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Schlagwort: Thriller

Ulrich Wickert: Der nützliche Freund

Ulrich Wickert: Der nützliche Freund

Der bereits aus den vorhergehenden Kriminalromanen des ehemaligen Tagesthemen-Moderators bekannte Pariser Richter Jacques Ricou wird erneut ganz persönlich in einen Fall hineingezogen, zu dem er zunächst einmal dienstlich und auch so keine Beziehung hat. Aus der Zeitung erfährt er von den Machenschaften eines französischen Ölkonzerns in Deutschland beim Erwerb einer Raffinerie. Unverkennbar handelt es sich um die Leuna-Affäre. Seine Freundin, die mal mehr oder weniger auch seine Lebensgefährtin ist, recherchiert und ermittelt als Top-Journalistin Jahre nach Abschluss und Todschweigen dieser Affäre erneut, weil ein ehemaliger Mitarbeiter des Geheimdienstes sein Schweigen brechen und auspacken möchte. Durch Ricou‘s Freundin Margaux bekommt die ganze Sache einen privaten Aspekt und ist nicht mehr rein dienstlich zu betrachten. Während sich die Journalistin zwecks eines Interviews mit dem ehemaligen Agenten in dessen Appartement trifft, versteckt sie sich beim Klingeln an der Wohnungstür, um nicht auf unerwartete Besucher zu treffen. Kurz darauf wird der Agent tot und sie bewusstlos aufgefunden. Richter Ricou wird mit den Ermittlungen in diesem Fall betraut, jedoch ahnt zunächst keiner, dass es sich hierbei um die Fortsetzung der fast vergessenen deutsch-französischen Affäre handelt und der Richter selber unter Verdacht gerät.

Faszinierend gestrickt bleibt die Handlung, selbst der Hintermänner des Mordes und anderer Taten dem Leser nicht verborgen. In zwei Handlungssträngen werden einerseits die Ermittlungen in diesem Fall und andererseits die Auftragsvergabe für die Verbrechen durch ein Genfer Bankhaus beschrieben. Kapitelweise wird zwischen beiden Szenen gewechselt und im Falle des Bankhauses, welches seinen Reichtum im zweiten Weltkrieg mit den Geldern der Juden erwarb, die Skrupellosigkeit einer speziellen gesellschaftlichen Kaste dargestellt. Mithilfe der „Genfer“ Kapitel wird der Leser auf bevorstehende Aktionen vorbereitet und es werden bereits abgeschlossene Handlungen plausibel erklärt. Der Strang für die Ermittlungen beansprucht mit Recht einen erheblich größeren Teil der Romanhandlung und der Autor bringt all sein Können ein, um dem Leser in äußerst dramatischer und abwechslungsreicher Weise seine Liebe zu und dem Charme von Paris nahezubringen. Durch die Offenlegung der wahren Hintermänner stellt sich dem Leser also nicht die Frage nach dem Täter, sondern die, ob und wie der Richter die Hintermänner dingfest machen kann.

Da die Akten der tatsächlichen Leuna-Affäre beim Umzug der deutschen Regierung von Bonn nach Berlin plötzlich verschwunden und in Frankreich nur Handlanger verurteilt worden waren, bleibt natürlich viel Raum für Spekulation, den sich Wickert sehr geschickt zu Eigen gemacht hat. Alles, was zu recherchieren war, wurde recherchiert und anschließend gekonnt mit den fiktiven Spekulationen verbunden. Auf diese Weise scheint der Roman sehr nah an der Realität zu sein und könnte beinah reportagenhaft einen Überblick zur Leuna-Affäre geben. Die Handlung um den Richter herum scheint also in erster Linie die fiktive Handlung zu sein, wobei der Leser berechtigten Zweifel an der Fiktion bei der Beschreibung des französischen Lebensgefühls anmelden darf. Wer selbst schon einige Zeit in den Straßen, Bistros und Cafés in Paris verbracht hat, der wird bestätigen, dass Paris so ist, wie es in dem Buch beschrieben wurde. Die Gespräche in den Bistros, das Verhalten der Menschen und vor allem der Beamten scheinen eher ein echter Spiegel der Realität zu sein. Das Pariser Umfeld des Richters mit all seinen Freunden, Bekannten, Kollegen und Nachbarn wird sehr detailliert und angenehm geschildert. Somit lässt die Lektüre des Buches an dieser Stelle einen, wenn auch eingeschränkten, Hauch einer Reise nach Paris aufkommen. Ob das Gleiche für die offenherzige Zusammenarbeit der deutschen und der französischen Behörden gilt, wird der Autor selbst am besten einschätzen können.

Der Autor hat nie verschwiegen, dass er Frankreich und Paris liebt, warum sollte er es also in seinen Romanen verbergen. Aus diesem Grund ist „Der nützliche Freund“ nicht nur ein spannender, unterhaltsamer und flüssig zu lesender Kriminalroman mit dem Hintergrund einer früheren großen Politaffäre, sondern das Buch gleicht auch einer Reisebeschreibung von Paris. Es vermittelt ein Stück Paris und Pariser Lebensart und ist damit aber nicht nur für jeden Balkonien-Urlauber ein Muss.

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Ulrich Wickert
Der nützliche Freund
Roman, 313 Seiten, Hardcoverausgabe
Piper Verlag GmbH, München
ISBN: 978-3-492-05020-3
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© Detlef Knut, Düsseldorf 2009

Uwe Schimunek: 13 kleine Thriller

Uwe Schimunek: 13 kleine Thriller

Dass es ist schottischen Schlössern nicht ganz geheuer ist, weiß jeder. Aber in Leipzig? Uwe Schimuneks Geschichten scheinen das selbst nicht zu glauben und erzählen unaufgeregt, ja geradezu trocken von ganz alltäglichen Dingen. Wenn man einen Lindwurm für alltäglich hält zumindest. Oder wenn man den – im wahrsten Sinne des Wortes – Ausverkauf Deutschlands als eine mögliche Zukunft empfindet. In seinem Büchlein voller kurzer und ganz kurzer Texte konfrontiert Uwe Schimunek seinen Leser mit absurden, bösen, mysteriösen und skandalösen Ereignissen, ohne sich in den für diese Genre typischen Ausschweifungen zu ergehen. Die Reduzierung geht so weit, dass der Leipziger Autor viel Bild durch die bloße Nennung von Orts-, Straßen- und anderen Namen zu erzeugen sucht, was dann doch nicht so recht aufgeht: Der Leser hat meist nur diesen Namen lang Zeit, in seinem Kopfkino-Archiv die passenden Szenen rauszusuchen – falls sie ihm überhaupt zur Verfügung stehen. Ich hatte schnell aufgehört, diese Stöberarbeit zu leisten, und begann sofort, mich an Stellen, wo die gesamte Kulisse mit dieser Technik errichtet wurde, zu langweilen.

Die Konzentration auf das Nötigste hinsichtlich Bild, Ton und Plot verleiht den Texten zweifellos ein Tempo, das Ideen-Konsumenten wir mir sehr entgegen kommt und den Geschichten einen so „normalen“ Klang verleiht, dass man sich unwillkürlich umsieht, ob einem nicht auch gleich „sowas“ passiert. Zugleich lässt es die Texte aber auch ineinanderfließen – spielen ja alle „hier“, selbst wenn sie in der Zukunft spielen – so dass sich bei mir spätestens im hinteren Drittel des Buches eine Art Gefühlslageweile einstellte: Die Ideen erreichen zwar den Kopf, aber wegen der fehlenden „Stimmung“ kaum das „Erlebniszentrum“. Und da sie sowohl innerhalb der Texte als auch in der Kette der Einzelgeschichten recht rasch „abgefeuert“ werden, haben sie auch keine rechte Chance, dauerhaft im Kopf hängen zu bleiben.

Und trotzdem: Jeder Text für sich ist eine kleine Perle und bezieht seinen Schaudereffekt aus eben jedem Klang nach Alltag, der – auch in Kombination mit lakonischem Humor – den Eindruck hinterlässt, dass es gleich nebenan genau so passiert sein könnte. Ganz schnell, ganz unaufgeregt. Man würde es glatt übersehen, wenn man nicht zufällig in diese Richtung blickte …

Uwe Schimunek
13 kleine Thriller
Erschienen März 2009 im fhl-verlag
Paperback, 138 Seiten
Preis 9,95 Euro
ISBN 978-3-942025-11-9