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Schlagwort: Emanzipation

Laetitia Colombani: Der Zopf

Laetitia Colombani: Der Zopf

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Von drei Frauen soll hier die Rede sein, die es zu unerwarteter Aufmerksamkeit bringen.

Es geht um Smita aus Indien, Giulia aus Palermo/Italien und Sarah, ashkenasische Jüdin aus Montreal/Kanada.

Sie leben in sehr unterschiedlichen Welten und Kulturen. Smita gehört der untersten Kaste in Indien an und muss unerhörte Erniedrigungen erdulden und schmutzigste Arbeit verrichten, um sich und ihre kleine Familie mit dem Nötigsten zu versorgen. Giulia gehört zu einer großen Familie in Italien, die fest verankert im Dunstkreis ihrer Großfamilie lebt. Ihre heimliche Liebe zu einem Inder darf nicht bekannt werden. Sie arbeitet in der Fabrik ihres Vaters, in der Perücken hergestellt werden. Sarah ist anerkannte Rechtsanwältin in einer Großkanzlei. Sie ist geschieden, hat drei Kinder zu versorgen und befindet sich im Dauerstress, ohne das je zuzugeben.

Wie lassen sich diese drei Schicksale miteinander verknüpfen?

Indem eine jede in ihrem Kampf um ein würdiges, freies Leben geschildert wird. Verbindendes Glied in der Kette sind die Haare der Inderinnen, die in Italien zu Perücken verarbeitet werden, um zuletzt Sarah bei ihrer Krebserkrankung Schutz vor neugierigen Blicken zu gewähren.

Vom unvorstellbar niedrigsten Stand in Indien geht die Geschichte über Italien mit ihren Großfamilien bis nach Montreal, wo die erfolgreiche Sarah dringend nach einer passenden Perücke sucht.

Alle drei Frauen sind den Tabus und Regeln ihrer Gesellschaftsordnung ausgesetzt, in denen die Rechte der Frauen erst in jedem Einzelfall erkämpft werden wollen.

Laetitia Colombani hat eine schlüssige Geschichte verfasst. Mit Einfühlungsvermögen und Sinn für die Einmaligkeit einer jeden Frau, in welcher Gesellschaft auch immer sie leben.

Der Kampfgeist einer jeden der drei Protagonistinnen gibt Kunde von den Möglichkeiten, sich aus den verschiedensten Kulturen mit ihren einschränkenden Regeln und Tabus als Frau zu befreien. Mit Spannung folgt man der Flucht von Smita mit ihrer kleinen Tochter aus ihrem Dorf in Indien, dem Weg in die Selbstständigkeit und in die Eigenverantwortung von Giulia und der Auflehnung gegenüber den mobbenden Kollegen von Sarah.

Die Haare der Inderinnen werden zum Verkauf nach Italien in die Perückenfabrik von Giulias Familie gebraucht, und die Endverbraucherin Sarah bildet Schlusspunkt einer Geschichte, die sich mit den Schicksalen der drei Frauen aus verschiedenen Kulturen und Lebensbereichen vollendet.

Der Debütroman von Laetitia Colombani ist sehr lesenswert, wenngleich der Titel und das Titelbild des Romans zunächst keine große Neugierde bei mir ausgelöst haben! In gutem Sinne ist das ein Emanzipationsroman.

L.Colombani ist Filmschauspielerin und Regisseurin und lebt in Frankreich.

Laetitia Colombani
Der Zopf
288 Seiten, gebunden
S. FISCHER, 2. Auflage, März 2018
ISBN-10: 3103973519
ISBN-13: 978-3103973518
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Colm Tóibín: Nora Webster

Colm Tóibín: Nora Webster

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Colm Tóibín ist ein Autor, der sich in die tieferen Schichten menschlichen Seins hineinversetzen kann, wie er bereits in seinem Roman „Brooklyn“ bewiesen hat.

Mit seiner Hauptfigur Nora Webster hat er ein diffiziles und kritisches Frauenbild zu Ende der sechziger Jahre in Irland in den Fokus genommen. Erster Aufruhr bei kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Nord- und Südirland spielen am Rande der Geschichte mit.

Nora Webster muss sich nach dem plötzlichen und frühen Tod ihres Mannes Maurice Mitte der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in einem Provinznest im Süden Irlands alleine durchschlagen. Sie hat zwei Töchter, die schon aus dem Haus sind, und zwei kleine Söhne, die noch ihrer ganzen Fürsorge bedürfen. Ihr Mann war ein angesehener Lehrer im nahe gelegenen Städtchen Wexford. Beiläufig kommen ihr in Gedanken Erinnerungen an ihn, die von einer sehr glücklichen Ehe zeugen. Er war die Liebe ihres Lebens. Unwiederbringlich und grausam starb er in der Mitte ihres gemeinsamen Lebens. Die Familie erlebt eine einschneidende Wende mit seinem Tod.

In pragmatischem und nüchternem Ton erzählt Colm Tóibín die Geschichte einer Frau, die auf sich gestellt mit allen Folgen der Alleinversorgerin für die Familie leben lernen muss. Immer wieder stellen sich Bekannte oder ihre Schwestern ein, die ihr helfen wollen, doch sie sucht nur die Ruhe, um ihr Leben neu zu ordnen.

Nora musste vor ihrer Ehe im Büro der Firma Gibney arbeiten, obwohl sie das Zeug zu einer akademischen Laufbahn gehabt hätte. Die häuslichen Verhältnisse ließen ein Studium nicht zu.
Nun bietet man ihr erneut eine Stelle in derselben Firma an, da man weiß, dass der frühe Tod ihres Mannes sie mittellos hinterlassen hat.

Erste Gewerkschaftsgründungen führen zur Gegnerschaft zwischen Arbeitgebern- und Nehmern. Nora ist eine aufgeweckte Person und sieht die Zeichen der Zeit und die Notwendigkeit für Veränderungen. Sie schließt sich einer Gewerkschaft an, was ihrem Stand in der Firma, in der sie als tüchtige Bürokraft geschätzt wird, nicht gerade dienlich ist.

21 Jahre war sie mit Maurice verheiratet und konnte sich ihren Hobbies und dem Lesen widmen. Jetzt gehört sie wieder zu den weniger gut Betuchten, die sich hart durchschlagen müssen. Mit klarem Blick und wachen Sinnen orientiert sich Nora und sucht ihren eigenen Weg. Neid, Boshaftigkeit und Kleingeist, von dem sie sich umgeben sieht, machen ihr das Leben schwer.
Sie geht ihren Weg in großer Einsamkeit, denn sie ist klug und durchschaut die kleinen Schwächen der sie umgebenden Menschen mit analysierendem Blick. Wir erleben sie als gerechte und liebevolle Mutter, die ihren Kindern auf Augenhöhe begegnet.

Colm Tóibín zeichnet seine Figur mit viel Empathie und Verständnis.
Nora wird als stolz, klar und weitsichtig beschrieben.
Ferner umreißt er das Milieu einer kleinen Stadt, in der es Klatsch und Tratsch gibt und in der strenge Hierarchien je nach Amt, Würden und dem Wohlstand herrschen. Der Roman gewinnt auf diese Weise den Status einer Sozialstudie.

Colm Tóibín hat das Zeug zu einem Ausnahmeschriftsteller. Seine Romanfigur Nora Webster wird zu den großen Frauen der Weltliteratur wie Madam Bovary oder Effi Briest gerechnet.

Giovanni und Ditte Bandini haben mit ihrer Übersetzung ihren Beitrag geleistet, um dem Roman zu einer der wichtigsten Neuerscheinung des Herbstes 2016 zu verhelfen.

Colm Tóibín

Nora Webster
384 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, August 2016
ISBN-10: 3446250638
ISBN-13: 978-3446250635
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Tamara Dietl: Die Kraft liegt in mir

Tamara Dietl: Die Kraft liegt in mir

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Bewältigungsstrategien in Lebenskrisen.

Tamara Dietl hat ein durchreflektiertes Buch über ihre Jahre mit dem kürzlich verstorbenen Regisseur Helmut Dietl geschrieben.

Als sie ihn kennenlernt, ist sie bereits eine erwachsene und sehr reife Persönlichkeit. Sie war Journalistin, Dokumentarfilmerin und inzwischen Coach für diverse Unternehmen. Angezogen von den Thesen des Psychiaters Viktor Frankl hat sie sich dessen Lehren vom Sinn des Lebens zu Eigen gemacht. VF war Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse. Von diesen Thesen ist sie tief durchdrungen. Sie basieren auf einer positivistischen Sichtweise des Lebens, in dem wir Herr unseres Schicksals und unserer Handlungen sind.

Krisen bieten demnach die Möglichkeit, sich auf sich selber zu besinnen und sich durch Eigenerkenntnis zu stärken. Wir sind nicht Herr über das Leben oder Sterben, wohl aber darüber, wie wir leben oder sterben.

Darüber hinaus ist die Autorin durch Großmutter und Mutter schon früh auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft aufmerksam geworden. Sie nimmt Emanzipation als Funktion war. Wir können gleich berechtig handeln, ohne gleich zu sein.

Todesfälle im Freundes- und Familienkreis sind jeweils tief emotional anrührende Momente, die Tamara Dietl trauernd durchlebt, ohne sich zu verlieren.

Von Beginn an merkt man in ihren Aufzeichnungen, wie stark sie ist, und wie selbst bestimmt sie auch die Ehe mit Helmut Dietl eingeht. Natürlich hat sie mit 36 Jahren, als sie ihn kennenlernt, bereits eine beachtliche Karriere in wechselnden Berufen hinter sich. Sie weiß, dass sie alleine leben kann, und sie weiß, wie man Partnerschaft durch sinnvolle Absprachen gestalten kann, so dass das Scheitern der Beziehung möglichst nicht einkalkuliert werden muss.

Helmut Dietl war fast zwanzig Jahre älter als sie. Durch seinen Tod wurde eine offensichtlich harmonische, liebevolle und von zwei gleichberechtigten Partnern bestimmte Beziehung vorzeitig beendet.

Tamara Dietl beschreibt ihren inneren Werdegang sehr einleuchtend. Sie reflektiert alle Begebenheiten in ihrem Leben mit Neugierde und anhaltendem Interesse für die inneren Zustände, in denen sie sich befindet. „Einhalten und Durchatmen“ sind ihre Devisen; damit ist sie weit gekommen. Nicht jedem sind die intellektuellen Möglichkeiten und Feinheiten gegeben, so diszipliniert zu denken, das eigene Verhalten zu Durchforschen und Ergebnisse zu akzeptieren.

Den folgenden Spruch hat sie sich als Tröstung zu Eigen gemacht:

Gott gebe mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern,
die ich ändern kann
und die Weisheit,
das eine vom andern zu unterscheiden.

Friedrich Christoph Oetinger (1702 -1782)

Man profitiert von ihren Aufzeichnungen auf je eigene Weise und kann sie sehr empfehlen.

Tamara Dietl
Die Kraft liegt in mir
296 Seiten, gebunden
btb Verlag, November 2015
ISBN-10: 3442754941
ISBN-13: 978-3442754946
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Anna Kuschnarowa: Das Herz von Libertalia

Anna Kuschnarowa: Das Herz von Libertalia

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Anne Bonny musste im Kerker enden. Es konnte gar nicht anders kommen. Zu viel hat sie sich herausgenommen. Immer wieder hat sie sich als Mann verkleidet, um zu tun, was sie als Frau nicht konnte. Unehelich wurde sie in Kinsale in Irland als Tochter des reichen Juristen William Cormac und einem Dienstmädchen geboren. Es gab einen Skandal, als seine Ehefrau herausfand, dass sie betrogen worden war. Das Kind wurde verheimlicht, kam nach ein paar Jahren als Junge verkleidet und ausgegeben als entfernter Verwandter zu Cormac.

Annes Eltern fanden jedoch später wieder zusammen und wanderten nach South Carolina aus, um ein neues Leben zu beginnen. Auch wenn es Anne in der neuen Heimat verboten war, sich als Junge zu verkleiden, tat sie es doch immer wieder. Weil sie sich den Heiratsplänen ihres Vaters nicht beugen wollte, heirate sie James Bonny und heuerte auf einem Piratenschiff an. Den Traum von Libertalia hatte ihr der geliebte Uncle Grandpa Jack eingepflanzt. Und Anne wollte Libertalia finden. Sie gab sich äußerst geschickt. Sie kämpfte wie ein Mann und lernte ein Schiff zu führen. Doch ihre wahre Identität konnte und wollte sie irgendwann nicht mehr verstecken.

Die Autorin hat die Geschichte noch einmal neu aufgerollt und mit viel Fantasie gefüllt. Es mag sein, dass Anne Bonny eine emanzipierte Frau war und in ihrem Freiheitsdenken ihrer Zeit weit voraus. Sympathisch erscheint sie im Buch dennoch nicht. Zu viel Gewaltsames hat sie im Blut.
Das Buch liest sich gut, es ist abenteuerlich und aufregend gestaltet, auch wenn die Autorin, so scheint es manchmal, zu viele Ideen eingebracht ein. Nicht selten geht es drunter und drüber. Annes Spur verliert sich im Kerker, so der historische Hintergrund. Die Autorin erzählt die Geschichte aber weiter. Und das ist auch noch einmal etwas sehr Spannendes.

Rezension von Heike Rau

Anna Kuschnarowa
Das Herz von Libertalia
461 Seiten, gebunden
Beltz & Gelberg
ISBN-10: 340781187X
ISBN-13: 978-3407811875
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Colm Toibin: Brooklyn

Colm Toibin: Brooklyn

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In Irland herrschte in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Armut und Not. Viele Iren zog es daher nach Amerika, um dort ihr Glück zu versuchen. Rose Lacey wünscht ihrer Schwester ein besseres Leben und sorgt dafür, dass diese mit etwa zwanzig Jahren aus Irland nach Amerika auswandert.

Nach einer abenteuerlichen Überfahrt landet Eilis in New York, wo ihr der irische Priester Father Flood bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft behilflich ist. Sie findet eine Anstellung als Verkäuferin in einem Kaufhaus und landet in der Pension von Mrs. Kehoe. Dort leben schon einige Mädchen unter deren strengem Reglement. Das Leben für Eilis ist einfach, kärglich und bedürfnislos. Sie muss sich schwer anstrengen, um immer pünktlich, fleißig und gewissenhaft allen an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden.

In der ersten Zeit plagt sie das Heimweh, und die Sehnsucht nach ihrer Familie ist groß. Doch Eilis ist ehrgeizig und strebsam, und so gelingt ihr eines Tages der Zugang zu einem Fortbildungslehrgang für Buchführung und Handelsrecht. Ihre Prüfungen besteht sie glänzend.

Sehr allmählich fasst sie Fuß in der für sie so fremden Welt und lernt einen rührend anhänglichen und liebevollen Freund kennen.

Colm Tóibín findet den richtigen Ton und trifft den Stil, um zu vermitteln, wie es mit dem Leben in der Fremde denn so aussieht. Nicht besonders fröhlich scheint es da zuzugehen. Doch fleißig und anständig gelingt Eilis die Eingewöhnung in die für sie so fremde Welt. Die Epoche der Einwanderungen in Amerika birgt Gefahren und Hürden, die es zu nehmen gilt. Man spürt die Sehnsucht nach Heimat und die Anstrengung, sich neuen Lebensregeln zu stellen und sich einen Platz in der Gesellschaft zu erarbeiten. In Gestalt von Eilis wird die Diskrepanz zwischen alter und neuer Welt durchaus verstehbar. Liebevoll ausgestaltete Szenen belegen die tastenden Versuche, ein eigenes Leben zu beginnen und die Fäden zur alten Welt nicht ganz zu verlieren. Fremdheit, Distanz und Nähe, Anstand und Fleiß bieten die Grundlage, auf der sich der Wechsel von der alten zur neuen Welt gestaltet. Das bleibt nicht ohne Schmerzen, Verluste und Enttäuschungen. Eilis zeigt uns den inneren Kampf, mit dem sie sich aus der fernen Provinz in den Schmelztiegel unterschiedlicher Nationalitäten in Brooklyn begibt.

Sie meistert ihr Geschick, indem sie trotz diverser Anfechtungen ihren Weg geht.

Einfühlsam und tiefenscharf bietet uns Colm Tóibín in seiner Erzählung einen Eindruck von den Gefahren für Leib und Seele und von den Anstrengungen beim Wechsel zwischen verschiedenen Identitäten. Brooklyn ist ein Hexenkessel mit unterschiedlichsten Bevölkerungsanteilen und den entsprechenden Landessprachen. Hier trifft sich Freund und Feind und es gilt, die richtigen Partner fürs Leben zu finden. Diese Atmosphäre fängt Colm Tóibín hervorragend ein.

Der Leser folgt gebannt der Erzählung, die zu Herzen geht. Mut, Zuversicht und ein starker Charakter sind die Voraussetzungen, unter denen sich das Schicksal von Eilis entwickelt. An ihrem Schicksal nimmt man bis zum guten Schluss lebhaft Anteil.

Giovanni und Ditte Bandini krönen die Erzählung mit ihrer gelungenen Übersetzung.

Colm Toibin
Brooklyn
304 Seiten, broschiert
Deutscher Taschenbuch Verlag, Dezember 2012
ISBN-10: 3423141727
ISBN-13: 978-3423141727
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Sigrid Combüchen: Was übrig bleibt – Ein Damenroman

Sigrid Combüchen: Was übrig bleibt – Ein Damenroman

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Hedwig Langmark, geborene Carlsson, glaubt sich wiederzuerkennen, als sie ein Buch von Sigrid Combüchen liest. Die Autorin beschreibt ein altes Familienfoto aus dem Jahre 1937 in ihrem Roman. Es ist die Zeit kurz bevor Hedwig, genannt Hedda, ihr Abitur machte. Sie möchte Gewissheit haben und schreibt die Autorin an. Daraus entwickelt sich ein Briefwechsel, denn Frau Combüchen ist neugierig geworden. Sie gibt sogar vor, im ehemaligen Elternhaus der Familie Carlsson zu leben und Fotos auf dem Dachboden gefunden zu haben, obwohl sie nur im selben Viertel lebt, um den Kontakt zu halten. Und so erzählt Hedwig von damals, als sie jung war. Parallel dazu recherchiert die Autorin und lässt zusätzlich ihre Fantasie spielen. Langsam entsteht ein Buch, dieses Buch.

Nichts davon ist real. Alles ist fiktiv. Personen und Orte. Selbst die Autorin erfindet sich eine eigene Rolle für das Buch. Aber alles könnte sich so abgespielt haben. Mit jeder Zeile mehr wird Heddas Schicksal lebendig.
Beschrieben werden vor allem die Jahre um das Abitur herum. Also die Jahre, in denen Hedda sich versucht loszulösen von ihrem Elternhaus, obwohl anderes von ihr erwartet wird. Doch die junge Frau plant einen eigenen Weg, und versucht diesen, im Rahmen streng gesetzter Grenzen zu beschreiten. Sie muss sich entscheiden zwischen ihrer Familie und der eigenen Vorstellung ihrer Zukunft. Hedwig Langmark taucht in Briefen in ihre eigene Vergangenheit ein, die in der Gegenwart nur noch Erinnerungen sind, mit der Unterstützung der Autorin aber wieder lebendig werden.

Das Buch in diesen Rahmen zu stellen, hat eine ganz besondere Wirkung. Die Sprache ist von Melancholie gezeichnet. Das Leben ist nun mal nicht einfach und von Schicksalsschlägen gezeichnet. Der Blick richtet sich auf das Alltagsleben Heddas. Gefühlvoll zeichnet die Autorin dieses nach, lässt Hedda viel Raum, lässt sich Zeit beim erzählen. Ganz Persönliches, Intimes hat Platz. Das bedeutet allerdings auch, dass Hedda keine Privatsphäre bleibt. Dass diese Grenze überschritten wird, erwartet man sicherlich nicht von einem Damenroman.

Rezension von Heike Rau

Sigrid Combüchen
Was übrig bleibt
Ein Damenroman
448 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN-10: 3888977479
ISBN-13: 978-3888977473
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Renate Feyl: Lichter setzen über grellem Grund

Renate Feyl: Lichter setzen über grellem Grund

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Ein Künstler- und Frauenleben im 18.Jahrundert.

Als die 12 jährige Elisabeth Vigée 1767 ihre ersten Porträts anfertigt, lebt sie noch mit ihrer Mutter und dem Bruder in ärmlichsten Verhältnissen in Paris. Sie ist die Tochter des früh verstorbenen Malers Louis Vigée und der Friseurin Jeanne. Ihr Leben soll sich bald ändern, denn der Maler Claude Joseph Vernet sieht die Bilder des jungen Mädchens. Er ist begeistert und fördert ihre Entwicklung, so dass es mit der Armut in der Familie schon kurz darauf ein Ende hat. Die Mutter von Liz ist eine misstrauische Person, die nur auf die große Partie für ihre Tochter wartet. Doch als die ersten Einkünfte aus dem Verkauf von Bildern ihrer Tochter das Familienbudget auffrischen, stellt sie sich den künstlerischen Ambitionen ihrer Tochter nicht mehr in den Weg.

Schon früh pflegte Liz einen eigenwilligen Stil, mit dem sie ihre Unabhängigkeit dokumentierte. Sie heiratet den Kunsthändler Lebrun und entrinnt damit der häuslichen Kleinkrämerei, die durch die erneute Heirat ihrer Mutter mit dem Juwelier Jaques Einzug gehalten hatte. Alle Einkünfte aus dem Verkauf ihrer Bilder gingen bis dahin in die Haushaltskasse. Mit ihrem neuen und unabhängigen Status als verheiratete Frau kann sie selbständiger arbeiten und gelangt nach und nach zu hohem Ansehen. Sie profiliert sich zu einer der außergewöhnlichsten Porträtmalerinnen des 18. Jahrhunderts.

Im Zuge der französischen Revolution muss sie 1789 das Land verlassen und sucht ihr Glück zunächst in Italien.
12 lange Jahre muss sie ihrem geliebten Frankreich fernbleiben. Ihr Weg führt sie über Österreich und die Mark Brandenburg bis an den Zarenhof nach St.Petersburg. Überall wird sie um Porträts ersucht, so dass sie mit ihren Einkünften  ihren Lebensunterhalt sichern konnte.

Renate Feyl erstellt ein unmittelbares Bild der Malerin und ihres Aufstiegs zu Ruhm und Ehre.
Angefangen von den Farbstudien über Begegnungen mit einflussreichen Künstlern, Denkern, Adeligen, gekrönten und ungekrönten Häuptern bis hin zu den äußeren Lebensbedingungen kann man sie sich lebhaft vor ihrer Staffelei vorstellen. Sie wird als unprätentiös, selbstsicher und sehr bestimmend in ihren Wünschen und Absichten beschrieben.

Nachvollziehbar sieht man sie bei ihren Studien von Licht und Farbe und hört zu, wenn sie ihre Kunden zum Gespräch ermuntert. Sie erhofft sich davon den Effekt der Lebendigkeit beim Porträtieren.

Die Autorin hat mit dieser Biographie erneut bewiesen, wie hautnah sie Begebenheiten aus längst vergangenen Zeiten nachzeichnen kann. Von der Hygiene bis zum Prunk der Reichen, von der Armut und dem Kloakengeruch in den Gassen reichen ihre Betrachtungen.

Sie entwirft ein Zeitgemälde, das opulent sowohl das Einzelschicksal als auch die geschichtliche Entwicklung umfasst. Elisabeth Vigée ist eine frühe Gestalt weiblicher Emanzipation, deren Kämpfen und Fortschritten man bewundernd folgt.

Renate Feyl offenbart nach ihren bisherigen Romanen über Frauen der Romantik erneut, wie tief sie sich in die Geschichte vergangener Jahrhunderte einfühlen kann.
Sie ist nicht nur Historikerin sondern auch eine hervorragende Schriftstellerin, die ihren Figuren Leben einhaucht und sie damit ganz in unsere Vorstellungswelt zwingt. Nebenbei erfährt man in leichter Form etwas über die französische Revolution und kann den eigenen Wissensstand erweitern.

Renate Feyl
Lichter setzen über grellem Grund
336 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, August 2011
ISBN-10: 3462043358
ISBN-13: 978-3462043358
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