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Schlagwort: Tod

Frances Greenslade: Der Duft des Regens

Frances Greenslade: Der Duft des Regens

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Es ist ein einfaches, schlichtes und dennoch zufriedenes Leben, das Maggie, ihre Schwester Jenny und die Eltern führen. Duchess Creek, in den Wäldern im Westen Kanadas, scheint ein Ort zu sein, an dem man glücklich sein kann. Unbeschwert ist die Kindheit Maggies dennoch nicht. Auch wenn es keinen konkreten Anlass gibt, immer macht sie sich Sorgen.

Maggie fühlt sich bestätigt, als der Vater einen tödlichen Unfall erleidet. Unerträgliche Trauer hüllt die Mutter und ihre Töchter ein. Gemeinsam fahren sie zelten, an einen Ort, wo es nichts gibt außer Ruhe. Es ist ein Ort, den die Mutter ihren Mädchen schon immer zeigen wollte. Hier in diesem Tannenwald ist man der Natur ganz nah.

Eine Freundin beginnt sich zu kümmern und die Melancholie, die die Mutter befallen hat, etwas zu vertreiben. Irene rafft sich auf, nimmt einen Sommerjob in einem Anglercamp an. Danach zeltet die Familie wieder eine Zeit. Das eigene Haus musste aufgegeben werden. Dann wird Ritas Farm ein Zufluchtsort. Immer öfter ist Irene abwesend.

Schließlich bringt sie ihre Töchter zu den Edwards, die Freunde ihres Mannes waren, um in einem Holzfällercamp Arbeit anzunehmen.
Das Leben bei den Edwards gefällt Maggie nicht, während Jenny ganz gut zurechtkommt. Anfangs schreibt die Mutter noch Briefe und schickt Geld. Dann meldet sie sich nicht mehr. Eine Mauer aus Schweigen baut sich auf. Keiner weiß, was passiert ist und keiner wagt zu fragen, weil ein weiteres Unglück geschehen sein könnte.

Es ist eine wunderschön geschriebene Geschichte. Traurig und berührend. Maggie erinnert sich zurück. An die Zeit der Kindheit. Damals war die Welt noch in Ordnung, auch wenn Maggie gespürt hat, das ein Unglück kommt.
Der Unfalltod des Vaters reißt eine Lücke in die Familie. Es ist nur zu verständlich, dass die Zurückgebliebenen jeden Halt verlieren. Die Mutter kann ihrer Rolle nicht mehr gerecht werden. Auch die Zeit heilt ihre Wunden nicht.

Maggie erinnert sich, wie es war, plötzlich ohne Heim zu sein und ohne die Verlässlichkeit der Mutter, ohne ihre Erziehung und ihren Rat, den die heranwachsenden Mädchen so dringend brauchten. Und doch hat sie ihnen schon einiges mitgegeben. Stärke und Mut, die Dinge selbst zu regeln.

Die Autorin hat eine beeindruckende Art zu schreiben. Sie begegnet ihren Charakteren, insbesondere Maggie, mit viel Liebe und Verständnis. Es sind diese kleinen Nuancen, dieses Feingefühl, das seine Wirkung nicht verfehlt. Man wird als Leser in eine ganz besondere Stimmung gehüllt.

Warum handeln Menschen, wie sie es tun? Was sind ihre Beweggründe? Was prägt den Charakter? Welche Umstände machen uns zu dem, was wir sind? Man kann an leidvollen Geschehnissen zerbrechen. Man kann aber auch Stärke daraus gewinnen und das Ruder wieder herumreißen. Davon erzählt diese Geschichte, die man lange in Erinnerung behält.

Rezensionen von Heike Rau

Frances Greenslade
Der Duft des Regens
Aus dem kanadischen Englisch von Claudia Feldmann
368 Seiten, gebunden
Mareverlag
ISBN-10: 3866481764
ISBN-13: 978-3866481763
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Klaus Stickelbroeck: Auf die harte Tour

Klaus Stickelbroeck: Auf die harte Tour

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„Hart. Härter. Hartmann.“ So beginnt der vierte Roman um den ehemaligen Fußballspieler von Fortuna Düsseldorf, der nach seinem Sportunfall als Privatdetektiv über Düsseldorfs Pflaster streicht. Klaus Stickelbroeck hat erneut einen Krimi in den Handel gebracht, der nicht nur den Düsseldorfer Lesern Spaß machen wird. In gewohnt schnoddriger Weise ist der private Ermittler mit sich und der Welt nicht im Reinen und schlittert in die fiesesten Situationen, die sich nur ein Krimi-Cop ausdenken kann. Doch worum geht’s?

Hartmann wacht in seinem Bett auf. Er hat einen schweren Schädel und keine Ahnung, wie er überhaupt ins Bett gekommen ist. Seine letzte Erinnerung hat er vom Betreten seiner Stammkneipe am vorigen Abend und dem Musiktitel, der in dem Moment gespielt wurde. Doch jetzt liegt eine dunkelhaarige Schönheit in seinem Bett und streckt ihm ihren süßen Po entgegen. Er selbst: auch nackt. Doch eine Erinnerung will sich bei ihm nicht einstellen. Und es soll noch schlimmer kommen. Auf seinem Weg in die Dusche muss er feststellen, dass eine Blondine im Wohnzimmer auf der Couch liegt. Angezogen natürlich. Oh Mann. Nicht gut. Während er dann bei seinem einarmigen Lieblingswirt, genannt Krake, versucht herauszubekommen, was am gestrigen Abend passiert ist, wird in Düsseldorf eine Blondine erschossen.
Hartmann erfährt von Krake, dass er sehr wahrscheinlich Probleme bekommen wird. Denn die Dunkelhaarige von gestern, die in seinem Bett, ist die Frau des Präsidenten der übelsten Rockergang von Düsseldorf, den Black Mambas. Oh Mann. Nicht gut.
Als Hartmann wieder nach Hause kommt, steht die Polizei vor der Tür. Er wird verdächtigt, die Blondine, die in seinem Wohnzimmer lag, erschossen zu haben. Hartmann sitzt in der Patsche. Am schlimmsten dabei: Er weiß weder wie der gestrige Abend verlaufen, noch wer die Blondine in seinem Wohnzimmer war.

In einem sehr humorvollen Plauderton, der dem Stil anderer Detektivgeschichten wie Hammer oder Magnum entspricht, erzählt Stickelbroeck die Geschehnisse um seinen Protagonisten Hartmann. Ohne einen Abriss der Spannung zieht es den Leser von einem Tag zum nächsten. Er klebt förmlich an den Lippen des Erzählers. Mit Präzision trifft der Autor ganz normale Alltagssituationen und kleidet sie in ein Gewand von treffenden Worten, sodass man ihnen nur zustimmen und darüber schmunzeln kann.

Ein Krimi voller Unterhaltung und Spannung, dessen Spaß sich kein Leser entgehen lassen sollte.

Stickelbroeck, Klaus
Auf die harte Tour
280 Seiten, broschiert
KBV-Verlag
ISBN-10:3942446375
ISBN-13:978-3942446372

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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Austin Wright: Tony & Susan

Austin Wright: Tony & Susan

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Was für ein Konstrukt! Im wahrsten Sinne des Wortes ein Buch im Buch. In dieser Schärfe ist es selten anzutreffen. Doch was heißt das nun? Buch-in-Buch? Es gibt zwei Handlungsstränge, die nicht einfach als Parallelhandlungen ausgeführt sind. Eher lässt es sich so beschreiben: Man liest, wie die Protagonistin Susan ein Buch liest. Es gibt also ein inneres Buch und ein äußeres Buch. Doch zunächst etwas mehr Klarheit und zum Inhalt des inneren Buches.

Tony Hastings ist mit seiner Frau und Tochter auf dem Weg in den Urlaub. Sie befinden sich nachts mit dem Auto auf einem Highway Richtung Maine, irgendwo Richtung Bangor mitten im Wald. Wer die Bücher von Stephen King kennt, der weiß, dass hier irgendetwas geschehen muss. Allein diese Szenerie treibt dem Leser bereits die Gänsehaut bis in den Nacken. Sie nähern sich zwei anderen Autos vor ihnen, die sich scheinbar ein Wettrennen liefern. Eines der beiden Fahrzeuge lässt das andere nicht vorbeiziehen. Tony muss abbremsen und wird ungeduldig. Er hupt kurz und das linke Fahrzeug schießt nach vorne. Tony zieht linksrüber an dem einen Fahrzeug vorbei, welches dann zurück fällt, während das andere weit voraus ist. Doch dann kommt Tony auch wieder an dieses Fahrzeug heran. Als er zum Überholen ansetzt, schert es plötzlich nach links aus und Tony muss auf die Bremse. Nun beginnt ein Spielchen, bei dem es Tony und seiner Familie flau im Magen wird. Eine Jagd beginnt. Dann passiert, was nicht hätte passieren dürfen. Der Wagen von Tony Hastings kommt ins Schlingern, das Lenkrad flattert, vorne links ist ein Platten. Tony muss anhalten. Auch der andere Wagen mit drei Männern darinnen hält an. Die Höflichkeit der Kerle ist nicht echt. Die Hastings spüren das. Kurz und (nicht) gut: Tony wird im Verlauf der Handlung von Frau und Tochter getrennt. In Angst um seine Familie spielt ihm sein Gehirn eine schreckliche Vorahnung zu.

An dieser Stelle wandelt sich der „road-movie“ zu einem Psychothriller, den man getrost lesen kann, ohne die äußere Geschichte zu lesen.

Doch nun zur äußeren Geschichte. Die Handlung ist wirklich schmal. Susan Morrow hat ein Manuskript ihres Ex-Mannes erhalten. Er bittet sie in dem Begleitbrief, das Manuskript zu lesen. Nicht mehr und nicht weniger. In drei Sitzungen liest sie das Buch, zwischendurch wuseln die Kinder durch das Haus, kommen von der Schule, gehen zu Freunden, werden ins Bett gebracht. Die Lesesitzungen sind durch Intermezzi getrennt, in denen das Leben von Susan mit ihrem Ex-Mann, den sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte, und das Leben mit ihrem jetzigen Ehemann und dessen Geliebter beschrieben wird. Der Leser erfährt, warum sie sich nach nur zwei Jahren von ihrem Ex getrennt hatte, die Bücher und Geschichten, die er damals schrieb, waren grottenschlecht.

Was macht das Besondere dieses Thrillers aus? Er fesselt durch die beiden miteinander verbundenen Bücher. Obwohl man das innere Buch losgelöst von dem äußeren lesen kann, wird gleich zu Beginn klar, und der Titel des Buches „Tony & Susan“ sagt es schon, dass ein Zusammenhang zwischen beiden Büchern, beiden Handlungssträngen, beiden Protagonisten bestehen muss. Susan, die Protagonistin des äußeren Buches, die von den Schreibkünsten ihres Ex-Mannes beeindruckt ist, und Tony, der Protagonist des inneren Buches, der einen Albtraum durchleben muss.

Ein Thriller der aufgrund seiner Konstruktion bereits eine Extraklasse darstellt und sehr zu empfehlen ist.

Austin Wright
Tony & Susan
Übersetzt von Sabine Roth
Luchterhand, München
ISBN-10:3630873669
ISBN-13:978-3630873664

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012

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Gian Domenico Borasio: Über das Sterben

Gian Domenico Borasio: Über das Sterben

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Sterben und sterben lassen…

Ein Vielzahl von Besprechungen zu diesem  Buch zeigt das hohe Interesse am Thema „Sterben“. Wussten wir doch über lange Zeit nicht, wie und ob man überhaupt an das Thema herangehen sollte.

Mit der von Cicely Saunders in den sechziger Jahren ins Leben gerufenen Hospizbewegung in England begann sich im Leben der Menschen das Sterben zu verändern. Nicht mehr abgeschoben in entlegenen Räumen wie über lange Jahre üblich sollte der Tod stattfinden, sondern in freundlicher Umgebung und von liebevollen Menschen betreut wollte man das Lebensende erleichtern helfen.

Inzwischen hat sich die Hospizbewegung weiter verbreitet. In vielen Ländern gibt es Hospize, in denen der Mensch seinen Bedürfnissen gemäß im Endstadium des Lebens seinem Tod entgegen gehen darf. Parallel zur Hospizbewegung entwickelte sich die Palliativmedizin, eine das Sterben begleitende und erleichternde Medizin.  In zahlreichen Krankenhäusern gibt es inzwischen Palliativstationen, wo dem Sterbenden in seinem letzten Lebensabschnitt mit den zuweilen erbärmlichen Qualen Erleichterung geboten wird.

Gian Domenico Borasio ist einer von vielen Palliativmedizinern, der mit seinem hier vorliegenden Bericht über das Sterben sachlich, nüchtern und doch mit viel Empathie Auskunft gibt. Sein Werk ist nach Kapiteln geordnet, in denen medizinische,  sozialpsychologische und rechtliche Fragen angesprochen werden.

Borasio bringt eine gut strukturierte Zusammenfassung der Bedingungen, die Voraussetzung für einen sanften Tod sein können.

Nach seiner Auffassung gibt es einmal den rein physiologischen Vorgang des Sterbens. Es gibt aber darüber hinaus die viel bedeutenderen Aspekte des mental-gefühlsmäßigen Eingehens auf die Bedürfnisse des Sterbenden. Hier setzt Borasio an und zählt die vielen Möglichkeiten der Sterbebegleitung auf. Dazu gehört die menschlich-einfühlsame Gesprächshilfe des Arztes oder Hospizhelfers, zu der selbstverständlich ganz vordringlich die Medikamentenversorgung bei den vielfältig auftretenden Beschwerden eines Sterbenden gehört. Insbesondere die Angst- und Schmerzbekämpfung steht hier im Vordergrund des Interesses.

Tabus über das Sterben gibt es immer noch in einer unübersehbaren Vielzahl von Fällen. Diese zu beseitigen und das Gespräch mit dem Sterbenden und auch den Angehörigen zu ermöglichen gehört zu den Anliegen Borasios.

Wenn man das Buch gelesen hat, wünscht man sich sehr, dass man die entsprechenden Hilfen und Möglichkeiten für sich nutzen könnte. Doch gibt es nach wie vor nicht genügend Anlaufstellen für das letzte Stadium des Lebens, dem wir unweigerlich alle entgegen gehen.

Gian Domenico Borasio leistet mit seinem Buch einen wichtigen Schritt in Richtung Aufklärung über das individuelle Sterben und die damit verbundenen Voraussetzung für einen guten Tod. Mögen es viele Mediziner, Politiker und Betroffene lesen, damit jeder von uns in Würde und Frieden sterben darf.

Gian Domenico Borasio
Über das Sterben
207 Seiten, gebunden
C.H. Beck, 8. Auflage April 2012
ISBN-10: 3406617085
ISBN-13: 978-3406617089
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Tony Judt: Das Chalet der Erinnerungen

Tony Judt: Das Chalet der Erinnerungen

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Lebendige Erinnerung an gute Zeiten.

Kann man sich einen Ort der Glückseligkeit vorstellen?
Man kann, denn alles hängt von den Umständen ab, in denen man „Glück“ empfindet.

Tony Judt erkrankte zwei Jahre vor den Aufzeichnungen seiner hier vorliegenden Erinnerungen an ALS, amyotropher Lateralsklerose, an deren Folgen er 2010 verstorben ist.

Die Krankheit verdammt den daran Erkrankten zu fortschreitender Bewegungsunfähigkeit und schließlich dem Verlust der Sprache. Sachlich und nüchtern beschreibt Tony Judt die Vorbereitungen für die Nacht, in der er stundenlang wach liegt, sich nicht kratzen oder aus unbequemer Lage selbstständig befreien kann. Niemand wird ermessen können, wie schrecklich es ist, in totaler Anhängigkeit von Pflegern und Hilfskräften zu leben. In sich eingeschlossen bleibt der Kranke ganz allein. Im Gegensatz zu vielen anderen neurologischen Erkrankungen bleibt dem ALS Kranken aber eine wache mentale Erlebnisfähigkeit.

In seinen einsamen Nächten trösten Tony Judt die Erinnerungen an sein Leben, dass er Kapitel für Kapitel an seinem inneren Auge vorbeiziehen lässt.

Er ist das Kind nach England eingewanderter Juden, die jedoch ihr Judentum nicht praktizierten. Zeitweise wuchs er bei seinen Großeltern auf. Während die Eltern noch der unteren Mittelschicht angehörten, wuchs Tony Judt nach dem Studium der Geschichte zu einem aufgeklärten, klugen und kritischen Denker heran. Er befasste sich intensiv mit osteuropäischer Geschichte und lehrte an verschiedenen Universitäten in England und Amerika, zuletzt in New York.

Mit den Eltern war er als Kind zum Skiurlaub in einem Chalet in der Schweiz. Das Chalet wird in seiner Phantasie zu einem „Ort der Glückseligkeit“. Er ordnet seine Erinnerungen verschiedenen Räumlichkeiten zu, so dass er sie am Morgen dort abrufen und seinem Helfer auf seine Weise diktieren kann.

Nach der Schulzeit, die er als freudlos schildert, erwirkt er sich seine eigene Freiheit durch kleine Ausflüge mit Bussen durch die Londoner City. Als kritischen Studenten erlebt man ihn in einem Kibbutz in Israel, von wo er schließlich zum Studium nach England zurückkehrt.

Mit seinen nächtlichen Erinnerungsgeschichten begibt sich Tony Judt noch einmal in die Zeit gesellschaftlicher Umbrüche der Nachkriegszeit und in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie sind gekennzeichnet durch Studentenaufstände, Antikriegsdemonstrationen, die sexuelle Revolution und das zunehmende Bewusstsein einer auf Reflexionen beruhenden Auseinandersetzung mit den jeweils herrschenden Ideologien und parteipolitischen Richtungen, die das Jahrhundert prägten. Die Diktion von Tony Judt ist klar und einnehmend verständlich. In wunderbarer Weise meldet sich der Todkranke zu Wort, um das Fazit seines Lebens zu beschließen, das ihn so ganz lebendig und Anteil nehmend am Weltgeschehen zeigt.

Poetisch und leise verabschiedet er sich von der Welt wieder in Gedanken in einem Zug in der Schweiz: „Wir können uns nicht aussuchen, wo unser Leben beginnt, aber vielleicht, wo es zu Ende geht. Ich weiß, wo ich sein werde: in diesem kleinen Zug, unterwegs ohne bestimmtes Ziel, einfach unterwegs.“

Tony Judt
Das Chalet der Erinnerungen
224 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Februar 2012
ISBN-10: 3446238158
ISBN-13: 978-3446238152
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Viveca Sten: Die Toten von Sandhamn

Viveca Sten: Die Toten von Sandhamn

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Dieses ist bereits der dritte Fall von Thomas Andreasson. Schon die beiden ersten Bände dieser Krimireihe von Viveca Sten lösten Begeisterung aus.

Dieses Mal wird der Kommissar zu einem Fundort mit Leichenteilen, genauer gesagt: einem abgetrennten Arm, gerufen. Es scheint sich um die zwanzigjährige tote Lena zu handeln, Tochter der Roséns, die seit vier Monaten vermisst wird.

Einzelheiten über die Bewohner der Insel Sandhamn spielen wie immer eine wichtige Rolle. So erfahren wir, wie es mit der Ehe von Nora und Henrik weiterging, einem Paar, das schon lange in einer zerrütteten Ehe gelebt hat. Die Kinder der Paare und ihre Freunde sind wichtige Protagonisten; über sie erfährt man etwas von dem gemütlichen Leben auf der Insel. Es sind neben den Alteingesessenen die begüterten Bürger, die hier ihre Sommerhäuser besitzen. Nora ist aus Wut über die Untreue ihres Mannes gerade jetzt im Winter auf die Insel geflüchtet. Doch auch diese Jahreszeit besitzt ihre Reize. Nur fanden leider ihr Söhne Adam und Simon die Leichenteile! Was für ein Schock!

Parallel verläuft die Geschichte von Gottfrid und Vendela fast hundert Jahre früher. Sie sind ein zerrüttetes Ehepaar mit dem unsympathischen Sohn Thorwald, einem verstockten und eingeschüchtertem Kind, und der von Gottfrid heiß geliebten Tochter Kristina. Wie diese Familie mit den Ereignissen auf Sandhamn im Jahr 2007 verzahnt wird , das ist die Kunst der hervorragenden Krimiautorin Viveca Sten. Sie verzaubert mit herausragenden Milieubeschreibungen, die sich am Wetter, dem Himmel und dem Klima festmachen. Düstere Familiengeheimnisse, grausamer Erziehungsmissbrauch und ein ungerechter, cholerischer Vater bestimmen die Handlung um 1920. Nun, im Jahr 2007, fügt sich alles zu einem Krimi zusammen, der es in sich hat.

Hoffentlich gesundet der während einer Verfolgungsjagd schwer unterkühlte Thomas Andreasson, damit wir noch in vielen weiteren Krimis von seinen Taten hören dürfen!

Viveca Sten schreibt packend und weckt Neugierde, so dass man ihre Bücher nicht aus der Hand legen mag!

Viveca Sten
Die Toten von Sandhamn
352 Seiten, broschiert
Kiepenheuer & Witsch, Mai 2012
ISBN-10: 3462043889
ISBN-13: 978-3462043884
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Louise de Vilmorin: Madame de

Louise de Vilmorin: Madame de

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Man sieht die beiden verführerisch und lasziv in eleganter Aufmachung beim Tanz. Verführerisch und lasziv ist die ganze Geschichte, die uns hinter die Kulissen des Adels in Frankreich Mitte der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts entführt, und die von Max Ophüls 1953 verfilmt wurde.

Madame de ist eine adelige Dame, elegant und anziehend und das Schmuckstück einer jeden Gesellschaft. Stilvoll und berückend scheut sie keine Ausgaben, um ihr Äußeres zu verbessern. Ihr verschwenderischer Lebensstil hat sie in hohe Schulden getrieben. Sie verkauft in ihrer Not Ohrringe in Herzform aus Diamanten an einen Juwelier, der ihr Stillschweigen über den Ankauf verspricht. Die Ohrringe waren das Hochzeitsgeschenk ihres Mannes! Wie die Dinge so laufen, kommt dieses Schmuckstück auf Umwegen an die Verkäuferin zurück, die sich inzwischen unsterblich in einen Diplomaten verliebt hat.

Louise de Vilmorin kennt die Kreise, in denen Madame verkehrt und weiß um die Gelüste, die ein langweiliges Gesellschaftsleben in den Teilnehmern dieser Kreise auslösen. Leidenschaften, die vielleicht gar keine sind, befallen die angeödeten Damen auf der Jagd nach Abwechslung. Gekonnt spielt die Autorin auf der Klaviatur der gesellschaftlichen Geflogenheiten und entwirft das Bild einer Epoche, in der Umgang und Beziehungen alles waren. Madame de versteckt ihre Amouren geschickt vor den Augen ihres Mannes, ist aber innerlich zerrissen von dem missglückten Spiel, dass sie mit ihrem Ehemann und dem geliebten Diplomaten spielt. Liebe und Eifersucht sind die Triebfedern für ein Geschehen, in dem sich am Ende alle verfangen.

Mit wenigen Skizzen nur zeichnet Louise de Vilmorin ein Gesellschaftsbild, in dem neben der Geselligkeit Fantasien freisetzt werden, die nur zum Unglück führen können.

De Vilmorin erinnert mit ihrer Geschichte an die großen Vorbilder Maupassant, Flaubert und Balzac. Gibt es doch von Maupassant die Geschichte „Der Schmuck“, in der wie hier ein Schmuckstück zur Überführung einer ungetreuen Ehefrau führt.

Liebesschmachten, Herzgeschichten, Langeweile und die stolze Gesellschaft einer verwöhnten Klasse bilden den Hintergrund für die Geschichte. Die Raffinesse, mit der die Autorin Gefühle aufzeigt und die Not der verbotenen Liebe beschreibt, ist unübertroffen.

Man liest die Geschichte mit nostalgischen Gedanken an eine Zeit, in der romantische, leidenschaftliche und in ihren Auswüchsen zuweilen tragisch endende Liebesehnsüchte den Alltag bestimmten. Konventionen und Haltung galten viel und waren die Voraussetzung dafür, dass man weiterhin „dazu gehörte“.

Es handelt sich bei der Novelle um eine hübsch inszenierte und fein ausgesponnene Geschichte, die durch die äußere Aufmachung des Büchleins aus dem Dörlemann Verlag noch den Geschmack des kultivierten Lesers anspricht. Die Übersetzung von Patricia Klobusiczky krönt das kleine Meisterwerk.

Louise de Vilmorin war selber mit berühmten Männern ihrer Zeit liiert und gehörte zu Klasse des Adels. Sie starb 1969.

Louise de Vilmorin
Madame de
128 Seiten, gebunden
Dörlemann, Februar 2012
ISBN-10: 3908777747
ISBN-13: 978-3908777748
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John Banville: Unendlichkeiten

John Banville: Unendlichkeiten

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Götterwelt und irdische Lebensläufe.

Dieser tiefsinnige Roman John Banvilles spielt mit allen Registern der Unendlichkeit und des zum Sterben verdammten Seins.
Die griechische Götterwelt spielt den verbindenden Part in dem Drama um Liebe, Tod und Sterben.

Der Familienvater Adam Godley ist schwer krank. Er liegt nach einem Schlaganfall im Koma. Einst war er ein berühmter Mathematiker, der sich mit den Konzepten der Unendlichkeit befasste. Sein Tod ist absehbar, und in seinen komatösen Fantasien ist er gepeinigt von der Angst, lebendig begraben zu werden; Friederike Kempner lässt grüßen! Auch sie dachte sich in ihren Gedichten Signale aus, mit denen sie sich als Scheintote möglicherweise wieder Zugang zu den Lebenden verschaffen könnte.

Der Gott Hermes gibt sich als Erzähler der Familiengeschichte der Godleys aus und pfuscht in deren Überlebensstrategien und Sterbensängste hinein.

Zum kranken Vater ist der Sohn Adam mit seiner Gemahlin Helen angereist. Er ist ein furchtsamer und argwöhnischer Mensch. Petra, die jüngere Schwester von Adam, wirkt geradezu wie ein verschrecktes Hühnchen mit ihrer schmächtigen Gestalt und Ängstlichkeit. Ursula, Adams Frau, bestreitet den Alltag und realisiert am ehesten den nahenden Tod ihres Mannes.

In der Erzählung geht es um Erinnerungen, um eine freche Götterwelt, um Fantasien, Furcht und Lebensangst. Von den Familienmitgliedern trägt jeder sein eigenes Schicksal mit Unzulänglichkeiten, Versagensängsten, Lebenslust- und Frust zugleich.

Mitten hinein agieren die alt bekannten Götter aus der griechischen Mythologie, die den Lebenden die echte Liebe und das Sterben missgönnen, da dieses „echte“ Leben ihnen selbstredend versagt ist.
So wird Helen zum Opfer von Zeus, der ihr im Beischlaf vorgaukelt, ihr Mann zu sein, jedoch mit der Hoffnung, dass sie in ihm den unvergesslichen Liebhaber sehen möge.

In dieser Weise führen die Götter so manchen Schabernack im Schilde,mit denen sie den Ernst der Lage aufmischen.

Nicht zuletzt gleicht die Geschichte der Aufführung einer Commedia dell’arte oder einem Tanz auf dem Vulkan: ein Tag nur im Leben der Familie spiegelt dichte und groteske Ereignisse im Wechsel mit den göttlichen Funken, die in das irdische Leben hineinspuken.

John Banville ist ein großer Erzähler, dem hier die Synthese von Ernst und Komik grandios gelingt.
Er ist ein mit zahlreichen Preisen ausgezeichneter irischer Dichter der Gegenwart.

John Banville
Unendlichkeiten
318 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2012
ISBN-10: 346204379X
ISBN-13: 978-3462043792
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Tanja Weber: Sommersaat

Tanja Weber: Sommersaat

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Brandenburgische Atmosphäre wird geatmet, wenn man sich in dieses Buch vertieft. Es macht Spaß, eine Landschaft, einen Landstrich zu spüren, wenn man liest. Die von Tanja Weber erzeugten Bilder schaffen es, die Leser auf eine Reise zu schicken. Dabei scheint die Reise nicht nur an einen anderen Ort, sondern auch in eine andere Zeit zu gehen. Denn man mag kaum glauben, eine solche dörfliche Idylle noch heute anzutreffen. Aber das mögen Leute beurteilen, die nicht in einer Großstadt leben. Aber nicht nur die atmosphärischen Bilder sind überzeigend, auch die Brutalität der Täter wird in drastischen Farben gemalt.

In dem kleinen Dorf Brandenburgs mit dem Namen Germerow gibt es diese Idylle vor den Toren Berlins anscheinend noch. Der Postbote Johannes Stifter, der schon seit Jahren an seiner Dissertation in Philosophie arbeitet, wohnt in diesem beschaulichen Örtchen, in welchem es eine Kleingartenanlage und neben vielen Einfamilienhäusern einen Plattenbau gibt, und trägt hier tagein, tagaus die Briefe aus. Er kennt jeden der Empfänger, weiß, wie sie ticken, seine Nachbarn, wer mit wem kann und wer nicht. Sein größtes Interesse aber gilt einer Frau, die vier Kinder hat, von „aus dem Haus“ bis „noch beim Stillen“. Der Vater der beiden jüngsten, Micha, ist ein Taugenichts und selten bei der Familie. Annika Strelski verzichtet gerne auf ihn. Doch eines Tages findet der Briefträger ihn im nahegelegenen Wald tot auf, der Schädel zertrümmert. Stifter gerät in Verdacht. Die Kommissare, ein in der Gegend geborener Mann mittleren Alters und ein Bayer, der schon fünfzehn Jahre im Osten Deutschlands lebt und immer noch hinzulernt, sind ein skurriles Ermittlerduo. Aus ihnen erwächst eine eigenartige Komik und viele nette Episoden entstehen, wenn sich z. B. der alte Bayer über die Musikleidenschaft seines jüngeren Kollegen wundert.
Tanja Weber schafft es verblüffend gut, die Geschichte aus den Perspektiven der verschiedenen Figuren heraus zu erzählen. Besser gesagt, der Erzähler eignet sich in den einzelnen Szenen jeweils die Sichtweise einer der handelnden Figuren an. Dabei greift er die Sprache der jeweiligen Person auf und während er beim neunjährigen Adam noch sagen würde: das ist jetzt aber voll doof, kommt solch ein Satz in Zusammenhang mit einer erwachsenen Figur niemals vor.

Da die Autorin sehr früh den Täter präsentiert, fragt man sich als Leser zu diesem Zeitpunkt, was denn da noch kommen mag. Aber wer das Buch dann aus der Hand legt, wird nie erfahren, wie Spannung nach einem Finale funktioniert. Einfach nur packend und überraschend.

Man darf auf weitere Romane von Tanja Weber gespannt sein. Dieses Buch empfehle ich gerne. Und wer den allerersten Hit von Nina Hagen noch kennt, der wird beim Lesen nicht umhin kommen, das Lied mitzuträllern.

Tanja Weber
Sommersaat
350 Seiten, gebunden
Aufbau Verlag, Berlin
ISBN-10: 3351033613
ISBN-13: 978-3351033613

© Detlef Knut, Düsseldorf 2012
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David Servan Schreiber: Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl

David Servan Schreiber: Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl

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David Servan Schreiber hat den Kampf gegen den Krebs verloren. Er starb am 24. Juli 2011 im Alter von einundfünfzig Jahren.

Bekannt ist der Autor bei seinen Lesern durch seine Bücher „Das Antikrebs-Buch“ und „Die neue Medizin der Emotionen“ geworden.
Mit seinem Buch „Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl“ nimmt er Abschied.

Neunzehn Jahre sind seit der ersten Diagnose vergangen. Jahre, die der Neurowissenschaftler auch der Krebsforschung gewidmet hat. Die zusammengetragenen Erkenntnisse haben sicher vielen Menschen geholfen. Ihm selbst natürlich auch und trotzdem ist der Krebs zurückgekommen. Wieder hat er den Kampf aufgenommen. Diesmal vergeblich.

Es wird Zeit, sich noch einmal an die Leser zu wenden, die auch diesen letzten Weg mit ihm im Rückblick gehen wollen. Es ist ein sehr persönliches Buch geworden, das aber nicht allein von Trauer getragen wird. David Servan Schreiber lässt den Leser an seiner inneren Kraft und Stärke teilhalben. Das ist etwas sehr Wertvolles.

Der Autor geht in seinem Buch noch einmal der Frage nach, inwieweit sein Antikrebs-Buch nun noch Berechtigung hat. Er gesteht ein, Fehler gemacht zu haben, was seine Art zu leben betrifft, auch wenn seine Bilanz insgesamt eine positive ist. Die Ratschläge im Buch erachtet er immer noch als richtig, auch wenn deren Wichtigkeit er nun in eine andere Reihenfolge bringen würde.

David Servan Schreiber wusste, dass er sterben wird. Die Krankheit schritt unerbittlich fort. Seine Gedanken dazu schrieb er auf. Damit hat er Fragen beantwortet, die uns wohl allen im Herzen brennen. Der Text ist sehr ergreifend, aber er tröstet auch, nimmt ein wenig die Angst. Und er zeigt Angehörigen, was sie tun können, wie wichtig Freundschaft, Anteilnahme und vor allem auch der Zusammenhalt der Familie sind, damit es ein Abschied in Würde wird.

Rezension von Heike Rau

David Servan Schreiber
Man sagt sich mehr als einmal Lebewohl
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer
152 Seiten, gebunden
Verlag Antje Kunstmann
ISBN-10: 3888977517
ISBN-13: 978-3888977510
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