Browsed by
Schlagwort: Sprachlosigkeit

Dominik Barta: Vom Land

Dominik Barta: Vom Land

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Theresa ist als Bäuerin an den anstrengenden Tagesablauf, den der Bauernhof vorgibt, gebunden und erfüllt ihre Aufgaben gewohnheitsmäßig. Doch eines Tages fühlt sie sich krank. Dabei hat sich Theresa bisher einer robusten Gesundheit erfreut. Mich 60 Jahren hat sie nun vielleicht den Preis für die jahrzehntelange harte Arbeit zu zahlen. Doch so ist es nicht. Die Krankheit ist rätselhaft, da keine Ursache für das Unwohlsein und die Schweigsamkeit von Theresa zu finden ist.

Den längst erwachsenen Kindern bleibt nichts anderes übrig, als zum Hof kommen und sich zu kümmern. Sie müssen ins Gespräch kommen, was nicht einfach ist. Und auch Theresas Mann Erwin wäre es das Liebste, wenn alles schnell wieder so werden würde wie gewohnt. Stattdessen muss er erkennen, dass der Hof, der seit Ewigkeiten in Familienbesitz ist, keine Zukunft hat. Keines der Kinder wird ihn übernehmen. Immerhin hilft Rosalies Sohn Daniel ab und an bei der Arbeit. Der 12-jährige Enkelsohn ist auch gern im Wald. Zusammen mit Toti werkelt er an einem Baumhaus. Er freut sich über die Freundschaft zu dem jungen Syrer. Doch sind andere Dorfbewohner nicht begeistert von den Flüchtlingen, die nun in einer Flüchtlingsunterkunft in direkter Nachbarschaft leben.

In der Familie herrscht eine Stimmung, die von Sprachlosigkeit geprägt ist. Theresa kann nicht über das reden, was sie bewegt. Und so äußern sich ihre Gefühle in einer Krankheit, die Unwohlsein und Ängste auslöst. Auch ihr Ehemann Erwin kann seine Gefühle nicht ausdrücken. Er flüchtet sich in die Arbeit. Die erwachsenen Kinder kommen nicht klar mit der Situation. Sie haben verlernt, miteinander zu sprechen und Dinge gemeinsam zu regeln. Von dieser Sprachlosigkeit und Kälte ist das halbe Dorf betroffen.

Der Autor erzählt also von einem Dorf, das sich verändert und einer Familie, die sich auseinandergelebt hat. Er erzählt von den unterschiedlichen Ansichten der verschiedenen Generationen und von den Ängsten, die Veränderungen mit sich bringen. Es wird deutlich gemacht, dass niemand diesen Veränderung ausweichen kann und dass Probleme nicht durch Schweigen gelöst werden können. Vielmehr müssen die Menschen wieder aufeinander zugehen, Vorurteile abbauen und offen über die Dinge reden.

Rezension von Heike Rau

Dominik Barta
Vom Land
176 Seiten, gebunden
Paul Zsolnay Verlag, Januar 2020
ISBN-10: 3552059873
ISBN-13: 978-3552059870
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen

David Grossman: Aus der Zeit gefallen

David Grossman: Aus der Zeit gefallen

Dieses Buch direkt bei Amazon bestellen!
Todesvisionen und Schicksal…

Einer Art taumelnden und wehklagenden Gesangs gleich erinnern sich eine Frau und ein Mann ihres im Krieg gefallenen Sohnes.

Mit schweren Schritten, beinahe wie in einer unwirklichen Welt erleben beide das neue Leben. Denn es gibt eines vor und eines nach dem Tod des geliebten Kindes.

„…manchmal, wenn wir zusammen sind, klammert sich dein Leid an meinem fest, mein Schmerz ergießt sich in dein Blut, und plötzlich steigt aus uns das Echo eines unversehrten Körpers auf, des geheilten, und einen Augenblick lang meinen wir, er wäre hier.“

Es ist das Unsagbare, das hier in tastender Sprache nach einer Form sucht, in die man die Trauer kleiden könnte. Doch es geht nicht. Immer wieder stoßen die Worte an Grenzen, die einem bedeuten, dass hier unsagbares Leid geschehen ist. Ein Sohn in der Blüte seines Lebens ist fort, ausgelöscht für immer. Es gibt eine Vergangenheit, in der man sich noch an Gerüche und Geräusche des Kleinen erinnert, doch alle Erinnerung ist nur noch im Unwirklichen verankert. Mit schwebendem Stift, in einem vagen und hoffnungslosen Sprechgesang beschwört David Grossman das Unfassbare: sein Sohn ist tot!

Die Form des Geschriebenen findet nicht ihres gleichen. Im Wechsel kommen ein Chronist der Stadt und ein Zentaur zu Wort. Sie berichten und der gehende Mann sinniert über das Unsägliche. Hier die Erinnerung, dort das Festhalten, und wieder an anderer Stelle die fliehenden Gedanken, die im Unglauben verharren.

Einen vergleichbar tiefen Klang und einen klagenderen Gesang kann man sich nur in der griechischen Tragödie vorstellen. Mythisch und fern sind die Worte, die um immer den gleichen Gedanken zu kreisen scheinen: das Kind ist tot und der Vater lebt. Wie soll man weiterleben mit diesem Bewusstsein?

Der israelische Autor David Grossman hat im Libanonkrieg von 2006 seinen Sohn Uri an einem der letzten Kriegstage verloren. Wer vermag den Schmerz über einen solchen Verlust zu lindern? Wie soll man dem Sprache und Ausdruck geben?

Der Autor hat schon in seinem Buch „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ einen Versuch gewagt, mit der Bürde dieses Verlustes umzugehen. Es gelingt nicht und kann nicht gelingen, wenn man sich die Sinnlosigkeit des Krieges und dessen Folgen vor Augen führt. Uri Grossman  wurde nur 20 Jahre alt.

Sprachlosigkeit in Sprache zu fassen: das ist in eine Kurzformel gebracht, was einem zu diesem Text am Ende einfällt. Sensibel, hoch emotional und tränenlos kommt der Text daher.

Die Übersetzerin beschreibt in einem kurzen Nachwort, wie schwer es war, den Text zu übersetzen. Anne Birkenhauer, die in Israel lebt und arbeitet, hat in einem Seminar mit zahlreichen Übersetzern in verschiedene Sprachen am Klang und am Ausdruck des Textes gearbeitet. Sie hat David Grossman die Stimme gegeben, die dem Text am ehesten gerecht wurde. Jedes weitere Wort darüber hinaus verbietet sich!

David Grossman
Aus der Zeit gefallen
128 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Januar 2013
ISBN-10: 3446241264
ISBN-13: 978-3446241268
-> Dieses Buch jetzt bei Amazon bestellen