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Schlagwort: Unabhängigkeit

Edvard Hoem: Die Hebamme

Edvard Hoem: Die Hebamme

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Der Autor hat sich mit diesem Buch der Lebensgeschichte seiner Ururgroßmutter Marta Kristine Andersdatter Nesje angenommen, geboren 1793. Er hat Dokumente ausfindig gemacht, aus Kirchenbüchern Details übernommen, die Aussagen über sie und ihr Umfeld machen, und die geschichtlichen Hintergründe und damaligen Traditionen recherchiert, um daraus eine Geschichte zu konstruieren, die ich als sehr gelungen und einfühlsam empfinde.

Marta Kristine ist die älteste Tochter des Schuhmachers Anders Knudsen und seiner Frau Karen. Sie ist an vielen Dingen interessiert und hinterfragt selbstbewusst, was sie nicht versteht.

Schon in der Schule begegnet sie Hans und es scheint, als haben beide eine gemeinsame Zukunft vor sich. Tatsächlich werden die beiden ein Paar, doch es sollen viele Jahre ins Land gehen, bis Hans ein Häuschen am Fjord baut und sie es beziehen. Den Wunsch, Hebamme zu werden, hat Marta Kristine frühzeitig, aber ihn durchzusetzen ist eine andere Sache. Pastor Stubbe ist es, der ihr einen Weg eröffnet. Allerdings wird diese doch sehr kurze Ausbildung nicht von allen werdenden Müttern anerkannt. Sie setzen lieber auf Frauen aus ihrem Umfeld, die bei der Geburt unterstützen.

Wieder vergehen Jahre und es eröffnet sich die Möglichkeit, im von der Westküste Norwegens weit entfernten Christiana, eine umfassende Weiterbildung zu absolvieren. Nur hat sie zu diesem Zeitpunkt schon eine Familie. Dennoch entschließt sie sich dafür und lässt Mann und Kinder zurück. Es ist ihr wichtig und auch unbedingt notwendig, etwas zum Lebensunterhalt ihrer Familie beitragen zu können. Doch die Mütter haben kaum das Geld, sie zu bezahlen. Es sind schwere Zeiten und Hans wird immer schwermütiger, hat er im Krieg seine Kameraden sterben sehen.

Das Buch schließt ab mit dem Tod von Marta Kristine, die mit ihrer Familie in ärmlichen Verhältnissen leben musste und viele Schicksalsschläge zu verkraften hatte. Der Autor beschreibt den Alltag, das Dorfleben und bezieht hier die Jahreszeiten mit ein.

Die Geschichte der Hebamme ist sehr eindrucksvoll, tiefgreifend und detailreich geschrieben, durchwoben von Melancholie. Man wird gefangen genommen von Marta Kristines Lebensweg, den sie sich erkämpft hat, und der sehr zu Herzen geht. Sie war eine fortschrittliche Frau und offen für neue medizinische Kenntnisse, die sie als Hebamme nutzen konnte. Diese längst vergangene Zeit lebt mit diesem Buch noch einmal auf und ich habe mich beim Lesen ein bisschen wie eine Zeitreisende gefühlt.

Rezension von Heike Rau

Edvard Hoem
Die Hebamme
Aus dem Norwegischen von Antje Subey-Cramer
352 Seiten, broschiert
Unionsverlag, März 2023
ISBN-10: 3293209726
ISBN-13: 978-3293209725
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Jane Gardam: Weit weg von Verona

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Jessica ist eine aufsässige kleine Person, die immer und fast überall aneckt. Wir erleben sie als Schülerin mit 9 Jahren. Der Zweite Weltkrieg überschattet ihr Leben und das ihrer Mitmenschen an der Nordostküste von England.

Als sie in der Schule einen Schriftsteller kennenlernt, der ihre Art zu schreiben als begabt einordnet, bleibt sie besessen vom Schreiben, das sie schon lange praktiziert. Die Liebe zur Literatur und ihr Bekenntnis, dass sie nicht beliebt ist, sind die ehrlichen Selbsteinsichten dieses eigenwilligen jungen Mädchens.

Ihre Familie ist beschäftigt mit Kriegsbedrohung und Not. Der Vater, einst ein Lehrer, lässt sich an die Nordostküste Englands versetzen, wo er sich als Hilfsprediger betätigt. Jessica muss sich neu in eine fremde Schule eingewöhnen. Die Mädchen und Lehrerinnen sind ihr nicht immer wohl gesonnen!

Von Beginn an bleibt man fasziniert vom Eigensinn und von der Burschikosität, mit der sich Jessica überall ihren Weg bahnt. Sie sagt immer genau das, was ihr in den Sinn kommt und stößt damit so manchen Mitmenschen vor den Kopf.

Voller Witz und Sprachreichtum sind die Lebenserfahrungen der Schülerin, die immer wieder in denkwürdige Abenteuer – und Kriegserlebnisse verstrickt wird. Sie legt sich mit Lehrern und Eltern an und geht zielstrebig ihren eigenen Interessen nach.

Die Unmittelbarkeit und Frische, mit der Jane Gardam ihre Figur agieren lässt, zieht den Leser sogleich in Bann. Mit wehenden Kleidern läuft Jessica z. B. dem Schriftsteller nach der Schulstunde hinterher, um ihm ihre Konvolute in die Hand zu drücken, nicht ahnend, dass dieser sie nach der Lektüre in Anerkennung ihrer Begabung wirklich zu einer Schriftstellerin erklärt.

Leider kann Jane Gardam den Spannungsbogen in diesem Roman nicht durchhalten. Zu abgesetzt und willkürlich erlebt man die Abenteuer der Protagonistin, und zu viele Personen spielen in die Geschichte hinein. Es gehört Geduld dazu, um allen ihren Eskapaden zu folgen. Alleine ihre Liebe und fast Leidenschaft zur Literatur bleibt durchweg erhalten und krönt das Ende der Geschichte.

Die Autorin ist einem breiten Leserpublikum bekannt durch die Trilogie ihrer Romane um den „old Filth“ genannten Anwalt in der Kronkolonie Hongkong. Diese Romane haben die Literaturszene eines breiten Lesepublikums und auch mich zu Begeisterungsstürmen hingerissen.

Jane Gardam ist spät entdeckt worden und feierte ebenso einen späten Ruhm mit ihrem Werk. Der vorliegende Roman ist schon 1971 erschienen und gilt als ihr erster. Er kann m.E. mit den drei berühmten späteren Werken über die Anwälte in der Kronkolonie Hongkong nicht mithalten.

Jane Gardam
Weit weg von Verona
240 Seiten, gebunden
Hanser Berlin, Juli 2018
ISBN-13: 978-3446260405
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