abgeschiedene Landschaften.

Boyle ist ein großes Epos über ein als alternativ möglich gesehenes Gesellschaftsmodell, welches mit dem heutigen Abstand auch in seinen Augen als gescheitert anzusehen ist, gelungen. Er schreibt von Menschen, die davon reden, im Einklang mit der Natur zu leben (wie die Hippies) und von solchen, die es tatsächlich tun (wie die Einsiedler in Alaska). Boyle schreibt von Menschen, deren Naivität schier grenzenlos zu sein scheint, die damit aber nichts anderes als das blanke Chaos hervorrufen. Der Zusammenbruch der Gemeinschaft wird schließlich dadurch symbolisiert, dass die Hippies plötzlich ihre Namen auf das Geschirr kratzen, wo bis dato doch allen alles gehörte.
Ein Buch, welches unbedingt gelesen werden sollte.

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T. C. Boyle
Drop City
528 Seiten, gebunden
Hanser Verlag
ISBN-10: 3446203486
ISBN-13: 978-3446203488
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© Detlef Knut, Düsseldorf 2010
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Talk Talk

Talk Talk

Dana Halter, Lehrerin an einer Schule für Gehörlose, hat es eilig. Sie muss zum Zahnarzt. Nur deshalb hält sie nicht am Stoppschild. Doch sie wird von der Polizei erwischt. Nachdem ihre Identität überprüft worden ist, wird sie aus dem Wagen gezerrt und festgenommen. Das übliche Programm beginnt. Dana weiß nicht, wie ihr geschieht. Endlich, als eine Gebärdendolmetscherin kommt, erfährt sie, weswegen sie festgenommen wurde. Unbegreiflicherweise liegen mehrere Haftbefehle gegen sie vor. Zum Beispiel wegen Autodiebstahl und Scheckfälschung. Die Verbrechen sind an Orten geschehen, die Dana teilweise nicht einmal kennt.

Danas Freund Bridger Martin versucht alles, um seine Freundin aus dem Gefängnis zu holen. Er erreicht jedoch nichts, beißt sich die Zähne aus. Er kann nicht verhindern, dass Dana von der Polizeiwache ins Gefängnis verlegt wird. Es ist auch nicht möglich, Kaution zu stellen. Dana muss das Wochenende in einer Zelle verbringen. Dann wird Dana Pflichtverteidigerin Marie Eustace zur Seite gestellt. Endlich kommt Licht ins Dunkel. Die Beweise für Danas Unschuld sind nicht von der Hand zu weisen. Es handelt sich um einen Fall von Identitätsdiebstahl. Die Klage wird abgewiesen. Dana war vollkommen grundlos eingesperrt.

Dana kehrt in ihre Leben zurück, versucht die Erlebnisse abzuschütteln. Der Schuldirektor zeigt jedoch kein Verständnis, gibt Dana die Schuld an der ganzen Misere. Es ist abzusehen, dass sie ihren Job los wird. Die Opferhilfe rät sogar, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Der Verbrecher nutzt immer noch Danas Identität, das bekommt sie zu spüren. Bridger schafft es, an seine Telefonnummer zu kommen. Als er anruft, denkt er nicht daran, seine Nummer zu unterdrücken. So beginnt ein Katz- und Mausspiel und auch Bridgers Identität gerät in die Hände des Betrügers.

Das Buch ist spannend gemacht. Es ist sehr beängstigend zu sehen, wie leicht es ist, jemanden die Identität zu stehlen. Danas ganzes Leben wird praktisch in Frage gestellt. Von einer Minute auf die andere ist nichts mehr, wie es war. Dana bleibt nichts anderes, als den Betrüger, der sich als Dana Halter ausgibt, ausfindig zu machen. Bridger steht bedingungslos zu seiner Freundin. Allerdings haben die beiden überhaupt keine Erfahrung. Aber das macht die Verfolgung nur noch spannender. Schwierig ist auch der Umstand, dass Dana nicht hören kann. Aber sie versteht es zu kämpfen, will sich nicht unterkriegen lassen, auch wenn die Nerven flattern. Der Autor geht sehr sensibel auf die Stimmungen seiner Charaktere, die sehr glaubwürdig wirken, ein.
Außerdem liest sich das Buch sehr gut, ist sehr ergreifend. Der Spannungsbogen stimmt. Von der anspruchsvollen Handlung wird man regelrecht mitgerissen.

Über den Autor:
T. C. Boyle wurde 1948 in Peekskill, N.Y., geboren. Er unterrichtet an der University of Southern California in Los Angeles.

Rezension von Heike Rau

T. C. Boyle
Talk Talk
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
395 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag
ISBN-10: 3-446-20758-9
ISBN-13: 978-3-445-20758-5Bestellen