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Schlagwort: Treue

Dave Eggers: Zeitoun

Dave Eggers: Zeitoun

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Chaos und Apokalypse!

Zahlreiche Leser werden sich noch des blindwütigen Hurrikans mit Namen Katrina erinnern, der 2005 ganz New Orleans zerstörte. Er brachte Chaos und Untergang für viele Bewohner dieser schönen Stadt im Süden der Vereinigten Staaten.

Unvorstellbar aber ist die Geschichte, die Dave Eggers nach einer wahren Begebenheit verfasst hat. Sie handelt von der Familie Zeitoun, die als wohlbestallte Handwerker ein ordentliches und auskömmliches Leben in der Stadt am Mississippi führte. Als sich die ersten Nachrichten über den anrollenden Hurrikan mehren, beschließt die junge Mutter Kathy mit ihren vier Kindern die Stadt zu verlassen und bei Verwandten in Phönix/Arizona Unterkunft zu suchen. Die Familie Zeitouns ist groß, und einmal mehr lernt man den Zusammenhalt einer Großfamilie mit arabischen Wurzeln kennen. Der Familienvater selbst bleibt in der Stadt, um eigene Immobilien und den gut gehenden Malerbetrieb zu schützen. Auch kann er sich nicht vorstellen, wie groß das Unheil sein wird, das auf ihn zukommt.
Vor Jahren ist Zeitoun aus Syrien nach Amerika eingewandert. Als tüchtiger, solider, und zuverlässiger Arbeiter ist er überall anerkannt. An seiner Frau Kathy hängt er in rührender Treue und bildet eine kameradschaftliche Arbeitsgemeinschaft mit ihr, die aus innerer Überzeugung zum Islamischen Glauben übergetreten ist.

In spannendem Ton und mit realistischen Bildern schildert Dave Eggers, wie es Zeitoun inzwischen ergeht, und was er in der Zeit seines Alleinseins in der Stadt erlebt.

Nachdem die Stadt total verwüstet ist, paddelt Zeitoun mit einem kleinen Kanu herum und hilft hier und da bei geschädigten Bürgern aus. Eines Tages und sehr unerwartet wird er aus seinem Haus heraus verhaftet und in ein berüchtigtes Gefangenenlager gebracht. Anfänglich noch überzeugt, dass es sich nur um einen Irrtum handeln kann, erfährt er sehr bald, dass auch Recht und Ordnung im allgemeinen Chaos untergegangen sind.
Dave Eggers hat einen packenden und wahrheitsgetreuen Bericht über die Erfahrungen Zeitouns geschrieben. Neben den eindrucksvollen Bildern der zerstörten Stadt bekommt man eine Vorstellung von der Gewalt der heranrollenden Flut- und Sturmwelle, die zuletzt fast alles mit sich reißt und unter sich begräbt. Was aber Zeitoun als Gefangener erlebt, das belegt den Zustand einer Zivilisation, in der Vorurteile und Rechtlosigkeit zuweilen ganz und gar überhand nehmen können! Unbeschreiblich ist das Leid der Familie, und unbeschreiblich ist die Ungerechtigkeit, mit der Bürger arabischer Herkunft seit den Terrorangriffen auf das WTC mit schnellen vorab Verurteilungen in die Mühlen der Justiz geraten können. Unweigerlich teilt man die Wut, Angst, Not und die Gefühle der Ohnmacht aller zu Unrecht Misshandelten.
Dave Eggers Verdienst ist es, die Schande dieser Verfolgungen aufgedeckt zu haben. Man kann den Bericht nicht aus der Hand legen, so spannend und eindringlich sind seine Schilderungen.

Im Nachtrag werden zahlreiche soziale Hilfsorganisationen aufgeführt, die sich in Amerika als Korrektiv zum allgemeinen Recht gebildet haben. Rühmenswerter Weise gehen die Einnahmen aus dem Buch von Dave Eggers an eine Zeitoun Foundation, die sich dem Aufbau von New Orleans verschrieben hat und sich für die Achtung der Menschenrechte weltweit einsetzt.

Dave Eggers
Zeitoun
336 Seiten, gebunden
Kiepenheuer & Witsch, Februar 2011
ISBN-10: 3462042998
ISBN-13: 978-3462042993
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Alex Capus: Léon und Louise

Alex Capus: Léon und Louise

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Eine ungewöhnliche Liebegeschichte!

Die wundersame Geschichte von Léon und Louise umfasst die Jahre vom Ende des Ersten Weltkriegs 1918 bis zum Jahr 1986. Vom Enkel wird liebevoll die Geschichte einer großen Liebe erzählt.

Mit 17 Jahren zieht es Léon in die Ferne, denn er ist das Leben zu Hause in Cherbourg leid. Da er nicht kriegstauglich ist, gerät er als Funker in das abgelegene Örtchen Saint-Luc-sur-Marne. Dort begegnet er der burschikosen Louise, und eine raue aber zärtliche Liebegeschichte nimmt ihren Lauf. Wie es das Schicksal will, geraten beide eines Abends auf der Strasse in einen Angriff der Deutschen Luftwaffe und verlieren sich ganz aus den Augen. Über lange Jahre wissen sie nicht einmal, ob der andere noch lebt.

Zeit geht ins Land. Léon heiratet und bekommt Kinder, und nach zehn Jahren sieht er Louise zum ersten Mal wieder. Die alte Liebe ist noch ganz präsent, und nach einer kurzen Liebesnacht gehen beide entsagungsvoll wieder auseinander.
Im Abstand von langen Jahren sehen sich die beiden immer mal wieder. Doch an eine feste Bindung ist nicht zu denken. Léon ist ein treuer Familienvater, der mit seiner Frau die Höhen und Tiefen eines langen Ehelebens durchlebt und für seine fünf Kinder sorgt.

Wie die Geschichte erzählt wird, das zeugt von tiefem Verständnis für schicksalhafte Begegnungen, vergeblichen Liebesglücks und menschlichen und allzumenschlichen Entsagungen. Fast ein ganzes Jahrhundert verstreicht mit allen geschichtlichen Wechseln, die das 20. Jahrhundert mit sich brachte. Dazu gehören in langen Passagen die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Sehr hautnah kann man die Gefahren, Léons stillen Widerstand und die Sorgen und Nöte während der deutschen Besatzung miterleben. Léon ist in seinen Gedanken häufig bei Louise. Auch Louise aber hat ihn nie vergessen und berichtet in langen Briefen von ihrem Leben, das so ganz anders als seines verläuft.
Doch es gibt Überraschungen, mit denen man nicht rechnet!

Der Roman entfesselt in feinster Poesie und großartigen Beschreibungen die jeweiligen Lebensphasen und Zeitabschnitte im Leben der beiden Liebenden. Betroffen und mitfühlend geht man deren Weg mit, der einen sehr tief anrührt.

Alex Capus
Léon und Louise
320 Seiten, gebunden
Carl Hanser Verlag, Auflage: 11, Februar 2011
ISBN-10: 3446236309
ISBN-13: 978-3446236301
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Tim Krohn: Ans Meer

Tim Krohn: Ans Meer

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Sommerroman…

Ein unergründliches und belastendes Geheimnis trennt zwei Freundinnen, die sich in frühester Kindheit liebten. Die Familien der beiden besaßen ein Haus am Meer. An der Ostsee haben sie zusammen glückliche Kindertage verbracht. Doch eines Tages zerbrach die Gemeinschaft, und die Familien trennten sich.

Jetzt lebt Anna in Kiel und Josefa in Zürich. Beide haben sich zwölf lange Jahre nicht gesehen. Anna sucht schließlich erneut den Kontakt zu Josefa.

Bis es dazu kommt, wird das jeweilige Schicksal aller Beteiligten skizziert.
Josefa hat den zwölfjährigen Sohn Jens, den sie sehr liebt. Er drängt sie ungeduldig, zum Haus ans Meer zu reisen. Er möchte so gerne auf der Ostsee segeln! Doch Josefa ist taub auf dem Ohr. Sie will nicht zurück an den Ort ihrer Kindheit, wo es ein dunkles Geheimnis gab, das die Gemeinschaft aus glücklichen Tagen zerbrechen ließ.

Anna ist berufstätig und wünscht sich sehnsüchtig ein Kind von ihrem Partner Kalle. Leider wartet sie vergeblich, bis auch sie hinter ein Geheimnis kommt, das ihre Beziehung zu sprengen droht.
Man merk schon: das Buch steckt voller versteckter und verworrener Geschichten, und der Durchblick ist schwer!

Zahlreiche Spuren führen zu den einzelnen Figuren, die sich wie in einem Netz verfangen haben. Niemand weiß alles, jeder kennt nur Teile der Geheimnisse des anderen. Ungewöhnlich frühreif steht Jens, der zwölfjährige Sohn von Josefa, im Mittelpunkt der Erzählung. Aus seinen Augen schaut man zurück und sucht neugierig nach Spuren, die für ihn Unerklärliches verstehbar machen. Doch er und auch wir müssen lange warten, bis wir begreifen, wie es denn nun zu den Zerwürfnissen in den Familien gekommen ist!

Tim Krohn hat seinen Roman verschachtelt angelegt, so dass man sich getrieben fühlt, den einzelnen Spuren zu folgen, um endlich zu verstehen. Immer wenn man auf dem richtigen Erkenntnisweg zu sein scheint, muss man sich doch noch gedulden, bis man der Auflösung aller Rätsel näher kommt.

Der Autor hat einen leichten Roman verfasst. Auch alle unerklärlichen Todesfälle können die sommerliche Unbeschwertheit der Glücksmomente nicht überdecken. Lieben und geliebt werden, Treue und Untreue, Leidenschaft und Vergänglichkeit: alles kommt vor und man hat trefflich zu tun, der Aufklärung zu folgen. Wer der leichten Muse zugetan ist, der wird die kurzweilige Lektüre zwischen Krimi und Gesellschaftsroman genießen.

Tim Krohn
Ans Meer
328 Seiten, broschiert
Diogenes, Juni 2011
ISBN-10: 3257240767
ISBN-13: 978-3257240764
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Julian Fellowes: Eine Klasse für sich

Julian Fellowes: Eine Klasse für sich

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In der Upperclass…

Der namenlose Icherzähler dieses Romans erhält nach vierzig Jahren einen Brief von seinem früheren Freund und späteren Erzfeind, der ihn um einen Besuch bittet.
Mit dieser Einladung verbinden sich für den Icherzähler Erinnerungen an seine Jugend in den sechziger Jahren. Adel und eine Gesellschaft von Gleichen unter Gleichen spielten damals noch eine herausragende Rolle, in der die so genannten einfachen „Bürger“ nichts zu suchen hatten.
Damian Baxter ist einer von den letzteren, der sich in die Gesellschaft drängte, mit einem Eklat ausgestossen wurde und mittlerweile zu ungeahntem Reichtum gekommen ist.
Jetzt steigt er wie aus dem Nichts der vergangenen Jahre auf und sucht Kontakt zum Icherzähler, um einem Geheimnis seiner Jugend auf die Spur zu kommen. Dass er gerade auf ihn verfällt, ist schon einigermaßen verwunderlich. Denn damals sind aus gegebenem Anlass aus Freunden unerbittliche Gegner geworden. Spielten dabei womöglich die Gesellschaft und die Frauen eine entscheidende Rolle?

Damian Baxter steht nun kurz vor seinem Ende. Er sucht einen Erben für sein beträchtliches Vermögen, und dabei soll ihm der Icherzähler helfen.

Die Konstruktion der Geschichte ermöglicht eine Rückschau auf eine längst vergangene Epoche, in der alle jung, übermütig, verliebt und gesellig waren.

Julian Fellowes bringt das Gesellschaftsbild jener inzwischen fernen Jahre mit detaillierten und malerischen Farben zum Leuchten. Sitten und Gebräuche, Umgangsformen und Kleidung: der Autor gewährt einen Blick zurück, der echt und typisch für die damalige Gesellschaft war. Das stilvolle Ambiente und die formvollendeten Manieren zeigten Merkmale der sozialen Zugehörigkeit, deuten aber auch schon den bevorstehenden Umbruch an.
Nach vierzig Jahren haben die Jungen von damals die unterschiedlichsten Entwicklungen genommen. Aus der vermeintlich heilen Welt, die mit ihren Strukturen Halt und Sicherheit bieten sollte, ist eine unsichere geworden.

Die Konfrontation von Gegenwart und Vergangenheit macht einen wichtigen Teil der Erzählung aus.

Julian Fellowes ist eine wunderbare und inhaltsreiche Sozialstudie gelungen. Die Rahmenhandlung,“very british“, bietet die notwendige Spannung, aus der heraus sich ein illustrer Gesellschaftsroman entwickelt.

Einem Mosaikgebilde gleich enthält der Roman zahlreiche Einzelgeschichten, die sich zuletzt zu einem Ganzen zusammenfügen.

Sehr empfehlenswert!

Julian Fellowes
Eine Klasse für sich
480 Seiten, gebunden
C. Bertelsmann Verlag, April 2011
ISBN-10: 3570100154
ISBN-13: 978-3570100158
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Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer

Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer

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Von Frauen und Männern…

Fast traumatisiert stellt Mia mit ihren 55 Jahren eines Tages fest, dass ihr Mann eine „Pause“ von der Ehe sucht.
Die Pause: das ist eine 20 Jahre jüngere Kollegin, mit der er sich verlustiert.

Es entspräche nicht der klugen, tiefsinnigen Siri Hustvedt, wenn sich hinter dieser Geschichte nicht mehr verbirgt!

Und so ist es denn auch: ihre sensible und feinsinnige Heldin landet zuerst in der Psychiatrie, bis sie sich zu einer Auszeit von ihrem Leben in Brooklyn NY entschließt. Sie verbringt einige Monate in der Nähe ihrer Mutter, die in einem Altenheim in Minnesota lebt.
Hier gibt Mia Kurse in kreativem Schreiben und lernt die alten Freundinnen ihrer Mutter mit ihren Geheimnissen kennen und eine Anzahl junger Mädchen, die von erotischen Nöten und Träumen bedrängt werden.

Zu dieser Zeit beginnt Mia ihr eigenes Leben zu reflektieren und taucht tiefgründig in Erinnerungen an die Kindheit, Schulzeit, an Gefühle von Verlust, Liebe und Ausgestoßensein ein. Ihre Einsichten erfahren Bereicherung in der Begegnung mit den fünf alten Damen, von Mia liebevoll die „Schwäne“ genannt. Sie sind von ungewöhnlicher Frische und nachdenklichen Lebensweisheiten und bieten Mia indirekt Trost und Hilfe. Abigail zeigt ihr einen versteckt in einen Gobelin gewebten Spruch „Gedenke, dass mein Leben ein Wind ist…“, den man im Buch Hiob im Alten Testament findet.

In der Adaption der Erkenntnisse und Erfahrungen aus ihren Begegnungen mit den alten Damen und eigenen Beobachtungen gewinnt Mia innere Festigkeit und neue Einsichten. Zu diesen gehört die Feststellung, dass es eine Zeit gibt, von der an man mit Schicksalsschlägen rechnet.

Siri Hustvedt beschreibt in ihrer lebhaften, intelligenten und einfühlsamen Diktion Dinge, die unmittelbar an eigenes Erleben rühren. Dabei umfasst sie mit ihren Analysen einen ganzen Kosmos von immer gleichen Erfahrungen aus der Menschheitsgeschichte.
Von Witwen und Verstoßenen, von Müttern und Töchtern, von der Liebe sehr junger Mädchen und sehr alten Damen und von traurigen und heiteren Begebenheiten weiß sie zu berichten. Immer sieht sie mit unsichtbarer Brille hinter Fassaden und entdeckt versteckte Signale, aus denen man herausdestilliert, wie es um uns Menschen, um Männer und Frauen und um deren Zusammenleben bestellt ist. Doch auch das eigene Erleben und Leiden kommt nicht zu kurz.

Das neue faszinierende Buch der gebildeten und sensiblen Autorin, die eine herausragende Rolle in der New Yorker Intellektuellenszene spielt, begeistert den Leser mit einem dichten Netz von eindrucksvollen Bildern. Siri Hustvedt ist eine mit Empathie und Mitgefühl ausgestattete Philosophin. Der Roman gehört für mich zu den Highlights diesjähriger Neuerscheinungen.

Siri Hustvedt
Der Sommer ohne Männer
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
Rowohlt, 2. Auflage, März 2011
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3498030108
ISBN-13: 978-3498030100
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Arno Geiger: Alles über Sally

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Ehe und Liebe, eine Zeitreise…

Sally und Alfred erreicht in England die unerwartete Nachricht, dass in ihr Haus in Wien eingebrochen wurde. Eiligst betreiben sie ihre Rückreise aus dem Urlaub und finden zu Hause ein trauriges und unheimliches Chaos vor.

Zwischen den Zeilen ist sofort spürbar, dass die beiden in einer Krise stecken. Sie sind Anfang bis Mitte fünfzig. Dreißig Jahre sind sie verheiratet, und die halb erwachsenen Kinder beginnen, ihre eigenen Wege zu gehen. Da fragt man sich schon einmal, ob das nun alles gewesen sein soll!

In ausdrucksvollen und charakteristischen Rückblicken rollt Arno Geiger die Szenen einer Ehe auf, wie sie im Leben vieler Ehepaare nach Jahren zu finden sein mögen.

In Kairo lernten sie sich einst kennen und waren voller Zukunftserwartung und Lebensfreude. Heute sind sie im Alltagstrott erstarrt. Sally bemüht sich, den Familienclan zusammenzuhalten, sucht dann aber doch Abwechslung mit dem besten Freund ihre Mannes. Ob die Affäre ihre Probleme lösen wird? In ihrer gradlinigen Art sucht Sally die Auseinandersetzung mit Alfred, dem sie aufrichtig und hart die Meinung sagt. Sein Phlegma, seine Hypochondrie und seine Antriebsarmut sind zu viel für sie! Von Scheidung ist schließlich gar die Rede…

Sally ist die Starke und Überlegene in dieser Ehe. Sie ist immer mit Schwung bei der Sache – auch bei ihrem Ehebruch.

Wie Sally ihren Mann beobachtet und Arno Geiger die Schwächen von Alfred herausarbeitet, dieses schon etwas ältlichen Mannes, das stammt direkt aus dem Leben und überzeugt mit kolossaler Realitätsnähe. Es zeigt sich am Ende einmal mehr, dass ein langes Leben zusammenschweißt, weil alte Vertrautheiten verbinden und die Vergangenheit in die Zukunft wirkt. Sich kennen heißt auch, sich mit eigenen und fremden Unzulänglichkeiten abzufinden. Die Zweisamkeit über alle Widrigkeiten hinweg zu retten, wird hier zu einem lohnenden Lebensabenteuer. Arno Geiger belebt seine Figuren mit viel Leidenschaft und Verve. Die Lektüre ist kurzweilig und regt zu eigenen Reflexionen an.

Inzwischen ist der Roman weit oben auf den Bestsellerlisten angekommen, und Arno Geiger beweist einmal mehr sein Können.

Arno Geiger
Alles über Sally
363 Seiten, gebunden
Verlag: Hanser
ISBN-10: 3446234845
ISBN-13: 978-3446234840

Jorge Bucay: Zähl auf mich

Jorge Bucay: Zähl auf mich

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Die Frage nach dem Glück stellt sich in einem bestimmten Alter erst. Zuvor lebt man fraglos glücklich und unbeschwert in den Tag hinein.

Auf der Suche nach dem Glück erlebt man Demian aus Argentinien, der im Rückblick noch einmal die eine oder andere Begebenheit aus seinem Leben vorbeiziehen sieht. Bis vor kurzem war er noch verheiratet; einerseits erfreut, dem Joch der Ehe und seiner bestimmenden Ehefrau entkommen zu sein, will sich so recht doch keine Zufriedenheit bei ihm einstellen.

Er ist vierzig  Jahre alt, und da stellen sich schon einmal die existenziellen Fragen nach dem richtigen Leben. Nach einem verstauchten Knöchel muss er nun auch noch drei Wochen seiner Arbeit und Lehrtätigkeit als Nephrologe fernbleiben. Das bringt ihn vollends ins Grübeln!

Wo ist eigentlich sein alter Therapeut, den er den „ Dicken“ nennt, geblieben?

Auf den Spuren seines Lebens folgt man Demian, dem unruhigen, spontanen, dem freundlichen und liebenswerten Helden aus Buenos Aires, um zu sehen, wie er sein Glück herbeiführen will!

Es geht in dem Roman um die Grübeleien und Unsicherheiten eines Mannes, der sich verloren zu haben glaubt und alles tut, um seine Linie wieder zu finden. Der Dicke, sein Therapeut mit dem beziehungsreichen und vom Autoren ausgeliehenen Vornamen Jorge, sorgt in langen Gesprächen und an Parabeln und Märchenfiguren reichen Beispielen dafür, dass Demian wieder in die richtige Spur zurück findet. Sehr gut kann man sich in Demian hineinfühlen, der alles hinterfragt und voller Misstrauen ist und im Wechsel damit von strahlender Euphorie getragen auf ein neues Glück in der Person von Paula setzt. Diese scheint ihn trickreich um den Finger zu wickeln und lässt ihn ganz und gar im Ungewissen über ihre wahren Ziele.

Von zärtlichen Neigungen, warmherzigen Beziehungen, von Müttern, Vätern, Brüdern und Geliebten handelt die Geschichte. Sie bietet ein Abbild unserer Welt, in der wirklich nichts von Dauer und alles fragil und brüchig zu sein scheint. Therapeuten sind am Ende die wirklichen Lebensretter. Sie geben den Strauchelnden mit ihren tröstenden und sinnigen Geschichten Halt, und man darf auf sie zählen!

Jorge Bucay ist Psycho-und Gestalttherapeut, und man darf sicher sein, dass seine Geschichten der Wirklichkeit  abgeschaut sind. Von großer Weisheit und der Liebe zum Menschen getragen sind seine Figuren lebensnah und tröstlich in ihrer ganzen Unzulänglichkeit. Bucay gibt den Verlassenen, den Trauernden und den Liebespaaren Hoffnung, in dem er sie auf die Ambivalenz von Treue und auf das Recht auf Unvollkommenheit hinweist.

Ein liebevoll entwickelter und gütiger Romanheld erwartet den Leser in Gestalt des „ Dicken“, der unvergessen bleibt.

Jorge Bucay
Zähl auf mich
Gebundene Ausgabe: 300 Seiten
Verlag: Ammann, August 2009
ISBN-10: 3250601349
ISBN-13: 978-3250601340

Wallace Stegner: Die Nacht des Kiebitz

Wallace Stegner: Die Nacht des Kiebitz

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Subtile Ehegeschichte und Rückschau auf ein langes Leben.

Das Alter bedeutet nicht für jeden nur Spaß und Freude!

Da gibt es die kleinen Wehwehchen überall, und der Körper will nicht mehr so wie einst. Wallace Stegner weiß lebendig davon zu berichten. Sein alter ego ist Joe Allston, ein pensionierter 69 jähriger Literaturagent, der mit seiner Frau Ruth den Lebensabend im geruhsamen Kalifornien verbringt. Er führte alle die Jahre eine gute Ehe mit ihr und ist seiner Frau stets treu gewesen. Ein kleines Geheimnis blieb lange unentdeckt, bis Joe seine Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1954 wiederfindet. Auf der Reise in die Vergangenheit entdeckt man eine fast kriminelle Familiengeschichte, die es in sich hat.

Sein Berufsleben hat Joe in der anregenden und kulturell lebendigen Stadt New York verbracht. Jetzt bestimmen die Gartenarbeit und gelegentliche Geselligkeiten sein Leben.    Aber ist Joe wirklich zufrieden?

Sein italienischer Freund Césare ist entsetzt über die Abgeschiedenheit seines jetzigen Lebens und den Mangel an abwechslungsreicher Unterhaltung hier im friedlichen Umfeld seiner neuen kalifornischen Heimat.

Mit Witz, Ironie und einer guten Portion Sarkasmus bei gleichzeitiger Empfindsamkeit erzählt Joe Allston über seine kleinen Maläsen, über seine lange Ehe mit Ruth und über ihre eingeübten Gewohnheiten, die sehr originell beschrieben sind. Sie witzeln und kennen die Eigenarten des anderen. Gemütlich ist es allemal, wenn sie zusammen sitzen und Musik hören oder fernsehen. Seine Freunde sind ebenfalls alt, und er sieht, wie der eine oder andere schon scheiden muss. Die alltägliche Gegenwart ist absolut witzig und treffend gezeichnet. Gespräche über den Gartenzaun erzeugen eine sehr persönliche Atmosphäre. „ Der Wind rüttelt sanft, doch energisch am Haus. Man hörte den Regen gegen die Scheiben prasseln. Nichts konnte mehr Geborgenheit bieten als das. Und nichts ist so vergänglich.“

Depressionen überfallen ihn heute zuweilen, wenn er die Kürze der Zeit bedenkt, die seine Altersperspektive ihm gewährt.

Die Tagebücher, aus denen er Ruth eines Abends vorliest, führen die beiden zurück nach Dänemark, wo sich Joe im Jahr 1954 auf Spurensuche nach seinen Vorfahren begeben hatte. Hier beschreibt er ein mit reisendes Paar  als  “ fromm, kleinkariert, strikt gegen Rauchen, Trinken, Kartenspiel, Kino, Bücher, Sprachen, Denken.“ Spießbürger par excellence!

Die Abenteuer in Dänemark wirken fast wie eine eigene eingeschobene Geschichte, die nur mittelbar mit seinem Lebensbericht in Verbindung steht. Das Bild rundet sich und man beobachtet Joe Allston beim Nachdenken und Sinnieren. Geheimnisse werden aufgedeckt, die seiner Geschichte eine spannende Wende geben.

Wallace Stegners Werke handeln vom einfachen Leben, von Freude, Leid und der Vergänglichkeit. Sehr nahe kommt man seinen Empfindungen, denn er schreibt seine Romane wie Berichte an einen guten Freund. So fühlt man sich heimisch bei der Lektüre und meint, man könnte auch zu seinen Gästen zählen. Dieser Autor bietet Geschichten an, in denen es wie im wirklichen Leben zugeht: fröhlich, traurig, ehrlich, aufrichtig und nicht zuletzt oft versöhnlich.

Der Autor Wallace Stegner, 1909 -1993, gehört zu den wichtigsten amerikanischen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts. Er wurde mit dem National Book Award 1977 ausgezeichnet.

Wallace Stegner  
Die Nacht des Kiebitz
Taschenbuch: 280 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
ISBN-10: 3423247460
ISBN-13: 978-3423247467