Die Geisha

Die Geisha

Japan um 1920: Chiyo ist neun Jahre und lebt mit ihrer älteren Schwester, ihrer Mutter und ihrem Vater, einem armen Fischer, in ihrem „beschwipsten Haus“ in einem verlassenen Nest irgendwo an Japans Küste. Die Welt scheint für die kleine Chiyo-chan in Ordnung – bis ihre Mutter im Sterben liegt. Der nette Herr Tanaka entpuppt sich als Kinderhändler und überredet Chiyos Vater, seine beiden Töchter an ein Geisha-Haus, eine Okiya, in der alten Kaiserstadt Kyoto zu verkaufen. Doch nur Chiyo, die überhaupt nicht weiß, wie ihr geschieht, kommt in die Nitta-Okiya, wo die schöne, aber skrupellose und machtbesessene Geisha Hatsumomo regiert. Ihre Schwester dagegen landet in einem billigen Bordell.
Chiyo leidet unter der Einsamkeit, unter der Trennung von Schwester und Eltern und unter den rigorosen und zum Teil grausamen Ritualen und Erziehungsmethoden in der Okiya. Ein Fluchtversuch scheitert und Chiyo wird zur Dienerin degradiert. Eine Zukunft als Geisha scheint damit aussichtslos. Doch dann, eines Tages, erscheint die ebenso schöne wie erfolgreiche und beliebte Geisha Mameha, die in einem ewigen Zweikampf mit Hatsumomo steckt, als rettender Engel und nimmt sich Chiyos an, die als Geisha schließlich den Namen Sayuri erhält. Nach harter Ausbildung und einem gnadenlosen Konkurrenzkampf zwischen Mameha und Hatsumomo auf der einen und Kürbisköpfchen, Hatsumomos Schützling, und Sayuri auf der anderen Seite steigt Sayuri schließlich zur begehrtesten Geisha Kyotos auf. Doch das private Glück bleibt ihr bis ins hohe Alter verwehrt.

Arthur Golden beschreibt eindringlich und anschaulich, wie hart das Leben als Geisha ist. Im wahrsten Sinne des Wortes unschuldig und naiv sind die entwurzelten Mädchen, die in Kyoto zur Geisha ausgebildet werden. Sie leiden unter der Einsamkeit, den harten Ausbildungsmethoden, dem ewigen Konkurrenzkampf und der gnadenlosen Abhängigkeit von den Männern, speziell ihren dannas, denjenigen Männern, die es sich leisten können, eine Geisha quasi als Zweitfrau zu halten und zu finanzieren. Die ganze Qual kulminiert in der Darstellung der mizuage, der Defloration, um die zunächst im Wettkampf geboten wird und die Sayuri mit dem Gleichnis vom Aal, der seine Höhle sucht und markieren will, erklärt wird.

Sayuri ist zu diesem Zeitpunkt erst 15 und erträgt so manche Erniedrigung von Seiten der Männer und die Intrigen ihrer Intimfeindin Hatsumomo nur, indem sie sich in einen Tagtraum flüchtet, der stets nur von dem einen handelt: Von dem Direktor, ihrer großen Liebe, dem sie erstmalig noch als Dienerin zufällig auf den Straßen Kyotos begegnete. Ihr Leben lang hält sie an der Hoffnung fest, dass er eines Tages ihr danna, ihr Quasi-Ehemann, wird. Diese Romanze lässt sie schließlich auch den Zweiten Weltkrieg und die von Armut geprägten Nachkriegsjahre überleben.

Zwar begegnen sich die beiden nach Ende des Krieges wieder, doch als der Kompagnon des Direktors, Nobu, ihr nächster danna zu werden droht, lässt sich Sayuri zu einer Verzweiflungstat hinreißen, bei der sie ihre Existenz aufs Spiel setzt. Doch es gibt für Sayuri und den Direktor ein Happy End.

Dass das so ist, ist wohl vor allem der Tatsache zu verdanken, dass der Autor zwar zunächst vorgibt, mit Sayuri tatsächlich gesprochen zu haben und von ihr gebeten worden zu sein, ihre Memoiren aufzuschreiben. Doch das entpuppt sich am Ende als listige Finte des Autors, der schließlich doch bekennen muss, dass Sayuri nur Fiktion ist. Das erklärt auch so manche Passage, der man stark anmerkt, dass sie vor allem geschrieben wurde, um der eigenen, d.h. Sayuris, Legendenbildung willen. Und es ist auch dieses – typisch amerikanische, ins Kitschige abdriftende – Happy End möchte man sagen, dass einem die Geschichte ein wenig verleidet. Muss das sein, fragt man sich leicht angewidert.

Golden ist kein Faulkner und kein Hemingway. Dennoch liest man das Buch gerne und mit wachsender Begeisterung, weil es uns in eine für uns völlig fremde und zum Teil auch unverständliche Welt und Kultur entführt. Alle Figuren des Romans mit ihren unterdrückten, kompensierten, verdrängten, verstörten und gelebten Träumen, Wünschen, Gedanken und Gefühlen stehen plastisch vor Augen. Der Autor offenbart hier intime Kenntnisse der Rituale der Geisha-Tradition. Die Atmosphäre Kyotos vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg ist so authentisch und lebendig geschildert, dass man sich augenblicklich dorthin zurückversetzt fühlt.

Golden ist Professor für japanische Geschichte und er weiß, wovon er schreibt. Umso mehr drängt sich die Frage auf, warum er erst unter Camouflage schreibt, um am Ende doch wieder alles zu demaskieren, jedoch nicht, ohne in der Danksagung so vielen Japan-Kennern und gar einer echten Geisha zu danken, dass man unweigerlich das Gefühl hat, hier will, hier muss sich jemand noch im nachhinein rechtfertigen und uns versichern, dass auch alles seine Richtigkeit hat, auch wenn er uns zunächst mit den Memoiren einer Geisha auf eine falsche Fährte gelockt hat.

Das hätte das Buch nicht nötig gehabt. Auch ohne erzähltechnische Brillanz steht es dennoch aufgrund der Exotik des Themas und der kenntnisreichen Beschreibung von Orten, Unterrichtsmethoden, Zeremonien und Traditionen gut dar. So aber bleibt ein leicht bitterer Nachgeschmack.

Auch das schon weiter oben angeführte Happy End ist einfach zu dick aufgetragen. Immerhin: Schon hier melden sich dem gutgläubigen Leser erste Zweifel, ob denn da tatsächlich alles mit rechten Dingen zugegangen ist oder ob Sayuri der eigenen Legendenbildung willen etwa gelogen habe. Nun, sie hat nicht gelogen, sie konnte ja gar nicht lügen. Ein realistischeres Ende hätte dem Roman gut getan.

Im selben Maße diskreditiert Golden damit auch die Figur der Mameha, Sayuris Lehrerin und seinerzeit Meister-Geisha in Kyoto. Wirkte ihr Erscheinen und Sayuris Errettung durch Mameha bereits vorher aufgesetzt, so verkommt sie am Ende gänzlich zur Deus ex machina, denn es stellt sich zu allem Überfluss auch noch heraus, dass sie stets im Auftrag des Direktors gehandelt hat, der Sayuri ebenfalls seit der ersten zufälligen Begegnung nicht vergessen konnte. Das ist schade um die Figur der Mameha, denn als Sayuris Lehrerin verkörpert sie die Demut und Eleganz in Person, die in einem einzigen Satz die Existenz einer Geisha auf den Punkt bringt: „Wir werden nicht Geishas, weil wir es uns aussuchen können, sondern weil wir keine andere Wahl haben.“ (sinngemäß zitiert)

Fazit: Wer von Anfang weiß, dass es sich nicht wirklich um die Memoiren einer Geisha handelt, sondern sich bewusst auf eine fiktive Geschichte einlässt, die gut recherchiert und mit fundiertem Wissen untermauert ist, ist am Ende gewiss weniger enttäuscht als der zunächst arglose, gutgläubige und unvoreingenommene Leser. Der fremden Welt und Denkmuster willen ist der Roman lesenswert, schwächelt aber in Konstruktion (aufgesetztes Ende) und Stil, wenngleich dieser ausreicht, die Figuren ausreichend lebendig erscheinen zu lassen.

Arthur Golden
Die Geisha
Kenntnisreiche Darstellung einer vergangenen und fremden Welt, jedoch mit erzähltechnischen Schwächen.
ISBN:3442726328
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Ein Gedanke zu „Die Geisha

  1. Für mich ist dieser Roman eines der besten Bücher die ich je gelesen habe. Man taucht in eine erotisch verruchte Welt und wird Teil davon. Trotz der vielen Seiten ist das Buch schnell gelesen und durch genauer Erklärung kann man alles nachvollziehen und den Aufbau eines Kimonos erklären ich kann es nur weitermpfehlen.
    -S.A.

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